Marcel Koller über Wien, Wein & Käse-Fondue
… zwinkert Fußballnationaltrainer Marcel Koller, wenn er mit Munzlis, den Haselnuss-Schoko-Schätzchen von Läderach, durch die ÖFB-Zentrale geht. Hat eine Blumenvase damit gefüllt wie einen Pokal. Gönnt sich dann selber eines – oder zwei. Fisch und Gemüse isst er regelmäßig. Ein schlanker Mann, der gut genießen kann.
Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak
Aber ja, Bier kistenweise zu Würsteln und Trzesniewskibrötchen und WM-Spielen serviert, ein Beckenbauer-Autogramm für den besten Freund gekeilt, grün-weiße Schals für die Söhne gestrickt, bei Barca im Heimstadion mit den Katalanen gefiebert. Alles dem Lebensarbeitsprozess „Männer verstehen“ zuzuschreiben. Man bemüht sich.
Jetzt. Darf ich mit Marcel Koller zu Fabio essen gehen. „Tooor!“, brüllen die Fans und beneiden mich glühend. Schließlich: Beim Sieg unseres Nationalteams über Schweden haben erwachsene Männer vor Rührung geweint.
Zwei Bücher sind über den Schweizer erschienen, eines ohne sein Zutun, eines mit schwarz-mattgoldenem Cover, das wie ein edles Kunstbuch in der Hand liegt: „Die Kunst des Siegens“. Da geht Herausgeber Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung, mit dem Menschenformer auf „Zeitreise ins Ich“; fantasiert Schriftsteller Gerhard Roth über „Den Mann, der aus der Kindheit kam“; verwickeln sich Ex-Philharmonikervorstand Clemens Hellsberg und der Trainer des Jahres 2015 inbrünstig in die Harmonien von Musik und Fußball, klar, im Teesalon der Wiener Staatsoper; gibt Bundespräsident Heinz Fischer ein liebevolles Statement zum „Höhenflug“ ab. Banale Festhaltungen wie die Berufsbezeichnung Cheftrainer der österreichischen Nationalmannschaft werden nur ganz beiläufig zu Papier gebracht. Überflüssig. Das weiß jeder Ösi im Schlaf. Das Land entbrennt dank Kollers Erfolgsbilanz in kollektiver Begeisterung für Fußball, tja, die Eckdaten gehören mittlerweile zur Allgemeinbildung. Fußball ist hip, chic, en vogue. Danke an Leo Windtner und Willi Ruttensteiner: Der ÖFB-Präsident und der Sportdirektor haben Marcel Koller auf den Platz gebracht. Danke an Franz Beckenbauer und Matthias Sammer, die sie in ihrer Entscheidung bestärkt haben.
Und schau! Selbst der spitzfedrig polarisierende Kollege Martin Blumenau rührt in seinem FM4-Blog „The Daily Blumenau“ seitenweise im Honigtopf, bestreut rote Teppiche mit Rosenblättern, meißelt den Charakter Koller zur Lichtgestalt. Kurz: „Die erstmalige Euro-Qualifikation ist ausschließlich Marcel Koller zu verdanken. Genauer: seiner (damals verfemten, hochumstrittenen) Bestellung. Nicht, weil der vorsichtig wirkende Schweizer ein handauflegender Wunderheiler wäre, sondern weil er eines ist und eines kann: Er ist kein Österreicher, und er kann modernen Fußball lesen, analysieren, lehren und umsetzen …“
Wow. Doch bei all der Liebe, die manchmal zu erdrücken droht, kommt Marcel Koller völlig entspannt daher. Natürlich fühlt er sich „a casa“ im puristisch-lässigen Fabios, um bei der alt-neuen Devise von Patron Fabio Giacobello zu bleiben, die seit dem Umbau zwischen der coolen Kalksteinbar und der Restaurant-Ausdehnung in die Milchgasse noch stärker betont wird: vom Zwischendurch mit Espressi, Detox-Juices über die berühmte Burrata an der Bar, bis dass sich die Kunst von Küchenchef Christoph Brunnhuber im Restaurant entfaltet. Ein „Place to be“, finden auch die ÖFB-Stürmerstars David Alaba und Marko Arnautovic, wenn sie bei Amicis im Goldenen Quartier einkaufen gehen. „Diese hohen Schuhe, die ich ja weniger trage“, lacht der Trainer (Chapeau! Den wilden Arnautovic hat er zu Wir- und-Mannschaftsgefühlen gemildert, das wissen sogar Fußball-Hühner), dann begrüßt er den Chef, den Küchenchef, den Sommelier. Nett als Stammgast. Doch man hat das Gefühl, dass sie ihn, ganz abgesehen von seinem Statuts, einfach m-ö-g-e-n.
