Rex it

Die Schöpfung und das Schöpferische sind Freiheit – und die füllen sie in Gläser: fünf eigenwillige Einkocher, die nichts aufhält, weder Studium noch Küchenchef-Position.

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Text von Claudia Schemerl-Streben Fotos: Philipp Horak
Den picksüßen, maschinell hergestellten Einheitsbrei, der sich Marmelade nennt, haben viele Konsumenten satt. Ein Grund, warum qualitätsorientierte Einrexer im Vormarsch sind und Österreichs Ruf als Feinkostladen heldenhaft verteidigen. Die Prinzipien sind schnell definiert: Nur hochwertige Rohstoffe, ohne Konservierungs-, Aroma- und Zusatzstoffe, werden von ihnen in Gläser abgefüllt. Das Privileg dieser Produzenten: die Naturverbundenheit durch elterliche Landwirtschaften oder Großmütter und Mütter als Mentoren ihrer Passion. Was sie herstellen, weicht völlig von konventioneller Industrieware ab. Sie gehen eben einen anderen Weg. Und der hat seinen Preis – auch wenn sich die Farbe von Früchten manchmal verabschiedet.
Zitronensäure, ein altbewährtes Mittel, um sie stabil zu halten, wird maximal zum Kesselputzen eingesetzt. Wer ein schönes Erdbeerrot will, greift besser zur Massenware. Der Egotrip der kompromisslosen Individualisten ist unverkennbar. Denn nur das, was man gern macht, macht man gut.
WALTER TRAUSNER
Alles war improvisiert. Aber Ideen entstehen im Kopf und nicht in der Edelstahlküche. Eine kleine schäbige Schireparaturwerkstatt in Mauterndorf musste reichen: 50 Quadratmeter Fläche, davon 15 für die Küche, ein gebrauchter Ofen mit drei Herdplatten – von denen nur zwei funktionstüchtig waren –, ein Kochtopf und ein Löffel. Walter Trausner hatte seinen neuen Betrieb gegründet. Einen 1-Mann-Betrieb. Nachdem er nach acht Jahren Schnapsbrennerei scheiterte, wollte er es noch einmal wissen. Mutig experimentierte er unter einfachsten Bedingungen und sein Traum von einer Marmeladenmanufaktur ging auf.
Produziert wurde so lange, bis die Hälfte eines vier Meter hohen Bücherregals mit Gläsern gefüllt war. "In jede Ebene sind 100 Glaseln reingegangen, eingekocht hab ich sechs bis sieben Sorten. Am Abend bin ich mit meiner Frau vorm Regal gestanden und hab mich gefreut, wenn wir unser Soll erreicht hatten." Um Marketing musste sich der Qualitätsfreak nie kümmern. "Die Leut‘ sind einfach vor meiner Tür gestanden." Dann läutete eines Tages das Telefon: Der deutscher Sender ProSieben kündigte sich für eine Aufzeichnung an. "Ich war zuerst irritiert und hab g’sagt: Wisst ihr überhaupt, wo ihr da grad anruft? Wir sind ein Minibetrieb. Sie sind trotzdem gekommen – mit Riesenscheinwerfern und dem ganzen Kamera-Equipment. Ich hab die Tür aufgemacht und sie haben darauf gewartet, dass irgendwo noch eine aufgeht." Zwei Tage lang wurde gedreht, der Film einen Monat später im Hauptabendprogramm ausgestrahlt – die Wirkung war enorm: "Am nächsten Tag hat’s uns richtig erschlagen. Der Server ist eingegangen. Wir hatten über 1.500 Mails im Posteingang, davon 90 Prozent Bestellungen. Ich hab vom Rühren einen richtigen Tennisarm bekommen. Nach zwei Jahren wurde es professioneller – die verfallene Werkstatt zur Genussmanufaktur umfunktioniert, der 1-Mann-Betrieb auf vier Mitarbeiter aufgestockt und der simple Kochtopf durch einen Kupferkessel ersetzt, der bis heute seine Dienste leistet.
Aus sechs bis sieben Fruchtaufstrichsorten sind mittlerweile 45 geworden. Insgesamt hat Trausner über 100 Rezepturen, die sich nicht nur durch hochwertige Rohstoffe in Bioqualität auszeichnen: Bis zu 70 Prozent Fruchtanteil und eigenwillige Kombinationen wie Apfel-Champagner-Vanille, Erdbeere mit Holunderblüte und Birne-Karamell waren schon immer sein Spleen. Das wissen auch seine Partner zu schätzen: Für die neuen Schokokreationen von Sepp Zotter wurden heuer 18 Geleesorten produziert, die als 4-Millimeter-Schicht in die Schokolade gefüllt werden. Mit Saftmacher Reinhard Wetter wird gerade an einem Apfelgelee getüftelt – "eine richtige Reduktion", verspricht Trausner, "da muss es explodieren." Spannend ist für den Marmeladenmeister aber nicht nur das Experimentieren, sondern auch der Rohstoff Frucht an sich: "Wenn ein Baum ein ganzes Jahr braucht, bis er seine Zwetschken loswird, dann ist das etwas Wertvolles. Damit zu arbeiten, g’fallt ma einfach."
