Schneeflöckchen. Märchenhaft. Schmilzt nicht am Herd.

Stimmtraining täglich vier Stunden. Lost in perfection. Sopranistin Aida Garifullina isst zwischen den Welten. Mit Robbie Williams zur Fußball-WM-Eröffnung in Moskau. Mit Plácido Domingo bei den Salzburger Festspielen. Den Frühstücksbrei für Tochter Olivia kocht sie in Wien. Text von Ro Raftl · Fotos von Christof Wagner Blassrosamundig steht er im Glas, verduftet pfirsichpikant und champagnerleicht…

Stimmtraining täglich vier Stunden. Lost in perfection. Sopranistin Aida Garifullina isst zwischen den Welten. Mit Robbie Williams zur Fußball-WM-Eröffnung in Moskau. Mit Plácido Domingo bei den Salzburger Festspielen. Den Frühstücksbrei für Tochter Olivia kocht sie in Wien.

Text von Ro Raftl · Fotos von Christof Wagner

Blassrosamundig steht er im Glas, verduftet pfirsichpikant und champagnerleicht auf der Zunge. Der Bellini bei Fabios. Aida ­Garifullina, opernweltberühmte Sopranistin mit allen Zutaten ­eines Popstars, liebt ihn. Zu Recht. Bellini passt perfekt zu ihr. Klicken Sie nur das Sommernachtskonzert Grafenegg auf YouTube an, und Sie verstehen’s, dass sich die Augen würdiger Herren in höchsten Positionen romantisch verschleiern: Blutvolle Anmut in Modelfigur lässt strahlend lieblich, taufrisch, schalkhaft zartesten Stimmschmelz fließen, trillern und funkeln. Scheinbar völlig mühelos. Aida Garifullina. Schmiegt sich italienisch melodisch ins Ohr. Hihi, doch ganz falsch! Garifúllina wird korrekt auf dem U betont. Tja, und Aida heißt arabisch „Geschenk“ – und sie heißt so, weil die Eltern lange auf ihre Ankunft warten mussten: Die Mama war 22, was in der tatarischen Familientradition eindeutig „spät“ bedeutet. „Meine Urgroßmutter hab ich natürlich erlebt“, sagt Aida, und dass sie ihr nicht nur die in Tatarstan unabdingbare Teig­zubereitung beigebracht habe, sondern auch Ururenkelin Olivia in den Armen hielt, bevor sie mit 92 starb. Gute Gene. Rosenblätterzart das Äußere, stählern das Rückgrat für eine Weltkarriere.

Aida wuchs zweisprachig auf: mit Tatarisch und Russisch. Deutsch hat sie als 17-jähriges Goldkehlchen mit musikalischem Ohr dann in sechs Monaten gelernt – als Studentin des deutschen Heldentenors Siegfried Jerusalem in Nürnberg. Den Klang in Wien perfektioniert. Auf der Musik-Uni bei Claudia Visca – und am Staatsopernstehplatz, quasi ihrem Zweitwohnsitz. Drei Euro für die große Leidenschaft, das ging sich ­immer aus. Ihr Traum indessen wie ein Märchen: 2014 holte sie Dominique Meyer als Ensemblemitglied an die Staatsoper, ein Jahr später beglückte Aida am Opernball als Sopranspecial, 2017 bekam sie die österreichische Staatsbürgerschaft. „Meine Großmutter war Ärztin, mein Vater ist Innenarchitekt und Landschaftsgestalter, meine Mama hat einen Chor geleitet, bevor sie das Zentrum für zeitgenössische Musik übernahm – so viele Berufe wurden mir vorgelebt, doch ich habe mich für die Oper entschieden. Forever. Es macht mich glücklich, diese Musik zu singen.“

Die Musetta in La Bohème, die Zerlina in Don Giovanni, die Gilda in Rigoletto, Gounods Juliette an der Seite von Juan Diego Flórez als Roméo – oder das zartschmelzende Schneeflöckchen in Nikolai Rimski-Korsakows Opernmärchen, ihre erste große Premiere in der Pariser Opéra Bastille. Als Tochter von Väterchen Frost und der Frühlingsfee verzehrt sich das Schneemädchen nach den Menschen – doch die wollen sie nicht …

Goldpapier, glänzendes Zellophan, schimmernde Seidenmaschen auf Päckchen und Säckchen bei Meinl am Graben. Frisches Gemüse, handgedrehte Nudeln, würziger Käse, schmelzendsüße Delirien für Naschkatzen. Diva Aida tanzt ins Entree, ein makelloses Instagram-Model, in den Must-haves der Saison gestylt: schmiegsam schwarzweißes Kleidchen (mit Stehkragen), Lederjacke, Overknee-Stiefel, glitzerndes Umhängetäschchen. Sorry, doch irgendwie schleicht sich bei Betrachtung dieses anmutig strahlenden Püppchens stets das verniedlichende „-chen“ ein. Glamourös und telegen, längst mit dem Etikett „die neue Netrebko“ ver­sehen, weiß der 31-jährige Opernstar natürlich, was er dem Fotoshooting schuldig ist.

