Osutoria Shoyu

Sojasauce ist kein Exot mehr, sie hat die kulinarische Mitte der Gesellschaft erreicht. Und nicht nur das: Sie wird mittlerweile sogar in Österreich hergestellt, von vier Betrieben mit vier sehr unterschiedlichen Konzepten.

Text von Florian Holzer/Foto Reisetbauer/Trettl

Österreich sei, was Akzeptanz und Verbrauch von Sojasauce angeht, gar nicht einmal so schlecht aufgestellt, sagt Gigi Schoeller, die seit vielen Jahren die Kommunikations-Agenden des japanischen Marktführers Kikkoman betreut. „Die Österreicher sind da durchaus mutiger als andere europäische Länder“, und auch wenn die breite Masse jetzt nach wie vor nicht so auf die dunkle, salzige, fermentierte Sauce reflektieren mag, „in der österreichischen Foodie-Welt ist die Sojasauce absolut etabliert“.

Das heißt, der Boden für die etwas experimentelleren Produkte ist nicht nur bereitet, sondern auch fruchtbar, denn seit fünf Jahren werden auch in Österreich selbst Shoju-artige Würzsaucen gebraut. Vier Betriebe sind es mittlerweile schon, die jüngste und zugleich „prominenteste“ Austro-Sojasauce – eine Kooperation von Hans Reisetbauer und Roland Trettl – kam erst diesen Frühling auf den Markt. Und auch wenn die vier Brauereien sehr viel gemeinsam haben, wie zum Beispiel die Handwerklichkeit, das Qualitätsbewusstsein und das biologisch angebaute Ausgangsmaterial, so unterscheiden sie sich sowohl geschmacklich und optisch als auch hinsichtlich ihrer Grundkonzepte. Und das macht die Sache spannend.

Als höchstwahrscheinlich Erster in Österreich begann Peter Troißinger im Jahr 2014 mit diesbezüglichen Experimenten. Der Juniorchef des Hotels und Restaurants Malerwinkl im südoststeirischen Hatzendorf kochte nicht nur im Steirereck und bei den Obauers, sondern auch ein Jahr in Shanghai, und da bekommt man zum Thema Sojasauce natürlich gleich einen etwas intensiveren Bezug. Zurück in Österreich, war es dann aber die sogenannte Wolfsbohne alias Süßlupine, die ihn faszinierte, denn „die hat als Leguminose wahnsinnig gute Eigenschaften für den Boden und wird bei uns seit jeher als Teil der Gründüngung angebaut“. Ihre Eigenschaften seien mit jenen der Sojabohne durchaus vergleichbar, zumindest was den Proteingehalt anbelangt, und Troißinger hatte eine Sauce vor Augen, die „als Bindeglied zwischen den fantastischen Ölen und Essigen, die hier in der Südoststeiermarkt hergestellt werden“, fungieren könne.

Begonnen habe er in seiner Küche in Rex-Gläsern, der Umgang mit dem für Fermentation und Aromabildung entscheidenden Koji-Pilz, einem in unseren Breitengraden als Gießkannenpilz bezeichneten Schimmel, sei anfangs etwas verstörend gewesen. Mit zunehmender Routine wurde das Projekt aber immer größer, 2016 gingen die ersten Chargen in den Verkauf. Troißinger gründete inzwischen mit den Brüdern Christoph und Thomas Winkler-Hermaden – Molekularbiologe der eine, Winzer der ­andere – eine gemeinsame Firma, bei Erscheinen dieses Hefts werden sie höchstwahrscheinlich auch schon eine erste „wirkliche“ Sojasauce auf den Markt gebracht haben, eine Barrique-gereifte Süßlupinensauce steht ebenfalls am Start, und mit anderen asiatisch inspirierten Saucen wie einer Salzorangenpaste oder einer Chilisauce mit Dörrzwetschken und Balsam­essig ist demnächst ebenfalls zu rechnen.

Karl ­Severin Traugott mit ­einem Genusskoarl-Mitarbeiter

Chronologisch gesehen, war Österreichs nächster Shoyu-Brauer Karl Severin Traugott, der 2015 gerade mit seinem Lebensmittel-Technologie-Studium an der Wiener Universität für Bodenkultur fertig wurde und an der Süßlupine eine Art „akademisches Interesse“ hatte, wie er sagt: Der geringe Fettanteil der Hülsenfrucht bei gleichzeitig hohem Protein­gehalt und vor allem die für den Geschmack verantwortlichen Aminosäuren faszinierten ihn, und weil es bei seiner Diplomarbeit um Hafer ging, stand die Getreidesorte für seine Gewürzsauce auch schon fest. Die ersten Ansätze funktionierten, und er gründete in der Wolkersdorfer Gewerbezone das Unternehmen Genusskoarl.

