Neue Zeiten, neue Weine, neue Winzer

Eine spannende Sache: Immer mehr Winzer-Quereinsteiger tummeln sich im Wiener Weinbau und bringen frischen Wind in die großstädtische Weinwirtschaft. Der wiederum tut diese Blutauffrischung mehr als gut.

Neue Zeiten, neue Weine, neue Winzer

Text von Michael Prónay Fotos: Nikolaus Similache
Irgendwie erinnert die Situation an die Toskana vor 20, 30 Jahren: Da war das Image des Chianti (und dessen Preise) im Keller. Landstriche drohten zu veröden, als es plötzlich unter Branchenfremden Mode wurde, ein Weingut im Chianti zu haben. Die eigene Fattoria löste die bisherigen Statussymbole – das Chalet in Gstaad oder die Yacht vor Monte Carlo – ab, Industrie- und Finanzkapitäne in Verbindung mit erstklassig ausgebildeten Önologen zeigten, welch grandioses Potenzial in der Region steckte. Freilich soll man nicht auf die paar Alteingesessenen vergessen, die, je nachdem etwas schneller (Antinori) oder etwas langsamer (Frescobaldi) reagierten, aber dennoch die gleichen Zukunftsvisionen hatten und ins selbe Qualitätshorn bliesen.
So etwas Ähnliches scheint derzeit in Wien zu passieren. Werbe- und Modemenschen, Gastronomen, Leute aus der Baubranche keltern derzeit mit die interessantesten Weine aus der Bundeshauptstadt. Wir haben fünf davon ein wenig unter die Lupe genommen, dazu noch zwei aus der jüngeren Garde am Südrand von Wien.
Spätestens jetzt müsste die Frage kommen: Und was ist mit Fritz Wieninger, kommt der nicht vor? Natürlich, denn Fritz Wieninger steht als spiritus rector hinter den meisten Projekten. So wie seinerzeit zu Beginn der 1970er-Jahre Antinori mit seinem Tignanello die Toskana praktisch im Alleingang aufmischte, so ist Fritz Wieninger inzwischen längst zu jenem Wirbelwind geworden, der die Segel des Wiener Weinschiffs wieder bauscht. Fritz Wieninger ist so quasi der Katalysator, der den Querein- oder -umstieg möglich macht.
Ziel der Menschen, die sich in Wien im Weinbau neuerdings engagieren, ist in aller Regel der Nussberg. Die Allermeisten kennen ihn nur aus der Ferne, von der Nordbrücke, von der man einen guten Blick auf den dem Kahlen- und Leopoldsberg vorgelagerten Weinbergsrücken hat. Fährt man ihn ab – was im übrigen gar nicht so einfach ist, denn vielfach herrscht Fahrverbot, von dem nur Anrainer und Wirtschaftsfuhren ausgenommen sind –, dann erschließt sich ein höchst komplexer Weinbergkosmos mit teils großzügig angelegten, langen Reihen, teils zerstückelten Kleinstlagen in praktisch jeder Exposition, von Nord über Ost bis Süd und West. Bei allem Faszinosum, das den Nussberg ausmacht, sollte man aber nicht vergessen, dass auch in anderen Lagen der Stadt – auch am Südrand – tolle Weine wachsen.
Wege zum Wein Manfred Felix ist gelernter Bauingenieur und war 33 Jahre in der Bauindustrie tätig. Allerdings ist er weinbaumäßig familiär vorbelastet: Seine Mutter entstammt der bekannten Grinzinger Weindynastie Maly. Seine Kindheit hat er im doppelt unterkellerten großväterlichen Haus in der Sandgasse 33 verbracht. Auf dem Grundstück entstand später der Neubau des Molden-Verlags, heute ist’s ein Botschaftsgebäude. Nach dem Tod des Großvaters mussten die meisten Weingärten verkauft werden – deshalb ging Felix ja ins Baugewerbe –, die wenigen Toplagen am Nussberg aber verblieben in der Familie. 1989 hat er dann den ihm verbliebenen Teil in der Subriede Obere Schoß mit Riesling neu ausgesetzt, 1993 seinen ersten Wein gekeltert. Inzwischen sind’s knappe 1,5 Hektar, ein wenig ist im Golin-Grund und im Rosengartl (dem vielleicht besten, sicher aber wärmsten Teil des Nussbergs direkt oberhalb der Bebauungsgrenze) zugepachtet. Auf die Goldene Kammermedaille ist er seither praktisch abonniert, und besonders stolz ist Manfred Felix auf seine Teilnahme im heurigen Weinsalon. Da prangt denn auch die Salon-Tafel am Gartentor der Neubauvilla in der Rudolf-Kassner-Gasse 3, wo Manfred Felix wohnt und mit seiner charmanten Gattin den Ab-Hof-Verkauf – einfach anläuten! – betreut. Übrigens stehen praktisch alle dortigen Gebäude auf ehemals familieneigenen Weingärtengründen, wie der passionierte Winzer stolz vermerkt.
