Liebstöckeln

Über den Markt, durch den Kräutergarten, die „Vorstadt“ der Weiber im Sportcoupé, die Anwaltskanzlei „Dennstein & Schwarz“, das Theater an der Josefstadt. Als Mamma von drei kleinen Kindern lotet Martina Ebm, erotisch wie je, die bunten Genüsse orientalischer Küchen aus.

Text von Ro Raftl · Fotos von Stefan Fürtbauer

Sie verführt. Als grünäugig-fröhliche Fremdenführerin von „Wien ist anders“. Zu Bazargefühlen am Hannovermarkt in der Brigittenau. Wo Güler Kasap drei kleine Suppenhühner mit zehn Euro anschreibt, wo Rind, Lamm, Kalb und Pute – alles natürlich halal – so gut wie gar nix kosten im Vergleich zu den Fleischern innerhalb des Gürtels. Wo Obst und Gemüse bunte Berge bilden, so wie’s früher mal am Naschmarkt war. Wo der Imbiss Metin als einziges Lokal zu anatolischer ­Küche Alkohol ausschenkt, weshalb sich dort die Österreicher ballen. Wo Christine Nöstlinger gewohnt hat, in der Othmargasse mit Blick auf das Marktgewusel. Stimmig. Erdig. Lebendig. Noch lebendiger, als Martina Ebm für den Fotografen mit Kaktusfrüchten zu jonglieren beginnt.

Hihi, Fans vermutlich, die „Vorstadtweib“ Caro auch in Jeans und weißem Leiberl outen – ihre Heels sind spitz und high – und sich nun diskret als Experten für giftig verborgene Kaktusstachel tarnen: Ratschläge prasseln von rechts und links, auf Deutsch, Englisch, Türkisch, erläutern das System Kaktusfrucht, was sie un-be-dingt tun muss, falls sie ein Dorn sticht und überhaupt: Am besten sollte sie Handschuhe anziehen.

Ebm dankt, lacht, jongliert löwenmutig und stöckelt elastisch wie in Yogapatschen zur Belohnung: Lahmacun. Türkische Pizza, hauchdünn, auf den schwarzen, längst elektrifizierten früheren Kohleöfen gebacken und mit einer Mischung aus Rindsfaschiertem, rotem und grünem Spitzpaprika, Zwiebeln, Petersilie, gehackten Tomaten, Öl, Paprikapulver, Pfeffer und Salz gefüllt. Zu einer Palatschinke gerollt, in festem Papier essfertig drapiert. Gözleme heißt es ohne Fleisch – und beides schmeckt herrlich. Servietten inklusive um 1,50 Euro. Jöh!

„Es ist hier nicht schick, es ist pur. Aus dem Leben gegriffen, und ohne dass es mehr will, als es ist. Im positiven Sinn. Das mag ich auch an Menschen. Wenn sie sich nicht besser darstellen, als sie sind, sondern sich so geben, wie sie sind“, philosophiert die Bewegliche mit der Mädelfigur, die doch 37 und Mamma von drei kleinen Kindern ist, in Liebe dem kurdischen Filmregisseur Umut Dag (sprich „Da“) verbunden. Ein Brigittenauer Kurde, ­Haneke-Schüler und international anerkannt für die differenzierte Schilderung türkischer Lebenswelten in seinen Filmen Kuma und Risse im Beton. Also auch ein bissl familienromantisch, wenn Martina Ebm entdecker­freudig sagt: „Deshalb g’fallt mir der 20. Bezirk so gut. Du darfst halt keine Berührungsängste haben, musst dich einlassen wollen. Die Kinder liiieben den Hannovermarkt.“

Drum. Schnell noch zum nächsten g’sunden kinderfreundlichen Snack bei Çigköftem („Dschi-Köftem“, haben wir gelernt, das „g“ bleibt stumm), wo Bulgur, Nüsse, Tomatenmark, gemahlene Chilischoten, Wasser, Salz, Pfeffer zu einer Paste vermischt und in knackigen Eissalat gewickelt mit Petersilie, Minze, Jungzwiebeln, Tomate, Zitrone, Rettich, Gurken und Essiggurken auf den Tisch kommen. Samt Granatapfelsauce. Und warmem Fladenbrot. Mmmh! Seufzen, wickeln, patzen, schlecken, mit dem Gefühl, unglaublich gut zu seinem Körper zu sein.