Schnellschnell ins warme Futterparadies, der Wind weht kalt, und das tut der Stimme nicht gut, weshalb auch der Plan, auf dem wohnungsnahen Naschmarkt einzukaufen, ruckzuck umgestoßen werden muss. Sorgfalt. Kein unnötiges Risiko. Ja. „Mit 17 allein in Deutschland musste ich gleich ganz verantwortlich sein für mein Leben, sehr schnell erwachsen werden. Vorher war ich ein verhätscheltes Baby.“ Obwohl. „Professor Jerusalem viel geholfen hat, fast wie ein Vater. Bei der Wohnungssuche, beim Visum, wenn ich meine Familie vermisst hab“, streut sie ihm ewige Dankbarkeit. „Er hat auch Studentenkonzerte organisiert. Fürchterlich aufregend!“ Nützte gar nix, dass Aida schon als Fünfjährige im tatarischen TV vor Publikum gesungen hatte: „Nürnberg war anders, nicht zu Hause. Die fremde Sprache! Die Leute! Ich war Ausländerin!“

Hm. Doch so reizend, so begabt, so ehrgeizig, dass die Schutzgeister lebendig wurden: Plácido Domingo, den sie bei ihrem Debut in der Arena von Verona – „ach, was haben meine Knie gescheppert – zufällig hinter der Bühne traf und der sie einlud, bei seinem Wettbewerb Operalia anzutreten. Sie gewann ihn. Seine lobreiche Prognose zu ihrer Karriere wird in fast jeder Aida-G’schicht zitiert. Zuletzt. Traten sie gemeinsam bei einem Konzert am ­Roten Platz in Moskau auf und mit Georges Bizets Perlenfischern bei den Salzburger Festspielen. Ja. „Ich kann ihn immer fragen, wenn ich Rat brauche. Er hat so eine unglaubliche Erfahrung und kennt mich sehr gut, gibt mir Selbstbewusstsein, Energie und Kraft, weil er selbst so energetisch ist. Er muss mich nur anschauen auch aus dem Orchestergraben … mein großes Vorbild. Mein Mentor!“ Wie auch der russische Dirigent Waleri Gergijew. Ehre über Ehre. Das Lampenfieber, bis sie endlich auf der Bühne steht, sei ihr allerdings geblieben, sagt sie, egal ob vor einer Repertoire-Vorstellung als Adina in Donizettis Liebestrank an der Wiener Staatsoper oder vor der Fußball-WM-Eröffnung im Moskauer ­Luschniki-Stadion mit Robbie Williams: „Das war besonders krass. Doch wir hatten nur eine Probe miteinander. Und nach meinem Konzert am Roten Platz war es besonders schwer. Ich konnte nicht schlafen, die Gedanken, ob ich gut war, rasten durch meinen Kopf. Und dann so früh aufstehen, die Eröffnung war schon um zehn.“

Sie kennt sich. „Selbstbewusstsein auf der Bühne hab ich nur, wenn ich meine Technik beherrsche. Da musst du täglich trainieren, die Stimme ist ein Instrument, das jeden Tag anders klingt. Ich singe zumindest drei Stunden, versuche vier, wenn ich was Neues lerne, werden es fünf.“ Uff! Pure Knochenarbeit dieser Beruf. Denn klar: „Ausgeschlafen musst’ auch immer sein oder wenigstens so erscheinen.“ Telegen aus­sehen in Zeiten von Hightech sowieso.

Also reißt sich die Superschlanke tapfer diszipliniert von der Fülle ­verführerischer Keks-, Schoko- und Konfektschachteln weg, kostet Käse, wiegt Kohlköpfe in der Hand und prüft das Obst auf den Frischegrad. Reisbrei mit karamellisierten Äpfeln kocht sie „normalerweise“ zum Frühstück für sich und die zweijährige Tochter Olivia.