Da ist Stefan Hajszan ein anderes Kaliber. Vom Hauptberuf ist der junge Mann Gastronom, ihm gehört das Universitätsbräu im Campus im alten AKH, und das serviert an 365 Tagen im Jahr durchschnittlich 1.000 Mahlzeiten pro Tag. Wie kommt man dann zum Weinbau? Hajszan: "Eigentlich ganz einfach. Zwei ältere Damen haben ihren Stammwirten gefragt, ob er ihren 10 ar (100 m2) großen Weingarten betreuen könnte, weil der Heurige, der das bisher gemacht hat, aufhört. Also hab ich spontan einmal ja gesagt. Gleichzeitig hat mein Vater einen Weingarten am Kremser Pfaffenberg bekommen und vom Dinstlgut einen Keller gekauft, den wir hergerichtet und modern bestückt haben." Dann ging’s Schlag auf Schlag. Hajszan vergrößerte sich in Wien, vom Nussberg bis Neustift am Wald, inzwischen sind es 10 Hektar, nächstes Jahr werden es 12 sein; 3,5 davon sind neu ausgesetzt und kommen in den nächsten Jahren in Ertrag. "Der Weingarten ist ein herrlicher Ausgleich – andere Leut‘ gehen Golfspielen, ich geh in den Weingarten Blätter zupfen."
Marina Mostbeck ist Inhaberin einer Modeagentur. Was das ist? "Ich vermittle Mode an Wiederverkäufer, also an den Einzelhandel. Internationale Modehäuser haben mehrere Kollektionen: Haute Couture, Pret-à-porter, Sportswear. Die Modehäuser wollen ihre Kollektionen am Markt richtig positionieren, und genau das tu ich." Wie kommt sie dann zum Wein? "Ich bin im niederösterreichischen Pielachtal in einem Bauernhaus aufgewachsen, hatte eine wunderschöne Kindheit, und also habe ich wieder ein Bauernhaus gesucht. Im Jahr 2002, ich hab‘ damals in Döbling gewohnt, habe ich aus einer Versteigerung meinen ersten Weingarten erworben, 13 Zeilen in der Ried Burgstall, einem der besten Teile des Nussbergs. Die Lage hat mich absolut begeistert, die Vorstellung, direkt an der Großstadt echte Landwirtschaft zu betreiben, hat mich fasziniert. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, ich habe die Weinstöcke gesehen und habe gewusst: Das ist es jetzt."
Michael Edlmoser ist der einzige "echte" Winzer in dieser Runde, in dem Sinne, dass der Weinbau seit Generationen betrieben wird. Die Vorfahren kamen 1374 aus Schwaben über Passau und Wien nach Atzgersdorf. Dort betrieben sie über Jahrhunderte eine gemischte Landwirtschaft mit Weinbau, seit den 1920er-Jahren ist’s reiner Weinbau mit Heurigen. Am jetzigen Standort in Mauer ist die Familie seit über einem halben Jahrhundert ansässig. Sein Werdegang ist eher klassisch für die jüngere Generation im heimischen Weinbau: Der Matura in Klosterneuburg folgen ein Jahr auf der Wirtschaftsuniversität und ein knappes Jahr bei Paul Draper von Ridge Vineyards im Napa Valley. Seit 1998 ist er wieder zu Hause, damals waren’s 6 Hektar, derzeit sind es 10, mit dem Drang nach mehr: "Allerdings gibt’s in Mauer kaum mehr etwas", so Edlmoser, "weshalb ich sehr mit Gumpoldskirchen liebäugle. Von der mütterlichen Seite gibt’s familiäre Bande dort, und auch Weingärten." Er ist der einzige hier vertretene Winzer, der nicht mit dem Nussberg liebäugelt.
