Neue alte Schokoladen

Es gibt einen neuen Star unter den Kakaosorten, wobei so neu ist die Arriba Nacional aus Ecuador gar nicht, im Gegenteil. Vielmehr wird sie von Top-Chocolatiers gerade wiederentdeckt. Und nicht nur sie …

Foto von Florian Holzer
Text von GettyImages

Es schien so einfach, so übersichtlich: Gute, begehrenswerte Edelschokoladen wurden aus der raren Sorte Criollo her­gestellt, die im Idealfall aus Venezuela stammte, mittelmäßige Handelsware stammte von der überall am Äquator wachsenden Hochertragssorte Forastero. Und dann gab’s da noch – kompliziert genug – die Kreuzung der beiden namens Trinitario, auch sehr gut, auch sehr selten, und schließlich so Sachen wie die ­genetisch besonders pure Criollo-Sorte Porcelana, irrsinnig gut, irrsinnig selten, irrsinnig teuer.

Nur: Einfach und übersichtlich ist bei Kakao leider gar nichts, wie Autor, Schokolade-Auskenner und Kommunikationsverantwortlicher des Edelschokoladehändlers Xocolat, Werner Meisinger, erklärt. Denn der Kakaobaum Theobroma Cacao neigt erstens sehr zu wilden Kreuzungen und zweitens existieren im Kakao-Business anders als etwa beim Wein keinerlei Kontrollmechanismen, das heißt, die Wahrscheinlichkeit für tatsächlich genetisch reinsortige Kakaobohnen ist einerseits äußerst gering und außerdem kann jeder unwidersprochen auf seine Schokoladen schreiben, was immer er will.

So weit, so frustrierend, allerdings konnte man gut damit
leben, solange die Schokoladen offensichtlich herrlich und von erstklassiger Qualität waren.

Und jetzt tauchte da auf einmal eine Sorte namens Arriba
auf, beziehungsweise Arriba Nacional oder auch nur Nacional, die in den vergangenen Jahren vermehrt auf den edlen Tafeln von Domori, Bonnat, François Pralus und Co, aber auch auf Supermarktregalware von Lindt und sogar Ritter Sport vermerkt wurde. Was war da geschehen, woher kommt plötzlich diese Arriba Nacional?

Eigentlich galt diese Sorte immer schon als eigenständig und wurde neben den drei oberen immer wieder einmal genannt, nur wusste man’s halt nicht so genau. Mal wurde eine Verwandtschaft zu Criollo vermutet, mal zu Forastero, erst jüngere Untersuchungen ergaben, dass es sich wohl auch um eine echte, eigenständige Kakaosorte handeln könnte. Nur auch hier wieder das Problem: Ecuador, die Heimat dieser angeblich schon vor 5.300 Jahren kultivierten Kakaosorte, ist nach Brasilien Südamerikas zweitgrößter Erzeuger von Kakaobohnen; nach einer Epidemie der „Hexenbesenkrankheit“ Anfang des 20. Jahrhunderts, der die meisten Kakaobäume zum Opfer fielen, wurden robuste Neuzüchtungen gepflanzt und vermischten sich mit ­ursprünglichen Beständen. Ecuadorianischer Kakao wurde zwar weiterhin unter der alten Bezeichnung verkauft, die „echte“ Arriba Nacional galt in ihrer reinen Form aber als ausgestorben.

2013 fanden der Amerikaner Jerry Toth und der Österreicher Carl Schweizer im Rahmen ihres kleinen Regenwald-Schutzprogramms Third Millennium Alliance mitten im ecuadorianischen Dschungel dann aber 16 uralte Arriba-Bäume, die offenbar die Epidemie überstanden hatten. Sie ließen die Pflanzen genetisch prüfen und zogen aus den bis zu 120 Jahre alten Bäumen Setzlinge. Schon 2014 brachten sie ihre ersten Schokoladen auf den Markt, teils in Whiskeyfässern gereift, in aufwändig gefertigte Boxen verpackt und außerdem mit einem Marketing-Tool ausgestattet, das immer schon für mächtig Aufsehen sorgte: Die 50-Gramm-Tafel kostet über 200 Euro und ist damit über Google leicht zu finden, wenn man nach der teuersten Schokolade der Welt sucht …

