Ohne Federlesen

Russischer Borschtsch

Broiler, gegrilltes Huhn, der kulinarische Hit der einstigen DDR, war „Vorstadtweib“ Adina Vetters Kinderlieblingsspeise. Blieb es bis heute. Wiedergefunden hat sie’s im Wienerwald: In der Waldschenke Staar, wo sich die Hühner im Akkord über dem offenen Feuer drehen.

Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak

Wir fressen uns durch die Gegend“. Wie bitte? Sie sind so schlank, Adina Vetter und ihr Liebster Lucas Gregorowicz – you know: die zuckersüße Intrigantin Sabine Herold und der ausgekochte Fiesling Berti aus den Vorstadtweibern –, dass man sie höchstens mit Smoothies & Salat assoziiert. Doch nein. „Gegenden erkundet man am besten über Restaurants“, erzählt Adina noch verklärt vom letzten Urlaub: Mit dem Schiff von Genua nach Sardinien, weiter mit dem Motorrad und dem Bus die Westküste runter bis in den Süden. Mitten in ein Eselrennen sind sie geraten, haben einen der berühmten Taschenfeitel von Piero Fogarizzu für Lucas gekauft und gerochen-geschmeckt-geknabbert-geschleckt: das hauchdünn knusprige Brot „carta di musica“, die aromatischen Schaf- und Ziegenkäse, das im Erdofen gegarte Fleisch „a carragiu“, den kostbaren Meeräschenrogen Bottarga, die luftigen Teigtaschen, das Olivenöl, den dunkelgoldig würzigen Honig, die herbduftenden Kräuter.

Einfach. Naturnah. Archaisch. Romantisch. Die Lust, zu genießen. Seit Vetter nach Wien ans Burgtheater kam, 2006 in Jon Fosses Schlaf debütierte: „Wien hat mich kulinarisch erweckt.“ Das sagt sie öfter. Hihi, und es war ausgerechnet ein Schweizer Kollege, der ihr erklärte, nach anstrengenden Proben müsse man gut essen, und ihr die witzigsten Wiener Lokale gezeigt hat: das Oswald  &  Kalb, das Café Engländer, das Schnattl, das Flein – und natürlich das Stomach, das durch Claus Peymann und George Tabori geheiligt auch das Lieblingsgasthaus von Luc Bondy geworden ist. Allein der zwei Katzen wegen, die immer auf dem Kachelofen ruhen. Luc, ja Luc, so traurig, dass er viel zu früh gegangen ist, ein Kraftwerk, ein Poet, an allem Weltenlauf unendlich interessiert. Adina war die Cordelia in seinem King Lear, und ja, auch bei seiner Beerdigung in Paris.

„Sie haben dich rund um die Uhr in Besitz genommen, diese alten Regisseure, während einer gemeinsamen Arbeit: Was liest du, was denkst du, was machst du, gehst du essen? Wohin? Gehen wir essen! Man hat sich total aufeinander eingelassen. Essen war dabei ganz wichtig.“ Peter Zadek, bei dem sie am Berliner Ensemble in Peer Gynt die Sennerin gab, „hatte den eigenen Koch dabei, der für die Schauspieler kochte. Alle mussten immer da sein, und während des Essens wurde über das Stück geredet, wobei neue Ideen entstanden, die in die nächste Probe eingeflossen sind.“

Vor der Landung in Wien hatte die Berlinerin den Alptraum, „dass ich mich verlaufe“. Das viele Grün hat sie beruhigt: „Ich fuhr mit dem Bus und meinem Hund auf die Höhenstraße, lief im Wienerwald rum. Bog zufällig ab, und fand die Waldschenke Staar. Ha! Das urig gemütliche Landhaus, die Kapelle dahinter mit den lauten Glocken, die Frau mit dem Marmeladen- und Nussschnapsstandl am Weg, die Hühner am Grill mit der scharf gewürzten knusprigen Haut, die Haxeln zum Nagen!“ Sie hat allen Freunden davon erzählt. Keiner kannte das Lokal. Sie begeistert es.

