Mostbratl reloaded
Mit Philipp Hochmair bei Tisch. Der Flug in ein Schlaraffenland aus Fantasie. Luftig, duftig, kontrastreich, doch fest verankert in den Küchen von Oma Augustine und Mutter Sylvia. Außerdem. Wollte der preisgekrönte Film- und Theaterkörper als 14-Jähriger Bauer werden.
Rezepte? Ach was, nicht bei Philipp Hochmair. Der Kunstsoldat kocht nie nach Vorschrift. Seine Methode: „Die Situation beim Schopf packen, schauen, was man vorfindet, versuchen, das Beste daraus zu machen.“
Wie damals zu Weihnachten mit der Künstlertruppe in Istanbul, wo so lange debattiert wurde, ob man essen gehen oder kochen soll, bis der 24. Dezember da war, der Hunger groß, doch nichts im Haus. Also. Sauste Philipp zu den Fischern an der Galatabrücke und kaufte ordentlich ein. Wolfsbarsche? Doraden? Whatever. Sie sahen gut aus. Gewürze, dachte er, finde ich im Küchenschrank. Fehlanzeige. Gab nur grobes Salz – und Zimt. Na gut. „Du bist verrückt“, lästerten die Freunde (leise). Doch. Der Zimt fügte sich glückhaft zum Weihnachtsfisch. Er schmeckte fabelhaft.
Applaus, Applaus!
Philosophie à la Philippe: Es geht um den Augenblick. „Gäste kommen. Es ist 20 Uhr. Gutes Essen muss her!“
Ganz ähnlich, findet Hochmair, dem rauschhaften Effekt vergangenes Jahr beim Salzburger Festspiel, als er binnen dreißig Stunden für den erkrankten Tobias Moretti eingesprungen ist: „Es ist 20 Uhr. Der Domplatz schreit: Jedermaaaann! Und ich muss, ohne ausreichend geprobt zu haben, auf die Bühne.“ Ja. Der stürmische Erfolg, der Jubel über sein Husarenstück sind längst legendär.
Was ihn reizt, ist der Moment, in dem es zündet: „Alles, was du bis jetzt gelernt und gemacht hast, ist die Vorbereitung. Du kannst in diesem Moment nur mehr so reagieren, wie du reagieren kannst. Nur so gut oder so schlecht sein, wie du gerade bist. Das ist die Leistung.“
Auf der Bühne, vor der Kamera, in der Küche.
Triebtäter hat ihn sein Lieblingsregisseur Nicolas Steman genannt, er vögle den Text, sagte Regisseuse Friederike Heller, Rampensau, auch Körperterrorist schrieb man ihm zu. „Seelenfänger“, orgelte das Feuilleton zuletzt, als er das Sprechkonzert Jedermann reloaded auf die Bühne brachte. Aber wie! Bierflasche in der Hand, Totenkopf unterm Arm, Zigarre im Mund, verwandelt er Hofmannsthals Mysterienspiel mit den Beats und Gitarrensounds der Dresdner Band Die Elektrohand Gottes in eine Rockperformance für das 21. Jahrhundert. Ende Oktober wird die Truppe von Dirigentin Elisabeth Fuchs und der Philharmonie Salzburg zum Experiment im Großen Festspielhaus verführt: Jedermann reloaded in Orchesterversion. Ausgebucht. Klar. Zusatzvorstellung.
Der Performer wird fein gefeiert werden. Und trotzdem sagen: „Feines Essen beginnt im Kopf und nicht unbedingt in der Geldbörse. Okay, okay, die feinen Zutaten. Aber. Wenn man Lust am Experiment und zu Hause gelernt hat, wie das funktioniert, ist sehr viel möglich. Wenn man mit Erwartungshaltungen spielt, Zutaten kombiniert, die gar nicht zusammen gehören. Kontrapunkte setzt! Mit Zitrone zum Beispiel. Mit weißem Balsamico. Ich liebe ihn. Er gibt selbst dem Schweinsbraten einen Anflug von Frische. Erst recht einer Eierspeis: Da karamellisier’ ich Kürbiskerne in braunem Zucker. Ein Schuss Essig mit den süßen Kürbiskernen, die so süß gar nicht sind, das setzt einen Kontrapunkt. Das macht dem Geschmackssystem Spaß.“
Philipp Hochmair steht unter Strom. Immer. Ob er seinen kleinen Rollkoffer zum vierten Fernsehfilm-Drehort innerhalb von sechs Monaten zieht, als Psycho-Rocker Jedermann lebt oder mit uns in der Meierei im Stadtpark isst, trinkt, raucht und zwischendurch ohne Hemd und ohne Schuh im Wienfluss tanzt – wo er „früher immer so gerne an der Steinmauer entlang gegangen“ ist.