RICHARD TRIEBAUMER
Eigentlich ungewöhnlich: Mit 14 Jahren hat Richard Triebaumer es schon betrieben – das "Business" mit Marmelade. Gemeinsam mit einem Freund wurden Wildfrüchte gesammelt und im Keller eingekocht. 15 Gläser, mehr waren es nicht. "Eine Taschengeldaufbesserung – außerdem hat’s uns voll getaugt." Während der Lehrzeit im Restaurant "Ohr" in Eisenstadt wurde kein Wochenende ausgelassen, um Obst und Gemüse einzurexen. Auch Topstationen wie "Obauer" in Werfen, "Steirereck" in Wien und "Nyikospark" in Neusiedl konnten ihn nicht aufhalten. 2001 machte sich der damals 28-Jährige endgültig selbstständig: "Ich wollt‘ nicht mehr für jemanden anderen arbeiten, sondern ein Produkt machen, wo mein Name draufsteht."
Zur Verfügung stehen dem Umtriebigen die Wildflächen des Ruster Hügellandes und des Leithagebirges, die Wegränder der 22 Hektar Weinbauflächen seiner Eltern und der zweieinhalb Hektar Eigengrund am Neusiedler See – zugekauft wird nicht.
Rund 300 Obstbäume wuchern in alle Richtungen, Äste biegen sich voll beladen mit Früchten bis zum Boden und Maisfelder ragen kerzengerade an die zwei Meter gen Himmel – ein Paradies. Gespritzt oder gedüngt wurde noch nie – alles wächst, wie es will: Zwetschken, Birnen, Quitten, Marillen, wilde Ringlotten und mittendrin eine Freilandschwein- und Mangalizakolonie. Neben der Produktion von puren Fruchtaufstrichen wie Vogelbeer-, Weichsel-, Hagebutten- und Zigeunerapfel-Marmelade hat Triebaumer das Schmalz wieder salonfähig gemacht. Optimale Lebensbedingungen für seine Schützlinge, die bis zu über 100 Kilogramm auf die Waage bringen, sind ein Muss: "Die Tiere werden nie am gleichen Fleck gehalten. Der Grund ist in sieben Gehege unterteilt – je nach Jahreszeit werden unterschiedliche Saatgutmischungen gesetzt. Während die Schweine eine Fläche abgrasen, wird auf der anderen schon wieder angebaut – ein idealer Kreislauf, der Boden ist immer gut durchwurzelt und gesund und die Schweine können ihrer natürlichen Tätigkeit nachgehen: dem Wühlen." Fünfmal die Woche beginnt der Tag um sechs Uhr früh. Schluss ist in der Regel um sieben, in Extremfällen um zehn Uhr abends. Arbeitszeiten, wie man sie aus der Gastronomie kennt. Vom Zeitgefühl für Anfang und Ende hat sich Richard Triebaumer schon längst verabschiedet. "Von den Stunden her ersparst du dir gar nix – aber es fällt dir nicht mehr auf."
ANGELIKA RAIDL
Walter Eselböck hat sie längst für sich entdeckt. Und das vor laufender Kamera: Einkocherin Angelika Raidl aus Wittau – fünf Kilometer von der Stadtgrenze entfernt – ist zu Gast bei einer Kochsendung, um ihre Produkte vorzustellen. Neben ihr: der Spitzenkoch aus Schützen. Der Moderator greift zu einem Glas eingelegter Bärlauchkapern, schraubt es auf und häuft ein paar Blütenknospen auf einen Löffel. Ohne lang zu überlegen steckt er Eselböck den Löffel in den Mund. Angelika Raidl schluckt: "Ich hab mir gedacht, dass ist ihm sicher zu sauer". Eselböck kaut, schluckt und sagt: "Deine Telefonnummer möchte ich haben." Eine Woche später steht Raidl mit einer Kiste voll mit Produkten vor der "Taubenkobel"-Greißlerei. Heute gehören ihre Bärlauchkapern zum fixen Sortiment.