Hans Schmid ist absolvierter Diplomkaufmann, Ex-Besitzer einer der größten Werbeagenturen des Landes (GGK), Inhaber des Eishockeyklubs "Vienna Capitals" (die übrigens regierender österreichischer Meister sind) und Herausgeber des Magazins, das Sie gerade in Händen halten. Vor drei Jahren ist Hans Schmid unter die Weinbauern gegangen. Warum tat er sich das an? "Es hat sich so ergeben, dass hier am Nussberg ein kleines Juwel zu haben war, das ,Rote Haus‘. Das war einmal eine Weingartenhütte von Kattus und ist wohl schon vor dem Krieg zu einem hübsch altmodischen kleinen Schrebergartenhäuschen ausgebaut worden. Damit verbunden waren 1,7 Hektar Weingärten rund ums Haus, in der Riede Preußen. Direkt angrenzend waren nochmals 1,3 Hektar dazuzupachten, sodass jetzt 3 Hektar im Ertrag stehen."
Jutta Ambrositsch ist ausgebildete Grafikerin, war sechs Jahre in der Werbung und hat voriges Jahr ihren Beruf an den Nagel gehängt, um sich auf ihren neuen Beruf als Winzerin zu konzentrieren. Begonnen hat es mit zwei kleinen Weingärten am Eisenberg im Südburgenland, die sie gemeinsam mit ihrem Freund (und A la Carte-Autor) Florian Holzer hobbymäßig bewirtschaftet. Im Frühling 2004 war sie zum ersten Mal am Nussberg: "Das war dermaßen schön und großartig, mir ist die Spucke weggeblieben. In der Stadt Wein zu machen, das hat schon seinen Reiz." 2004 gab’s also den ersten Riesling vom Oberen Reisenberg, 650 Liter, in Kooperation mit Peter Friese vom "Schwarzen Kameel", der den Wein vertreibt.
Ein halber Quereinsteiger ist Richard Zahel aus Mauer. "Bis 1986 hab‘ ich geglaubt, dass ich der neue Jochen Rindt bin", blickt er ironisch auf seine automobile Motorsportkarriere zurück, "aber dann musste ich was Ordentliches tun." Der Weinbau war damals Nebenerwerb, von der Mutter her gab es einen Hektar Weingarten, viermal im Jahr wurde ausgesteckt. Das blieb bis 1990 so, aber dann musste die Familie davon leben. Also wurden weitere Flächen gesucht (und gefunden). "1998 haben wir das Stammhaus erweitert und in Mauer Flächen dazugepachtet, aber irgendwann war hier nichts mehr zu bekommen." Die logische Überlegung hieß Gumpoldskirchen. "Aber dann hat mich Franz Maier auf der Weinmesse in Düsseldorf angesprochen: Es gäbe etwas am Nussberg, Weingärten vom Bauunternehmer Richard Kallinger." Den Nussberg kannte er bis dahin überhaupt nicht. "Ich bin mit dem Kallinger’schen Verwalter hingefahren – und bin dem Nussberg sofort verfallen. Das komplette Wiener Weinimage ist dort mit Händen zu greifen: Der Wein, die Stadt, die Donau, alles liegt zum Greifen nah. Ich gestehe: Selbst als Hartgesottenem kommen einem da gewaltig die Emotionen." Und so sind’s heute 15 Hektar, davon knapp 10 in Mauer, 4 am Nussberg und 1 Hektar am Cobenzl.
Wie der Wein wird Begeisterung für den Wein, greifbar tolle Stimmung am Nussberg (aber auch in Mauer, nur kennt das kaum jemand), Aufleben in der Natur – alles wunderbar, aber davon allein wird kein Wein, schon gar nicht ein guter. Eine Entdeckung hat unsere Recherche ergeben: Da gibt es einen Mann, Gottfried Finsterl heißt er, der hat sich mit "Lohnarbeit im Weingarten" selbstständig gemacht. So steht’s auf seinen Lieferwagen und Traktoren, denen man am Nussberg unweigerlich begegnet. Mit diesem Businessmodell, wie das neudeutsch heißt, betreut der leidenschaftliche Traktorfahrer inzwischen über 50 Hektar Weingärten in Wien, zu seinen Kunden zählen nebst Fritz Wieninger auch alle fünf hier vorgestellten Quereinsteiger. Dennoch aber bleibt immer noch genug Handarbeit, ganz zu schweigen von der Kellerwirtschaft. Da naht die Stunde der Wahrheit.