Eine Zeitreise zur kulinarischen Basis. Deshalb darf der Rollkoffer heute ruhen. Das Silberkreuz „für den Kreuzritter“ hat er angelegt. Das Goldglitzersakko für den „Reichen Mann“ im Haubenlokal, das Ami-Blouson für den Rehbock mit geschmortem Kochsalat, Herzkirschen und Sonnenblumenkernen, und die blaue Arbeiterjacke von Humana, die seine Augen veilchenfarbig leuchten lässt, passen in eine Sporttasche. Seine Clogs lässt er unterm Tisch zurück. Hochmairs Sohlen sind steindlresistent. Am liebsten geht er barfuß. Auch über rote Festivalteppiche.
Vielleicht wundert sich ein japanischer Gast. Den gütigen Herrn Thomas, den Chef vom Dienst in der milchweiß gläsernen Light-Version des berühmten Steirerecks, erschüttert nichts. Er leitet den Star durch die Geheimniskammern des feinen Geschmacks, von der Küche zur Vinothek zum Käsekeller – und beschreibt die Eigenarten all dieser kuhisch-schafisch-ziegigen Riesenlaiber, Tortas und Gupfe so verliebt, als käm er aus einer Fromagerie in Paris.
Auch. Die nobel-strengen Servierdamen sind jedem Firlefanz der Fotografen geneigt. Lassen Eiswürfel klirren, finden drinnen und draußen Platz, servieren die marinierten Paradeiser mit Ananassalbei, Süßerdäpfel und Monarde einmal zum Brunch und dann nochmal fürs Foto. Weil die nicht nur „sooo fein“, sondern auch „sooo schön“ sind!
Hm. Der Vorstadtweiber-Schnitzler-Bonus? Schließlich hat Hochmair ziemlich aufgemischt. Als mörderisch-machtgeiler Minister mit Jürgen Maurer die erste schwule Liebesszene am ORF-Hauptabend gespielt. Und. Wie irre er ausrasten kann, grad in der dritten Staffel gezeigt. Bald wird er hinter Gittern büßen müssen! Haha. Mit falschem Bart hat er ein Selfie unter den Hashtags #Gaylove #Gefängnisliebe auf Instagram gepostet. „Ein Verwirrspiel“, lacht der Büßer in spe. Derlei liebt er. Doch der Krone war’s einen üppigen Artikel wert.
Kein Käse. Statt dessen Überraschung. Der erdige Kontrast zu nonchalanter Lässigkeit: „Als Bub wollte ich Bauer werden.“ Fünf Sommer hat er bei einer Bauernfamilie verbracht, mit viel Speck, selbstgebackenem Brot, selbst erwirtschafteten Produkten. „Wollte lernen, wie das geht. Auch das Schlachten, das Ausweiden, na, und ich fand es nicht schrecklich: Den Hühnern wurde mit einem Ruck der Hals durchschnitten, Kühe und Schweine bekamen einen Schlag mit dem Bolzen auf den Kopf, und auch die Forellen aus dem Teich eine auf den Deckel. Später war es fast enttäuschend, wenn das Fleisch nur noch aus der Tiefkühltruhe geholt worden ist.“
Zeitreisen. Nach Haag am Hausruck zur Hausmannskost von Großmutter Augustine: „Vom Feeling her immer am liebsten. Gefülltes Huhn, Kalbsbrust, Schweinsbraten – aus der Erinnerung von Anfang an leicht nachzukochen. Aber ja, gab auch Hascheeknödel, quasi ein Nationalgericht, doch dazu braucht man schon chemisches Wissen, muss identifizieren, was unter Haschee zu verstehen ist, nachdenken, wie viel von was … das ist nicht so fancy! Klare Fleischspeisen, wie sie auch unsere alte Nachbarin für mich gekocht hat, dieser Stil der oberösterreichischen Großmütter hat mein Herz am meisten erwärmt. Abgenützte Emaille-reindln aus den Fünfzigerjahren, in denen ein Braten geschwommen ist. Samt Würze mit Beizkräutl – Koriandersamen, Kümmel, Anis –, das auch ins Bauernbrot gehört.“
Oma Augustine. Ja. „Eine klassische Großmutter mit eigenwilliger Erscheinung. Immer in einem weißen Apothekermantel, das fehlende Haupthaar durch einen Dutt verstärkt, der mit Haarnadeln festgesteckt wurde: ,Das Haubi‘, hab ich als Kind gesagt.“ Er muss lachen. Gerührt. „Sie ist gestorben, als ich sieben war, doch sie hat meine Geschmacksnerven geprägt und die Vorstellung von einem gemütlichen Essen.“
