No fat!

Erwin Wurm trägt in seinem künstlerischen Schaffen gern dick auf: "fat car, fat house, me fat" lauten Titel seiner Arbeiten – im realen Leben sieht das anders aus. Der Künstler im Gespräch.



No fat!

Der Bildhauer mit den sanften, bissl traurigen Augen, die viel mehr sehen, als den beschauten Menschen, ihren Wohnungen und Restaurants lieb sein kann, ist schön schlank. „War es immer“, sagt er, „trainier auch, und wir leben sehr bewusst. Meine Frau kauft im Bioladen ein, den Fisch am Naschmarkt, kocht Mediterranes, Gemüse, Gemüse, Gemüse, und nur selten Fleisch. Hie und da ein Kalbschnitzel, aber nie fett!“ Ihre Apfeltarte ist unter den Freunden berühmt.

Da Erwin Wurm seit einiger Zeit im Wiener Taborviertel wohnt, hat er die Lokale im Bezirk, in denen er sich wohlfühlt und auch richtig ernähren kann, ausgecheckt. Über Neujahr war der Bildhauer, Plastiker, Filmer und Fotograf mit seinen Söhnen Laurin und Michael in Asien, in Laos, Kambodscha, Thailand, wo er auf einer Insel gezeichnet hat, für eine Ausstellung mit Fotos und Zeichnungen in der Albertina. Schwärmt: „Ich liebe dieses easy going der buddhistischen Kulturen. Die Leute lachen!“ Gegessen hat er dort gottvoll.

Auch deshalb sitzen wir im Mochi am Anfang der Praterstraße, auf diesem kleinen Platz, wo die Bäume so viel Schatten geben, dass man im Sommer keine Sonnenschirme braucht. Im Mochi – das heißt auf hawaiianisch „schmeckt sehr gut“ – kochen und servieren die beiden Do&Co-Abkömmlinge Tobi Müller und Edi Dimant seit kurzem traditionelle japanische Küche mit internationalen Einflüssen, servieren österreichische Weine dazu, aus dem Kremstal, dem Südsteirischen, dem Mittelburgenland. Wurm trinkt zu Mittag die japanische Limonade Calpico, löffelt Mochi Gyoza Soup (Teigtaschen in Hühnerfond, anbei Karotte, Lauch und Röstzwiebel), macht sich danach über „hot vegi rolls“, gebackene Gemüserollen, und „my best friends rolls“ her. Zufrieden, „denn Ernährung hat mit Bewusstsein zu tun und einem reflektierten Dasein, und ein gutes Leben ist die Voraussetzung für ein glückliches Leben“. Man kann nun den griechischen Arzt Hippokrates zitieren: „Deine Nahrung soll deine Medizin sein“, aber ebenso gut den Titel der TV-Sendung „Du bist, was du isst.“ Wurm formuliert brutaler: „Die einen hauen sich Junkfood rein, die anderen nicht“.

Wie der Mensch lebt, darauf fußt sein Werk, auf „der Betrachtung der unterschiedlichen Realitäten in derselben Stadt, im selben Land“.

Beispielgebende banale Alltagswirklichkeiten setzt er in Skulpturen um: Den Zauber des Essiggurkerls, dieses österreichischen Phänomens mit dem knackigen Biss als Krönung beim Verzehr. So vielen unverzichtbar im Leberkäs-Semmerl, Gastrosophen zu Betrachtungen beflügelnd – Erwin Wurm hat es 2008 zu einer Installation inspiriert.

Er goss 36 Gewürzgurken in Acryl, naturalistisch bemalt, jedes anders, rundlich verbogen, sanft gekrümmt. 30 Gewürzgurken und sechs stramme Salatgurken, dunkler und warziger. „Selbstporträt als Essigurkerl“, ausgestellt im Salzburger Museum der Moderne. Assoziationen frei. Wir denken natürlich an die gemüsigen und fruchtigen Tafelbilder von Giuseppe Arcimboldo aus der Spätrenaissance. Bissl Bildung schadet nicht, will man die Ironie und ihre tiefere Bedeutung in Wurms Werk kapieren. Die Bedeutung wird dem 57-jährigen Steirer von den Kunsthistorikern verliehen.