Leise, leichten Schritts, schlank und schönäugig war er plötzlich da. Ist erschienen. Vielleicht kann er ja auch fliegen oder durch Wände gehen … Pünktlich auf jeden Fall. Alles ist vorbereitet für die Fotosession. Fischige Vorspeisen aus Brunnhubers Zwei-Hauben-Küche, ein Châteauneuf-du-Pape aus den Clos de l’Oratoire des Papes im Rhônetal, Jahrgang 2006. Doch richtig blüht der Kenner und Liebhaber erst beim 2011er-Jahrgang auf: „Hmmm. Is mundiger. Rund!“ Er mag’s gern kräftig. Hat Freundschaft mit Weinbauer Reinhold Krutzler in Deutsch-Schützen geschlossen und seinem legendären Perwolff. In Österreich indes auch die Weißen schätzen gelernt, die Wachauer und die Südsteirischen, wobei er eher den Grünen Veltlinern, Weißburgundern und Sauvigon Blancs zuneigt – den „mundigeren, rezenteren“ (was in der Schweiz so viel wie kräftigeren heißt). Als Zwanzigjähriger, ungefähr, hat er seinen ersten Wein getrunken, fand ihn sauer, dachte: Das kann’s doch nicht sein. „Ist halt leider auch eine Preisfrage.“ Wenn er den päpstlichen Roten im Mund wälzt, wirkt er fast so romantisch, wie am Coverbild des Patterer-Buchs, auf dem er nachdenklich ins Weite schaut. Ja. Dieser schräge Seitenblick fängt viel ein von dem, was Marcel Koller ausstrahlt: Gelassenheit vor allem.
Die zu bubenhaftem Gelächter ausbrechen kann, wenn er von den Sonntagen und dem Sonntagsbraten mit dem Großvater erzählt: „Das war speziell. Er ist 96 geworden. Hat regelmäßig seinen Kaffee gebraucht und um vier Uhr nachmittags seinen Schluck Appenzellerschnaps. Das war Medizin.“ Und der Sonntagsbraten? „Kalbfleisch mit Kartoffelstock, das heißt Püree.“ Die Erinnerung, wie er da drin ein Vogelnest ausgehöhlt und die Fleischsoße hineingekippt und dann noch die Soße mit Brotstücken aufgetunkt hat, macht ihn ganz nostalgisch hungrig: „So guat!“
Röslikohl hingegen (also Kohlsprossen) war ihm der pure Graus. „Der Gschmack! So bitter! Hua!“ (Auf dem a betont, dürfte das die Zürcher Form von „Bäh“ sein.) „Mein Gaumen war damals auf solche Geschmäcker nicht eingestellt. Oliven zum Beispiel. Bis 30 mochte ich überhaupt keine Oliven. Dann hat eine Freundin einen Salat gemacht, mit den schwarzen spanischen, und die fand ich plötzlich fantastisch.“ Na, ausgeschimpft ist er nie worden, wenn er was nicht mochte, aber: „Was auf dem Teller lag, musste gegessen werden. Tja, dann bin i halt zwei Stunden vor dem Teller g’sessen und um die Nachspeis umgefallen: Vanillecreme, Schokocreme, Pudding.“
Marcel war der Jüngste, die Geschwister Betty und Bruno neun und acht Jahre älter, Fußball eine familiäre Leidenschaft: Der Vater ein begeisterter Amateurkicker, der Bruder ein guter Spieler, also ist schon der Zweijährige dem Ball hinterhergerannt. Zeigte Talent, setzte sich die Idee in den Kopf, Profifußballer zu werden. Mit 14 war’s ihm dann ernst. Und die Mutter hat für alle speziell gekocht: „Nicht weiß Gott wie aufgetischt, wir waren eine Arbeiterfamilie, doch richtige Fußballerernährung, nahrhaft, mit vielen Kohlehydraten. Später war das Essen beim Verein vorgegeben – Kohlehydrate und Fleisch. Rindfleisch, das beste und teuerste Stück vom Filet, aber nach ein paar Wochen Rindsfilet hast es nimmer heruntergebracht. Wolltest nur noch Pasta essen, Spaghetti, Tagliatelle, Papardelle, Ravioli.“