Produziert wird hier mittlerweile seit 2017, 14.000 Liter waren es im vergangenen Jahr, seine Abnahmemenge an heimisch verfügbarer Bio-Süßlupine bewege sich im prozentuell zweistelligen Bereich, sagt Traugott. Mindestens sechs Monate reift seine Wiener Würze, eine seit November 2019 fermentierende Vintage-Version sei aber in Vorbereitung. Der Süßlupine wird Traugott vorerst jedenfalls treu bleiben, Variationen gibt es bei Genusskoarl eher in Richtung diverser Würzungen, also etwa mit Chili oder als Tiroler Würze in einer geräucherten Version.

Das Team hinter Luvi Fermente: Lebensmitteltechnologe Viktor Gruber, Spitzenkoch Lukas Nagl und Christine Brameshuber

Luvi Fermente sind in der Gourmetszene mittlerweile gut ­bekannt, nicht zuletzt, weil Bootshaus-Küchenchef Lukas Nagl einer der drei Teilhaber an dem Unternehmen ist. Mit Fermentation hatte sich Nagl ja immer schon beschäftigt, seien es seine legendären Fischsaucen aus Wildfang-Winzlingen aus dem Traunsee, die man sonst nur schwer verwerten kann, seien es seine milchsauer vergorenen Dirndl-„Oliven“, sei es seine „Sojasauce“ aus Totentrompeten.

Eines Tages kam dann jedenfalls der Lebensmitteltechnologe Viktor Gruber auf ihn zu, um ihm seine bisherigen Experi­mente mit japanischen Mikroorganismen und Starterkulturen zu zeigen, die schon recht eindrucksvoll waren. Vor zwei Jahren gründeten die beiden dann mit Christine Brameshuber Luvi Fermente mit der Zielsetzung „asiatische Fermentationstechnik, in Kombination mit heimischen Produkten“, also Waldviertler Mohn, heimische Bio-Sojabohnen, Einkorn-Getreide, Käse oder Kürbiskern-Presskuchen, die dann zu Miso oder Shoyu fermentiert werden. Begonnen wurde klein und ohne Kredit, Gewinne werden ins Unternehmen gesteckt, Nachhaltigkeit also auch bei langsamem Wachstum, das mittlerweile aber immerhin auch schon einen Output von 360 Litern pro Monat erreicht. „Wir versuchen, ehrlich gesagt, Werbung eher zu vermeiden, weil wir sonst viel zu schnell ausverkauft sind“, meint Viktor Gruber. An neuen Produkten werde natürlich permanent geforscht, so kam es dann auch zur Kürbiskern-Shoyu, „auf die wir besonders stolz sind“: Presskuchen aus Bio-Kürbiskernen sei nämlich ein absolut hochwertiges Ausgangsmaterial, so Gruber, mit sechzig Prozent liege der Proteingehalt über jenem von Soja, er werde aber als Tierfutter oder Dünger verwendet. Klassischer Fall von Resteaufwertung.

Hans Reisetbauer (li.), Roland Trettl

Und schließlich die fraglos glamouröseste Shoyu Europas, die Bio-Sojasauce von Hans Reisetbauer und Roland Trettl. Die Story dieses Produkts begann voriges Jahr, als Roland Trettl – der am weitesten gereiste Koch der Welt, bekannt aus Film, Funk, Fernsehen, Social Media und vom Hangar-7 – zu Hans Reisetbauer kam, um zu fragen, ob er nicht für ein befreundetes Sojasaucen-Projekt einen Lauch als Zutat räuchern könnte. Reisetbauer meinte, ja klar, das könne er schon machen, allerdings nur, wenn das ein „gutes Produkt ohne irgendwelche E-Nummern und so“ sei. Was es bei näherer Recherche natürlich nicht war und weshalb Hans Reisetbauer Roland Trettl also vorschlug, „dann die Sache doch überhaupt gleich selbst zu machen, und zwar ordentlich“.

Und „ordentlich“, das sieht nach Reisetbauers Dafürhalten folgendermaßen aus: gebrauchte 500-Liter-Fässer von Albert Gesellmanns Blaufränkisch hochberc, ein Gärständer von Pichon-Lalande, eine eigene Presse und Koji-Pilze eines kleinen japanischen Herstellers, von dem ein Kilo 66.000 Yen kostete, „700 Euro pro Kilo, ärger als Trüffel! Also 80.000 Euro insgesamt, 40.000 pro Nase, „mochst mit?“, Trettl machte mit …

Neun Monate werde gereift, statt Salz wird Sole direkt aus Bad Ischl genommen, die Sojabohnen baut Reisetbauer selbst an, und zwar gleich die besten Sojabohnen, die es 2019 in ­Österreich gab, eh klar. Um noch ein bisschen mehr Farbe und Body in die Sauce zu bekommen, ließ man sich beim ober­österreichischen Malz-Kompetenzzentrum Plohberger Roggen ­mälzen. Trotzdem wurde nicht jede Charge was, gesteht Hans Reisetbauer. Jene, die es in die 30.000 Flaschen schafften, die Reisetbauer und Trettl in weniger als zwei Monaten verkauften, überraschen aber mit weiniger Feingliedrigkeit und komplexer Finesse. Bei Redaktionsschluss war die Sauce jedenfalls ausverkauft. „Ich hab eh schon einen zweiten Gärständer und eine neue Presse bestellt, aber das Gären braucht einfach seine Zeit, Sojasauce geht nicht schnell“, klagt Hans. Die Presse kommt übrigens aus der Champagne, der zweite Gärständer von Margaux.