Angelika Raidl hat schon immer gerne eingekocht – hobbymäßig: "Freunde wollten immer ein paar Glaseln mit nach Hause nehmen, wenn sie zu Besuch waren." Der ökonomische Gedanke ließ nicht lange auf sich warten: 2001 machte die geschäftstüchtige Dreifach-Mutter aus der Freizeitbeschäftigung eine Profession. Von der 08/15-Ware aus dem Supermarktregal weit entfernt, hat sich Raidl neben dem Einlegen von Bärlauchkapern auf Wildfrüchte und Kräuter spezialisiert, die sie zu Sirupen, Chutneys und Fruchtaufstrichen verarbeitet – ein Wagnis: "Die Leute können mit Kräutern und Wildfrüchten nix anfangen. Die meisten denken, Felsenbirne oder Schlehdorn sind Gift. Ich war trotzdem optimistisch: Ich hab mir immer gedacht, die Leut‘ können doch nicht so ignorant sein – irgendwann müssen sie’s probieren."
Aus Löwenzahn-, Robinien-, Limonen-Ysop-, Lavendel- und Rosenblüten werden blumige Sirupe hergestellt, Wildfrüchte wie Berberitze, Kornelkirsche, Sanddorn, Josta- oder Maibeere zu Fruchtaufstrichen abseits des Mainstreams verarbeitet. Die außergewöhnlichsten Marmeladen wie Rosenblüte und Erdäpfel-Mohn sind ihre Bestseller. Für Rosenblütenmarmelade verwendet sie ausschließlich alte englische Sorten: "Ich setz sie mit Zitronensaft an und koch’s dann mit Zucker auf – fertig!" Konservierungs- oder Zusatzstoffe sind für sie kein Thema. Auch gespritzt wird bei ihr nicht. Raidl greift zu anderen Methoden: "Wenn es mit der Schneckenbelagerung so weiter geht, haben wir bald Laufenten."
Seit Frühjahr 2008 wird im Saustall gekocht. "Kein Scherz", Raidl lacht, "den haben wir zu einer Verarbeitungsküche umgebaut." Große Mengen produziert sie – noch – nicht: 500 bis 600 Gläser werden derzeit im Jahr abgefüllt. Trotzdem hat sie einiges vor: "Ich möchte, dass es ein richtiges Business wird." Ihr Mentor in Sachen Einkochen? "Natürlich die Mama. Seit ich über die Arbeitsfläche schauen und im Kochtopf umrühren konnte, hat mich keiner mehr aus der Küche rausgebracht." Dass Raidl auch gelernte Zuckerbäckerin ist, hat sie allerdings verschwiegen.
STEFAN GROSSAUER
Das Studium inspirierte ihn zum Feldversuch: Vor fünf Jahren startete der ehemalige Landwirtschaftsstudent Stefan Grossauer erste Anbauversuche im eigenen Garten und zwischen den Weinreben seiner Eltern: "Ich hab mich bei der Arche Noah eingeschrieben und planlos Kräuter und Gemüsesorten ausgesetzt – davon 350 Paradeiserstauden. Plötzlich hatte ich kiloweise Paradeiser und wusste nicht, was ich damit machen sollte." Die Wirtschaftsküche der Eltern wurde kurzerhand zur Einrexwerkstatt umgewidmet, das rote Gemüse in Essig eingelegt oder zu Sugo verarbeitet. Auf dem Kamptaler Markt stellte Grossauer sein erstes Produkt vorsichtig auf den Verkaufstisch. "Die Leute waren begeistert."
Ein Jahr lang wurden Rezepturen für Pestos und eingelegtes Gemüse erstellt und Unmengen an Ideen auch wieder verworfen. "Es war eine Chaos-Partie: Donnerstagabend bin ich ins Burgenland gefahren und hab Gläser eingekauft, am Freitag das Gemüse eingelegt und die Pestos eingerext und am Samstag bei einem Bekannten im Kombidämpfer pasteurisiert. Das Ergebnis war eine Minipartie von 100 Stück." Freundin Suzanna Martinovic – damals noch in der Gastronomie tätig – erinnert sich an so manche "romantische" Nachteinlage: "Ich bin um 23 Uhr heimgekommen und er ist vor einem riesigen Haufen Knoblauch gestanden. Ich hab mir gedacht, ok, jetzt schälen wir also gemeinsam Knoblauchzehen." Seit zwei Jahren steht sie nun mit Stefan Grossauer in der Edelkonservenmanufaktur und fungiert als Think Tank in Sachen Süßes. Zu den 14 Pestokreationen wie Zucchini, Apfel-Lauch, Paprika und Speck hat Suzanna Martinovic die Marmeladensorten Chili, Zwiebel und Paradeiser ins Sortiment eingeführt.
