Lust, Liebe, Phantasie
Eieruhr? Braucht er nicht. Er kann kochen. Andreas Lust, der pitzelige Pathologe aus „Schnell ermittelt“. Tut’s nur selten, seit er in Berlin lebt. Trägt einfach „alle Küchen dieser Welt“ nach Hause.
Text von Ro Raftl · Fotos von Peter M. Mayr
Heissa, hopsa, Entenfang! Bei Filmgesicht Andreas Lust passt die Ableitung zu „lustig“. Er hat Probe, wir warten beim Kaffee in der Meierei im Wiener Stadtpark. „Welche Aktionen kannst ihm zumuten?“ überlegt der Fotograf. Kein Problem für den Pathologen Dr. Schnell, den Ex von Uschi Strauss in der ORF-Polizeiserie „Schnell ermittelt“. Mit links skizziert er das Szenario einer Entenjagd, sah im Vorbeigehen ein paar gut Genährte watscheln. Also borgen die Herren Hackebeilchen und Semmelbröckerln aus Reitbauers Küche und ziehen los. Aufgekratzt wie kleine Buben. Echt schade, dass der Plan, mit ein paar Hölzern und bissl Spiritus ein schnelles Lagerfeuer anzufachen, einer Ente den Hals umzudrehen und sie gleich zu grillen, verworfen wird. Zu viel Zores … selbst für einen gut trainierten Läufer, als der er in Benjamin Heisenbergs Film „Der Räuber“ mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Aber wir lachen so sehr über das (blühend mit Jägerlatein ausgeschmückte) Shooting, dass der Piccolo viel Geduld haben muss, bis der Riesling „Alsegg“ vom Mayer am Pfarrplatz bestellt ist. Glauben Lust aufs Wort, dass er mit seinen Kindern „gut spielen kann“. Und mehr als Fußball mit dem Sohn.
Dass er auch Gugelhupf bäckt, erwähnt der Schauspieler nur nebenbei. Er ist 45. Kochen können ist bei Männern dieses Alters fast selbstverständlich. Seine Antwort in einem Fragebogen, worum er die gute Fee niemals bitten würde: „Um eine Eieruhr!“
Alle Achtung. Obwohl er nicht mehr so oft kocht, seit er in Berlin lebt, Frau und Kinder hat. Anfangs hat er sich blöd gefahndet nach gelben Rüben und Petersilienwurzeln, denn dort verkaufen sie das Suppengrün nur mit Karotten, Sellerie und Lauch. Aber wie will man da Hühnersuppe kochen, die zu Lusts wichtigsten stimmungserhaltenden Genussmitteln gehört? Folglich hat der Gourmet kiloweise gelbe Rüben, Petersilienwurzeln (und frisch geriebenen Kren in Gläsern) aus Wien importiert. Ein Drama! Bis er draufkam, dass die Berliner Pastinake zur Petersilienwurzel sagen. Und dass Krenwurzen dort zwar fast so viel kosten wie Kaviar, aber notfalls in Gemüseabteilungen von Luxus-Supermärkten aufzutreiben sind.
