Man muß nicht Bauer sein

Topweine zu produzieren ist nicht das alleinige Vorrecht der Winzer. Auch Händler – so genannte "Négociant-Éleveurs" – schaffen es, Spitzenprodukte auf die Flasche zu bringen. Und brauchen dazu nicht unbedingt eigene Rebflächen und andere typische landwirtschaftliche Besitztümer.

Man muß nicht Bauer sein

Text von Michael Prónay Fotos: Nikolaus Similache
Zugegeben, das Wort "Weinhändler" hat einen Beigeschmack, der nicht jedem passt. Das ist auch der Grund, warum einige auf die französische Bezeichnung "Négociant-Éleveur" Wert legen. "Négociant" bedeutet Händler; "Éleveur" ist nicht wörtlich zu übersetzen, es ist derjenige, der den Wein im Fass "schult", wie man früher gesagt hat, in "éleveur" steckt auch das Wort "Élève", Schüler.
Unsere Auswahl heimischer Händler ist keineswegs auf Vollständigkeit angelegt, die gemeinsame Klammer ist aber der Wille, Spitzenweine zu produzieren und auf Flaschen zu füllen. Nun ist man normalerweise gewohnt, Topweine mit jenen Menschen zu assoziieren, die das Produkt von der Wiege im Weingarten bis zum Verkauf betreuen, von Winzern also. Dass es auch ohne eigene Rebflächen geht – und dass man solcherart sogar den Unbillen von Jahrgangsschwankungen, Hagelunwettern und was es sonst noch an Unerfreulichem gibt, wesentlich besser ausweichen kann –, das ist nur logisch. Das Champagnerhaus Pol Roger beispielsweise besitzt zwar Weingärten, hat sie aber ausnahmslos verpachtet. Christian Pol-Roger: "Wir kennen uns bei der Champagnisierung aus, nicht im Weinbau. Die Weingärten überlassen wir aber ganz bewusst den Profis, das sind die Winzer." Wie überhaupt im österreichischen Weinbau das seltsame Phänomen zu herrschen scheint, dass jeder Betrieb danach trachtet, 100%iger Selbstversorger mit allen Betriebsmitteln zu sein. Wer keinen eigenen Füller hat, gilt wenig. Wenn man dann erklärt, dass selbst ein Großteil der besten Bordeaux-Châteaux keine eigene Abfüllanlage haben, dann ist großes Staunen angesagt.
Fangen wir bei der jüngsten Négociante an: Marion Ebner heißt die Wienerin, ganze 23 Jahre ist sie alt, und sie ist ein ganz seltener Sonderfall: Obwohl elterlich überhaupt nicht vorbelastet (außer dass diese gern guten Wein genossen), wusste sie bereits mit 15, dass Wein ihr (Berufs-)Leben werden würde. Als 14-Jährige bestand die damalige Pferdenärrin auf eine schulische Ausbildung mit Pferden. Die Weinbauschule Gumpoldskirchen offerierte damals eine Ausbildung zum Pferdeinstruktor, parallel zum Weinbaulehrgang. Und also ging Marion nach Gumpoldskirchen. Ein Jahr später war’s um sie geschehen: Das Faszinosum Wein hatte die Oberhand gewonnen, Pferde blieben fortan ihr Hobby. Mit 16 stand ein Jahr Pflichtpraktikum an. Sie war fest entschlossen, sich bei einem Topwinzer vorzustellen. Als Wienerin war Fritz Wieninger die logische Entscheidung, und der Theorie in der Schule folgte die Praxis in Keller, Weingarten, beim Verkauf (und sogar in der Küche). Marion Ebner bezeichnet übrigens Fritz Wieninger noch heute als ihren wichtigsten Mentor. Nach dem Schulabschluss in Gumpoldskirchen ging’s nach Krems zum zweijährigen Weinmanagement-Lehrgang. Der Berufseinstieg erfolgte bei Wein & Co. Dann praktizierte sie bei Wolfgang Puck in Kalifornien, um "diese gewaltige Marketingmaschine aus der Nähe kennen zu lernen". Schließlich lief ihr Karl-Heinz ("Carlo") Wolf über den Weg, und seither macht sie das Marketing für Schloss Halbturn. 2001 startete sie ihr winziges Projekt Melusine, beginnend mit einer Melusine Klassik, einer Rotweincuvée aus der Thermenregion und einer Melusine Selection, einer Rotweincuvée aus Carnuntum, jeweils 300 Flaschen (ein Barrique). Mit dem Jahrgang 2002 änderte sich das Programm, der Klassik wurde durch einen Grünen Veltliner Lyra aus dem Kamptal ersetzt und gleichzeitig die Menge verdoppelt. Der Grüne 2003 ist gefüllt und kommt im Herbst, der Rote liegt noch in den Barriques. Wo kriegt man den Wein, den es nur in Minimengen gibt? Die Winzerin lächelnd: "im ,Palais Coburg‘ und bei ,Meinl am Graben‘. Am sichersten aber ist ein Kontakt per Mail zwecks Aufnahme auf die Subskriptionsliste." Dass Topqualität nicht zu Diskontpreisen verschleudert wird, darf in diesem Zusammenhang durchaus erwähnt werden.
