Kosher by Heart
Text von Ro Raftl Fotos: Peter M. Mayr
Donnerstagnacht hat Danielle Spera ihr wöchentliches Kitchen-Date mit dem Major. Sie muss aufpassen, denn die Kinder schlafen – und er rattert. Doch der Major, er stammt aus der Familie der Kenwoods, ist ihre Lebensmaschine. Rührt, schält, raspelt, grob und ganz fein – alles im Affentempo. Genial. Wenn sich die Direktorin des Jüdischen Museums etwas wünscht, ist’s der neue Cooking Chef: "Der hat sogar ein Induktionskochfeld. Schau!" Die damenhafte Dunkelhaarige erglüht wie andere Frauen beim Blick in Juweliersvitrinen. Sie sitzt auf Nadeln. Die Wiedereröffnung des umgebauten Museums am Judenplatz steht an: mit einer Dauerausstellung, die einen virtuellen Rundgang durch das jüdische Wien im Mittelalter erlaubt – wofür Spera schon vor Amtsantritt die Sponsoren aufgestellt hat. Mit einem großen Fest, dem ersten in ihrer neuen Funktion. Aber die Kenwood-Website am Laptop öffnen, ihren Traum-Chef mit Blicken kosen, sich weitere Zeitersparnis ausmalen – das muss trotzdem sein.
Österreichs einstige Zeit-im-Bild-Ikone hat nicht nur einen aufregenden Job, auch einen Mann und drei Kinder, denen sie die Heiterkeit und den Glanz jüdischer Feste mitgeben will, die Wärme jüdischen Familienlebens. Sie betüdelt sie, wie man’s aus Romanen kennt, füttert sie mit Liebe, Apfelstrudel, Brownies und Schokotorte, wenn sie nachmittags um vier aus der Schule kommen: "Sie sind immer so hungrig." Abends wird noch einmal gekocht. Das ist nur mit straffem Zeitplan möglich: "Kochen muss schnell gehen. Amerikanisch." Nicht sooo amerikanisch, fertigen Teig im Supermarkt zu kaufen, aber mit Wiegen hält sie sich nicht auf. Misst in "cups", mit einem amerikanischen Messbecher. Wie die Frau des Oberrabbiners. Ihr verdankt Spera das Rezept der Schoko Chip Torte: "Meine Jüngste ist so ein Schokotiger!"
Gibt es gerne an andere Schokotigermütter weiter: 1 cup Zucker und einen halben cup Öl gut mischen, 2 Eier, 6 EL Kakao, 1 TL Backpulver und 1 Teelöffel Baking Soda (Natron) gut verrühren, danach abwechselnd 1 cup Orangenjuice und 2 cups Mehl dazumengen (das Mehl immer nach dem Juice) und zuletzt Chocolate Chips (also Schokostückeln). Ratter! Den Teig in eine gefettete Form geben – "Ich nehm eine Sternform", so Spera – und bei 175 Grad 45 bis 60 Minuten backen.
Donnerstagnacht steht sie länger am Herd. Freitag ist der traditionelle Familienfeierabend vor dem Schabbat, für den aufwendig gekocht und der weiß gedeckte Tisch mit Blumen und Grün schön geschmückt wird: "Wir zünden Kerzen an, mein Mann und mein Sohn sprechen die Segenssprüche mit Brot und Wein, nach dem Nachtmahl singen wir Lieder." Das Liebesthema einer katholisch Erzogenen, einer Klosterschülerin: "Ich wollte immer jüdisch sein." Für das "Papakind" in den dramatischen Kindheitserlebnissen seines "geselligen, weltoffenen, zupackenden, reiselustigen" Vaters begründet. Auch er wuchs in einer katholischen Familie auf. Als er zehn war, begann man in den Schulen, die jüdischen von den nichtjüdischen Kindern zu separieren. Seine jüdische Mutter wurde verfolgt, musste fliehen. Er selbst, als "Mischling" gefährdet, wurde von zwei Tanten versteckt und durch den Krieg gebracht. Lange wollte er nicht erzählen, was er damals erlebt hatte, sagt Danielle. Froh sei sie, ihn endlich dazu gebracht zu haben, für ihre Kinder, den 15-jährigen Sammy, die 13-jährige Rachel und die 8-jährige Debbie, alles auf Band zu sprechen:"Sie sollen wissen, wie es damals war." Sie selbst ist 1990 in Israel zum Judentum übergetreten.