Bei Jutta Ambrositsch zum Beispiel hat man das Gefühl, sie kenne jeden Stock persönlich. Sie weiß auch genau, wieviele Stöcke in welchem ihrer Weingärten stehen. Ihre ersten Schritte hat sie mit Uwe Schiefer gemacht, dort liegt auch die Erstlese vom 2004er Blaufränkisch in einem neuen Halbbarrique. In Wien ist – neben den Hengls, von denen sie den Oberen Reisenberg gepachtet hat – vor allem Fritz Wieninger ihr Ansprechpartner: "Er hat mir gesagt: Wenn Du wissen willst, wie perfekt gepflegte Weingärten aussehen, dann schau Dir die von Herrn Felix an.
Der hat eindeutig die schönsten in Wien." Einer der unglaublichsten Momente im vergangenen Jahr war das Einbringen der Rieslinglese in den Wieninger’schen Keller: "Das geschah in Cateringboxen vom "Schwarzen Kameel", mit Seidenpapier ausgelegt, nur halb gefüllt, wieder Seidenpapier drauf, und das Ganze wurde im Kameel-Kühlwagen nach Stammersdorf geliefert. Beim Ausladen ist dem guten Fritz angesichts des technohygienischen Overkills der Mund offen geblieben. Aber dafür hat er mit Sicherheit die schönsten Trauben Wiens verarbeitet." Der Erstling wurde spontan vergoren, was dazu führte, dass er sich bei knapp 20 Gramm Zuckerrest eingependelt hat (die man übrigens dank rassiger Säure kaum schmeckt).
Fritz Wieninger ist auch Partner von Hans Schmid: "Die Weinbereitung ist ,outgesourced‘, den Weingarten macht Herr Finsterl, den Keller Fritz Wieninger, die Vermarktung der 20.000 Flaschen jährlich, die liegt bei mir."
Auch Manfred Felix hat die Traktorarbeiten (Spritzen, Bodenbearbeitung) ausgelagert, die Weingartenhandarbeit hingegen macht er ganz allein. Vinifiziert wird bei Ferdinand Hengl, "allerdings mache ich alles selber, von der Presse über den Ausbau bis zur Füllung." Im eigenen Haus lagern im gekühlten Keller 5.000 Flaschen, die von Hand – inklusive Lacksiegel auf der Flaschenschulter! – konfektioniert werden.
Stefan Hajszan wiederum hat gleich ein ganzes Netz: "Ich bin mit den Tscheppe-Brüdern eng befreundet, habe mit Fritz Wieninger eine sehr gute Gesprächsbasis, genau wie mit Fred Loimer." Vinifiziert wird im eigenen Keller in Loiben, gefüllt bei Fred Loimer in Langenlois. Der Wiener Wein ist vorderhand erst Schankware, ab Jahrgang 2005 wird es auch Bouteillen geben.
Richard Zahel macht, wie Michael Edlmoser, alles selber, allerdings: "Logistisch ist’s natürlich ein Wahnsinn, Mauer und Nussberg unter einen Hut zu bringen. Mit dem Traktor hin oder her braucht man eine Dreiviertelstunde, das geht grad noch."
Marina Mostbeck nennt 2,5 Hektar ihr eigen, "das ist grad die Grenze zwischen Hobby- und professionellem Weinbau, was bekanntlich nicht ganz einfach, sondern eher eine Gratwanderung ist." Woher sie ihr Wissen hat? Fritz Wieninger, Matthias Hengl, Toni Bodenstein, Emmerich Knoll, Fritz Salomon junior und Josef Kain, nennt sie ihre Kontaktpersonen, "jeder hat sein Know-how, jeder sieht die Dinge ein wenig anders. Das braucht dann Stunden, Tage, Wochen und Monate, aber dann war das eigene Konzept so weit, dass ich weiß, wie man mit der Natur umgehen muss, um guten Wein zu erzielen." Allerdings: "Es gibt kein Konzept auf Dauer, die Natur bleibt spannend. Genaue Vorbestimmung spielt’s nicht." Die Handarbeit im Weingarten erledigt sie selber, "immer mit begeisterten Freunden, die auch ihre Freude daran haben." Für die Kellerwirtschaft ist Josef Kain, der Kellermeister von Irene Langes am Bisamberg, zuständig.
Wiener Visionen Für Jutta Ambrositsch gibt es ein klares Wunschziel, allerdings noch keinen Zeithorizont: "Ich will eine kleine Buschenschank, aber deutlich anders, irgendwie archaisch. Unser Riesling 2004 beispielsweise wäre wegen seiner Restsüße dafür nicht wirklich tauglich gewesen." In Sache Expansion ist sie vorsichtig: "Ich will keine Fremdarbeit zukaufen, weil ich dann meine Stöcke nicht mehr kenne. Also sollte maximal noch ein Hektar dazu. Aber wenn ich einen größeren Weingarten sehe, der mir wirklich gefällt, dann muss ich doch durch", meint sie schmunzelnd. An einen eigenen Keller denkt sie vorderhand nicht: "Für die Fläche lohnt es sich nicht."