Der „Wahnwitzkünstler“ (Die ZEIT) ist ein international bekannter Star, seit er in den späten Neunzigerjahren die One Minute Sculptures kreierte: In 60 Sekunden aus beliebigen Menschen eine Skulptur schuf, die mit verschiedenen Utensilien fotografisch dokumentiert, wieder ins Alltagsleben entlassen wurden. Der Mann mit dem Spargel in der Nase, die Frau mit den Orangen im Dekolleté, der Pater in seiner Kirche mit (Evas paradiesischem) Apfel im Mund, Wurm selbst mit Bananen unter den Achseln, zwischen den Zähnen und im Schritt. So inspirierend fand die Funkrockband „The Red Hot Chili Peppers“ den Künstler Erwin Wurm, dass sie den One Minute Sculptures 2006 ihr Video „Can’t stop“ gewidmet haben. So beachtenswert fand das französische Traditions-Luxuslabel Hermès seine Arbeit mit Ikonen, Hype und Branding, dass es ihn um eine künstlerische Interpretation der „Monde Hermès“ ersuchte.

Essbares taucht häufig auf in Wurms merkwürdigen, surreal verformten Gebilden: Da wird einer von Melonen überrollt, einem anderem wächst statt eines Kopfs ein mächtiger Kürbis aus dem Hals, Karotten tragen einen Sessel, dick belegte Wurstsemmeln einen Wandtisch. Fettsüchtig ist vieles. Nicht nur die Modelle, die er sämtliche ihrer Kleidungsstücke übereinander anziehen ließ, um sie mit kugelrundem Bauch zu fotografieren und übermannshoch aufzublasen. Auch der Porsche wird durch Plastikwülste zum „Fat Car“ aufgebläht, Häuser werden verfettet, während das Guggenheim Museum zu schmelzen beginnt. Der Maßstab von Statussymbolen wird verändert, nach dem simplen Motto „Bildhauerei ist Zu- und Abnehmen.“

Aufgewachsen ist der Mann mit dem Namen, der in der Schule für reichliches Sekkieren sorgte, in der Steiermark. Mit Endiviensalat, der ganz fein geschnitten, in zumindest einem Liter Wasser geschwommen ist. In Essigwasser, und es war gewöhnlicher Hesperidenessig … Fleischknödel gab’s dazu, die Fülle aus Faschiertem, halb Schwein, halb Rind, mit viel Knoblauch, außenrum Erdäpfelteig. Mutter Johanna hat gekocht, aber das Rezept kam von Großmutter Christl aus dem Niederösterreichischen. Werner Schwab, der tote Dichter der „Präsidentinnen“, der schandmaulig mutige Sprachkünstler, war sein Jugendfreund, und der Vater ein Kriminalbeamter, der Kunst prinzipiell für brotlos hielt. Ihm zum Gehorsam kann der Sohn ein Diplom als Kunsterzieher vorweisen.

Sonntags gab’s im Hause der Familie Wurm im Grazer Stadtteil Andritz, dem man auf einen Meter Breite zusammengequetscht als „Narrow House“ im Klosterneuburger Museum Essl und später auf der venezianischen Kunstbiennale am Canale Grande begegnet ist, Nudel- und Fritattensuppe, Wienerschnitzel oder Hendl oder faschierten Braten mit Erdäpfelpüree. „Backhendl hab ich lange als Bachhendl ausgesprochen, dachte, das kommt von Bach“, legt der Erfolgreiche das Kind Erwin auf den Mochi-Tisch. Erinnert sich an die Apfelstrudel, bei denen der Teig über den ganzen Küchentisch gezogen wurde, ja, und an die bittersüßen Mohnpotitzen! Allein das Wort ist so schön, aber wo kriegt man heut noch Mohnpotitzen wie daheim?