Damit ist er bei Fabios fein bedient, egal, ob mit einem schnellen Teller Penne all’Arrabiata oder den hausgemachten Ravioli. Lieblingspasta? Hat er keine. Entscheidet spontan, worauf er grad Lust hat. Auch, auf welchen Küchengeschmack. Ist ja einfach, er wohnt im Ersten Bezirk, „da kann man spontan schnell runter und wohin gehen. Ins Sole zum Beispiel, zum Aki Nuredini … nur a propos Pasta. Oder in eines der Do & Cos, auf der Albertina-Rampe oder am Stephansplatz, im Sommer dann auch auf den Naschmarkt, zum Umar – und immer wieder ins Fabios.“ Überall öfter auf frischen Fisch, Gemüse, Grünzeug. Denn. Mit der Pasta hält sich Koller kürzer, seit er nicht mehr auf dem Feld steht, ist ja ein Mann von hoher Disziplin. Wichtiger ist ihm: „Das Handy wegzulegen beim Essen. Zu genießen. In der wenigen Zeit, die ich hab: Abschalten und genießen.“
Mit seiner Frau. Seiner zweiten seit bald zehn Jahren, Gisela, früher Flugbegleiterin, dunkle, lange Haare, mit Absätzen einen halben Kopf größer als er, edel-gut-teuer-geschmackvoll angezogen, aber immer schlicht, niemals herausgeputzt. Sie malt (Bilder) und sei „die geborene Innendekorateurin“. Trotzdem sind sie in Wien in ein möbliertes Dachgeschoß gezogen, da sie irgendwann der Übersiedlungen mit Sack und Pack zwischen mehreren Wohnsitzen müde war: „Ich war nicht da und sie musste schleppen wie ein Möbelpacker.“ Natürlich kocht sie. Und das hervorragend. Sie schaut drauf, „dass wir uns gesund ernähren, auf die Zufuhr der nötigen Omega-3-Säuren, weniger Fleisch, viel Gemüse und Salat.“ Das alles kann er auch, na, nix mit dem alten Witz, dass Männer Probleme haben, ein Spiegelei zu braten. Ist ihm bloß ein bissl zu viel Aufwand mit dem Einkaufen und Wegräumen und Abwaschen. Und. Er gluckst vor leisem Lachen: „Meine Frau steht neben mir, das kann mich nervös machen, dann sag ich: Mach’s gleich lieber du. Nur. Beim Fondue. Bin ich alleine Küchenchef.“
Ein deftiges Schweizer Winterrezept, wenn’s draußen schneit und kalt ist, „ideal an Silvester. Und: Am besten mit einem Spaziergang verbunden. Danach. Mein Geheimnis, damit das Fondue luftiger und leichter wird: Natron. Was den Spaziergang nicht mehr zwangsläufig macht. Noch was: Frischer wird’s, wenn man Apfelstücke statt Brot in die Käsmischung taucht. Und. Besser Tee dazu zu trinken. Oder Weißwein.“
Tränkt man das Weißbrot mit Kirschwasser und kippt noch ein paar Stamperln dazu, ist für die Folgen nicht zu garantieren. Sagt das Kochbuch. Marcel Koller ist nicht so brutal.