Hans Schmid ortet ebenfalls Handlungsbedarf: "Der Wiener Wein hat eine gewaltige Chance. Allerdings ist die Marke Vienna Classic leider tot, denn unter dieser Marke gibt’s auch schlechte Weine. Eine Flasche vom schlechten macht das Image von zehn Flaschen vom guten kaputt. Allerdings soll man sich da nicht auf die Gemeinde oder Vereinigungen verlassen, sondern jeder soll schauen, dass er den besten Wein macht. Ob das ein Quereinsteiger ist oder ein Alteingesessener, ist ganz gleich, wenn der Wein gut ist, dann hat Wien dieselbe Chance wie die Steiermark oder die Wachau. Ich wünsche mir, dass der Wiener Wein in den Wiener Restaurants jene Rolle spielt, die er in der Vergangenheit schon einmal gespielt hat, und das hatte er wegen seiner Qualität getan. Und jetzt gibt es diese Qualitäten endlich wieder."
Auch für Michael Edlmoser führt kein Weg an gehobener Qualität vorbei. "Ich bin ein Gegner der Philosophie: In zwei Wochen muss alles runtergelesen und im Keller sein. Mir liegt die Qualität am Herzen, und das bedeutet im Topsegment auch entsprechende Reife. Ich bin kein Sparringpartner für die steirische Klassik." Wie gut der Edlmoser’sche Wein sein kann, dazu verweisen wir auch das überraschende Ergebnis unserer Riesling-2004-Weinprobe im gleichen Heft.
Für Richard Zahel hat der Wiener Wein eine einmalige Chance: "Wiener Wein soll Spaß vermitteln. Er soll durchaus Verkostungen gewinnen, aber das ist nicht mein oberstes Ziel. Ein unkomplizierter Spaßfaktor, das zieht im Verkauf: Wiener Wein, Wiener Lebensgefühl, das wird akzeptiert und auch so getrunken. Sicher ist ein Wein, der 10 Jahre immer besser wird, etwas Tolles, aber der ist nicht unser Hauptgeschäft." Andererseits: "Terroir wird immer wichtiger, der Nussberg ist eine Sache, Mauer hat ein anderes Terroir, und das gilt’s, herauszuarbeiten." Wie steht’s um den Wiener Wein in der Gastronomie? "Das funktioniert überhaupt erst, seitdem ein Händler – del Fabro – stark auf den Wiener Wein setzt." Wie sieht er die Quereinsteiger? "Das ist natürlich die Schwäche des traditionellen Weinbaus, so etwas zugelassen zu haben. Die Gier hat die Leute getrieben, Wein außerhalb der Stadt günstig einzukaufen. Es ist kein Geheimnis, dass mit der Umwidmung von Weingärten auf Bauland spekuliert wird. Insofern sind natürlich alle Quereinsteigerbemühungen sehr zu begrüßen."
Fürchtet sich der quereinsteigende Großwinzer Stefan Hajszan davor, für den Ertrag seiner 10, 12 Hektar Absatzkanäle zu finden? "Aber überhaupt nicht. Ich sehe nicht das geringste Problem, Möglichkeiten gibt’s mehr als genug", ist er optimistisch. "Worum’s mir in Wahrheit geht: Ich will den Wiener Weinraum mit Emotionen versehen, die weit über die bisherige Heurigenseligkeit hinausgehen." Wo sieht er seine persönliche Expansionsgrenze? "Bei etwa 20 Hektar. Allerdings müsste da die Gemeinde mitspielen, weil dann muss man einen Keller bauen, und das ist in Wien sehr, sehr schwer."
Womit er ein grundsätzliches Strukturproblem ganz deutlich anspricht: "Wien hat links der Donau kaum und rechtsufrig überhaupt keine Neubaukeller, die am letzten Stand der Technik sind. Von der Situation des Burgenlands können wir überhaupt nur träumen. Aber irgendwann muss sich da etwas bewegen, weil Landschaftsgärtner zu sein, genügt nicht, wir wollen ja auch ordentlichen Wein."
Marina Mostbeck schließlich bringt die emotionale Seite des Wiener Weins wunderbar mit einem Satz auf den Punkt: "Der Nussberg ist wie ein Geschenk als Lebensgefühl."