Fast bissl mehr noch der Kleinsasserhof am Millstättersee. Halt ziemlich weit: vier Stunden. „Aber so ein irrer Ort! Mit so viel Liebe eingerichtet, man fühlt sich gleich so gut aufgehoben. Und sie kochen auch so toll!“ Ein Platz zum Ausruhen. Denn. Adina ist nicht dicker geworden in Wien, eher dünner, und die Berliner wunderten sich, wie das geht in der Mehlspeisenstadt. Naja. Das Burgtheater zehrte. Und die Dreharbeiten zu David Schalkos Fernsehköstlichkeit Braunschlag im Waldviertel, in der sie als cool emanzipierte deutsche Magd Silke den Vatikankommissar Banyardi alias Manuel Rubey zur irdischen Liebe verrückt.

Seither kann sie Schweine schlachten. Gelernt beim Geitzenauer am Litschauer Stadtplatz – ja, diesem Wunderfleischhauer, von dem der Domschitz im Vestibül und die Engländers den „unglaublichen Leberkäs“ beziehen. Ein Schlachter von psychiatrischer (oder hinterfotziger?) Raffinesse: der die Schweine erst auf seinem Hof an sich gewöhnt, sodass sie nicht quieken, wenn er den Bolzenschuss setzt. Pffft! Beim Schuss musste Adina wegschauen, doch dass Franz Geitzenauer das Spanferkel aufschlitzt und ausnimmt, ohne dass Blut fließt, fand sie faszinierend (auch, dass er hinsichtlich seiner Berufsehre grummelte, als der Kameramann unbedingt Blut sehen wollte). Die Schlitzkunst beherrscht sie jetzt, auch das Blutwurststopfen. Darüber hinaus den Trick, wie man ein Huhn zwei Stunden nahezu unbewegt auf dem Arm tragen kann: „Ein Vogelbetörer – wahrscheinlich war’s ein Tiertrainer – hat mir verraten, dass ein kleiner Stupser auf den Schnabel genügt, falls die Henne zu plustern beginnt. Dann hält sie wieder still.“ Die Lehrmeister waren zufrieden: „Falls es mal nicht so läuft mit der Schauspielerei …“, trug ihr der Geitzenauer an. Sie lacht, nicht ungeschmeichelt: „Schlachten ist ein total sinnlicher Vorgang, ich war vollgepumpt mit Adrenalin. Doch. Was mich stören würde, wär der intensive Blutgeruch. Der haftet zumindest eine Woche in der Nase, und wer weiß, auch auf der Haut …“ Langsam verständlich, warum Adina nicht zugenommen hat. Dann. Kam Tochter Greta zur Welt. Ihr Daddy ist Wolfgang König, der Produktionsleiter bei Superfilm. Für Greta hat Mami immer frisch gekocht. Kein einziges Mal ein Fertignahrungsgläschen hingestellt. Friede, Freude, Eierkuchen.

Bis es zum Brautraub kam. Und jetzt bewegen wir uns im Theatermilieu. Also denken Sie bitte kurz an die alten Griechen, an Paris, der, von Aphrodite verzaubert, Helena geraubt und damit den Trojanischen Krieg angezettelt hat. Im Burg-Kasino, in Matthias Hartmanns Literatur-Collage Das trojanische Pferd füllten Lucas Gregorowicz und Adina Vetter ihre Rollen mit solcher Spiellust, dass sie sich seit jenem Mai vor vier Jahren nicht mehr voneinander wegdenken wollen. Liebe. Durch dick & dünn. Hochzeitsreise nach New York. Sie kochen gemeinsam. Oder jeder für den anderen. ER liebt IHREN russischen Borschtsch.