So ein Fondue riecht auch richtig gut. Hm. Wie die legendäre Kalbsbratwurst in St. Gallen, die – streng ohne Senf – gereicht worden ist, als er den dahindümpelnden Provinzverein zum Meistertitel geführt hatte. Wie die nicht minder legendäre Currywurst im Ruhrpott, wobei sich die Bochumer mit den Berlinern über die Erfindung der Currysoße ebenso in die Haare geraten können, wie’s den Fans nicht genügte, dass Koller den VfL (Verein für Leibesübungen, ja, heißt wirklich so) in die 1. Liga geführt und drei Jahre dort gehalten hat. „Fast schade“, findet’s der Genießer, „dass durch die Perfektion der Lüftungssysteme all die appetitanreizenden Gerüche verloren gehen.“
Er schnuppert gern in Brunnhubers Küchendüften. Ach neulich, im Büro am Gang. Ist ihm aus einem anderen Stockwerk plötzlich ein so köstlicher Geruch zugeweht. Da hätte er sich am liebsten eingeladen und mitgegessen. Zumindest. Gibt’s den Pfeffer von Virgilio Matasci aus dem Maggiatal. Schwarze gehackte Pfefferkörner, mit Weißwein, Grappa und Gewürzen versetzt. In einer Dose, die man im Eiskasten aufbewahren muss, damit die Mischung feucht bleibt.
Da hinein könnte er seine Nase versenken, „so guat riecht des“. Wird ihm ganz heimatlich im Gemüt.
Selbst wenn. Marcel Koller Wien liebt. Beinah heiliggesprochen worden ist, als er vor zwei Jahren seinen Vertrag mit dem ÖFB verlängert hat. Um mit der Mannschaft weiter nach seiner Philosophie zu arbeiten, statt dem Lockruf mit entsprechender Gage in die Schweiz zu folgen. Jetzt. Lässt er sich ab und zu an den Würstelstand locken, von einer „Eitrigen“. Weil man „sich manchmal was gönnen darf“. Sogar Fastfood. Doch. Wie auf das gesunde Maß beim kulinarischen Genuss achtet der Trainer auf Psychohygiene, heißt soviel wie Haltung, Konsequenz, Kontinuität.
Bissl ist es aber auch der Blick von seiner Wohnung auf den Stephansturm, die Atmosphäre der Kaffeehäuser, die Nähe von Oper und Musikverein, wo die Wiener Philharmoniker spielen. Na, er gibt nicht den Musikexperten, nennt grad Mozart „luftig locker zum Entspannen“. Ihn fasziniert die Harmonie des Gruppenspiels großer Orchester. Um fast zärtlich darüber zu scherzen, dass „bei den Philis halt keiner mit dem Stuhl grätscht und dem anderen die Geige wegnimmt, während unser Spielgerät mehrere haben wollen“. Mannschaftsphilosophie.
Was uns zum Essen zurückbringt, zum Fondue Chinoise – für den Teamchef das ideale gesellige Festtagsessen: „Meine Mama hat am Weihnachtsabend immer in der Küche zu tun gehabt, Salat gemischt, einer Vorspeise den letzten Schliff gegeben … Fürs Chinoise kommt das Fleisch geschnitten vom Metzger, das Seafood vom Fischhändler, die Bouillon und sämtliche Soßen kann man vorbereiten – und dann mit allen anderen gemeinsam bei Tisch sitzen und genießen.“
Zubereitung für 4 Personen
Das Um und Auf ist die Käsemischung.
Kann sein halb-halb Vacherin und Greyerzer.
Kann sein kräftig, was in der Schweiz rezent heißt, dafür werden Greyerzer, Appenzeller und Emmentaler (auch Tilsiter) gemischt. Am einfachsten ist’s im Kanton Appenzell: Dort wird nur Appenzeller verwendet. Koller beruhigt: Die diversen Mischungen beruhen auf dem persönlichen Geschmack.
Also: Der Fonduetopf wird mit Knoblauch gut ausgerieben (besser vorher die Gäste fragen, wie koblauchaffin sie denn sind).
Demnach die gepresste(n) Knoblauchzehe(n) mit der fein geschnittenen oder gehobelten Käsmischung und mit 0,3 / 0,4 Deziliter Wein – Fendant, ein Walliser, bissl sauer – bei mittlerer Hitze erwärmen und zu einer glatten Creme verrühren.
Danach 1 Teelöffel Maizena, Schuss Zitrone und Schuss Kirsch verquirlen und einrühren. Und würzen: mit Muskatnuss, Pfeffer, Salz – und 1 Teelöfferl Natron.
Jetzt geht’s zum Tisch, zum Rechaud, zur Tunkerei.
Nimmt man Baguettebrot, ist bissl festeres besser. Ganz frisches zerfällt leicht.