Dass er selten kocht, hat andere Gründe. Einer liegt „an meinem Hang zum Gesamtkunstwerk: Immer nur Stress beim Essenzubereiten für mehr als drei Personen. Um alles gleichzeitig auf den Punkt zu bringen, braucht man Routine. Dafür bin ich zu viel unterwegs.“
Grund Nummer zwei: In Berlin Mitte residieren alle Küchen dieser Welt. Mit Goodies zum Mitnehmen! Die Torstraße hat sich zur Fressmeile gemausert. Jeder Wirt hat sein Garterl vor der Tür und die Leut sitzen neben einer Hauptverkehrsstraße. „Witzig“, findet Lust, „fiele in Wien doch keinem ein, am Gürtel oder in der Praterstraße im Freien zu sitzen.“ Aber im Kuchi gibt’s das beste Sushi von ganz Berlin, im Toca Rouge Asia-Fusion-Kitchen, im Bandol und seinem Ableger, dem Trois Minutes sur Mer französisch-kreolische Küche, und ums Eck, direkt an der Spree, sind diese Steaks zu Hause, die auf der Zunge zergehen – eigentlich könnte man sie roh essen! Grill Royal heißt der Laden, den ein Gourmetkritiker als „Steakhouse, das auf dicke Hose macht“ beschrieben hat. Schon architektonisch sehenswert: Die Fleischstücke, ganze Rinderteile, hängen in der Auslage. Er schwärmt und zieht die Konsequenz: „Da wir Kinder haben und nicht so oft gemeinsam essen gehen können, trage ich halt die Küchen der Welt nach Hause.“
Der dritte Grund für seine zunehmende Herdabstinenz liegt darin, dass Anästhesistin Tabea Werich, seine große Lebensfrau – „1,78 in Strümpfen, mit Stöckeln einen halben Kopf größer als ich, man muss daneben stehen können“ – das Kochen „zu ihrem“ gemacht hat, „und wenn es einer übernimmt, sind die Ambitionen des anderen gebremst. Sie hat mit dem Kochbuch begonnen, aber immer weiter verbessert und verfeinert, und jetzt sind ihre Hähnchen in Senfsauce, ihr marinierter Lachs mit Süßkartoffeln und scharfer Chilisauce Weltklasse.“ Zärtlich verträumt schweift der Lustige vom Essen zu seiner Frau Doktor ab. Weil sie der Ruhepol in seinem Leben ist, „der klassische Notarzt, den nix aus der Ruhe bringt, es sei denn, es geht ans Eingemachte. Ich bin der totale Hypochonder, doch mit kleinen Wehwehs kann man ihr nicht kommen.“ Aber: Sie ist auch lustig. „Niemand kann mich besser verarschen als sie – und sie trifft sehr oft den Nerv.“
Der Filmstar lernte sie „auf Recherche“ kennen, bevor er in einem TV-Spiel einen Anästhesisten gab. Im Virchow-Klinikum Neukölln hat ihm Tabea „die Rutschen gelegt“. Ein Oberarzt gab ihm ein Gwandl und er durfte mitgehen. Heimlich, wobei ihm nach einer Operation kurz mulmig wurde. Denn: Die Anästhesisten gingen kurz eine rauchen und ließen ihn mit den Chirurgen allein, die eh schon neugierig geschaut hatten, ob er der neue Kollege sei. Stoßgebete ließ er in den Himmel steigen, damit ihn ja keiner um eine Handreichung an der Patientin bäte, solange die echten Docs weg waren. Okay, für alle künftigen Arztfilme hat er beobachtet, dass Anästhesisten und Chirurgen in zwei verschiedenen Welten leben, zwei Teams bilden, keine Einheit. Und Tabea half ihm weiter, brachte ihn wegen „Schnell ermittelt“ mit ihren einstigen Pathologie-Professoren zusammen. Sie fand’s gut, dass es ein Schauspieler ganz genau wissen will. Selbst wenn Lust ausgerechnet an dieser Eigenschaft kiefelt: „Ich bin ein Pedant. Kann keine Zwischenresultate gelten lassen. Versuche, alles zu einer (für mich) perfekten Lösung durchzufechten. Bis zur Schlaflosigkeit. Tabea sagt: „Mehr war heute nicht möglich. Morgen ist auch noch ein Tag. Und dreht sich um im Bett …“
Er sagt, dass er am Lockerlassen arbeitet.
