Luc Bondy

Essen soll Seele, aber nicht Allüre haben: Der Wiener Festwochen-Intendant und Regisseur Luc Bondy liebt es bodenständig, ehrlich und deutlich konturiert. Nur der Wein darf prätentiös sein wie eine Diva.

Luc Bondy

Text von Michaela Ernst Fotos: Philipp Horak
Wie muss die Bühne des Genusses beschaffen sein, damit der Regisseur sie attraktiv findet? Der Raum, der sie umgibt, sollte nicht austauschbar sein. Das heißt: nicht zu viel Spiegel, Messing oder Glanz, nicht zu viel einer allerorts auffindbaren, vom Zeitgeist geprägten Einheitsarchitektur; keine Dinge, die ohnedies mehr der Blendung als der Veredelung dienen.
Die Wände können weiß, die Stühle und Tische schlicht aus Holz sein. "Ich liebe es einfach und familiär", betont der Wiener Festwochen-Intendant Luc Bondy. Das Kernteam, also das Personal, sollte nicht unterwürfig sein, aber nicht zu distanziert. Dem Versacken in Eitelkeiten darf nicht allzu viel Platz eingeräumt werden – "mir ist nicht wichtig, dass man mich erkennt, aber dass man mich kennt."
Ein gewisses Maß an gesellschaftlichem Geköchel und Gebrutzel dürfe hin und wieder passieren, leicht in Ironie getunkt, zur Abwechslung und Unterhaltung. "Natürlich macht es manchmal Spaß, den anderen zuzusehen", schmunzelt der begeisterte Beobachter, dessen Leidenschaft weit hinausreicht über die des amüsierten Voyeurs. Bondys Neugierde für die Menschen krallt sich fest am psychologischen Moment.
Vor allem bei seiner Bühnenarbeit beeindruckt er mit durchdringendem Blick auf das Alltägliche und die Leerstellen des Lebens. Am eindringlichsten kommunizierte er dies in den vergangenen Jahren in Stücken von Anton Tschechow (seine Inszenierung der "Möwe" wurde mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet) oder Yasmina Reza, die zu den erfolgreichsten Dramatikerinnen der Gegenwart zählt. Rezas "Drei Mal Leben", 2001 von Bondy uraufgeführt, wurde ebenso bejubelt wie die diesjährige Festwochen-Produktion "Ein Spanisches Stück". "Auf der Bühne sollte alles genauso kompliziert und gleichzeitig genauso einfach sein, wie es im Leben ist. Die Menschen nehmen ihre Mahlzeit und inzwischen ist ihr Glück gemacht oder ihr Leben ruiniert." Stammte dieser Satz nicht von Tschechow, hätte er auch von Bondy erdacht werden können.
Zurück zu Messer und Gabel. Um seinen gastronomischen Ausführungen ein Gesicht zu geben, verrät – ja richtig: verrät! – Bondy sein Wiener Lieblingslokal. Denn bevor er einen Namen preisgibt, flüstert er konspirativ: "ein Geheimtipp!" Es liege in einer kleinen Gasse im neunten Bezirk, sei gemütlich, aber schlicht eingerichtet, serviere eine geradezu perfekt bodenständige Küche und – "man muss Cash zahlen, wie sehr häufig in den wirklich guten Restaurants. In Paris ist das mittlerweile auch wieder üblich."
Wo also fließen nun Bondys Magen und Herz beglückt zu einer Einheit? "Im ,Stomach‘ in der Wiener Seegasse!" Er schwärmt: "Ich bin fast jeden Tag dort." Die prosaische Anmerkung, dass sein Geheimtipp fast jeden Tag bis auf den letzten Platz ausgebucht ist und man oft Tage im Voraus reservieren muss, ignoriert er geflissentlich. Nein, so einfach lässt er diese Liebe nicht entzaubern.
Weil gerade Mittagszeit ist, speist Bondy bei "fabios", das ebenfalls zu seinen Favoriten zählt: "Man lässt dort den Fisch Fisch sein und das Gemüse Gemüse und verbastelt und cremifiziert nicht alles. Ich mag es, wenn ich die Dinge, die ich esse, erkenne." Eigentlich empfindet er schon das Vorfiletieren eines Fisches als einen Akt der Zerstörung: "Es ist doch schade, wenn sich die ursprüngliche Form des Produkts verliert."
Weiters schätzt er, dass das Lokal, trotz gehobenen Niveaus, nicht der Versuchung erliegt, aus seinen Speisekarten Dichtkunstwerke zu schaffen. "Wenn dann an ein Ensemble von mild gebratenen Rehnüsschen und krossen Speck-Locken an schwimmenden Rübenrosen oder ein harmonischer Dialog von Lachs und Butterfisch auf marmorisierter Krustentiersauce mit handgepflücktem Wiesenspargel angeboten werden, finde ich das lächerlich. Meist höre ich in so einem Fall auf, die Karte zu lesen." Was er außerdem an "fabios" mag: Dass das Lokal trotz hohen Sehen-und-Gesehen-werden-Faktors gleichzeitig ein hohes Maß an Diskretion verströmt. "Natürlich trifft man hier einen Haufen Leute", schmunzelt er, "aber die Architektur des Raumes ist so beschaffen, dass man sich ungestört unterhalten kann." Und dann achtet er das geradlinige, unaffektierte Selbstbewusstsein, mit dem die Speisen hier auf dem Teller ruhen. Kleine Eierspeise mit frisch geriebener Trüffel, Spaghetti Vongole, Fleischlaberl, die aus feinstem Beef-Tatar geformt wurden mit gegrilltem Gemüse. Schlicht, ungekünstelt.
