Mit den Augen des Buben
Juan Mari Arzak, einer der besten Köche der Welt, wurde mit dem internationalen Ehrenpreis bei der "Trophée Gourmet A la Carte" ausgezeichnet. Seinem Ruf als bescheidener Star wurde er dabei ebenso gerecht wie dem des Visionärs. Im Interview erzählt er, warum er sich selbst als kleiner Bub sieht, der am liebsten mit Küchengeräten spielt.
Mit den Augen des Buben
Woran erkennt man einen echten Star? Er sagt nur selten "ich", sondern viel lieber "wir". Zu-mindest Juan Mari Arzak. Der Koch aus San Sebastian sagt sogar Sätze wie "Es gibt keinen Arzak. Es gibt auch Elena Arzak, Izar Garmendia und Juan Mari Arzak." Denn: "Ohne die anderen bin ich nichts. Ohne mein Team kommt auch kein Gericht ins Restaurant." Dabei wird die Stimme des baskischen Koch-Vaters laut und die Sprache schnell. Wer so emotional über Essen, Trinken und die Küche spricht wie Arzak in seiner Suite im Wiener Hotel Le Meridien, muss eine Mission, eine Idee und auch Gedanken haben, die sich deutlich vom europäischen Mainstream abheben. Während die neuen Popstars der Küche sonst gerne im Designer-Kochgewand für Illustrierte posieren, benimmt sich Arzak in Gesprächen, Interviews und bei der Trophée-Gourmet-Gala mehr wie ein spanischer Pepi Sodoma – nur noch besser gelaunt. Er grüßte dort jeden freundlich, führte Schmäh und küsste herzlich. Selbst bei seiner Dankesrede für die Auszeichnung sprach er nicht über sich, sondern über andere, über das Können der anderen baskischen Köche oder über die Gastfreundschaft der Wiener, die er etwa im "Steirereck" erleben durfte, seine österreichischen Freunde, Alain Weissgerber und Walter Eselböck, deren Küche er mit einem Weltwunder verglich. Ein ebensolches sei auch die spanisch-österreichische Dolmetscherin Carmen, die ihn in Wien begleitete, rief er dem erstaunten und lachenden Publikum zu.
Die Namen Eselböck und Gerti – für Gerti Sodoma – hatte Arzak sozusagen im Gepäck, als er nach Wien reiste, sie standen auf einem der Dutzenden eng beschriebenen Zettel, die Arzak so gerne verwendet. In diesen Notizen stehen unzählige Namen, Ideen und Sätze: Er notiert dort alles, fertigt Skizzen an, schreibt Kontakte und Telefonnummern auf. Mit diesem chaotischen System führt er eines der fünf besten Restaurants der Welt, glaubt man Abstimmungen in der weltweiten Gourmet-Gemeinde und Besuchen aller renommierten Restaurant-Kritiker. Wer einmal seine verrückten, dennoch klaren Kompositionen gekostet hat, weiß, dass es stimmt: Wenn er Olivenöl mit einem eigens entwickelten Verfahren Flüssigkeit entzieht, das Pulver wieder mit einer anderen neutralen Flüssigkeit verflüssigt um einen viel intensiveren, runderen Olivenölgeschmack zu bekommen, schreiben manche Medien "Hexenmeister".
Hexerei? Ein Eingriff in die Natur oder gar die viel gescholtene Küchen-Physik? "Nein!", ruft Arzak in seiner Suite, die nach kurzer Zeit wie eine Mischung aus gemütlichem Büro und Wirtshaus aussieht. "Das hat es doch immer schon gegeben: erhitzen, passieren oder kochen! Das war immer schon Physik, Chemie und ein Eingriff in die Natur. Uns geht es immer darum, neue Ideen zu entwickeln", sagt er beschwörend und zieht einen seiner Zettel heraus. Auf dem steht die Philosophie der Basken, dass Ideen nur auf den Wurzeln der lokalen Küche entstehen könnten.
"Die Basken", das ist jene verschworene Koch-Truppe um Arzak und Martín Berasategui, die zwar individuell arbeitet, aber kollektiv ein bisschen wie die Musketiere – alle für einen, einer für alle – dafür sorgt, dass San Sebastian der Nabel der Küchenwelt ist. Dass in keiner anderen größeren Stadt mehr Michelin-Sterne auf Einwohner kommen, in keiner anderen Stadt so viele verrückte Küchenideen geboren werden. Das klingt dann etwa so: "Ich muss immer ein kleines Kind bleiben. Immer muss ich spielen, mit allen Zutaten und Ideen, nur so gibt es neue Kreationen." Deswegen hält sich Arzak, der stets mit seiner Tochter Elena arbeitet und entwickelt, ein eigenes Hightech-Laboratorium mit eigenen, fix angestellten Entwicklern.
