Noch ein Bier für Adele!
Der Fall: Wien-Josefstadt und Umgebung. Die Motive: Essen, Trinken und Marschieren. Ein Ausflug mit Adele Neuhauser zwischen Tatort-Krimi und 4 Frauen und ein Todesfall.
Noch ein Bier für Adele!
Text: Ro Raftl / Fotos: Peter M. Mayr
Fast wie Ferien. Bibi Fellners Jägermeister-Flaschl ruht bis zum nächsten Tatort in der geräumigen Handtasche. Sonderermittler Moritz Eisners abgewrackte Assistentin kämpft weder mit sich selbst noch ums Weiterkommen noch mit den Abgründen dieser Welt. Kurz: Die Folge Falsch verpackt ist abgedreht. Bibi-Darstellerin Adele Neuhauser kann sich ungebrochen zurücklehnen, den Bierkrug aus purer Lust stemmen, die sommerleichten Weißen in den zarten Gläsern aus purer Freude abschmecken. In Zeiten wie diesen geht sich abends sogar ein Achtel vom schweren griechischen Rotwein aus.
Neuhauser ist beliebt, bekannt und auch finanziell abgesichert, seit sie in Film und Fernsehen agiert. Ihrer Bühnenlust tut sie mit dem öligen Karl-Heinz Grasser Dauerlächeln und Haare-aus-dem-Gesicht-Gewedel in Unschuldsvermutung im Rabenhof Theater Genüge. Die großen, zehrend dramatischen Theaterrollen wie die Medea, den Mephisto oder die Erna in Werner Schwabs Die Präsidentinnen in Erlangen und Regensburg aber hat sie vorläufig auf Eis gelegt. Fast wie ein Schulausflug also dieser Termin, wenn auch ohne Schnitzelsemmel im Rucksack. Dafür mit einem Aufweck-Espresso in Neuhausers vor nicht so langem adaptierter Altbauwohnung in einem Biedermeierhaus in der Josefstadt. Zeit, um die schönen einprägsamen Bilder ihres Halbbruder Peter Marquant zu betrachten, der als Maler auf Mallorca lebt, denn grad ruft Sohn Julian die Mutter aus Weimar an. Der 24-Jährige ist aus Graz dorthin übersiedelt, um seinen Bachelor in Jazzgitarre zu machen.
Noch ein bissl mehr Zeit, um die witzigen Fotos an der Küchenpinnwand anzuschauen: Da steht Adele beinahe profimäßig am Herd, serviert auch in einem Gasthausgarten. Die Fotos sind aus Regensburg, wo sie sieben Jahre am Stadttheater (nicht unpikant als Frau) den Mephisto gespielt hat, von den Besitzern des Hotel Orphée bemuttert wurde und ihnen deshalb gerne an (theaterfreien) Stresstagen aushalf. Mit mehrdeutigen Faust-Zitaten gewürzt, wenn sich wer wunderte, sein Neumarkter Lammsbräu von Mephisto aufgetischt zu bekommen. Neuhauser lacht und rattert runter: „Biere aus ökologischem Landbau: ein obergäriges Schwarzes, das legendäre Lammsgold mit 13,5 % Stammwürze und 5,6 % Alkoholgehalt, auch ein Dinkelbier, seeehr spritzig, hat aber auch 5,2 % Volumsprozent Alkohol.“
Die drahtig Schlanke mit den langen Locken und der charakteristischen Nase kennt sich aus. Bier ist ihr Leibgetränk. Beruhigt die Nerven und schont den Magen. Weshalb der zweite Ausflugshalt in Stefan Kreidls Genuss-Greißlerei Verde 1080 in der Josefstädter Straße stattfindet, wo es, abgesehen von französischem Käse, sensationelle Pestos, Chilis und 130 verschiedene Biere zu kaufen gibt. Das belgische Lupulus mit dem Weißer-Wolf-Etikett (weiße Wölfe sind die ganz raren) ist 8,2 % Alkohol schwer und wird in praktischer Weinflaschengröße verkauft. Zur Sicherheit nehmen wir auch ein paar Paradeiser mit, die Kreidl von einer Steirerin bezieht, die ihren Job aufgegeben hat, um nur noch Tomaten zu züchten … Es ist noch zu früh am Tag, um Verdes „gutes Essen“ (Neuhauser) reinzuschaufeln, außerdem scheint die Sonne, also auf zur Station Nummer drei, dem Café de Provence in der Maria-Treu-Gasse, auf eine hauchdünne Dinkel-Crêpe mit Spiegelei, naturtrüben Apfelsaft und den zweiten Kaffee.
