Parmigiana statt Paragrafen

Beinahe wäre Antonia Klugmann Juristin geworden. Zum Glück kam es anders, und sie führt heute ihr eigenes Sternerestaurant im Friaul, wo sie unter anderem am perfekten Brotrezept feilt.

Text von Eva Biringer/Foto Mattia Mionetto Photography
(c)Mattia Mionetto Photography

Und wieder meldet sich das Brot. „Entschuldigen Sie bitte, Gespräche zu unterbrechen ist sonst nicht meine Art“, sagt Antonia Klugmann und verschwindet kurz in die Küche. Zeit, sich kurz umzusehen. Holzjalousien sperren die norditalienische Augusthitze aus. Ein Teil des Raums gehört zum Restaurant, braune Ledersessel, bis zum Boden reichende weiße Tischdecken. Der hintere ähnelt einer Bibliothek, mit Stapeln an Büchern übers Fermentieren und botanischen Zeichnungen, einem puderrosa Samtsofa und Hocker mit Storchenmuster. Alles wirkt feminin und sehr stilsicher. Dann kommt Klugmann zurück, seufzend. „Ich musste den Laib noch einmal in den Ofen schieben. Perfekt wird er wohl trotzdem nicht werden, es ist einfach zu heiß heute.“

Frauen, die es in der kulinarischen Welt zu etwas bringen, wird gerne Perfektionismus unterstellt, Männern übrigens auch. Zu steinig ist der Weg bis an die Spitze und mit vielen Entbehrungen verbunden. Man muss es wirklich wollen. So wie Antonia Klugmann, Jahrgang 1979, die kurz vor dem Ende ihres Jurastudiums ­bemerkte, dass sie lieber Parmigiana schichtete als Paragrafen zu wälzen. Geboren wurde sie in eine Triester Akademikerfamilie. Der Vater, ein Kardiologe, arbeitete viel, ebenso die in der Forschung tätige Mutter. Viele Nachmittage lang waren die beiden Töchter allein zu Hause. „Damals habe ich das Kochen für mich entdeckt“, erinnert sich die kaum 1,60 Meter große Frau mit den espressobraunen Augen. Ihre Naturhaarfarbe ist dunkelblond, die Spitzen blondiert. Unter der Kochjacke schauen weiße Stan-Smith-Sneaker mit grünen Schnürsenkeln hervor. „Wissen Sie, ich war ein seltsames Mädchen.“ Fürs Kino habe sie sich interessiert und für die Fotografie. „Eigentlich wäre ich genauso gerne Fotografin geworden.“

Dass es doch nicht so gekommen ist, liegt wohl auch an den verschiedenen kulinarischen Einflüssen ihrer beeindruckend kosmopolitischen Familie: österreichische Zwetschkenknödel, jiddische Eintöpfe, Lasagne. Trotzdem, sagt sie, löse die Erinnerung an das Essen ihrer Kindheit keine Melancholie aus. „Das Ragout meiner Großmutter war verbesserungswürdig.“ Mit 22 dann also vom Hörsaal an den Herd. Wie reagierten die Eltern auf den plötzlichen Sinneswandel? „Sie haben den Beruf des Kochs nicht verstanden. Wir waren niemals in schicken Restaurants, für meine Eltern existierte diese Welt nicht.“ Umso stärker forcierte die Tochter ihren Weg. Vier Jahre lang kochte sie im Baldovino unter Raffaello Mazzolini. Bereits 2006 erfüllte sie sich mit dem Antico Foleador Conte Lovaria in Pavia di Udine den Traum vom eigenen Restaurant und wurde im selben Jahr von Gambero Rosso zur Newcomerin des Jahres ernannt. Als der Pachtvertrag auslief, kaufte sie ein Stück Land in Dolegna del Collio, nur eine Spaghettilänge entfernt von der slowenischen Grenze. Um den Bau des dazugehörigen Restaurants zu finanzieren, wechselte sie 2011 ins trubelige Il Ridotto, ein Jahr später in den Fine-Dining-Tempel Venissa, wo sie ihren ersten Stern erkochte. 2014 war es dann endlich so weit: Das L’argine a Vencò öffnete seine Türen.

2015 kam der erste Stern. Er adelte eine Küche, die sich auf moderne Art italienischen Traditionen annähert. Eines ihrer Signature Dishes ist Blaubarsch mit Anchovis. An diesem Abend wird es Spaghetti mit Erdbeeren geben, die irritierend nach reifen Tomaten schmecken, außerdem Seebrasse mit Estragonemulsion, Aubergine mit geräucherter Ricotta, Basilikum und Blaubeerreduktion und Kartoffel-Artischocken-Ravioli mit Rogen vom Seehasen. Inspirieren lässt sich Klugmann gerne vom Wochenmarkt im 125 Kilometer entfernten Ljubljana. Ihren Gemüselieferanten kennt die 42-Jährige seit zehn Jahren. Kräuter sammeln die Köche selbst, und vieles kommt aus dem eigenen Garten. Letzten Sommer habe sie gar nicht mehr gewusst, wohin mit all den Pflaumen.