Schließlich hat sich die Liebe zu einer Medizinerin bis in die Namen der Kinder fortgepflanzt: Beide bekamen ein Heilkraut für ihr ganzes Leben mit. Eduard „Ede“, der Dreieinhalbjährige, heißt mit zweitem Namen Kamill, die zehn Monate alte Tochter „Gigi“ wurde auf Eugenie Mentha getauft. Evangelisch getauft. Weil ihnen der Vater „Grundwerte“ mitgeben will, es schrecklich findet, wenn alternativ erzogene Kids ihre Mütter fragen: Was heißt’n das Pluszeichen auf dem großen Haus? Er ist katholisch erzogen, aus der Kirche ausgetreten, glaubt dennoch an die Kraft des Universums, dass keine Energie verloren geht. Bedauert auch Menschen, die keine Traditionen, keine Rituale haben: Weihnachten nicht feiern und zu Silvester nicht Walzer tanzen. Den alten Glücksbringer-Brauch vom Schweinskopf, den Schweinsschwanz’ln, gekocht in Wurzelsud und mit Kren serviert, nicht kennen. Rituale geben Struktur.
Überdies: Dem Religionslehrer in der Volksschule verdankt Andreas Lust im Grunde die Entdeckung seines Talents. Der ließ die Bibel nachspielen und der kleine Andi, ohne Vater bei den Großeltern daheim, weil die Mutter arbeiten ging, holte sich am Beifall Liebe und Bestätigung. Für den Geschmack auf der Zunge sorgte die Oma. Aus Hausbrunn an der tschechischen Grenze als Stubenmädel nach Wien gekommen, werkte sie später bei einem Heurigen in Döbling und in einem Wirtshaus in der Küche. „Die Resi“, schmeckt der Enkel liebevoll den Oma-Speisen nach: den Krautfleckerln, den gefüllten Paprika, den Schweinsbraten, den Rindsrouladen. Deftig war’s und stark gesalzen. Gemüse bestenfalls Beilage. Die Lieblingsspeise des sportlich Schlanken waren Eiernockerln mit Rote-Rüben-Salat. Gut fürs Blut, hieß es. Von der Oma hat Andreas das Kochen gelernt. Nicht nur er: Seine Mutter, die siebzehn war, als er geboren wurde, rief die Oma täglich an: „Der Erwin kommt jeden Augenblick z’haus, was soll i kochen?“
Omas Tipps hielten die junge Ehe dennoch nur vier Jahre am Laufen. Als der Sohn den Vater später wiedersah, hätte er die Geschichten vom Boogieking aus Breitensee, der seine Mutter beim Lamourhatscher im Albert-Sever-Saal zu erobern wusste, aus ihren Erzählungen wortgenau zitieren können. Dennoch strebte er keine Karriere als Boogietänzer an. Fühlte sich vorrangig zum Schulrevoluzzer berufen. Von Kalksburg flog Lust zugleich mit (seinem jetzigen Kollegen) Georg Friedrich; im Gymnasium Diefenbachgasse war er als Klassensprecher Kollege Gregor Sebergs Stellvertreter, also zwei Helden gegen den Rest der Welt; und im Musikpädagogischen in der Kundmanngasse war mit sechzehn Schluss mit lustig. Als Tüftel-Fragen zum Mozart-requiem klarmachten, dass ihn der Musiklehrer nicht durchlassen wollte, sprudelte Andreas vor versammelter Klasse heraus, was alle schon immer sagen wollten, und definitiv, dass der Prof ein Arschloch sei. Ein Restl Anarchie lässt er auch im Steirer-eck raushängen, als er für weitere Fotos mit Kochhaube bemützt die Restaurantgäste interviewt, ob
Lust wusste es mit sechzehn nicht, als ihm sein Pfadfinderführer Otmar Rychlik, damals Assistent bei Arnulf Rainer, im Museum für Moderne Kunst nicht nur die Bilder, sondern auch das Leben erklärte. Ihn ermutigte, Schauspieler zu werden, ihn ins Serapionstheater mitnahm und zum Genet-Stück „Die Zofen“, schweißtreibend von drei Männern gespielt. Der Sensible war überwältigt und ist heute noch dankbar, dass ihn Glück, Zufall, Empathie in seinen Ambitionen, in seinem Talent bestärkten. Dass er nicht hängen blieb und keine Überdosis erwischt hat von den Hauptnahrungsmitteln der Szene-Heros in den wilden Achtzigerjahren. Etliche Schulkollegen sind versandelt, haben „das schlechte Ende“ genommen, vor dem seine Mutter immerzu gezittert hatte. Mehr noch: Lust gehört zu jenen 4 von 14 aus dem Schauspiellehrgang an der Salzburger Uni Mozarteum, die voll leben können vom Beruf.