Leichter zu erzeugen ist Polenta, gezuckert und darüber Häferlkaffee: „Malzkaffee Linde, in einem Suppenteller, so dass die Fettaugen darauf geschwommen sind. Das mag ich jetzt noch“, sagt der Künstler, dem selbstverständlich auch ein Schloss gehört. Schwärmen oder schimpfen? Wurm polarisiert natürlich, der Neid ist ein Hund, nicht nur in Österreich. Als er eine Feuilletonausgabe des deutschen Wochenmagazins Die ZEIT mit 44 Vorschlägen bestückte, mehr oder minder provokanten Sprüchen auf Aida-rosabraunen Tafeln, wurden wildempörte Postings in die Tasten geklopft, die FAZ, Mitbewerberin am Zeitungsmarkt, mokierte sich, und feministische Kunstkritikerinnen stiegen auf die Barrikaden. „Humor ist eine Waffe“, weiß Wurm. Ein empfindliches Ding, das leicht nach hinten losgeht.

Abzusehen war das alles nicht während seines Studiums in Graz: „Kunst kam nicht so gut bei den Frauen an. Die wollten was Solides. Zahnarzt! Hat sich später geändert“, grinst er. Hat ihn damals eine wegen eines Zahnarzts verlassen? Doch er erzählt lieber von den Damen, die sagen: „Ich will, dass Du für mich kochst!“ Weshalb er’s Mitte der Neunzigerjahre lernen wollte, auch, weil er immer nur ins Gasthaus ging. Besuchte einen Volkshochschule-Kochkurs in Wien 20. Seither weiß er, „dass in einem Polsterzipf zumindest ein viertel Kilo Butter drin ist“. Worauf sein Interesse am Kochen wieder verkümmerte: „Denn Kochen heißt Einkaufen, Vorbereiten, am Herd auf den Punkt kommen, Abwaschen, Müllheruntertragen.“ Zusatz: „Obwohl es Freunde gibt, die sehr gerne kochen … Ich räum gern auf“, stellt er fest. „Obwohl dann wieder manche finden: ,So steril‘. Sorry, aber ich halte Unordnung nicht aus.“ Wurm, penibel, wie er’s im Narrow House seiner Kindheit liebevoll ironisiert.

Er hat’s aufgebrochen, ausgedehnt, Flügel sind ihm gewachsen, mit seiner zweiten Frau Elise Mougin in Schloss Limberg. Nach dem unendlichen Entsetzen, als beide Eltern innerhalb eines Jahres an Krebs starben, als ihn seine erste Frau mit den beiden Söhnen verließ. Als er ins ins Nichts fiel, aus dem drei Therapeuten nicht heraushelfen konnten. Nur eine Galeristin, die an ihn glaubte, zumindest das Überleben sicherte: „Vor lauter Schreck hab ich drei Jahre lang kein Fleisch gegessen, keinen Wein getrunken.“ Das hat sich eingependelt. Jetzt. Aus dem Jammer erfand Wurm die Minutenskulptur, die ihn international bekannt gemacht hat. Es gibt Elise und Estée, die Tochter, ein Jahr alt: „Das Glück – ich bilde mir ein, das ist lebensverlängernd. Auch ohne strenge Askese. Geh zum Arzt, lass mich checken. Stress, okay, aber einen, der sich positiv auswirkt, den ich zum Arbeiten brauche, dieses Kribbeln…“ Alles gut. Der älteste Sohn Laurin, jetzt 22, studiert Industrial Design in Wien und Michael, 19, Fotografie in Berlin.

Mit Schloss Limberg im Weinviertel, dessen Geschichte bis in 12. Jahrhundert zurückreicht, hat er in alten Mauern Neues geschaffen, gestaltet, hergerichtet. Die Substanz belassen, in Eigenregie behutsam eingefügt, was ein moderner Mensch zum Wohlfühlen braucht. Wie die Erde, die Natur rundherum. Elise kommt schließlich aus einem großen Weingut – 1670 Hektar – im Loiretal, aus dem Château Moncontour in Vouvray. Aus einer großen französischen Familie, – 120 Menschen bei Familientreffen – die ursprünglich Wein in Madagaskar machte. So schön und apart sie ist, so erdig auch: „Als Truthahn Hansi krank wurde, hat sie ihn in einem Karton gesteckt, so dass nur der Kopf und Schwanz rausgeschaut haben und ist mit ihm zum Tierarzt. Er hatte Gicht! Mit Tabletten hat er noch drei Jahre gelebt“, erzählt Wurm die Gschichteln seiner Tiere so sanft wie ein Märchen für Tochter Estée: „Jetzt muss allerdings ein neuer Hansi her. Puppi, seine Frau ist weiß und schön! Aber sie vereinsamt. 12 Hühner legen frische Eier, sie heißen Tante Trude oder Tante Linde. Die Schafe, schwarze Zackelschafe, haben französische Namen, die pflegt meine Frau.“ Heiter: „Cockerspaniel Ali stinkt, die Hühner stinken, aber die Schafe riechen gut, archaisch, denn sie schlafen draußen, kommen nur herein, wenn’s regnet. Aus dem großen Gemüsegarten wird alles gekocht … frisch, frisch frisch. Elise hat auch Artischocken gepflanzt.“