Ist österreichische Sojasauce nun besser als japanische? Nein, natürlich nicht. Aber sie ist individuell und wird handwerklich her­gestellt von Leuten, die man problemlos kennenlernen kann. Sie besteht großteils aus heimischen Produkten und stellt eine ex­treme Aufwertung heimischen Sojas dar, von dem es mit 200.000 Tonnen pro Jahr (mehr als Roggen und Raps) gar nicht so wenig gibt. Sie ist teilweise originell und erreichte innerhalb kürzester Zeit ein Qualitätsniveau, das vielleicht sogar Japanern Respekt abringt. Vielleicht.

Lupine, Soja, Kürbiskern & Co
Shoyu alias Sojasauce wird traditionell hergestellt, indem gemahlene gedünstete und geröstete Sojabohnen mit Weizenschrot vermischt und Koji-Pilz infiziert werden. Diese bröselige Masse kommt dann mit Wasser und Salz in Holzfässer oder Tanks, um dort zu vergären. Auch ein gewisser Anteil an Weißwein ist Teil der traditionellen Sojasauce, für genau diesen Zweck wird in Japan seit Jahrhunderten Weinbau betrieben. Nach ­einer entsprechenden Fermentations- und Reifezeit wird die Maische gepresst, filtriert, pasteurisiert und abgefüllt. Sojasauce gilt als eines jener Lebensmittel mit dem höchsten Gehalt an natürlichen Glutaminen.

Hans Reisetbauer & Roland Trettl, Bio-Soja-Sauce
200 ml, 16,90 €
Zum Kirchdorfergut 1, 4062 Thenig, T 07221/636 90
www.reisetbauer.at
9/10
Wenn man die Story dieser Shoyu kennt, ist man ein wenig überrascht, wie zart, feingliedrig und subtil die Sauce ist. Farblich an Karamell erinnernd, in der Nase röstig, malzig, nussig und durchaus mit einer gewissen Barrique-Note ausgestattet, sehr komplex bei gleichzeitig leichtem Körper, fast fruchtig, Salzigkeit subtil statt aggressiv.

Luvi Fermente,
Bio Helle Sojasauce
100 ml, 7,90 €
Gallbergerstr. 28, 4860 Lenzing, T 0680/130 97 31
www.­luvifermente.eu
8,5/10
Eine Austro-Sojasauce, von der man sagen kann, dass sie eine wirklich typische Shoyu ist: dunkelbraun, nussig malzig in der Nase mit leichten Dörrzwetschkenaromen, am Gaumen dann das volle ­Aromenspektrum, komplex, dicht, pures Umami.

Luvi Fermente, Bio Dunkle Sojasauce, limited Edition
100 ml, 7,90 €,
Gallbergerstr. 28, 4860 Lenzing, T 0680/130 97 31­
www.luvifermente.eu
8,5/10
Eine Ebenholz-dunkle Sojasauce, die rein optisch ein ­wenig an Hustensaft und mit ihrem malzigen Duft auch ein wenig an Medizin erinnert. Ganz viel Röstaroma, Kaffee, Karamell, dunkel geröstete Sellerie. Ein Stellwagen voll Aroma, Österreichs Antwort auf Vegemite.

Luvi Fermente,
Kürbiskern Shoyu
100 ml, 7,90 €
Gallbergerstraße 28, 4860 Lenzing T 0680/130 97 31­
­www.luvifermente.eu
7,5/10
Eine haselnussbraune Sauce mit röstigen, eindeutig an Kürbiskerne erinnernder Aromatik. Salzig, komplex und intensiv, etwas rustikal, aber mit schöner röstiger Nuss im Abgang, interessanter Hybrid.

Genusskoarl,
Wiener Würze
100 ml, 3,90 €
Marie-Curie-Straße 8, 2120 Wolkersdorf T 02245/283 00
www.genusskoarl.at
7/10
Diese Lupinensauce tritt schon etwas dunkler auf, in der Nase dominieren Malz- und Trockenfrucht-Aromen, Johannisbrot („Bockshörndl“) kommt ­einem in den Sinn. Sehr „würzig“, weniger Salz, lange an­haltend und durchaus ­komplex, „Edel-Maggi“.

Malerwinkl, Basis-Würzsauce aus Süßlupinen
200 ml, 9,90 €
Hatzendorf 152, 8361 Fehring, T 03155/22 53
www.malerwinkl.com
6/10
Eine bernsteinfarbene, ­etwas trübe Sauce, die in der Nase feine Röst- und Fermentationsnoten, insgesamt also jede Menge Umami erkennen lässt. Am Gaumen sehr salzig, angenehme helle Röst­aromen, einwandfrei.