Ganz anders verlief der Werdegang von Peter Morandell vom gleichnamigen Handelshaus in Wörgl in Tirol. 1926 hatten die Großeltern, Alois und Anna Morandell, einen Weinhandel gegründet. Der Großvater war Gründungsmitglied der "Ersten Kellereigenossenschaft" in Kaltern, und der Wörgler Weinhandel diente dem Vertrieb des Südtiroler Weins in Nordtirol. Nach dem zweiten Weltkrieg weitete sich das Unternehmen aus, Niederlassungen ("Depots") in ganz Österreich kamen hinzu, heute noch in Wien, Graz, Spital, Eugendorf und Landeck. 1966/67 begann der Import von Flaschenweinen aus Italien, Spanien und Frankreich. Mit dem Jahrgang 1983 wurde erstmals die Private Cuvée, ein reiner Blaufränkischer, auf den Markt gebracht, in Kooperation mit der Winzergenossenschaft Horitschon (heute "Vereinte Winzer Blaufränkischland"). Der Wein wurde auf Anhieb Falstaff-Sieger. Es gibt ihn in einer Größenordnung von 25.000 bis 30.000 Flaschen. Der Grundwein wird vom Kellermeister in Horitschon ausgesucht, im Frühjahr nach der Lese kommt er nach Wörgl und wird hier in Barriques ausgebaut und gefüllt. Peter Morandell ist übrigens stolz darauf, einer der ganz wenigen Betriebe in der Branche im Westen des Landes zu sein, die noch über eine funktionierende Kellerwirtschaft verfügen: "Das gibt uns eine ganz starke Position am Markt, und wir entscheiden ganz allein, wo wir welches Grundmaterial kaufen."
Illa Szemes wurde Négociante durch die Heirat mit einem Négociant. Die gebürtige Welserin lernte ihren viel zu früh verstorbenen Tibor, der auf etlichen Messen im Lande kleine Restaurants mit pannonischer Küche betrieb und dazu ungarische Weine ausschenkte, auf der Welser Messe kennen: "Ich hab mir ein Glas Wein gekauft, und so hat’s begonnen." Der Betrieb hatte nie eigene Weingärten, es war seit Generationen ein Handel mit ungarischen Weinen. Csopaker, Szürkebarat, Kéknyelü hießen die Weine, die im eigenen Keller in Pinkafeld geschult und gefüllt wurden. In den 1980er-Jahren, mit der Übernahme durch Tibor, kam die Idee, dasselbe mit österreichischen Weinen zu tun. Tibor kaufte die ersten Jahre Jungweine von Bauern in Horitschon und lernte schließlich Josef Pusch kennen, den Kellermeister der "Vereinten Winzer". Das Ungarn-Programm wurde eingestellt, Szemes-Weine kamen ab sofort aus Horitschon.
Heribert Bayer ist 63, sieht aber aus wie Mitte 40. Einen Teil seiner Jugend verbrachte er in Italien, wo Wein selbstverständlicher Bestandteil der Mahlzeiten war, für die Kinder stark verdünnt. Später, in den 1970er-Jahren, als Verkaufmanager in der petrochemischen Industrie, war er gern gesehener Stammgast in den besten Restaurants des Landes. Und er bemerkte mit Befremden, dass seine Gäste zwar dem heimischen Weißwein durchaus zusprachen, bei den Roten aber wesentlich weniger Begeisterung spüren ließen. Weil ihn das Thema interessierte, brachte er sich mit deutscher, englischer und italienischer Literatur Önologie bei, lernte Winzer kennen und entwickelte gemeinsam mit ihnen Projekte: Franz Schindlers Cuvée d’Or (1985), Pepi Umathums Hallebühl (1986), Feiler-Artingers Solitaire (1988) und Pöckls Admiral (1989). Finanziell war er unabhängig, also wuchs der Wunsch, es selber zu machen, mit dem bekannten Resultat, an dessen Ende der wunderschöne Lager- und Ausbaukeller in Horitschon steht. Am Beginn 1994 stand In Signo Leonis, ein Mörbischer Pinot Noir, 1996 folgte mit Sails red ein Blaufränker. 1997 begann die Zusammenarbeit mit Kellermeister Josef Tesch und Obmann Franz Heincz vom Winzerkeller Neckenmarkt. Seither besteht das "Zeichen des Löwen" aus Blaufränkisch, Zweigelt und Cabernet. Seit 2000 gibt’s auch einen Pinot Noir In Signo Tauri. Im heurigen Herbst wird erstmals der Blaufränkische In Signo Sagittarii 2002 gefüllt, für den bereits der Junior Patrick verantwortlich zeichnet. Als Tribut an Heribert Bayers Heimat (er ist in Mödling geboren) werden mit Gustav Krug in Gumpoldskirchen zwei Weiße und ein Edelsüßer ausgebaut: Die Topcuvée Albatros (Rotgipfler mit etwas Pinot Gris und Chardonnay) und Sails White (reiner Rotgipfler).