Das schöne neue Ordnungsmärchen seines Lebens lässt Wurm in der Pizzeria Mari fließen, in der Leopoldgasse, wo’s sonnig, weiß, bissl hellholzig, bissl bunt im Fünfzigerjahrelook ist. „Die beste Pizza in ganz Wien!“, findet der Künstler und denkt an Neapels Pizze con birra. Kleine Sünden, denn: „Blöderweise bin ich allergisch auf Gluten!“ Bier trinkt Wurm sonst selten, Wein schon eher, Grüne Veltliner, und den aus Vouvray: „20 gute Weiß- und Rotweine haben sie dort, und den Schaumwein, den sie nicht Champagner nennen dürfen, obwohl er so schmeckt.“

Michel de Montaigne wirft er ins Dessert, den französischen Philosophen, Dichter, Aristokraten und Bürgermeister von Bordeaux: „Von ihm gibt’s so wichtige Sätze über Essen und Lebenshaltung. Bei uns wird versucht, mit Fett alles reicher zu machen, Reis in Butter

angebraten. Mein Vater hatte Verwandte mit einem Bauernhaus in Maria-trost, da gab’s Most und Speck. Gut, aber pures Fett, halleluja! Fleisch, das brauch ich, hat Großmutter Christl gesagt, und die Butter löffelweise essen können. Sie wurde 93!„ Wurm lacht. Über sich selbst und seine Ängste? Oder weil Humor die einzige Waffe ist gegen die Unsicherheiten in der Welt.

No fat!

Der Bildhauer mit den sanften, bissl traurigen Augen, die viel mehr sehen, als den beschauten Menschen, ihren Wohnungen und Restaurants lieb sein kann, ist schön schlank. „War es immer“, sagt er, „trainier auch, und wir leben sehr bewusst. Meine Frau kauft im Bioladen ein, den Fisch am Naschmarkt, kocht Mediterranes, Gemüse, Gemüse, Gemüse, und nur selten Fleisch. Hie und da ein Kalbschnitzel, aber nie fett!“ Ihre Apfeltarte ist unter den Freunden berühmt.

Da Erwin Wurm seit einiger Zeit im Wiener Taborviertel wohnt, hat er die Lokale im Bezirk, in denen er sich wohlfühlt und auch richtig ernähren kann, ausgecheckt. Über Neujahr war der Bildhauer, Plastiker, Filmer und Fotograf mit seinen Söhnen Laurin und Michael in Asien, in Laos, Kambodscha, Thailand, wo er auf einer Insel gezeichnet hat, für eine Ausstellung mit Fotos und Zeichnungen in der Albertina. Schwärmt: „Ich liebe dieses easy going der buddhistischen Kulturen. Die Leute lachen!“ Gegessen hat er dort gottvoll.