Der Baske sagt auch Schräges wie: "Wenn man Karotten oft sagt, wie schön und gut sie sind, schmecken sie besser als Karotten, die ganz normal behandelt worden sind." Dazu telefoniert er kurz, aber heftig mit einem befreundeten Bauern, der eine ganz spezielle Tomatensamen-Art aus Peru importiert hat und sie nun in Spanien anpflanzt: "Die Besten der Welt", sagt Arzak nachher zufrieden.
Schnell kommt er wieder zur Küchenphilosophie: "Als ich einmal einen Sprayer vor seinem Werk gesehen habe, bin ich sofort in den nächsten Laden gelaufen und habe mir auffüllbare Spraydosen gekauft und versucht, Lebensmittelkonzentrate zu sprayen." Ob es funktioniert hat? Arzak: "Das ist nicht so wichtig, versuchen muss man es!" Bei der Sprayaktion wurde etwa Petersilie wegen der grünen Farbe und schwarze Tinte vom gleichnamigen Fisch verwendet, auf Ei sah das gut aus, erzählt Arzak lachend. "Das ist Evolution – Entwicklung. Die ist wichtig." Entsteht wie erwähnt nur auf dem Boden kultureller Identität und Tradition, setzt aber Offenheit für neue Ideen und Produkte voraus, sagt Arzak: "Erst dank Christoph Columbus haben wir Kartoffeln, Tomaten und so weiter, heute sind sie Teil spanischer Essenskultur." So richtig authentisch seien im Baskenland die vier Saucen: die schwarze (Tintenfisch) die rote (Paprika, Tomaten), die weißen (Pil Pil genannt, weiß gebunden) und die grüne (Petersilie, Öl, Knoblauch). Arzak: "Das sind die Saucen für die Ewigkeit. Und für die traditionelle Küche." Arzak geht mit seiner emotionalen, aber doch hochtechnisierten (Eigenbeschreibung) Küche weiter: Weiterentwicklung, die kein Teil der traditionellen Küche ist. Und: "Staunen, Beobachten und die Fähigkeit haben, wie ein kleiner Bub die kulinarische Welt zu sehen. Sonst hat man keine Fantasie! Ich bin sechzig und denke wie ein Kind. In meinem Haus – und es ist ein großes Haus – haben meine Enkelkinder Räume zum Spielen, ich habe den Rest zum Spielen. Mein Spielzeug sind die Küchengeräte, die Lebensmittel."
Aber spielen er und seine Kollegen etwa wirklich? Ferran Adrià plane doch das Essen am Reißbrett, im Physik- und Chemielabor? Ähnlich mehr einem Designer und Ingenieur? Arzak dazu: "Ja, er kocht mit dem Kopf. Aber er ist ein Koch mit mehr Vorstellungskraft als jeder andere." Als er, Arzak, vor mehr als 20 Jahren das erste Mal vom verrückten Kollegen hörte, fuhr er sofort hin. Und? "Ich habe es nicht verstanden", sagt Arzak heute. Das kam später, ebenso wie die Freundschaft zum berühmtesten Koch der Welt seit Paul Bocuse. Die Freunde essen privat schon einmal einen Hotdog, aber das nur nebenbei. Der Baske: "Wenn Ferran Adrià stirbt, stirbt auch seine Küche. Die großen Techniken werden bleiben, aber die Küche gibt es nicht mehr." Weil sein großes Küchen-Physik-Theater emotional so stark mit der Person verbunden ist? Der Baske denkt kurz nach und sagt nur knapp: "Er ist einzigartig." Das Argument, dass dies seine Küche doch auch sei, lässt er nicht gelten: "Meine Küche ist einfach zu verstehen. Und es gibt auch nicht meine Küche, sondern eben nur die meiner Mannschaft."
Wie sehr die spanische Küchenelite zusammenhält, ließ sich ein paar Tage nach Arzaks Wien-Besuch beobachten: Als der katalanische Chef Santi Santamaría bei der Verleihung eines Buchpreises meinte, die spanische Küche sei auf einem Tiefpunkt. Und: "Diese ganzen Chemikalien" – gemeint war vor allem Methylzellulose, das Mittel, um warmes Eis oder flüssiges Fleisch zuzubereiten – "sind ein Risiko für die Gesundheit." Gemeint war vor allem Ferran Adrià. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Die Vereinigung "Euro-Toques España" verfasste ein geharnischtes Kommuniqué, in dem es wörtlich heißt: "Die Äußerungen unseres Kollegen gefährden sämtliche Erfolge unseres Berufsstandes der vergangenen Jahre." Und der baskische Altvater Arzak meinte mit ungewöhnlicher Gereiztheit in der Stimme: "Mit meinen 65 Jahren und all meiner Erfahrung möchte ich Santi eines raten", so der Grandseigneur. "Eine kräftige Dosis Bescheidenheit und eine Prise Aufgeschlossenheit für die Kreativität seiner Kollegen. Arzak über Ferran: "Als vor 20 Jahren Ferran schon berühmt war, blieb er immer bescheiden." Das hat auch Arzak selbst nie verlernt.