Nicht zu knapp

Wer den Schauspieler und Kabarettisten Andreas Vitásek von Freundschaften, Berufserfolgen oder seiner Liebe reden hört, lauscht zugleich Geschichten vom guten Essen und Trinken.

Nicht zu knapp

Text von Michaela Ernst Fotos: Manfred Klimek
Normalerweise hört man auf, sich die Haare zu waschen und kippt bereits zum Frühstückskaffee rotzig Aphorismen aus der marxistisch-leninistischen Schublade. Oder man heizt bereits beim Weckerläuten die Luft mit hundsordinärem Rap (in den Seventies: Deftiges von Frank Zappa oder Ohrenbetäubendes von Led Zeppelin), um solcher Art Gleichgültigkeit gegenüber der Wohngemeinschaft zu markieren. So sieht Revolution am Elternhaus aus: durch und durch "anti".
Beim Schauspieler und Kabarettisten Andreas Vitásek war interessanterweise mehr "makro" als "anti" im Spiel: "Mein Ablehnungsprogramm bestand darin, dass ich erst Vegetarier, dann Makrobiot wurde". Dieser prominente Stellenwert der Nahrungsaufnahme trug schon damals entlarvende Züge. Nach knapp vier Jahren der Enthaltsamkeit kristallisierte sich nämlich heraus: Bei der penibel gepflegten Vollkornaffinität ging es wenig darum, einen Kontrapunkt zur betont wienerischen Küche der Eltern zu setzen. Auch das zentrale Thema der Makrobiotik, die Gleichgewichtung von Yin und Yang, stand nicht unbedingt im Mittelpunkt. Der zehrende Tick rund um Tofu und Tahin entsprach lediglich einem Abkommen vom eigentlichen Weg. Eine vorübergehende Umleitung, die erst recht wieder in der Persönlichkeit des Künstlers mündete.
Ende der siebziger Jahre fand Vitásek jedenfalls abrupt wieder zu sich selbst. Und zwar wenige Tage nachdem er den Zug von Wien nach Paris bestiegen hatte, um an der Schauspielschule von Jacques Lecoq zu studieren. Ein Fleisch- und Milchproduktverweigerer in Paris? Vitásek verzieht das Gesicht und rückt gleich mit der Wahrheit nach: "Ich habe gemerkt, dass ich körperlich etwas anderes brauche, sonst wäre ich vermutlich irgendwann zusammengebrochen. Mit Salami habe ich wieder angefangen. Danach kam auch schnell wieder alles andere." Erklärend fügt er hinzu: "Ich bin halt Stier im Sternzeichen. Und der ist bekannt für seine Genussfreude."
Dass der Stier das Betreten einer saftigen Weide nicht zwingend von seinen Mitteln abhängig machte, stand bereits in den finanziell mageren Pariser Studienjahren fest. "Dort stand ich jeden Abend vor der Wahl – entweder ins Kino oder in eine Brasserie gehen. Mein Geld reichte nur für eine der beiden Optionen." Trotz ausgeprägter Liebe zur Leinwand soll das Essen keineswegs zu kurz gekommen sein. "Bis heute bin ich Paris-süchtig. Einmal im Jahr Paris – das muss sein!", betont er fast apodiktisch.
Wer Andreas Vitásek von Arbeit, Freundschaft, Erfolgen oder von Liebe reden hört, lauscht zugleich auch Geschichten vom guten Essen und Trinken. Dennoch hält er fest: "Es ist nicht so, dass das Genießen- können für mich eine Bedingung für menschliche Bindungen ist. Aber ich kann leichter mit Leuten warm werden, die sinnlich sind."
Dieser charmante Faden zieht sich konsequent von Vitáseks Anfängen vor knapp 25 Jahren als Kleinkunst-Bühnenliebling der Avantgarde bis in die Gegenwart. Erzählt der Mime etwa von den kürzlich in Spanien abgeschlossenen ORF-Dreharbeiten zu dem Spielfilm "Brüder 3", erfährt man nichts vom Plot (Buch: Uli Brée und Ruppert Henning, Regie: Wolfgang Murnberger), aber dafür, dass "der Erwin Steinhauer, der Wolfgang Böck und ich vermutlich die einzigen drei Menschen sind, die am Jakobsweg zugenommen haben." Denn natürlich habe man sofort die feinen Lokale der Region ausgekundschaftet – "Ich liebe Tintenfisch und dort gibt es fast an jedem Eck eine Pulperia!" – und ausgiebig an wohl temperiertem Rotwein genippt.
Zurück in die Vergangenheit führt ein weiterer Schwank. Vitásek war bereits für seine Produktionen "Fahrt ins Blaue" (1984) mit dem Salzburger Stier und "Andere Umstände" (1986) mit dem Österreichischen Kleinkunstpreis ausgezeichnet worden. Er verfügte damit über einen Batzen Ehre, aber noch nicht "so viel Geld, dass ich jeden Abend essen gehen hätte können". Für den täglichen Besuch in der Bar, in der sein Freund Camillo Schmidt arbeitete, reichte es allemal. "Ich glaube, ich war sein bester Kunde, denn wir saßen oft nur zu zweit im Lokal", schmunzelt Vitásek, "eines Tages schlug er vor: ,Du, ich habe etwas für uns, das Stück ,Der Büchsenöffner‘ von Victor Lanoux. Das müssen wir auf die Bühne bringen!"