Clever immer. Vor drei Monaten hat La Garifullina ihre Lieblingsrezepte aus verschiedenen Ländern in Russland als Kochbuch ­herausgebracht. Viel Italienisches: „Die Italiener lieben die Oper, und wenn sie herausfinden, dass du Opernsängerin bist, verraten sie auch gern ihre Küchengeheimnisse.“ Risotto mit Riesengarnelen, ein Rezept aus Amalfi, liebt sie besonders. Die Hälfte des Buchs aber besteht aus ­tatarischen Rezepten: „Uromas Teigtaschen in allen Variationen, die sind ganz wichtig in unserer Küche. Pelmeni mit Sauerrahm und frisch geschnittenem Dill darüber. Schmeckt super. Palatschinken mit Fleisch gefüllt. Oder Knödel für den Bräutigam. Meine Oma und meine Mutter kochen fabelhaft. Azu zum Beispiel, den tatarischen Fleischeintopf.“

Stolzgeschwellt: „Für mein Kochbuch hab ich alles selber gekocht, wochenlang.“ Na ja. „Die Mama hat geholfen …“ Eine Übermama. Die das Kind zu den Proben und Konzerten ihres Chors mitnahm, früh dessen außergewöhnliche Stimme entdeckte, die Ausbildung förderte und – „mein bester Kritiker ist. Sie hört zu und sagt mir dann meine Fehler.“ Beraterin in allen Lebenslagen. Denn längst gastiert Aida in Berlin, Paris, Peking, Schanghai und New York, in den großen Häusern, die Salzburger Festspiele nicht zu vergessen. Ihr jüngerer Bruder kocht hingegen hauptberuflich. „Seit er 16 ist. Arbeitet jetzt bei den besten Köchen in Kazan, möchte ein großer Chef de cuisine werden. Er ist Meister in Saucen, was schwer ist. Ja. Bei uns ist Teig das wichtigste, in der französischen Küche die Sauce.“ Doch. „Der beste Koch in der Familie ist mein Vater“, schwärmt Aida, ganz kleines Mädchen: „Ach, seine Steaks! Medium to rare. Als ich ein Kind war, hat er einmal etwas Mexikanisches serviert: Ananas in Scheiben geschnitten, in Butter gebraten, mit Honig karamellisiert und einen Hauch frische rote Chili dazu … So hab ich gelernt, was höhere Küche bedeutet – mehr als gebratenes Huhn.“

Deshalb auch Stammgast bei Fabios. Nicht nur der Bellinis wegen. Aida mag das Thunfischtatar auf ­Avocado, das Oktopus-Carpaccio, das Risotto vom Trevisaner Radicchio, die Tortelloni, aber ja, und ge­legentlich auch eines von Christoph Brunnhubers deliziösen Fleischgerichten. Sie nippt am Weißwein, erklärt, dass sie das Ambiente an einige dunkelschimmernde Restaurants in Moskau erinnert. Und findet’s toll, kulinarische Spezialtipps direkt in der Küche ­holen zu können. Ihr Kochbuch möchte sie möglichst bald auf Deutsch und Englisch publizieren. Die Linie zu Verleger Niki Brandstätter ist jedenfalls gelegt.

Schließlich brachte der Exklusiv-Vertrag mit der Plattenfirma Decca viel Schönes. Zum Auftakt eine Filmrolle in Florence Foster Jenkins, um als makellose Lily Pons den Bell Song zu trillern. Das Schönste aber: „Ich durfte bei Regisseur Stephen ­Frears im Regieraum sitzen und Meryl Streep und Hugh Grant bei der Arbeit zuschauen. 25 Mal derselbe Take und doch immer anders: Meryl Streep bringt ­immer neue Nuancen, ändert sogar Worte, um sie ­natürlicher sprechen zu können …“ Ja, und vergangenes Jahr erschien endlich ihr erstes Soloalbum, Aida, wie sie selbst genannt, und natürlich gewann es einen Echo-Klassik-Preis.

Jetzt. Zwitschert sie am Telefon mit Tochter Olivia und überlegt, ob sie sich eine Apfeltarte mit Vanilleeis gönnen soll. In einer Woche verbringt sich „das Geschenk“ heim nach Kazan. Zu den Eltern, die sie als Kind immerzu beschäftigt und gefordert haben – mit Malkursen, Ballettstunden, Musik- und Stimmbildung. „Nein, immer hab ich das alles nicht gern gemacht, doch ich hatte keine Zeit für Blödsinn.“ Feurigstreng vertritt der junge Star sein Credo: „Find es gut, wenn sich Eltern so viele Gedanken machen, was das Kind am besten kann, nicht nur so schauen … Umso mehr, seit ich selber Mutter bin. Möchte, dass Olivia viel Information bekommt, viele Sprachen lernt und Musik, sich überall auskennt. Das ist wichtig! Ich hab eine gute Basis, eine gute Ausbildung bekommen. Und ich konnte im Ausland studieren.“