Ihr Josefstädter Grätzl hat die wienerisch-griechische Genmischung, die fast die halbe Lebenszeit in Deutschland verbrachte, vollkommen und endgültig mit Wien ausgesöhnt. In der Lange Gasse hat Neuhauser nach ihrer Stimmbandoperation, seit der sie weicher, weiblicher und ein bissl höher spricht, sogar eine Ayurveda-, genau eine Panchakarma-Kur, gemacht: „Zum ersten Mal total auf mich selbst, meine Befindlichkeit konzentriert. Entgiftet mit Ghee und Rizinusöl, täglich meine kleinen Portionen frisches Gemüse eingekauft und gekocht. Fenchel und Zucchini und Pinienkerne. Als Basis Reis. Ohne zu lesen, fernzusehen oder zu rauchen! Damals hatte ich so eine Sehnsucht nach Reinheit.“ Ja, es geht ihr gut in der Josefstadt. Die Wohnung hat sie neu eingerichtet. Aus dem Ehehaushalt nur einen alten Glasschrank mitgenommen, in dem ihre Großmutter Kasperlpuppen aufbewahrt hatte.
Adele glaubt, immer mehr sich selbst zu leben. „Das Innere und das Äußere decken sich jetzt. Und ich tu mir mehr Gutes als früher.“ Deshalb geht sie ruhig auch ab und zu „fremd“. Ins Grätzl um den Karmelitermarkt: Ins Skopik & Lohn oder in die Schöne Perle, wegen des Endiviensalats mit heißen Erdäpfeln, Käferbohnen und Kernöl und des böhmischen Kozel-Biers. Oder in den vierten Bezirk zu Peter Neurath ins Tancredi, wo sie sich in die Fischsuppe verknallt hat, ins Saiblingstatar und in das Hüftsteak mit gebratenen Kirschtomaten und Zucchini in Basilikumöl. Das Leben ist so kurz.
Und ihre ersten und zweiten Erinnerungen an die Stadt klingen eher ein bissl trübe: Die vom überintelligenten Scheidungskind zum Beispiel, das beim Vater zurückblieb, aber nervös die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium verhaute, folglich eine Hauptschule im zehnten Wiener Gemeindebezirk besuchen musste. In Schottenrock und Burberry, einem Outfit, das dort eher ungewöhnlich war. Adele mit dem seltenen Urgroßmutternamen hat Favoriten nicht nur deswegen als „grob, rau, unfreundlich“ im Gedächtnis, es gab schon damals Randale vernachlässigter Jugendlicher. Obwohl das Haus der sozialistischen Wohnbaugesellschaft Familia (sozialistisch musste sein, da achtete die sozialdemokratisch geprägte Großmutter drauf) schlichtweg in der Pampa stand: „grün, Wiesen, Felder, vom Verteilerkreis keine Spur.“ Ihr Meerschwein begrub Adele unter einem Baum, heute läuft die Tangente darüber.
Die große Traurigkeit, die das Mädel zwischen zehn und zwanzig zu ein paar ungeschickten und glücklicherweise misslungenen Selbstmordversuchen trieb, analysiert die 52-jährige Schauspielerin längst als pubertätsbedingte Hormonschwankungen. Wenn sie cool drauf ist. An gefühligeren Tagen erinnert sie sich, wie sie Athen vermisst hat, von wo sie als Vierjährige nach Wien übersiedelt wurde. An überwältigende Schuldgefühle, die viele Kinder erdrücken, wenn sich ihre Eltern trennen. „Obwohl mich beide geliebt haben. Ach, mein Vater mit seiner südländischen Wärme! Mit ihm habe ich nach dem Auszug meines Bruders eigentlich fast wie eine Ehefrau gelebt.“ Die erste Speise, die Adele selbst gekocht hat, waren Spaghetti Bolognese – aber mit griechischem Akzent: alle bekannten Zutaten, doch außerdem eine ganze Zimtstange und ein Schuss Rotwein.