Dass manche Köche sich nämlich als Künstler stilisieren und mit dieser Masche hin und wieder zum medialen Starinventar mutieren, stößt dem Regisseur letztlich auf: "Ein guter Koch ist jemand, der es versteht, sein Handwerk zu perfektionieren. Das hat nichts mit Kunst zu tun. Ich wehre mich gegen die Inflationierung dieses Begriffes."
Daheim in Paris, wo seine Frau mit den beiden schulpflichtigen Kindern lebt, zieht es ihn – was für fremde Ohren einigermaßen erstaunlich klingt – seltener aus dem Haus als in Wien. "Ich finde, dass die durchschnittliche Essensqualität in Paris sehr nachgelassen hat. Es ist mittlerweile schwer geworden eine gute, bodenständige Küche zu finden, die sich preislich in vernünftigen Kategorien bewegt." Wobei Bondy, auch das hält er fest, nie gegeizt hat, wenn es um ordentliche Nahrungszufuhr ging: "Ich habe sehr früh gut verdient und bin schon mit 24 Jahren in gute Restaurants essen gegangen." In Paris erübrige sich außerdem die Notwendigkeit auswärts zu speisen: "Ich habe eine Frau, die wahnsinnig gut kocht. Pot au feu oder Coniglio Cacchiatore, Gerichte, die ich aus meiner Kindheit kenne, die man aber heute auf den Speisekarten nicht mehr oft findet. Dann ist da noch mein langjähriger Mitarbeiter, Jeff, der einen genialen Rehrücken zubereitet. Jeff ist überhaupt sehr gut für Wild."
Sich selbst bezeichnet Bondy als "meisterhaften Schweinsbraten-Koch", was angesichts dessen jüdischer Herkunft, die er in diesem Zusammenhang schelmisch hervorhebt, etwas verwegen klingt: "Ich spicke das Fleisch mit Nelken, lege viel Zwiebel und Knoblauch dazu und lasse es stundenlang im Rohr schmoren. Ich bin auch sehr gut in Bolognese oder Langoustines mit Knoblauchmayonnaise, was wiederum meinen Kindern sehr schmeckt. Kochen ist die beste Beruhigung für mich!"
Doch nicht das Schwein, sondern der Wein ist Bondys tatsächliche Schwachstelle: Da nimmt er, obwohl er nicht sollte. "Ich muss aufpassen, weil ich Diabetiker bin." Vor allem, wenn man ihm eine wirklich gute Flasche vor die Nase stellt, tut er sich schwer mit der verordneten und durch Broteinheiten (wie bei Zuckerkranken üblich) geregelten Zurückhaltung. "Ich trinke gern hochwertig und gebe auch gern Geld dafür aus."
Mit sizilianischem Rotwein, Rotwein aus dem Veneto oder französischem Wein ("außer Beaujolais, den mag ich überhaupt nicht!") taucht er den Abend in sanftes Licht: "Nach Probearbeiten am Theater oder nach einer Premiere beschert mir Rotwein eine angenehme innere Ruhe." Was Weißwein betrifft, bemerkt er unverblümt und mit dem Stolz des Kenners, "bin ich richtig versnobt. Ich habe sehr gern den Knoll aus der Wachau. Am liebsten öffne ich einen Meursault, Sancerre oder Chassagne Montrachet."
Beim Wein verträgt Bondy auch gut die Poesie der Schwärmer, hört gerne zu, wenn sich historisch versierte Experten unterhalten. "Bei bestimmten Jahrgängen und bestimmten Sorten kenne ich mich ein bisschen aus." Kurze Pause, dann Schmunzeln: "… nicht so gut wie Gérard Depardieu, der bei dem Thema richtig aufblüht. Aber immerhin: Auch ich habe einen kleinen Keller in Paris."
Wenn Luc Bondy übers Essen spricht, dann tut er dies clipartig, manchmal nur fragmentarisch. Seine Schilderungen sind vielseitig, aber meist kurz gehalten. Wie die Geschichte vom Futterneid während seiner Internats-Zeit: "Als ich zur Schule ging, gab es strenge Rationierungen beim Essen. War ich besonders hungrig, habe ich meinen Freunden erzählt: Heute ist ein besonderes jüdisches Fest und daher müssen alle nichtjüdischen Kinder den jüdischen ihr Essen überlassen. So bin ich satt geworden, nachdem ich in diesem Internat einer der wenigen Juden war." Wieder grinst er für einen Moment in sich hinein.
An anderer Stelle erzählt er von herrlichen Austern, an denen sich die Schauspieler bei einer "Anatol"-Aufführung am Akademietheater delektierten, vom "höllischsten Essen der Welt" im Shakespeare-Stück "Titus Andronicus", bei dem Titus aus Rache die Söhne von Tamora verkocht. Oder von einer "Möwe"-Inszenierung, für deren Tafelszene jeden Abend ein anderer Schauspieler gekocht hat.
"Es gibt so etwas wie eine richtige Kochgrazie, eine Anmut, die nicht jeder hat, wenn er sich an den Herd stellt." Für einen kurzen Augenblick versinkt Bondy wieder in seiner geheimnisvollen Küchenwelt und kehrt mit einem zufriedenen, milden Lächeln ins Gespräch zurück.