Natürlich hat er am Theater begonnen, mit Stückverträgen, im Wiener Volkstheater etwa, wo er Uschi Strauss kennenlernte, als er seine erste Hauptrolle spielte. Später in Kiel sind sie einander wieder begegnet, der Vertrag fürs erste fixe Engagement war unterschrieben. Doch dann kamen zwei Filmangebote, die er annahm, da ihn der Intendant ohne Groll aus dem Vertrag entließ. Okay, kleine WehmutsAnwandlungen ab und zu. Sonst fehle ihm das Theater nicht, sagt er. Film wird seiner Suche nach Adrenalin gerecht, nicht nur in der wahren „Räuber“-G’schicht des österreichischen Marathonläufers „Pumpgun-Ronnie“ Johann Kastenberger. Wie auch nicht, bei solch interessanten Regisseuren. Mit Wolfgang Murnberger debütierte Lust in „Ich gelobe“, mit Nikolaus Leytner („Schwarzfahrer“) und Robert Dornhelm („Der Unfisch“) ging’s weiter, an Steven Spielberg durfte er in „München“ schnuppern, bis ihn Hollywood und die Welt als Polizist in Götz Spielmann’s Oscarnominiertem Film „Revanche“ sah. Klar, dass Genauigkeits-Freak Lust für die Rolle eine Woche bei der Polizei in Gföhl hospitierte. Sein Auftritt in der Verfilmung von Thomas Glavinics Roman „Der Kameramörder“ synchronisiert die Amuse-Gueules, beim „Waller auf Spinatvielfalt mit Bergamotte und Kalbskopferdäpfeln“ freuen wir uns auf seine nächste Kinopremiere am 11. November in Florian Flickers „Grenzgänger“, frei nach dem Schönherr-Stück „Der Weibsteufel“. Die Aufzählung seiner vielen Fernsehfilme vergessen wir dann aber über Heinz Reitbauers köstlicher Küche. Doch zu den marinierten Erdbeeren auf Zitronenmelissensorbet serviert der Schauspieler statt Waffeln den Boden, auf dem seine Serienrollen stehen: „Ein Stück doppelte Lebenszeit. Man übernimmt eine Patenschaft für die Figur, verbringt Wochen mit ihr, entwickelt sie und sich selber weiter.“ Das findet er spannend. Hat’s in vierzig Folgen „Schnell ermittelt“ erprobt, erlebt, erarbeitet. Der vierten Staffel werden kommendes Jahr zwei Neunzig-Minuten-Sendungen nachgeschossen. Dann ist Schluss.
Der hippe Berliner Trend zum Luxus-Burger „Marquis de Sade“ und „Fucking Cheeseburger“ wird wieder nach ihm greifen: „Für Neulandfleisch, Erdbeeren im Salat mit Tröpfchenmarinade legst du 15 Euro ab.“ Na ja, Biofanatiker sei er nicht. Doch abgesehen davon, dass bei ihm daheim nur Vollkornbrot aufliegt, kräuselt aus den ORF-Kochtöpfen weißer Rauch: Lust steigt bei „Soko Donau“ als Gastermittler ein. Neue Wien-Zeit – um dorthin zu gehen, wo Lust „schon früher“ war: im Volksgarten-Pavillon, im Café Prückel, im Europa. Nostalgie. Weil’s in der Zollergasse aber auch nicht mehr so wild hergeht wie in seiner Revoluzzerzeit, wird er garantiert das Expedit anpeilen. Friedlich bei seinem Freund, Regisseur Peter Ily Huemer, abhängen, essen und reden. —