Mutter Sylvia hingegen hat „modern“ gekocht, mediterran. Viel Salat, viel Gemüse, mehrere Gänge, natürlich auch Fleisch. Undenkbar früher, ein Abendessen ohne Fleisch: Wenn der Vater, ein Experte für Wasserkraft, gestresst aus dem Büro kam, war ein „ordentliches“ Essen wichtig. Mutter war Lungenfachärztin. Doch nach der Ordination hat sie bei lauter Opernmusik drei, vier Stunden gekocht. Wir durften nicht in die Küche rein, fragen, was es gibt. Das war ihr Reich. Ein abgeschlossenes System, aus dem die Speisen rauskamen. Ihr Moment.“
Darin fühlt sich der Sohn verwandt: „Wenn ich intensiv probe, muss ich ordentlich kochen. Nur. Mag ich gern, wenn Leute dabei sind. Helfen sollen sie nicht. Meine vier Herdplatten hab ich lieber selber im Griff: Das ist meine Inszenierung, mein kreativer Vorgang. Doch, wenn sie reden, trinken, rauchen, inspiriert es mich.“
Rauchen? Tja. „Für Mutter Lungenspezialistin und Bruder Lungenspezialist natürlich urböse. Da ich aber meist ziemlich böse Rollen gespielt hab, war ich auf dem graden Weg dorthin. Zigarren! Welch Futter für die Fantasie: Die grauen Männer mit ihren dicken Habanos. Che Guevara als Inbegriff von Freiheit und Rebellentum. So kamen die Zigarren langsam in mein Leben. Wenn ich Text lerne, muss ich rauchen: Wie bringe ich diese Sätze in meinen Kopf, wie erschaffe ich diesen Charakter? Rauch und der Dialog mit mir selber sind wie eine Art Meditation.“
Dem kulinarischen Mut der Eltern zollt er Respekt: „Sie sind viel gereist und haben (lang vor der EU-Idee) allerhand mitgebracht: seltene Gemüsesorten, geräucherten Hering und den ersten französischen Senf aus Dijon: ,So was isst man dort zu den Pommes frites.‘ Wir Kinder waren verstört: Sauer-scharf-salzig statt unserem süßen Ketchup, das wir so liebten. Doch irgendwann wurde es normal, dass man was Fremdes ausprobiert. Gab Innereien, saure Lunge und Beuschel genauso wie Austern, die der Vater mit dem Messer öffnete.“ Verinnerlicht. Und so schwärmt Philipp von Schweinebauchstücken in Sojasauce, die ihn bei den chinesischen Garküchen auf der Straße fast zum Niederknien brachten. Oder von Obsttellern mit Ziegenkäse beim Theaterfestival in Bogotá, als bei uns von derlei noch lange nicht die Rede war.
Half allerdings nix, als er früh begann, Hauptrollen zu spielen. Bei der entscheidenden Frage: „Wie esse ich, wie trinke ich, damit ich um 20 Uhr fit bin und drei Stunden Hamlet durchhalte? Klaus Maria Brandauer hat beim Unterricht im Reinhardt-Seminar erzählt, wie er sich vorbereitet: ,Du musst lernen, dir die Energie richtig einzuteilen.‘ Hab viel darüber nachgedacht: Um vier muss das Essen gegessen sein, damit ich um 20 Uhr losstarten, die Maschine auf Hochdruck fahren, explodieren lassen und wieder runterfahren kann. Bloß. Bei Mephisto im Neun-Stunden-Faust von 17 bis 3 Uhr am Thalia-Theater Hamburg war eine völlig neue Definition gefragt. Wie und wann und wo man essen kann, in der Pause und auch nach der Vorstellung, wenn alle aus dem Theater strömen und alles schon besetzt ist. Da kannst dich als Hauptdarsteller ja nicht dazusetzen. Also: ein Gasthaus in der Nähe, das keiner kennt. In Hamburg war’s ein Hausboot an der Alster vor dem Theater, Galatea, ein Italiener, und da bekam ich meine Nudeln. Auch in der Pause im vollen Kostüm, als Mephisto voller Farben angemalt …
Der Theaterkörper. Ja, der will Energie und kann auch verdauen. Der Theaterkörper will den großen Braten. Nach Faust, Zerbrochenem Krug oder Jedermann hab ich den großen Braten gern gegessen. Und eine Flasche Rotwein weggeschossen, nur für mich.