Hin und zurück. Denn: „Natürlich bekam Russland Wind von dem Rohdiamanten, der da im Ausland brillantgeschliffen wurde“, so der Musikjournalist Manuel Brug. Chefdirigent Waleri Gergijew ließ Aida 2013 im Mariinski-Theater Figaros ­Susanna singen: „Keine leichte Rolle, ernsthaft, auch darstellerisch. Er hat zugehört und zugeschaut, wollte sehen, wie ich die Herausforderung bewältige. Es ging gut, bald danach hat er mir Gilda angeboten.“ Ja, Gergijew, ihr russischer Mentor. Nun lud er sie zu einer Solo-Gala ins Mariinski II, die neue Bühne der alten Opern. Am 23. Dezember. Das Weihnachtskonzert also. „Eine große Ehre!“ Sie wird ihr Repertoire ausbreiten, viel Russisches, klar. Vielleicht auch Alluki, dieses tatarische Volkslied, das auf Fünftonmusik basiert, das sie so liebt und das „alle“ lieben, seit es auf ihrer CD zu hören ist.

„Ich wollte immer schon, dass die ganze Welt diese ­Musik kennenlernt.“ Und. „Unsere köstlichen tatarischen Rezepte.“ Aida klopft auf ihr Kochbuch. Sie träumt von einer „großen Familie“. Doch über Träume spricht man nicht.

Reisbrei mit karamellisierten Äpfeln
½ Glas Reis
1 Glas Wasser
2 Glas Milch
1–2 große Löffel Zucker
2 große Löffel Butter
1 Prise Salz
2 Äpfel
3 große Löffel Zucker oder Honig
2–3 große Löffel Butter
Wasser zum Kochen bringen, Salz und Reis hinzufügen und bei schwacher Hitze 8–10 Minuten kochen. Der Reis sollte das Wasser aufsaugen und etwa auf die Hälfte einkochen.
Heiße Milch und Zucker hinzufügen, zum Kochen bringen, die Hitze reduzieren und den Brei 30 Minuten zugedeckt eindicken. Regelmäßig umrühren, das Feuer ausschalten und einige Minuten ziehen lassen.
Inzwischen Äpfel schälen, entkernen, würfeln. Butter in einer Pfanne erhitzen, mit Zucker oder Honig (vorsichtig) karamellisieren, Äpfel darin braten.
Den Brei auf Tellern mit karamellisierten Äpfeln und Zimt dekorieren.

Azu auf Tatarisch
Aida Garifullina meint: „Jeder kulinarische Spe­zialist schneidet Fleisch und Gemüse anders. Die meisten ziehen den „Strohhalmschnitt“ vor, doch ich mag es, wenn die Stücke mittelgroß sind. Das erhöht die Kochzeit, und die Speisen sind mit dem Aroma einer unglaublich tollen Sauce gesättigt.“
600 g Rindfleisch (Filet)
60 ml Pflanzenöl
6 Zwiebeln (mittlere Größe)
4 Gewürzgurken
300 g geschälte Tomaten im eigenen Saft
(Dose/Glas)
1 kg Kartoffeln
4 Nelken
Knoblauch
1–2 Lorbeerblätter
Salz, Pfeffer
frisches Grün
Rindfleisch in ca. 2 cm große Würfel schneiden. In einer gusseisernen Pfanne 30 ml Öl erhitzen, das Fleisch unter gelegentlichem Rühren braten, bis es leicht gebräunt ist. Zwiebeln in große Halbringe schneiden und einige Minuten mitbraten.
Tomaten in Würfel schneiden, mit dem Saft zum Fleisch geben, einige Minuten einkochen. Danach die in Scheiben geschnittenen Gurken hinzufügen. Pfeffern, salzen und mit so viel Wasser aufgießen, dass alle Zutaten bedeckt sind. Aufkochen und bei niedriger Hitze zugedeckt köcheln lassen, bis das Fleisch gar ist.
Kartoffeln in kleinere Stücke schneiden als das Rindfleisch. Das restliche Pflanzenöl in einer
Pfanne erhitzen und die Kartoffeln darin anbraten, bis sich eine braune Kruste zeigt. Innen sollen sie noch leicht feucht sein, also halb gegart.
Die Kartoffeln in den Kessel mit Fleisch und Gemüse geben, mischen, eventuell noch etwas salzen. Mit fein gehacktem Knoblauch und Lorbeerblatt würzen. Köcheln, bis die Kartoffeln weich sind.
Großzügig mit frischen Kräutern bestreuen.