Karl Kadlec stammt aus einer Wirtefamilie, deren Wurzeln nach Herrnbaumgarten ins Weinviertel reichen, trotzdem war ihm die spätere Karriere keineswegs in die Wiege gelegt. Er beschreibt seine Faszination und seinen Entschluss so: "Gepflegte Holzfässer machen einfach Freude, es macht unglaublichen Spaß, den Wein werden zu sehen, zu riechen und zu schmecken, schließlich gibt’s ja nicht nur Kellerstinkerl, sondern auch einen guten Kellergeruch. Jedes Fass schmeckt anders, welcher Wein passt in welches Holz, das ist einfach ein ungemein spannendes und freudvolles Puzzlespiel." Begonnen hat’s mit Chardonnay, einer roten Cuvée und einer Barrique Trockenbeerenauslese des Jahrgangs 1993.
Max Trauttmansdorff ist ebenfalls ein Newcomer in der österreichischen Weinszene. Den Hintergrund bildet die Familienlandwirtschaft in Tirol und Niederösterreich, der Großvater hat noch Trauben verkauft, aber nie vinifiziert. Gutem Wein war der Blondschopf aus uraltem gräflichen Geschlecht immer schon verbunden, ganz besonders aber seit seiner Heirat nach Italien ins Weingut der Marchesi Alfieri von der Schwiegermutterseite. Die Familie war immer schon in der Wein- und Alkoholbranche tätig, und so war es kein Wunder, dass der damalige Student an der Universität für Bodenkultur sich ein einschlägiges Diplomarbeitsthema aussuchte: Asti spumante. "Das ist ein Wein, über den alle die Nase rümpfen, aber dennoch einer der meistverkauften Schaumweine dieser Welt." Die Kontakte nützte er zum Ausbau des familieneigenen Weinguts in San Martino zwischen Asti und Alba im Piemont. Wie kam er dann ins Burgenland? "Ich hab immer schon eine Beziehung zum Burgenland gehabt, ich war in Eisenstadt im Internat und hab dort auch maturiert, auf Schloss Halbturn sitzen Freunde. Außerdem glaube ich, dass der Blaufränkische die Sorte mit dem größten Potenzial ist, eine Meinung, die übrigens unser Önologe, Mario Olivero, teilt, der hält sie international für völlig unterschätzt." So trat Trauttmansdorff in Kontakt mit dem Verein Blaufränkischland, und da war es dann nur eine Frage der Zeit, bis ihm Franz Weninger über den Weg lief, in dessen Keller die drei Blaufränkisch-basierten Weine des Jahrgangs 2000 ausgebaut wurden, auf dem "Gastweingut", wie es der Négociant nennt.
Ausbau und Stilistik
Peter Morandell über seine "Private Cuvée": "Es soll ein fruchtbetonter, nicht zu tanninlastiger Wein sein, das Hauptgewicht liegt eindeutig auf Eleganz und Frucht, wir wollen weniger Tanninbomben. Die Typizität des Blaufränkers soll jedenfalls gewahrt bleiben."
Ganz ähnlich sieht es Illa Szemes. Der Wein, der in Horitschon vergoren wird, kommt im Dezember/Jänner als Jungwein ins Haus nach Pinkafeld, wo er weiter geschult und ausgebaut wird. Es gibt zwei Varianten: Tradition in gebrauchten Barriques und großen Fässern, Imperial im neuen Holz. Gefüllt wird eher spät: Die Weine bleiben mindestens 15 Monate in Fass, dann wird cuvetiert. Der Wein kommt noch einmal drei, vier Monate ins Fass, bevor er gefüllt wird. Illa: "Es sind sehr typische Weine, der Blaufränker ist eine österreichisch-deutsch-ungarische Sache, der wird nie international Karriere machen. Die Weine sollen ihre Frucht behalten und auch sehr gut reifen können. Wir haben uns ja allesamt im Laufe der Jahre gewaltig in der Qualität gesteigert: Von der Entscheidung, welche Sorte in welches Terroir kommt, von der Weingartenarbeit, die sich um physiologische Reife bemüht, all das bildet die Symbiose, die zu einem optimalen Produkt in der Flasche führt.