Und. Gab keinen Krieg in aufgeklärten Zeiten, sondern ein Patchwork. Schön und gut für Greta. Sie wird sechs und in Berlin zur Schule gehen. Adina und Lucas übersiedeln im Juni. Ihre Engagements am Burgtheater sind in der neuen Ära ausgelaufen; ob sie in der dritten Staffel Vorstadtweiber dabei sind, ungewiss. Doch. Gregorowicz, der in London geboren und in Polen aufgewachsen ist, kann man grad im Kino in Schrotten sehen, einem Film über vazierende Schrotthändler-Clans und über die Liebe und das Glück. Vetter, die sich zuletzt noch im Burg-Kasino als Fräulein Andacht in Erich Kästners dramatisiertem Kinderroman Pünktchen und Anton hochkomisch mies benehmen durfte, hat im April einen Bremer Tatort gedreht, Echolot, in dem sie bei einem spektakulären Autounfall ums Leben kommt. Gesendet wird er am 30. Oktober – „Lustig zu filmen“, findet sie. Die Leute, die einen auf der Straße ansprechen, sind völlig anders als die aus dem exklusiven Theaterkreis.“ Wenn auch eine Rolle wie Sabine Herold „manchmal bissl nervenaufreibend zu spielen ist, dieser durchtriebene Ehrgeiz, Männer und Helga und wieder Männer, von denen sie was will und was braucht. Sie macht sich damit so klein und eng. Ach, Sabine ist nur daneben! Begeht den gleichen Fehler immer wieder. Sieht nicht, dass die Platte einen Sprung hat, und dass sie die zweite Seite auflegen könnte. Aber das ist vermutlich die schwierigste Aufgabe im Leben.“

Also heim. Zu Broiler, zu Ketwurst, dem DDR-Hotdog, einer Brühwurst mit Ketchup im Brötchen, zu Leckermäulchen, dieser Topfenspeise mit dem blonden Zopfmädel vorne drauf, und Nudossi, dem, wie manche finden „viel nussigeren“ Nutella des Ostens. Die sexy anmutsvolle Dunkelblonde mit dem skeptisch kritisch und dann wieder hingebend strahlenden Blick ist am Alex in Berlin Mitte groß geworden. Also 9 Jahre in der DDR. Adina ist 36.

Köstlich immer marktfrisch“, trompetete die Werbung dort ab den späten Sechzigerjahren – als die gegrillten Hühner in drei Broiler Bars mit Servierpersonal in kariertem Kattun zum kulinarischen Hit avancierten. Adinas absolute Lieblingsspeise bis heute. Die Mama war keine so begnadete Köchin, Architektin, engagiert, also lässt sich die Tochter nur im Mund zergehen, dass die Mutter an der Brand(t)stiftung von Willy Brandt baut. Hühnchen aber gab es auch am ersten Tag im schottischen Internat Gordonstoun, nachdem Adinas Vater, Bühnen- und Kostümbildner i. R., gefunden hatte, „es sei eine gute Idee, ein DDR-Kind einmal weiter weg zu schicken“. Auch Prinz Charles war dort (vorher) und viele kleine freche Prinzen. „Volle Kanne Disziplin, viel, viel Sport, ein durchstrukturierter Tagesplan, Schuluniform: blaue Hosenröcke, graue Wollstutzen, dunkelblaue Hemden Shetlandpullover und Dufflecoats.“ Klar, dass die schüchterne aufgeregte Elf­jährige, alleine weit weg von Zuhause, erstmal rundum linste („schweißtreibend!“), ob Hühnerbeine im feinen Institut auch mit den Fingern gegessen würden. „Natürlich nicht. Mit Messer und Gabel! Wie schade … denn grad das Nagen macht das Hendlessen ja so sinnlich.“

Zumindest ebenso heftig vermisste sie die superknackigen Ossi-Cornflakes von Vitus Wurzen. Statt dessen gab’s zum Frühstück eine Scheibe Toast und eine Art gepresstes Haferbrickett, das in der Milch weich und pappig aufquillt, bissl Geschmack nur durch Zucker bekommt. Immerhin. Am Abend Kakao und ein Keks. Und an den Wochenenden Teenageressen: Burger, Pizza, Fast Food. Doch im Prinzip gesunde Ernährung. Einfach. Adina war an Hausmannskost gewöhnt.