Auch deshalb sitzen wir im Mochi am Anfang der Praterstraße, auf diesem kleinen Platz, wo die Bäume so viel Schatten geben, dass man im Sommer keine Sonnenschirme braucht. Im Mochi – das heißt auf hawaiianisch „schmeckt sehr gut“ – kochen und servieren die beiden Do&Co-Abkömmlinge Tobi Müller und Edi Dimant seit kurzem traditionelle japanische Küche mit internationalen Einflüssen, servieren österreichische Weine dazu, aus dem Kremstal, dem Südsteirischen, dem Mittelburgenland. Wurm trinkt zu Mittag die japanische Limonade Calpico, löffelt Mochi Gyoza Soup (Teigtaschen in Hühnerfond, anbei Karotte, Lauch und Röstzwiebel), macht sich danach über „hot vegi rolls“, gebackene Gemüserollen, und „my best friends rolls“ her. Zufrieden, „denn Ernährung hat mit Bewusstsein zu tun und einem reflektierten Dasein, und ein gutes Leben ist die Voraussetzung für ein glückliches Leben“. Man kann nun den griechischen Arzt Hippokrates zitieren: „Deine Nahrung soll deine Medizin sein“, aber ebenso gut den Titel der TV-Sendung „Du bist, was du isst.“ Wurm formuliert brutaler: „Die einen hauen sich Junkfood rein, die anderen nicht“.

Wie der Mensch lebt, darauf fußt sein Werk, auf „der Betrachtung der unterschiedlichen Realitäten in derselben Stadt, im selben Land“.

Beispielgebende banale Alltagswirklichkeiten setzt er in Skulpturen um: Den Zauber des Essiggurkerls, dieses österreichischen Phänomens mit dem knackigen Biss als Krönung beim Verzehr. So vielen unverzichtbar im Leberkäs-Semmerl, Gastrosophen zu Betrachtungen beflügelnd – Erwin Wurm hat es 2008 zu einer Installation inspiriert.

Er goss 36 Gewürzgurken in Acryl, naturalistisch bemalt, jedes anders, rundlich verbogen, sanft gekrümmt. 30 Gewürzgurken und sechs stramme Salatgurken, dunkler und warziger. „Selbstporträt als Essigurkerl“, ausgestellt im Salzburger Museum der Moderne. Assoziationen frei. Wir denken natürlich an die gemüsigen und fruchtigen Tafelbilder von Giuseppe Arcimboldo aus der Spätrenaissance. Bissl Bildung schadet nicht, will man die Ironie und ihre tiefere Bedeutung in Wurms Werk kapieren. Die Bedeutung wird dem 57-jährigen Steirer von den Kunsthistorikern verliehen.

Der „Wahnwitzkünstler“ (Die ZEIT) ist ein international bekannter Star, seit er in den späten Neunzigerjahren die One Minute Sculptures kreierte: In 60 Sekunden aus beliebigen Menschen eine Skulptur schuf, die mit verschiedenen Utensilien fotografisch dokumentiert, wieder ins Alltagsleben entlassen wurden. Der Mann mit dem Spargel in der Nase, die Frau mit den Orangen im Dekolleté, der Pater in seiner Kirche mit (Evas paradiesischem) Apfel im Mund, Wurm selbst mit Bananen unter den Achseln, zwischen den Zähnen und im Schritt. So inspirierend fand die Funkrockband „The Red Hot Chili Peppers“ den Künstler Erwin Wurm, dass sie den One Minute Sculptures 2006 ihr Video „Can’t stop“ gewidmet haben. So beachtenswert fand das französische Traditions-Luxuslabel Hermès seine Arbeit mit Ikonen, Hype und Branding, dass es ihn um eine künstlerische Interpretation der „Monde Hermès“ ersuchte.

Essbares taucht häufig auf in Wurms merkwürdigen, surreal verformten Gebilden: Da wird einer von Melonen überrollt, einem anderem wächst statt eines Kopfs ein mächtiger Kürbis aus dem Hals, Karotten tragen einen Sessel, dick belegte Wurstsemmeln einen Wandtisch. Fettsüchtig ist vieles. Nicht nur die Modelle, die er sämtliche ihrer Kleidungsstücke übereinander anziehen ließ, um sie mit kugelrundem Bauch zu fotografieren und übermannshoch aufzublasen. Auch der Porsche wird durch Plastikwülste zum „Fat Car“ aufgebläht, Häuser werden verfettet, während das Guggenheim Museum zu schmelzen beginnt. Der Maßstab von Statussymbolen wird verändert, nach dem simplen Motto „Bildhauerei ist Zu- und Abnehmen.“