Vitásek kannte das Stück. Er hatte es in einer Bespielung von Heinz Marecek und Ludwig Hirsch gesehen und gemocht und sprang begeistert auf den Zug auf. Weil 1988 in seinem Leben noch vieles nach dem Verfahren selbstgestrickt & selbstgebastelt abgespult werden musste, übernahmen er und sein Partner die Gestaltung des Programmheftes. "Wir haben ein Foto von Victor Lanoux gebraucht – nur gab es damals noch kein Internet und wir hatten keinen blassen Schimmer, wie der aussah", bringt er das Ausmaß des Dramas auf den Punkt. Schließlich krallte sich ihre Vorstellung an Camillos einstigen Barkeeper-Kollegen Samir (heute bekannt als DJ Samir) fest. Sie haben ihn einfach fotografiert und das Bild in ihr Heft gestellt.
"Nach zwei, drei Vorstellungen, die ganz gut gelaufen waren, beschlossen Camillo, der schon damals recht viel vom guten Leben wusste, und ich: Okay, wenn wir es im Zuge von fünfzehn Vorstellungen auf tausend Besucher bringen, kaufen wir uns drei Flaschen Château Mouton Rothschild." Die angepeilte Zahl war rasch erreicht – "und so saßen wir mit etwas Leberpastete, unseren Rothschilds und zwei Plastikbechern im Hotelzimmer und feierten unseren Erfolg." Speziell bei Tourneen wurde der späte Imbiss zum Ritual, nur dass die beiden folglich zu etwas preisgünstigeren Flaschen griffen. "Wir haben in dieser Zeit jedenfalls ziemlich zugenommen", erinnert sich Vitásek. "War nicht ganz optimal. Schließlich geht es im Büchsenöffner darum, dass zwei Typen auf humorvolle Weise verhungern."
Wenige Jahre später, als Vitásek schon etwas mehr Divenhaftigkeit für sich beanspruchen konnte, lautete der Duktus ans Management: Vorstellungstermine sind nur in der Nähe von guten bis exzellenten Lokalen zu vereinbaren. Gut (bis exzellent) nennt er heute: den Heurigen "Fischer" in Sooß bei Baden, die "Dankbarkeit" im burgenländischen Podersdorf, das "Le Salzgries" in der Wiener Marc-Aurel-Straße oder, zum fröhlichen Abwinken, die Vinothek und schicke Imbiss-Stube "Unger & Klein" am Rudolfsplatz.
Seit Jahren versorgt der umtriebige Esser, dem das Bürgerlich-Französische näher steht als das Italienische und der das Bierlokal "Schweizerhaus" im Wiener Prater zu den "Oasen dieser Welt" zählt, den A la Carte-Guide mit "VIP-Tipps". Seine Favoriten der jüngeren Zeit: das "Vietnam" in der Wiener Lerchenfelder Straße oder das "Eremitage" in Schwaz in Tirol. Wie er es schafft, mit seinem Faible gut über die Runden und wenig in die Rundungen zu kommen? "Camillo hat mir vor eineinhalb Jahrzehnten das Tennisspielen beigebracht."
Zu seinem Glück gehört wahrscheinlich auch, dass er, laut eigenen Angaben, nicht wirklich toll kochen kann. Er sammelt zwar Küchengeräte ("Ich besitze unzählige Pfannen der besten Hersteller!") und hortet Weine in einem eigenen Keller – aber sich selbst an den Herd stellen, na ja …
"Ich beherrsche ganz gut eine eigene Form der Pasta, eine Mischung aus Bolognese und Arrabbiata oder Puttanesca." Das faschierte Beef, das auch als Basis eines Tata herhalten könnte, wird im letzten Moment beigegeben, "so dass es warm, aber halbroh ist". Dazu kommt frischer Chili. Seine Lebensgefährtin Daria, eine Theaterwissenschafterin, und er essen gerne scharf: "Wir lieben Thai-Küche. Denn nicht nur Paris, auch Thailand muss einmal im Jahr sein." Von dort werden oft Zutaten mitgenommen. Mittlerweile bekomme Daria ("Sie ist die Spezialisten fürs Asiatische!") ihr grünes Curry jedenfalls ziemlich authentisch hin.
Man muss Vitásek nicht nach Prioritäten befragen. Seine Freude an den Handteller großen Austern oder den "Frites Maison", den hausgemachten, fingerdicken Pommes Frites, die Denis König, Maître im "Le Salzgries", zu einem perfekten Tatar serviert, bleibt nicht unbemerkt. Solche Augenblicke vermitteln eine Ahnung, worum es ihm gehen könnte: Um das Bewahren und Kultivieren seiner guten Dinge – egal, ob er sich diese erarbeitet hat oder sie ihm zugeflogen sind.
Sein allzeit abrufbares Paris hat er bei König im "Le Salzgries" gefunden. Die Sonne und die Farben Thailands stehen auf einem Gewürzregal in seiner Küche. Die enge Bindung zu Camillo Schmidt, "der so gut kocht wie kein zweiter in meinem Freundeskreis!", ist bis heute aufrecht. Und selbst das Tennisspielen hat er sich nicht abgewöhnt.
Andreas Vitásek zeigt bis 10. Dezember sein Kabarettspiel "Taxi, Tod und Teufel" in Oberösterreich, Salzburg und Tirol sowie beim "Arosa-Festival" (siehe auch www.hoanzl.at). Das Programm wird außerdem am 31. 12. in einer Nachmittagsvorstellung und einer Abendvorstellung im Wiener Akademietheater gezeigt (www.burgtheater.at). Die zehnteilige Sitcom "Novotny & Maroudi" mit Andreas Vitásek und Michael Niavarani in den Hauptrollen wird vom ORF voraussichtlich ab Jänner 2006, der Film "Brüder 3" im Laufe des Jahres 2006 ausgestrahlt.