Das sind natürlich Preise, die Menschen, die nicht den ­Berufsweg des Oligarchen eingeschlagen haben, für Schokolade normalerweise nicht zu zahlen bereit sind. Aber es sorgte jedenfalls dafür, dass Arriba Nacional für die Schoko-Community auf einmal sehr interessant wurde. Vor allem über die zahllosen „Garagen-Chocolatiers“, die im Zuge eines Schoko-Booms der vergangenen Jahren vor allem in den USA aus dem Boden schossen, weiß der steirische Schokolademacher Josef Zotter: „Diese kleinen Craft-Chocolatiers müssen sich natürlich profilieren, und mit speziellen Sorten und Herkünften hat man da eine Möglichkeit.“

Zotter lobt die Arriba als fruchtig und mit feiner Zitrusnote ausgestattet, weiß, dass man in Ecuador das Handwerk des Fermentierens versteht und sauber arbeitet, auch Meisinger meint, dass sie „zweifellos ihre Meriten“ habe, bezweifelt aber, dass es sich bei den vielen Arribas, die da in den vergangenen Jahren plötzlich am Markt auftauchten, um reinsortige Ware handelt. „Irrsinnig gut, wuchtig, diese Schokolade ist ein Kerl“, attestiert jedenfalls Schokolademacherin Gesa Weitzenböck der Arriba. Seit zwei Jahren hat sie die Sorte im Programm, mischt sie mit Salz und Rosmarin zu einer ihrer Top-Kreationen.
Frau Weitzenböck hat aber auch noch etwas anderes auf
Lager, zum Beispiel eine peruanische Kakaosorte namens Chuncho, deren ganze Bohnen sie röstet und mit hochprozentiger Schokolade umhüllt, feinmürb mit einem Aroma, das sowohl an Orangenschalen als auch an Wildleder erinnert, großartig.
Und was ist Chuncho jetzt schon wieder, gar das nächste ­heiße Schoko-Ding nach Arriba? Josef Zotter bezeichnet diesen peruanischen „Ur-Kakao“ als „Wüstenkakao“, der in Vergessenheit geriet und von den Chocomaniacs gerade erst neu entdeckt ­werde. Es handle sich um kleine Bohnen, „und kleine Bohnen haben immer mehr Geschmack“, aus der sehr armen Gegend von Cusco, „und je ärmer eine Gegend ist, desto mehr alte Rari­täten findet man dort“.

Die Armut der Region sorgt allerdings auch dafür, dass diese uralte Sorte, die in alten Aufzeichnungen aus dem 19 Jahrhundert schon einmal als der „beste Kakao der Welt“ bezeichnet worden ist, als sehr viel weniger bitter als andere Sorten gilt und deren Bäume bis zu 200 Jahre alt sind, stark gefährdet ist. Denn die Bauern bekommen für die peruanischen Hochlandbohnen, die heute normalerweise zu Kakaobutter und minderes Kakaopulver verarbeitet werden, quasi kein Geld. Weshalb sie auf ­moderne Ertragssorten umstellen oder überhaupt gleich auf ­Kokasträucher, da ist der Absatz gewiss. Sehr viele Schokolade-Projekte, die sich mit Chuncho-Bohnen beschäftigen, engagieren sich daher auch gleich für Naturschutz, für Vogelschutz (im Urumbaba-Tal, das als Ursprung dieses hocharomatischen Ur-Kakaos gilt, leben auch bedrohte Kondore) und für soziale Hilfsmaßnahmen. Man kann jedenfalls nur hoffen, dass die Chuncho ihren Durchbruch als hochgradig interessante Terroir-Schokolade noch erlebt – und nicht kurz davor vom Erdboden verschwindet. —

Die Kakaosorte Arriba Nacional, eine Rarität, kommt u. a. in
den Nebelwäldern Ecuadors vor.
© Shutterstock.

Wie schmeckt Ur-Schokolade?

Arriba Nacional, die peruanische Chuncho oder die ­ebenfalls in Peru noch anzutreffende, sehr seltene weiße Ur-Criollo wurden von indigenen Völkern schon vor Jahr­tausenden kultiviert. In den vergangenen hundert Jahren verschwanden sie entweder aufgrund von Krankheiten oder weil moderne Ertragssorten mehr Geld brachten. Aber es gibt sie noch und sie werden gerade neu entdeckt:

Domori Nacional 70 % Arriba
domori.com
bei Xocolat, xocolat.at
9/10
Ein Bild von einer Aromaschokolade. Bricht wie Marmor, der Duft erinnert weniger an ein Blumen­bukett als vielmehr an ein Blumengeschäft, allerdings im Advent, wenn auch Adventkränze vorrätig sind. Lang anhaltend, intensiv, wunderbare Balance aus hellen und dunklen Noten, wirkt am Gaumen leicht und ätherisch.