Was damals noch direkt vom Garten ins Glas kam, wird heute von Bauern geliefert "Es war immer ein Hintergedanke, dass wir, sobald wir wachsen, auch eine Wirkung auf die Region haben. Außerdem würde es sich zeitmäßig für uns nicht mehr ausgehen, selbst anzubauen." Gemeinsam mit Käseguru und Wachau-Slow-Food-Convivium-Gründer Robert Paget und der Arche Noah arbeitet Grossauer derzeit an einem neuen Projekt: "Wir wollen Knoblauch wieder heimisch machen." Acht Kamptaler Winzer setzen derzeit Knoblauch in ihren Weingärten aus, den Grossauer einerseits zu Pesto verarbeitet, andererseits gemeinsam mit getrockneten Marillen einlegt. Noch sind die Mengen verhalten. "Wir wollten heuer 130 Kilogramm verarbeiten. Auf den ersten Schwung sind’s gerade einmal 25 Kilogramm geworden." Der Pestomeister bleibt seinem Können jedenfalls treu: Wir sind eben keine Marmeladenkünstler. "Doch", widerspricht seine Freundin und kündigt selbstbewusst an, "ich werde noch ein Zwiebelmarmeladeimperium gründen."
HANS PETER FINK
Die Steiermark hat ihn wieder. Hans Peter Fink ist in seine Heimat zurückgekehrt. Sechs Jahre war er Sacher-Hoteldirektorin Elisabeth Gürtler treu und regierte als Küchenchef über die Restaurants "Rote Bar" und "Anna Sacher". Seit Frühjahr 2007 widmet er sich dem, womit er sich schon vor Jahren einen Namen gemacht hat: Delikatessen.
Der Startschuss für Finks Imperium fiel knapp vor seinem Einzug in die Wiener Luxushotel-Küche. Gemeinsam mit Ehefrau Bettina wurde der Dachboden von Essig- und Schnapsguru Alois Gölles in Riegersburg zur Verarbeitungsstätte umfunktioniert: "Unser erstes Projekt waren Essig-Eierschwammerln. 85 Kilogramm Pilze wollten wir in zwei Tagen verarbeiten. Plötzlich wurden 200 daraus. Wir waren noch immer optimistisch und haben uns als Ziel vier Tage gesteckt; gebraucht haben wir zehn. Wir sind halb durchgedreht", lacht Fink heute darüber.
Mit Finks Rückkehr wurde heuer auch die Produktion verlagert, der 150 Quadratmeter große Dachboden durch eine doppelt so große Fläche in Ilz ersetzt: In nur wenigen Monaten baute der ehemalige Sacher-Koch das Gasthaus der Schwiegereltern um und erweiterte es um eine Produktionsstätte inklusive Verkaufs- und Verkostungsraum. Mastermind für Küche und Einkochwerkstatt: Hans Peter Fink: "Mich hat schon immer fasziniert, was die Natur hergibt. Außerdem konnte ich die schneeweißen Champignons aus der Dose nicht mehr sehen und die penetranten Essige. Ich wollte etwas Ordentliches ins Glas geben", so Fink über die Anfangsjahre. Die Kooperation mit Alois Gölles war vorprogrammiert: "Er hat Essig neu definiert. Wenn man einmal einen Essig probiert hat, der nicht im Magen raucht, kann man sowieso mit nichts anderem arbeiten. Wenn ich Schwammerln, Kürbis oder Schalotten einlege, verwende ich die Flüssigkeit, nachdem das Glas leer ist, einfach weiter und mariniere mit dem Sud Salate oder mach Saucenreduktionen daraus."
Im ehemaligen Kuhstall wird seit dem Frühjahr auf Hochtouren produziert: Chutneys wie Rhabarber-Feige, Rote Rübe-Holler und Kürbis-Ingwer stehen genauso auf der Sortimentliste wie eingelegte Gemüsesorten und Fruchtaufstriche. Fink fährt dabei konsequent die klassische Schiene: "Ich mach nix Überkreatives. Reinsortig ist für mich das Beste. Auch in Weihnachtsmarmelade kommt außer Ananas und Passionsfrucht maximal noch Kokos rein. Bei den überdrehten Sachen frag ich mich schon, wer das isst. Speziell beim Marmeladebrot. Je besser unsere Marille ist, desto mehr Leut‘ kaufen sie. Diese Frucht ist in Österreich einfach der absolute Leader. Ich verarbeite sie pur, ohne Vanille oder irgendwas. Die Leute stehen drauf – und das gibt mir recht."