Wichtig und nötig. Um als Schauspielerin all die komplexen emotionalen Ambivalenzen sichtbar zu machen, sich einzulassen auf Witz und Wut, Skrupellosigkeit und Hysterie, Begehren und Liebessehnsucht. Sich beim Spielen an Musik zu orientieren, beim Sprechen am Rhythmusgefühl. Denn. Martina Ebm war ja nur montags „Vorstadtweib“, hauptsächlich geht sie der Kunst der Verwandlung im Theater an der Josefstadt nach. Fix im Ensemble seit 2014 – seit sie als klinikreife Hysterikerin Sabine Spielrein in Christopher Hamptons Analytikerstück Dunkle Begierde den Drahtseilakt zwischen ­Sexualiät, Schmerzlust und brillanter Intelligenz als Schlüssel zur Befreiung schwindelfrei ausbalanciert hat. „Mein Jackpot“, sagt sie, ohne kokettes Kostbarkeitsgetue. Fragen, lernen, wissen wollen, bescheiden ohne falsche Bescheidenheit. Als Inken Peters in Vor Sonnenuntergang etwa, als Fritzi in Anatol, als Eve in All About Eve oder als Lisa in Vier Stern Stunden.

Jetzt. Poliert sie neue Facetten. „Das Schöne“, glüht die junge Mutter, „ich hab für die Kinder – Zwillinge die ersten, im Februar werden sie drei Jahre – immer frisch gekocht, niemals Babynahrung verwendet. Sie haben mein Bewusstsein zum ­Essen verändert. Allein, schwanger zu sein: das Gefühl, dass es nicht mehr nur um mich geht, nicht nur darum, was mir schmeckt. Ja, und dann sind sie da, und du versuchst, eine Bandbreite von Obst und Gemüse zu servieren, und das immer frisch, selbst wenn du noch so viel arbeitest. Da musst kreativ sein.“

Zumindest. Habe sie mit ihren Au-pair-Mädchen „so viel Glück gehabt“. Mit dem ersten – durch Herumfragen am Hannovermarkt gefunden – hat sie türkisch gekocht: „Oft auch meine Schwiegermutter angerufen, die uns am Telefon Rezepte durchgegeben hat. Ach, Menemen hat sie mir erschlossen, ihre Version der Gemüsepfanne. Da. Ist es nicht so, dass man schnell was knackig anbrät. Sie schmort Karotten, Spitz­paprika, Brokkoli, zerdrückte Knoblauchzehen und die Gewürze (Schwarz- und Kreuzkümmel, Paprikapulver, Chiliflocken) ewig. E-wig! Mit Sucuk (Südschük), der türkischen Wurst, ohne die Wurst, na ja“, lacht sie bauchtief, „wahrscheinlich ist da kein einziges Vitamin mehr drin, aber: Es schmeckt wundervoll! Gutes Essen muss nicht teuer sein.“

„War sehr lustig – für alle – dieser Austausch.“ Klar, denn Martina findet den Einblick, wie sich’s in einem anderen Kulturkreis lebt, bereichernd. „Andere Geschmäcker auszuprobieren: Kichererbsen, Hummus, Tahin, diese Sesampaste, das kannte ich alles in meiner Jugend nicht. Oder die großen Rosinen, einfach in Wasser gekocht wie ein Kompott – sooo gut!“

Glück gehabt? Na. Herzlichkeit zähmt und bestrickt.

Ein cooles Weib. Selbst wenn die vierte, grad gesendete Staffel Vorstadtweiber ihre letzte ist. Ciao, Caro! Bauchgefühl. So sehr Martina „Caros taffe Entschlossenheit, sich das Leben zu richten“ mochte, den Witz, die Röntgenbilder vieler kleiner Hundsgemeinheiten köstlich fand. Und das Geheimnis, das ihr drei Mal Alma bei Paulus Manker entschlüsselte, voll ausgespielt hat: „Die faszinierende Macht der Sexualität.“ Okay, das eigene Kind bei der Mutter versteckt, für Seidenunterwäsche, Villa, Porsche, Shopping-Orgien getauscht. Tja, auch wenn das nicht mein Ding war, ich hab so viel erlebt mit ihr. Ein großes Glück! Nur wüsst’ ich nicht, was sich an der Figur noch weiterentwickeln sollte.“ Zwinkert. „Hab den ,Weibern‘ ja auch viel zu verdanken.“ Die Bekanntschaft mit Toni Polster und Schneckerl Prohaska zum Beispiel. „Neulich bei einer Buchpräsentation ist der Toni gleich auf mich zugelaufen – und ich habe mich sofort verliebt: in die totale Bodenständigkeit der beiden Sirs. In die Freiheit, darauf zu pfeifen, was ­andere über dich denken.“