Omnom Chocolate, Peru 100 % Gran Nativo Blanco
omnomchocolate.com
bei Schokov, schokov.com
9/10
Die Schoko-Hipster aus der Garage in Reykjavík legen eine ganz besondere Schokolade vor: intensiver Duft von Tabak, getrockneten Rosen, Teer, perfekter Bruch und dann eine doch überraschende Frucht-Explosion mit rauchigen Noten, fruchtiger Säure, Exotik.

Original Beans, Cusco 100 % (Chuncho)
originalbeans.com
bei Xocolat, xocolat.at
8,5/10
Diese Chuncho-Schokolade aus der Region Cusco läuft
bei Original Beans unter der Kategorie „Rarest of Rare“. Die hundertprozentige Konzentra­tion bringt die dunklen, etwas „wilden“ Aromen dieser Sorte schön zum Ausdruck, Leder, Trockenkräuter, verdörrte ­Blüten, Fermentationsnoten, Rauch, Asche. Im Mund wunderbarer Schmelz, lang anhaltend, wobei die Note des kalten Rauchs dominierend wird.

Zotter, Labooko, Peru 82 % (weiße Criollo)
zotter.at
8/10
Natürlich ergibt auch weiße Criollo dunkle Schokolade (weiße Schokolade besteht aus Kakaobutter). Das geschmackliche Erlebnis dieser Schokolade kann nur als sinnlich bezeichnet werden: vom Duft her noch typisch nussig, röstig, schokoladig, am Gaumen dann ein Flash exotischer Frucht- und Fermentationsnoten, vanillig, cremig, verführerisch.

Zotter, Labooko Peru Chuncho 72 %
zotter.at
7,5/10
Sehr interessantes Aroma, irgendwo zwischen Rumtopf, Dörrpflaumen und Leder angesiedelt. Extrem lang anhaltend, mit der Zeit kommen noch Zimt- und Gewürznelken dazu, hochinteressantes Aromaschokolade-Erlebnis.

Zotter, Labooko, Ecuador 60 % (Nacional)
zotter.at
7,5/10
Eine interessante Schoko-Kreation, da hier der ecuadorianische Kakao aus Manabi mit einem relativ hohen Rohrohrzuckeranteil kombiniert wird. Das macht die Schokolade bitter und süß zugleich, das dunkle, gebrannt wirkende Aroma mit zugleich floralen Unternoten kommt auf diese Weise aber stark zum Ausdruck, die rumartigen Noten des Rohrzuckers ergänzen schön.

François Pralus, Equateur Arriba 75 %
chocolats-pralus.com
bei Schokov, schokov.com
7/10
Ebenfalls schöner Bruch, aber lange nicht so ­perfekt wie Domori. ­Zarter, orangig-blumiger Duft, Aroma zart, etwas verhalten, mittellang am Gaumen. Mundgefühl eher cremig.

Blanxart, 100 % Alto Piura Perú (weiße Criollo)
blanxart.com
bei Xocolat, xocolat.at
6,5/10
Die weiße Criollo der katalanischen Chocolatiers duftet nach Rumtopf, lässt sich für eine hundertprozentige Schokolade aber erstaunlich gut essen. Schönes, komplexes Aroma mit zarten Frucht­anklängen, ohne jede Bitterkeit oder Überwindungsschmerz.

La Baleine a Cabosse, Perou 90 % Chuncho
labaleineacabosse.com
bei xocolat.at
6,5/10
Interessante Noten von Trockenkräutern, Buxbaum, Schilf und Leder, in der 90-prozentigen ­Version der französischen Boutique-Chocolaterie ­allerdings etwas sehr karg angelegt.

Original Beans, Esmeraldas 42 % (Arriba)
originalbeans.com
bei Xocolat, xocolat.at
•••••••••• 5/10
Die niederländische Schoko-Marke (die in der Schweiz pro-
duzieren lässt) nimmt die Sache mit der „Bean to bar“-Philosophie sehr ernst, man kann mittels QR-Code sogar den Baum tracken, von dem die Bohnen stammen. Wer’s glaubt … Bei dieser tadellosen Milchschokolade kommt die Sorte Arriba aus dem küstennahen Nebelwald Ecuadors aber nur wenig zum Tragen: cremig, milchig, haselnussig.