Aufgewachsen ist der Mann mit dem Namen, der in der Schule für reichliches Sekkieren sorgte, in der Steiermark. Mit Endiviensalat, der ganz fein geschnitten, in zumindest einem Liter Wasser geschwommen ist. In Essigwasser, und es war gewöhnlicher Hesperidenessig … Fleischknödel gab’s dazu, die Fülle aus Faschiertem, halb Schwein, halb Rind, mit viel Knoblauch, außenrum Erdäpfelteig. Mutter Johanna hat gekocht, aber das Rezept kam von Großmutter Christl aus dem Niederösterreichischen. Werner Schwab, der tote Dichter der „Präsidentinnen“, der schandmaulig mutige Sprachkünstler, war sein Jugendfreund, und der Vater ein Kriminalbeamter, der Kunst prinzipiell für brotlos hielt. Ihm zum Gehorsam kann der Sohn ein Diplom als Kunsterzieher vorweisen.

Sonntags gab’s im Hause der Familie Wurm im Grazer Stadtteil Andritz, dem man auf einen
Meter Breite zusammengequetscht als „Narrow House“ im Klosterneuburger Museum Essl und später auf der venezianischen Kunstbiennale am Canale Grande begegnet ist, Nudel- und Fritattensuppe, Wienerschnitzel oder Hendl oder faschierten Braten mit Erdäpfelpüree. „Backhendl hab ich lange als Bachhendl ausgesprochen, dachte, das kommt von Bach“, legt der Erfolgreiche das Kind Erwin auf den Mochi-Tisch. Erinnert sich an die Apfelstrudel, bei denen der Teig über den ganzen Küchentisch gezogen wurde, ja, und an die bittersüßen Mohnpotitzen! Allein das Wort ist so schön, aber wo kriegt man heut noch Mohnpotitzen wie daheim?

Leichter zu erzeugen ist Polenta, gezuckert und darüber Häferlkaffee: „Malzkaffee Linde, in einem Suppenteller, so dass die Fettaugen darauf geschwommen sind. Das mag ich jetzt noch“, sagt der Künstler, dem selbstverständlich auch ein Schloss gehört. Schwärmen oder schimpfen? Wurm polarisiert natürlich, der Neid ist ein Hund, nicht nur in Österreich. Als er eine Feuilletonausgabe des deutschen Wochenmagazins Die ZEIT mit 44 Vorschlägen bestückte, mehr oder minder provokanten Sprüchen auf Aida-rosabraunen Tafeln, wurden wildempörte Postings in die Tasten geklopft, die FAZ, Mitbewerberin am Zeitungsmarkt, mokierte sich, und feministische Kunstkritikerinnen stiegen auf die Barrikaden. „Humor ist eine Waffe“, weiß Wurm. Ein empfindliches Ding, das leicht nach hinten losgeht.

Abzusehen war das alles nicht während seines Studiums in Graz: „Kunst kam nicht so gut bei den Frauen an. Die wollten was Solides. Zahnarzt! Hat sich später geändert“, grinst er. Hat ihn damals eine wegen eines Zahnarzts verlassen? Doch er erzählt lieber von den Damen, die sagen: „Ich will, dass Du für mich kochst!“ Weshalb er’s Mitte der Neunzigerjahre lernen wollte, auch, weil er immer nur ins Gasthaus ging. Besuchte einen Volkshochschule-Kochkurs in Wien 20. Seither weiß er, „dass in einem Polsterzipf zumindest ein viertel Kilo Butter drin ist“. Worauf sein Interesse am Kochen wieder verkümmerte: „Denn Kochen heißt Einkaufen, Vorbereiten, am Herd auf den Punkt kommen, Abwaschen, Müllheruntertragen.“ Zusatz: „Obwohl es Freunde gibt, die sehr gerne kochen … Ich räum gern auf“, stellt er fest. „Obwohl dann wieder manche finden: ,So steril‘. Sorry, aber ich halte Unordnung nicht aus.“ Wurm, penibel, wie er’s im Narrow House seiner Kindheit liebevoll ironisiert.