"Die Franzikanerinnen in der Wiener Apostelgasse waren reizend", sagt sie. Aber offenbar zu wenig überzeugend in Sachen Religionsunterricht. Dazu brandete in der Pubertät wilder Trotz gegen alle vorgegebenen Strukturen. Auch der Mutter gegenüber. Sie hatte Danielle mit 18 zur Welt gebracht, sehr jung für diese Rolle, war nicht berufstätig, fand das Glas, das die Tochter gern "halb voll gesehen hätte, oftmals halb leer. Aber sie ist eine ausgezeichnete Köchin". Danielle hat sich viel abgeschaut – alle wienerischen Feinheiten vom panierten Schnitzel bis zum Rindsbraten mit der passierten Wurzelsoße. (Nebensatz: "Meine Mutter hatte wesentlich mehr Zeit.") Kochen "in großen Mengen, sparsam, einfach, gut, gesund", hat Fräulein Spera dann im Halbinternat für wirtschaftliche Frauenberufe trainiert, dazu Hauswirtschafts- und Ernährungslehre. Hilfreiches Grundwissen, selbst wenn die 53-Jährige längst keine Schnitzel mehr paniert, die Reinheitsgebote von Kaschrut beachtet, das Fleischige (basari) bis auf (manchmal) Huhn aus ihrem Speiseplan gestrichen hat. Milchige Speisen (chalawi) der Kinder wegen akzeptiert, aber wie ihr Ehemann, Psychoanalytiker Martin Engelberg, lieber "parve", also neutrale Lebensmittel mag: Gemüse, Kartoffeln, Obst, Getreide, Eier, Honig, Fisch. Am liebsten isst sie Pasta in allen Varianten: "Immer, immer, immer."
Das Nachtmahl vor dem Schabbat ist auch jeden Freitag ähnlich komponiert: "Es gibt mehrere Vorspeisen, eine Mischung aus Familien- und Freundesrezepten, aber immer Gefillte Fisch – in einem speziellen Sud gekochte ganze Karpfenstücke und Laibe aus Fisch-Faschiertem. Die deshalb so heißen, weil früher die Karpfenhaut im Ganzen vom Fisch abgezogen, mit der Farce aus dem Karpfenfleisch gefüllt und nach dem Auskühlen in Portionen geschnitten wurde. Salopp gesagt, eine Mordspatzerei. Weshalb Spera völlig auf Schalom Bernhardts Catering Alef-Alef in der Seitenstettengasse vertraut – "ein großartiger Koch!" – und bestenfalls den "Chren" aus roten Rüben, Kren, Zucker, Salz und Essig selbst zubereitet. Wie den Avocadosalat mit gekochten Eiern und Walnüssen oder den Cole Slaw aus geraspeltem Kraut und Karotten. Den überzieht sie nicht mit Mayonnaise wie die Amerikaner, sondern mariniert ihn, einem israelischen Rezept ihrer Schwägerin zufolge mit Olivenöl, Sojasauce, Zucker, Salz und einem Schuss Balsamicoessig. Lässt ihn stundenlang ziehen, bestreut ihn zuletzt mit fettlos gerösteten Sesamkörnern. Den Humus, der auch zum Traditionsprogramm gehört, kauft sie im Koscherland-Supermarkt in der Kleinen Sperlgasse im Zweiten.
Danach sollte die Hühnersuppe serviert werden, die "Goldene Joich", die angeblich jede Krankheit heilt, mit der klassischen Einlage "Mazzeknödel" (wobei Mazze auch mit tz geschrieben werden kann). Wissen Sie, was das ist? Ungesäuertes Fladenbrot aus Mehl und Wasser, das zermahlen als "Mazzemehl" vielerlei Verwendung findet. Wer’s amerikanisch anlegt, kauft die fertige Knödelmischung bei Koscherland, gibt zwei Eier und eine gute Prise Salz dazu, mischt durch, lässt sieben Minuten ziehen, formt kleine Knödel (sie gehen auf), und lässt sie zehn Minuten in kochendem Salzwasser sieden.