Einmal Serie, immer Serie (toi, toi, toi). Martina Ebm hat grad wieder gedreht – obwohl sie noch stillt. Folge zwei und drei der Anwaltsserie Dennstein & Schwarz mit Maria Happel, „die mir darüber eine Freundin geworden ist“. Und. Nimmt sich die Zeit, uns vorzuführen, wo ihre Zunge nach dem Herzen schmeckt, am Markt und im Lieblingsrestaurant. ­Marokkanisch diesmal, mit luftig-elegantem orien­talischen Ambiente: gemusterte Fliesen, vielfarbig schimmernde Glaslaternen, kuschelige Pölster, fein gehämmerte Metalltabletts, ziseliertes Tee- und Kaffeegeschirr. L’Orient in der Rotensterngasse, authentisches Marokko-Rezept für Gourmets. André Heller ist Stammgast.
Ja. Ein cooles Weib mit Talent zur Ruhe. Wie das fünf Monate alte Großäugelchen, das am Mutterbusen nuckelt und still-zufrieden die Welt für sich klärt. „Es war auch bei den Dreharbeiten am Set – und das chilligste Kind, das man sich überhaupt vorstellen kann. Selbst wenn ich und das Team vorher natürlich bissl skeptisch waren … purer Friede, reine Freude.“ Außerdem. „Bin ich viel kontrollierter, viel disziplinierter geworden, seit ich meine Kinder hab. Muss mir die Zeit gut einteilen, kann sie nicht mehr vertrödeln.“ Ein interessanter Nebeneffekt zeigt sich beim Textlernen: „Nach einmal durchlesen sind die Sätze gescannt, sitzen im Gedächtnis wie fotografiert. Als hätte sich ein Schalter in mir umgelegt.“ Die neueste Nuance in einem Beruf, den sie über viele Umwege suchen, finden, sich zutrauen musste.

Nach Leistungssport in der Sporthauptschule Mondsee, „in Judo war ich schon sehr gut“, Musischem im BORG Salzburg, kurzem BWL-Studium, kurzem Medizinstudium, Off-Theater-Produktionen mit Selberbühnebauen, Kostümeschneidern, Spon­sorenkeilen, Inszenieren, Spielen, Sehr-sparsam-Leben, In-Kaffeehäusern-Jobben – im dritten Anlauf zur ­Magistra der Theater-, Film- und Medienwissenschaften studieren. „Ich hab meine jüngere Schwester beneidet. Die wusste immer schon, was sie will. Medizinerin werden wie unser Arzt-Vater. Ach, jetzt lebt sie mit ihrem Mann und den Kindern in Mailand. Ich vermisse sie!“, träumt Martina ein „Generationenhaus“ herbei, in dem alle gemeinsam leben könnten. „Die Eltern vielleicht ums Eck“, kichert sie, „aber nicht allzu weit weg.“

Ihre Mutter Andrea hat jetzt mit 62 einen Kleinbus gekauft, um ihre Enkel zu kutschieren. So eine Mamma hätten viele gern. Lehrerin. Vom Doktor-Vater getrennt, als die Mädeln fünf und sechs waren, nach Mondsee übersiedelt – und dort sämtliche Flicken eines mächtigen Patchworks virtuos harmonisiert. „Urschön, unser Kinderleben. Wir sind draußen herumgetollt und wurden nie gefragt: Wo warst Du? Da gab’s nur Vertrauen und bedingungslose Liebe.“

Und. „Irrsinnig viel Gemüse, alles frisch aus dem Garten. Tomaten, Zucchini, Minze, Petersil, Liebstöckel, Rosmarin. Jetzt geht die Mamma mit den Enkeln raus, sie pflücken die Früchte, kochen und essen sie. Na, allzu viel Mühe hat sich die Mamma mit dem Kochen nie gegeben: Zucchini angeröstet und ein paar Pinienkerne draufgestreut. Einfaches Essen. Das ich immer noch am liebsten mag. Gemüse angebraten, mit frischen Kräutern, gewürzt, bissl Reis. Stichwort für die Kunst­fertigkeit ihres persischen Schwagers Aras, eine landläufige Beilage schön und würzig zu gestalten. So: In einer tieferen Pfanne (oder feuerfesten Keramik) Kurkuma in Öl kurz anbraten und einen Teil des halb gekochten Reises wie in einer Tortenform verteilen. Danach erst den Rest. Ein Küchentuch über die Pfanne legen und darüber den Deckel. Auf niedriger Stufe circa eine ­halbe Stunde ankrusteln lassen. Dann auf einen flachen Teller stürzen.

Bei Fesenjan (sprich: Fesendschan), dem zweiten schwägerlichen Leibgericht, vergisst der Star kurz seine vegetarischen Ambitionen. Sooo gut ist das. Dass die Kids zum Heranwachsen auch ein wenig gesundes Fleisch brauchen, ist völlig klar. Das aber nur vom Biobauern.