Er hat’s aufgebrochen, ausgedehnt, Flügel sind ihm gewachsen, mit seiner zweiten Frau Elise Mougin in Schloss Limberg. Nach dem unendlichen Entsetzen, als beide Eltern innerhalb eines Jahres an Krebs starben, als ihn seine erste Frau mit den beiden Söhnen verließ. Als er ins Nichts fiel, aus dem drei Therapeuten nicht heraushelfen konnten. Nur eine Galeristin, die an ihn glaubte, zumindest das Überleben sicherte: „Vor lauter Schreck hab ich drei Jahre lang kein Fleisch gegessen, keinen Wein getrunken.“ Das hat sich eingependelt. Jetzt. Aus dem Jammer erfand Wurm die Minutenskulptur, die ihn international bekannt gemacht hat. Es gibt Elise und Estée, die Tochter, ein Jahr alt: „Das Glück – ich bilde mir ein, das ist lebensverlängernd. Auch ohne strenge Askese. Geh zum Arzt, lass mich checken. Stress, okay, aber einen, der sich positiv auswirkt, den ich zum Arbeiten brauche, dieses Kribbeln…“ Alles gut. Der älteste Sohn Laurin, jetzt 22, studiert Industrial Design in Wien und Michael, 19, Fotografie in Berlin.

Mit Schloss Limberg im Weinviertel, dessen Geschichte bis in 12. Jahrhundert zurückreicht, hat er in alten Mauern Neues geschaffen, gestaltet, hergerichtet. Die Substanz belassen, in Eigenregie behutsam eingefügt, was ein moderner Mensch zum Wohlfühlen braucht. Wie die Erde, die Natur rundherum. Elise kommt schließlich aus einem großen Weingut – 1670 Hektar – im Loiretal, aus dem Château Moncontour in Vouvray. Aus einer großen französischen Familie, – 120 Menschen bei Familientreffen – die ursprünglich Wein in Madagaskar machte. So schön und apart sie ist, so erdig auch: „Als Truthahn Hansi krank wurde, hat sie ihn in einem Karton gesteckt, so dass nur der Kopf und Schwanz rausgeschaut haben und ist mit ihm zum Tierarzt. Er hatte Gicht! Mit Tabletten hat er noch drei Jahre gelebt“, erzählt Wurm die Gschichteln seiner Tiere so sanft wie ein Märchen für Tochter Estée: „Jetzt muss allerdings ein neuer Hansi her. Puppi, seine Frau ist weiß und schön! Aber sie vereinsamt. 12 Hühner legen frische Eier, sie heißen Tante Trude oder Tante Linde. Die Schafe, schwarze Zackelschafe, haben französische Namen, die pflegt meine Frau.“ Heiter: „Cockerspaniel Ali stinkt, die Hühner stinken, aber die Schafe riechen gut, archaisch, denn sie schlafen draußen, kommen nur herein, wenn’s regnet. Aus dem großen Gemüsegarten wird alles gekocht … frisch, frisch frisch. Elise hat auch Artischocken gepflanzt.“

Das schöne neue Ordnungsmärchen seines Lebens lässt Wurm in der Pizzeria Mari fließen, in der Leopoldgasse, wo’s sonnig, weiß, bissl hellholzig, bissl bunt im Fünfzigerjahrelook ist. „Die beste Pizza in ganz Wien!“, findet der Künstler und denkt an Neapels Pizze con birra. Kleine Sünden, denn: „Blöderweise bin ich allergisch auf Gluten!“ Bier trinkt Wurm sonst selten, Wein schon eher, Grüne Veltliner, und den aus Vouvray: „20 gute Weiß- und Rotweine haben sie dort, und den Schaumwein, den sie nicht Champagner nennen dürfen, obwohl er so schmeckt.“

Michel de Montaigne wirft er ins Dessert, den französischen Philosophen, Dichter, Aristokraten und Bürgermeister von Bordeaux: „Von ihm gibt’s so wichtige Sätze über Essen und Lebenshaltung. Bei uns wird versucht, mit Fett alles reicher zu machen, Reis in Butter angebraten. Mein Vater hatte Verwandte mit einem Bauernhaus in Mariatrost, da gab’s Most und Speck. Gut, aber pures Fett, halleluja! Fleisch, das brauch ich, hat Großmutter Christl gesagt, und die Butter löffelweise essen können. Sie wurde 93!„ Wurm lacht. Über sich selbst und seine Ängste? Oder weil Humor die einzige Waffe ist gegen die Unsicherheiten in der Welt.