Natürlich vom Vater gelernt, wie ihr Lieblingsrezept, das Geschichtete Fleisch. Wie das geht? Eine Lage in Scheiben geschnittene Kartoffeln, eine Lage Sauerrahm, eine Lage Speck, eine Lage Fleisch. Das wiederholen, bis das Gefäß, am besten ein Tontopf, voll ist. Zum Abschluss Sauerrahm und Brösel. Die Lagen leicht salzen und mit edelsüßem Paprika bestreuen. Dann abgedeckt in den Backofen, bei circa 170 Grad eineinhalb Stunden garen. „Ein ziemlich fettes, aber köstliches Gericht“, sagt sie. „Das Fleisch sollte Schweinsschnitzel sein, nicht zu dick geschnitten.“ Der Vater ist jetzt 88, total fit, neugierig, lebensfroh, tanzt Sirtaki, plant Reisen nach Patagonien (mit ihr), und die Freunde wissen, dass sie sich sehr viele Adele-Geschichten anhören müssen. Ein Gutteil davon spielt in Polling, einem bayerischen Dorf, geadelt durch den Aufenthalt von Thomas Mann, wo sie mit dem Ehegatten und dem Sohn die alte aufgelassene Bahnhofsrestauration bewohnte. Die Nachbarn fragten immer „Wann sperrt ihr wieder auf?“
Sie hatte genug damit zu tun, für Freunde zu kochen: für Julians Schulkameraden und die lufthungrigen Kollegen bei deren Ausflügen aufs Land. Damals kochte Adele meist ungarisch. Nockerln musste es fast täglich geben im Liebeshoch mit dem Ungarn-stämmigen Schauspieler Zoltan Paul. Mit ihm hatte sie in Wien auf der Schauspielschule Krauss studiert, er hatte ihr immer gefallen, bis beide nach Münster engagiert wurden, wo „wir so viel miteinander spielten, dass eine Intimität erreicht wurde, die es im wirklichen Leben noch gar nicht gab“.
25 Jahre Ehe gab es schließlich, nicht immer einfache, da die Mimin zur Arbeit fortfahren musste aus dem Dorf, nach den Proben nicht heimgehen konnte zur Familie, ständig in irgendwelchen Gästezimmern hauste: „Die Wochenenden waren dann oft schwierig. Geld war auch wenig da.“ Eine Ehe, natürlich für die Ewigkeit gedacht. Nachträglich findet sie es „toll, dass wir sie 25 Jahre gelebt haben. Denn das Immer und Ewig ist eine Illusion“. Zoltan Paul bleibt „ein Lebensmann.“ So gut ist ihr Kontakt nach der Trennung, dass sie das wunderbare, richtige Nockerl-Sieb, das sie in der Wollzeile gefunden hat, gleich zwei Mal kaufte. Eines wird sie Zoltan nach Berlin mitbringen, wo er jetzt als Drehbuchautor lebt. Das erzählt Neuhauser schon am Donau-Uferweg in Klosterneuburg, der vierten Ausflugsstation, des Essl-Museums und ihrer Vorliebe für rasend schnelle Fußmärsche wegen. Das strenge Marschiertempo hat sie sich als Mädel im großelterlichen Haus im Waldviertel angewöhnt, wo sich Opa Leopold Schmid als Sgraffito-Künstler verwirklicht hat, die Großmutter Tapisserien webte, mit umgreifender Liebe die Familie dirigierte und das Kochhandwerk mit solchem Furor betrieb, „dass die Küche wie ein Schlachtfeld aussah und sie selbst von oben bis unten in Mehl paniert war …“
Aber diese Rindsuppen, diese Grießnockerln, die behutsam vom großen Suppenlöffel ins kochende Salzwasser glitten. Und als höchste Weihe die Schneenockerln in kochende Milch!“ Adele hat sie später in Polling für Julian zubereitet. Öfter aber Hollerkiacherln. Der Holler wuchs dort rundherum … Erinnerungen vollmundig, bei der krönenden Ausflugsjause mit panierten Hendlhaxen, würzig marinierten Salaten, Ribiselschaumkuchen und fruchtigem Veltliner im Weidlingtal beim Heurigen Nierscher. Wo auch die Hollerstauden stehen, zahme Esel ihr Heu kauen, Gänse, Enten und Hühner, gut eingezäunt, ihre Körner picken. Lebhaftes Denken an die Pollinger Enten und Hendln, an den wunderschön buntgeschwänzten kleinen Hahn und an den großen, der Adele als Chefin akzeptierte, aber Babybub Julian attackierte – und da sie immer gehört hatte, dass Hähne nach den Augen hacken, „bestand ich darauf, dass er stirbt“. Die traurige Wahrheit, dass Erpel mehrere Frauen brauchen, ging ihr erst auf, als sich zwei männliche Enten eines Huhns bemächtigten und es zu Tode vögelten. „Trügerisch, die ländlichen Idyllen“, sagt Neuhauser, und verweigert ein weiteres Achtel, da sie noch für die Neugierbebende Landspürnase Julie Zirbner Text lernen will.
Zu Drehbeginn der vierten Staffel der typenstarken ORF-Serie 4 Frauen und ein Todesfall soll der Text so gut sitzen, dass er völlig natürlich kommt. Ein strenger Adelen-Marsch wird sich bis dahin aber noch ausgehen, wahrscheinlich zur Mirli ins Irenental. Trügerisch ja, doch geliebt auch dieses Idyll mit rustikalem Essen und Ausblick zum Träumen: „Du schaust auf die weiten weichen Hügel in der Ferne. Am Nachmittag um drei ist das Licht so angenehm.“
Noch ein Bier für Adele
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