Bei Engelbergs wird gegessen, was die Kinder mögen – und da Sammy schon beim kleinsten Basilikum-Stückl in den Spaghetti Pomodoro "Bitte nimm den Salat heraus!" meckert, gibt es seltener Hühnersuppe, in die viel Petersilie gehört, sondern öfter Kürbiscreme- oder Brokkolisuppe. "Die essen sie", sagt die Mutter, um liebend einzuflechten, dass Sammy mittlerweile "ein ausgezeichneter Koch" ist, der die aromatische Notwendigkeit von Grün im Essen zu verstehen beginnt. Als Hauptgericht des Schabbat-Mahls kommt Fisch auf den Tisch. Lachs in unterschiedlichen Variationen. "Ich brat ihn an, vielleicht mit ein paar in Olivenöl gerösteten Jungzwiebeln, gieße mit klarer Gemüsesuppe (von Koscherland) und Champagner auf (Frizzante tut’s auch), lasse ihn kurz im Rohr dämpfen. Tu Dill-Crème-fraîche-Sauce, Reis oder Kartoffeln dazu. Es gibt super Fleischrezepte, aber wir essen keins mehr", sagt Spera. Kartoffeln hingegen sehr gerne. Die eierlose Variante vom Kartoffel-Kigel am liebsten: roh geraspelt (vom Kenwood-Major) und mit viel Olivenöl und Rosmarin in einer feuerfesten Glasform im Rohr knusprig gebacken. Sauerrahm dazu.
Beim Olivenöl ist die Chefin heikler als beim Wein: Sie mag das würzige, grüne, hat zu ihrem Glück eine Freundin, die in der Nähe von Rom einen Olivengarten besitzt. Wie für den Wein den Nitsch mit seinem Eigenbau: Kaschrut-reiner Gemischter Satz. Gleich ihm trinkt Danielle gern die frischen, leichten Weine, Chardonnay, auch Welschriesling, allzu Blumiges schmeckt ihr nicht. Zuhause gibt’s nur Wasser und Säfte. Hollersaft! Ihr Mann macht sich überhaupt nichts aus Wein.
Klingt so, als hätte diese Frau bloß Küchenverstand. Doch schon der wachen Intelligenz der 18-Jährigen war eine Hauswirtschafts-Matura zu wenig. Spera studierte Publizistik und Theaterwissenschaften, fuhr auch mit Hubert Klocker, heute ein renommierter Kunsthistoriker und Ausstellungskurator, der damals über die Wiener Aktionisten dissertierte, zu Mühl auf den Friedrichshof, zu Nitsch auf Schloss Prinzendorf. Der Schüttmeister blieb ihr: Jahre später schrieb Spera eine Nitsch-Biografie, seine Frau Rita ist ihre beste Freundin. Klocker allerdings versuchte ihr den Hang zum Jüdischen wegzuargumentieren: "Religion ist nicht wichtig." Sie lacht: "Geheiratet hat er dann in einem katholischen Dom."
ihr Wunsch, zum Judentum überzutreten, verfestigte sich in Washington, wo sie 1987 als ORF-Auslandskorrespondentin stationiert war und sich viel in jüdischer Gesellschaft bewegte. Nicht lange, denn zu Castings nach Wien zurückbeordert, moderierte die telegene Frau Doktor ein Jahr später erstmals die Zeit im Bild I. Doch eindrücklich genug, um nach Gesprächen mit Paul Grosz, dem Präsidenten der Wiener Kultusgemeinde und Oberrabbiner Chaim Eisenberg den "schwierigen Weg des Lernens" anzutreten. Des Thora-Studiums: "Ich bekam Antwort auf alle meine Fragen."
Seit Juli ist der Bildschirm-Darling künstlerische Leiterin des Wiener Jüdischen Museums. Schräg gegenüber hat sie in der Dorotheergasse neue Büroräume aufgetan und etabliert, feilt an der technischen Aufrüstung des Museums, das den Sicherheitsstandards für Besucher und Kunstwerke nicht mehr entspricht: Computer und Computerkassa gibt es jetzt, an der Finanzierung der Klima- und der Alarmanlage bastelt sie noch. Am Museums-Weblog. Ihr Job, Sponsoren zu motivieren! Und beim Judenplatz-Eröffnungsfest strahlend, bescheiden und selbstbewusst zugleich zu repräsentieren. Fordernd. Simpler Schokokuchen geht sich daneben grad aus. Die Biskuits mit den aufwendigen Cremen, die ihre Mittlere so liebt, müssen ein wenig warten. Es sei denn, Rachel datet selber den "Major". Susie Fishbeins Kochbuchserie "kosher by design", laut Mutter Danielle "die perfekte Kombination von modern, stylish und traditionell", liegt griffbereit am Küchenregal. Weshalb wir statt lyrischer Schlussworte praktischerweise Fishbeins Rezept vom "Apfel Mazze Kigel" anbieten. Er ist Pflicht beim Pessachfest (2011 wird es von 19. bis 26. April gefeiert).