Oma Ruth, die Akkordeons am Fließband zusammensetzte, hat viel gekocht. Rinderrouladen, zum Geburtstag im Februar Eistorte und ihre begnadete Eierschecke. Oma Gisela hatte einen Garten in Lüptitz, in dem sie Spargel zog und Salat, in dem sogar Weinstöcke und ein eigenes Areal für die Weihnachtsbäume vorgesehen waren. Dort hat die siebenjährige Adina Brennesselsuppe und Brennessel­salat gekostet und „sehr gut“ gefunden, obwohl es ihr erst undenkbar schien, das nackte Beine verätzende Kraut hinunterzuschlucken. Gemüse, Kartoffeln, alles, was Oma Gisela kochte, war frisch geerntet. Und es war gut. „Liegt ja wieder ganz im Trend rund um Berlin: rauszuziehen, ein Schwein und ein paar Hühner zu halten und den eigenen Garten zu bepflanzen. Ja, bin selber wieder am Weg dorthin. Zu lernen, immer weniger zu brauchen. Je weniger du brauchst, auch von Menschen, desto freier fühlst du dich.“

Eigentlich ist Borschtsch ein ukrainischer Eintopf. Ähnliche Rote-Rüben-Suppen gibt es auch in Polen, Litauen, Rumänien oder Moldawien. Doch meist wird Borschtsch mit der russischen Küche in Verbindung gebracht und ist auch als die russische rote Suppe bekannt. Kein Wunder  – Borschtsch gehört in Russland seit Jahrhunderten zu den beliebtesten Gerichten.

Zutaten (für 4–6 Personen)
2 l Rindsuppe (oder Wasser)
200 g Rindfleisch
2 Lorbeerblätter
1 Zwiebel
200 g Weißkohl
150 g Erdäpfel
200 g Rote Rüben
100 g Karotte
1 EL Tomatenmark
100 g Schmalz, Speck oder Butter
1 EL Zucker
1 EL Essig (3 %)
100 g Sauerrahm
Petersilie und/oder Lauch, Salz, Pfeffer
Zubereitung
Rindsuppe (kann auch am Vortag zubereitet werden): Fleisch mit kaltem Wasser bedeckt kurz aufkochen lassen. Wasser abgießen, Schaumreste aus dem Topf entfernen. Das Fleisch erneut mit heißem Wasser aufsetzen, aufkochen lassen, eine ganze Zwiebel und Lorbeerblätter hinzufügen und bei niedriger Hitze ca. 2 Stunden kochen.
Ausgekochte Zwiebel und Lorbeerblätter aus der Suppe entfernen. Fleisch herausnehmen und klein schneiden.
Kartoffel in dickere Streifen schneiden, Weißkohl raspeln. Beides in die kochende Suppe geben und 15 Minuten kochen.
Rote Rüben und Karotten in feine Streifen schneiden oder reiben.
Schmalz, Speck oder Butter in einer Pfanne erhitzen und Rote Rüben darin 10–15 Minuten bei schwacher Hitze andünsten.
Tomatenmark, Zucker und Essig hinzufügen und kurz weiterdünsten. Wenn die Masse zu trocken wird, etwas Suppe (oder Wasser) angießen.
Karotten zugeben. Bei geschlossenem Deckel weitere 10 Minuten dünsten.
Gedünstetes Gemüse in den Topf geben.
Fleisch hinzufügen und weitere 5 Minuten
kochen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Serviert wird Borschtsch mit fein gehackter
Petersilie oder Lauch und Sauerrahm (1–2 EL pro Portion). Dazu passt Schwarzbrot.