Max Trauttmansdorff ist der dritte im Bunde, der stark auf Blaufränkisch setzt. Die drei Weine – Park Classic, Horitschon Reserve und Cuvée Weinsberg (letztere nach dem Familiennamen Trauttmansdorff-Weinsberg benannt) – enthalten mindestens 60% Blaufränkisch, eine Sorte, "von der ich glaube, dass sie im Export eine schöne Karriere vor sich hat – wir haben ja auch schöne Erfolge in Belgien, England oder Finnland aufzuweisen, auf Märkten also, die gemeinhin als eher schwierig gelten."
Relativ kompromisslos geht’s Karl Kadlec an: "Ich will dichte Weine, aber mit Frucht, und mit dezent eingesetztem Holz. Wenn das Ausgangsmaterial gut ist, ist neues Holz sowieso kein Problem, ansonsten geht’s mit Zweitfüllungen von Barriques ebenfalls sehr gut. Ich bin auch ein Anhänger verschiedener Fasstypen und Eichenherkünfte: Das bringt auch Vielschichtigkeit. Wir sind zwar in Österreich – und die österreichische Stilistik wird immer betont –, aber selbst ein Top-Zweigelt wird irgendwie international, was seine Dichte und Konzentration anbelangt."
Marion Ebner weiß auch genau, was sie will. Die Idee zur Melusine, die kam ihr im Weinmanagement in Krems: "Tradition hatte ich keine, also galt es, eine Marke komplett neu zu kreieren, die logischerweise weiblich sein musste." Weibliche Weine sollten es also werden. Was versteht die Winzerin darunter? "Das ist schwer zu definieren, es sollen Weine mit geschmeidigem, eingebettetem Tannin und nicht zuviel Holz sein. Opulenz ist kein Problem, aber die Eleganz, die die feminine Seite ausmacht, die muss immer auch dabei sein."
Die Weine von Heribert Bayers Toplinie In Signo sehen grundsätzlich zwei Jahre ausschließlich neues Holz, Sails Red 16 bis 18 Monate als Zweitfüllung. Beide Weiße werden im Holz vergoren und ausgebaut, der Albatros liegt 18 Monate im neuen Holz, Sails White 14 bis 16 Monate als Zweitfüllung.
Wünsche und Träume
Max Trauttmansdorff definiert sein Ziel klar: "Vom ersten Jahrgang haben wir 15.000 Flaschen gefüllt, jetzt liegen wir bei 30.000. Wenn wir eine weitere Verdopplung schaffen, dann können wir mehr als zufrieden sein." Und noch etwas liegt in der Luft: Grüner Veltliner aus der Wachau: "Eine erste Probecharge haben wir gemeinsam mit Toni Bodenstein schon entwickelt und nach Belgien verkauft."
Karl Kadlec wiederum, der etwa 40.000 Flaschen jährlich füllt, gibt sich vorsichtiger: "Mehr als 50.000 Flaschen werden es bei mir sicher nicht werden. Mein Problem ist, dass die Leute einen Topwein haben, aber nichts dafür bezahlen wollen. Das verstehen viele leider immer noch nicht, dass Qualität ihren Preis hat."
Bei Peter Morandell macht das Négociant-Geschäft, wie wir es definiert haben, nur einen Bruchteil aus. Der Löwenanteil, viereinhalb bis fünf Millionen Einheiten, die in Wörgl gefüllt werden, geht in die Gastronomie. Vielleicht doch ein Weißwein? Peter Morandell: "Wir hatten ja sogar einmal das Schlossweingut Bockfließ gepachtet, aber damit nicht reüssiert. Das bedeutet aber nicht, dass der Traum eines heimischen Weißweins endgültig ausgeträumt ist."
Illa Szemes gibt sich realistisch: "Mit unseren beiden Blaufränkischen, Tradition und Imperial, decken wir das, wofür das Mittelburgenland steht, gut ab, und der Arachon ergänzt die Sparte Cuvée wunderbar."
Ebenso realistisch Heribert Bayer: "Wir produzieren etwa 80.000 Flaschen pro Jahr. Wir haben zwar vom Keller her weitere Kapazitäten, aber angesichts der derzeitigen Wirtschaftslage wäre es unrealistisch, hochfliegende Expansionspläne zu wälzen. Viel wichtiger ist, dass sich der Junior Patrick langsam einarbeitet – da bleibt mir mehr Zeit für mein zweites großes Hobby, das Segeln."
Am vorsichtigsten ist Marion Ebner: "Eines ist absolut klar: Wein wird immer mein Leben sein, und auch Marion-Ebner-Wein wird’s geben. Wann, woher, wieviel – dazu ist es heute noch viel zu früh, darüber zu reden."