2005 machte sie ein schwerer Autounfall ein Jahr lang arbeitsunfähig. Damals begann sie zu gärtnern, eine Leidenschaft, die ihr als positive Narbe geblieben ist. Momentan kümmert sich einer ihrer Spüler um die Anbaufläche neben dem langgezogenen Flachbau, der das Restaurant beherbergt. Letzterer ist Klugmanns ganzer Stolz. „Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Nerven mich die Baumaßnahmen gekostet haben. Das waren die schlimmsten vier Jahre meines Lebens.

Es hat sich gelohnt. Mitten in der weinseligen Hügellandschaft des Collio, in direkter Nachbarschaft zu einer vierhundert Jahre alten Steinmühle, liegt das ebenerdige Gebäude träge wie ein Dösender in der Mittagshitze. Im hinteren Teil befinden sich drei stilvoll eingerichtete Gästezimmer. Das Restaurant selbst ist nach vorne hin komplett verglast, die Küche durch ein großes Fenster einsichtig.

Sommelier und Maître ist Klugmanns ehemaliger Lebenspartner Romano de Feo. Anders, als es das Internet behauptet, waren die beiden nie Geschäftspartner. Nach achtzehn Jahren Beziehung haben sich die beiden 2018 getrennt, mehr will die Spitzenköchin dazu nicht sagen: „Ich spreche nicht über mein Privatleben.“ Nur, um kurz darauf von ihrem fünfzehn Autominuten entfernten Haus am Fluss zu erzählen, das sie sich mit ihren vier Katzen teilt.

Wie so viele hat sie den während der Corona-Krise verordneten Lockdown allein zu Hause verbracht. Die Frage, was für sie in einer solchen Situation Comfort Food bedeutet, bringt sie kurz aus dem Konzept. „Am meisten gegessen habe ich Fleischbällchen mit Reis und Tomatensauce. Auch sonst bin ich ein Fan einfacher Gerichte wie gegrillter Aubergine oder weißem Spargel, Brot und Butter. Ehrlich gesagt bin ich aber immer auf Diät.“ Es sind diese kurzen Momente, in denen hinter der zugewandten,
herzlichen Frau etwas Gebrochenes, Wehmütiges durchscheint. So wie am Ende des Gesprächs, als wir sie um ein Foto ­bitten und sie murmelt, sie würde das hassen. Ganz anders, als ihr ­Instagram-Profil vermuten lässt, auf dem sie regelmäßig selbstironische Tik-Tok-Videos postet, in denen sie gemeinsam mit ihrer Küchencrew schrittsichere Choreografien tanzt oder einen Flashmob durchs Maisfeld startet.

Woran liegt das? Daran, dass die Konkurrenz in ihrem Heimatland so groß ist? 370 Michelin-Sternerestaurants gibt es in Italien, davon 324 Einsterner. Immerhin sprechen sowohl die zahlreichen Auszeichnungen – gleich zwei Mal wählte Identità Golose die Triesterin zur besten Köchin des Jahres – als auch ihr Auftritt bei der italienischen Version von Master Chef und ein durchweg ausgebuchtes Haus für ihren Erfolg. Oder liegt es an ihrem Geschlecht? Bei dieser Vermutung schüttelt Klugmann entschieden den Kopf. „In einer Profiküche zählt nur Leistung. Ich habe nie Nachteile erfahren, weil ich eine Frau bin.“ Problematischer empfindet sie die allgemeine Situation in Italien. Mehr noch als anderswo müssten Frauen sich zwischen Kind und Karriere entscheiden, und zwar nicht nur in der Küche, sondern in allen Berufen. Sie hat das getan. „Dass ich niemals Zeit für mich selbst habe, bringt mein Beruf mit sich.“ Dass ihr vierköpfiges Kochteam ein rein männliches ist – und auffallend jung, nämlich zwischen 20 und 26 – hingegen liege schlicht daran, dass sie keine Bewerbungen von Frauen bekomme.

Wieder ist ein Piepsen zu hören. Sofort erhebt sich Klugmann, eine Entschuldigung murmelnd, und eilt in Richtung Küche.

Zur Überbrückung der Wartezeit schenkt ihre Schwester Vittoria, die als Geschäftspartnerin für die PR verantwortlich ist, Antonias Lieblings-Pet-Nat von I Clivi aus, dessen Weinberge man vom Restaurant aus sehen kann. Als die Chefin zurückkommt, hält sie zwei duftende Scheiben Ciabatta in der Hand. „Ich verwende eine Mischung aus Mais, Grieß- und Manitoba-Mehl. Dieses Brot erinnert mich an meinen apulischen Großvater Antonio, einen begnadeten Koch. Brotbacken ist Liebe.“ Perfekt sei es allerdings nicht geworden. Würde sie sich selbst als Perfektionistin bezeichnen? Klugmann winkt ab. „In der Küche schon. Als ich in der Master-Chef-Jury war, habe ich mein Restaurant drei Monate zugesperrt und meine Angestellten zu Praktika unter anderen zu Norbert Niederkofler und Niko Romito geschickt. Ich lasse nicht andere für mich kochen.“ Dann entschuldigt sie sich ein letztes Mal, sie muss jetzt ­kochen. Neben das ofenwarme Brot stellt sie eine Flasche Olivenöl vom Gardasee. Beides ist köstlich.

L’Argine a Vencò
Località Vencò
34070 Dolegna del Collio/Görz
Tel.: 0350/521 28 04
www.largineavenco.it