Als Kind hat Martina reichlich Fleisch gegessen, speziell in der neuen Vaterfamilie, doch der „besondere Bezug“ hat ihr immer gefehlt. „Meine Stiefmutter hat viel deftiger, viel aufwendiger als meine Mutter gekocht, tja, schließlich viele Kochworkshops besucht. Groß aufgekocht, mit mehreren Gängen, immer Fleisch und immer Nachspeise, selbst für den Hund wurde extra gekocht. Gab auch Extrawurst, die uns meine Mutter nie gegeben hätte, doch für uns Kinder war das natürlich ganz toll.“

Trotzdem. „Ich bleib eine Vorspeisen- und Bei­lagen-Esserin“, gesteht sie ungeniert und kletzelt die Resteln von Monsieur L’Orient’s-Quittentajine wie ein glückliches Kätzchen aus dem Tontopf. Ja, „die Reste sind das Beste“, lecken wir uns einig die Lippen, um das sofort elegant mit ein, zwei Mocktails zu überspielen. Valle des Roses oder Mer de Lavande heißen die poetisch im L’Orient. Alkohol dürften wir gegen Stoppelgeld mitbringen. Doch das erst nach Martinas Stillperiode.

Dann, wenn sie wieder mit Oscar-Preisträger Christopher Hampton an den diffizilen Nuancen von LiebeLustSchmerzHoffnungEnttäuschung über den Tod hinaus gefeilt hat. Hampton hat Stephan Zweigs weltbekannte Novelle Brief einer Unbekannten dramatisiert. Daniel Kehlmann übersetzt ins Deutsche. Premiere unter dem neuen Titel Geheimnis einer Unbekannten soll am 12. März 2020 sein. Martina Ebm ist die Unbekannte, die ihr gesamtes Leben einer unerwiderten Liebe lebt, ja ein Kind des Vergötterten als Freudenmädchen durchbringt. Zeitlos, liest man im Pressetext, jedenfalls Tesafilm für (Frauen-)Herzen:
Ich klage Dich nicht an, mein Geliebter, nein, ich klage Dich nicht an … Ich weiß ja, dass Du gut bist und hilfreich im tiefsten Herzen, Du hilfst jedem, hilfst auch dem Fremdesten, der Dich bittet. Aber Deine Güte ist so sonderbar, sie ist groß, aber sie ist – verzeih mir – sie ist träge …

Der Duft von Arganöl und Safran, Zimt und Kardamom, orientalischem Kaffee durchzieht den Raum, es dämmert, die Lichtarabesken aus den Luken der Haremfenster schatten schärfer. Chef Mustapha Khattat, aus Fez gebürtig, und seine Frau Marietta Wanner waren zuvor schon durch ihren Design-
shop bekannt. Logisch: „Das Auge isst mit“, wirft Martina schläfrig-satt ihrer obersten Maxime nach: „Gutes Essen muss nicht teuer sein.“

Fasejan [fesendschan] – Ein Je-nach-Geschmack-Rezept
4 Hühnerkeulen, 1 Hühnerbrust oder dasselbe von der Ente,
300 Gramm geriebene Walnüsse,
saures oder süßes Granatapfelmark,
Salz, Pfeffer, Kurkuma – oder nicht,
Zwiebel – oder nicht,
Öl – oder nicht
Martina Ebms Schwagerfamilie mag es ganz pur. Lässt die Mischung aber fünf Stunden köcheln! Also: Hühnerfleisch, bisschen gesalzen, in kaltem Wasser ein wenig vorkochen, danach die geriebenen Walnüsse und das – saure – Granatapfelmark dazugeben und bei ganz leichter Hitze köcheln. Stündlich ein halbes Glas kaltes Wasser einrühren. Sie geben weder Zwiebel noch Öl dazu, lassen nur das Walnussöl wirken. Verzieren das fertige Gericht mit Granatapfelkernen. Als Beilage: Reiskuchen, in Kurkuma angebraten.

Quittentajine
1 roter Zwiebel
2 Karotten
2 Süßkartoffeln
1–2 Quitten
¼ TL Pfeffer & Salz
½ TL Kurkuma & Ingwer
frischer Safran
Prise Muskatnuss
etwas brauner Zucker, ein paar Rosinen
Olivenöl oder sonstiges Pflanzenöl
Gemüse mit den Gewürzen marinieren, in die mit Öl ausgeschmierte Tajine schichten, ­Rosinen drauf, nach 15 Minuten immer ­wieder etwas braunen Zucker über das ­Gemüse streuen, bis es gar ist.