Der Filmkörper muss sich zurückhalten. Wenn ich nach jedem Drehtag groß esse und trinke, pass ich nicht mehr ins Kostüm. Aber wirklich! Das Buffet kommt vom Catering. Du wirst ständig gefüttert, doch du musst die Gier nach Essen zähmen, Nahrung zu dir nehmen, die den Hunger unterdrückt, heißes Wasser mit Ingwerstückchen.
Denn. Du spielst intensive Szenen – Liebe, Streit, Konflikte, die nur im Kopf stattfinden –, bist in höchster Anspannung, höchster Euphorie, doch der Körper bekommt ganz selten ein Ventil. Mit dem Rad zum Set fahren hilft ein bisschen. Und Yoga. Sonst bist verloren.“
In Peter Payers schwarzhumorigem Thriller Glück gehabt nach Antonio Fians Roman Das Polykrates-Syndrom, der im Winter ins Kino kommt, stand Hochmair zwei Monate täglich am Set: „Eine Woche ganz früh, eine Woche in der Nacht. Das war wie Jetlag. Damit ist der Körper nicht zufrieden.“ Vor allem, wenn er den Rollkoffer gleich zu zwei Folgen der feurigen Krimireihe Blind ermittelt ziehen muss, zu Freud nach Prag und dann sofort zu Richard Löwenherz – Ein König in der Falle, mit dem Universum History laut ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner „österreichisch-europäische Heldengeschichte zum Leben erweckt“.
Muss? Na ja, wie sagte der Held gelegentlich: „Ich will fliegen, den Fluss behalten, maximal flexibel sein.“ Nach sechs Jahren Burgtheater und sechs Jahren Thalia-Theater hat er 2014 Schluss gemacht mit den trägen Bühnenapparaten. Bewegt sich seither kometengeschwind zwischen Soloabenden und Filmrollen, manchmal mehreren parallel, häufig mit Festivalpreisen bekrönt. Ist Schauspieler, Regisseur seiner selbst, Manager und PR-Agent in Personalunion. Eben. Hat er Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther nach 1.500 Live-Auftritten von Moskau bis Bogotá und seiner Hörbuchaufnahme von 2003 neu herausgegeben. „Ein Trip zu mir selbst“, sagt Hochmair. „Hab die Stimme von 2003 ausgebessert, verstärkt, neue Akzente gesetzt, Die Elektrohand Gottes gebeten, die Texte als elektronische Soundcollage neu zu vertonen. Man kann sie streamen. Auf Spotify, Apple Music und mehr.“
Seufzt und grinst: „Ach Liebeswahn, das ewig gültige Thema. Goethe ist es mit 72 noch einmal passiert.“
Nun. Daraus zu schließen, dass sich der Kunstsoldat fesseln lässt, wäre zulässig. Ewige Bindung eher nicht. „Was man vorfindet, soll man mit Händchen und Geschmack so nützen, dass Geist und Gaumen elastisch bleiben“, hat er übers Kochen gesagt. Besitzt ja auch mehrere funktionstüchtige Küchen an mehreren Orten. „Wahnsinnig ordentlich“ sei er da. „Doch im Grunde ist es mir egal, ob ich vier Herdflammen hab oder eine, Kupfergeschirr oder ein kaputtes Pfandl.“
Weit faszinierender fand er schon als Kind, dass man dasselbe Gericht grob und fein zubereiten kann: „B’soffener Kapuziner. Bei den Hausrucker Bauern ein einfacher Kuchen, der in Bier schwimmt. Beim Konditor in Haag zarte Haselnussmasse, in Amaretto getränkt.
Mich interessiert das Prinzip, dasselbe Rezept in zwei Richtungen zu bewegen. Wie bringst Schweinsbraten auf ein gehobenes Niveau?“ Hochmairs Lösung: „Mostbratl reloaded“. „Da ja niemand mehr Most bei uns macht, will ich das Fallobst für ein Mostbratl mit fruchtig-herbstlicher Note nützen.“ Womöglich ein Geschmackserlebnis, das die Gäste nun jeden Herbst auf der Zunge tragen werden.