Schön grün

Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak

Paradeiser auf der Terrasse pflanzen. Tochter Charlie Amarantbrei rühren. Im Naturkostladen nicht sparen. Doch. Klamotten im Secondhand-Shop kaufen. Karma bedeutet Handlung. Mehr, als im buddhistischen Ritus 
zu heiraten. Lilian Klebow, die Fernsehpolizistin mit den Endlosbeinen, kocht, isst, trinkt, denkt, lebt, liebt grün.

Wirr. Und fröhlich. Lilian Klebows erweiterter Lebensraum. Quelle, Weide, Couch, Küchentisch, Bassena. Um Cappuc-cino-beduftet, Karrotten-knabbernd, Smoothies-erfrischt gemächlich gute Gedanken aus der Luft zu fangen, weiterzuspinnen, Wirklichkeit werden zu lassen. Die gemeinsame Sammellust der Wirtsleut und Gäste zum Beispiel: Alles, was nützlich und in gutem Zustand ist, wird seit Beginn des Flüchtlingsaufkommens an Purple Sheep, einen Verein zur Wahrung der Rechte von Asylwerbern & Fremden geliefert.

Wirr. Guter Name für ein schön schräges Gasthaus. Angefangen von den zart beblätterten Ranken um den Oktopus auf der Speisekarte, die sich wie ein Notizblock aufklappen lässt bis zur Öffnungszeit von früh um acht bis spät um vier. Andreas Knünz aus Vorarlberg und Manuel Köpp aus dem Waldviertel, zwei lässige Buben in den Dreißigern, sorgen fürs Wohlgefühl von Frühaufstehern wie von Nachteulen. Alles da:
Schanigarten. Restaurant. Bar. Club im Keller. Take away. Und das nicht in Berlin, London, Istanbul. In der Burggasse 70.

Ein Schenkel von Lilian Klebows magischem Dreieck in Wien Neubau. Wenn sie nicht dreht. Fiel wie ein Liebesblitz: „Charlie war zwei Wochen alt, als wir ihr Passfoto aufs Magistrat bringen mussten. Am Heimweg sind wir im Wirr gelandet und nie wieder weggegangen“, erklärt sie euphorisch.

Charlie ist das Herzblatt der 36-jährigen Schauspielerin. Eine Tochter – und jetzt holen wir ein wenig aus: Einerseits nach einer Figur aus dem Roman „Warten auf Poirot“ ihrer Freundin, Autorin Nora Miedler benannt, andererseits, weil Kindsvater Erich Altenkopf ihren Wunschnamen Carlotta scheußlich fand. Doch auch weil Lilians Filmtochter Charly hieß, in ihrer ersten Mutterrolle in „Beautiful Girl“, ihrem jüngsten Kinowerk, das am 16. Oktober in Österreich Premiere hat. Also Charlie, was wieder der Oma den mittlerweile zur Familienpreziose erhobenen Satz entlockte: „Wie hoasst die? Karli?“, während sie den zweiten
Namen der Urenkelin, der auf a endet, widerspruchslos hinnahm: Tara. Nach der „Essenz des Mitgefühls“, einer indischen Göttin. „Ein Name, in den man erst hineinwachsen muss“, meint Charlie Taras schöne Mutter nachdenklich. „Irre, was emotional nach einer Geburt passiert. Acht Wochen später schon musste ich beim Soko-Dreh angeschossen in die Donau fallen, mit Blei in der Hosentasche. Einmal war zu viel Blei drin und ich bin fast abgesoffen. Ein Cobra-Mann hat mich gerettet.

,Hab dich noch nie so gut spielen gesehen’, sagte Holger Barthel, der Regisseur. Man ist so offen“, sagt die laut Facebook-Postings „fescheste Polizistin des Fernsehens“, und denkt an die Oma. Die mit einem Koffer und riesigem Bauch in einem Planenwagen versteckt aus Berlin nach Bayern geflohen ist, „und meinen Vater in einem Heim zur Welt gebracht hat, wo er ihr die ersten Wochen weggenommen wurde.“ Hm. Das erklärt viel von Klebows Engagement für Nobelpreisträgerin Betty Williams World Center of Compassion für Children in der Basilicata: „In Sant’Arcangelo, einem bettelarmen Dorf mit fünf italienischen
Familien und gerade einem Laden, sind 800 Flüchtlinge untergebracht, meist aus Afghanistan. Als Benefit für die Region wurden die Schulen wieder geöffnet, und dort spielt sich die ,Charity‘ ab: Eine Familie braucht ein Wasserschaffel. Nun wird so lang herumgefragt, bis sich das Wasserschaffel findet. Undsoweiter … Im Dorf sind die Flüchtlinge voll integriert.“

Sie war dort. Denkt an eine Doku über den Ort. Doch Charlie fordert sie. Denn. Das Um und Auf ihres Lebens wird täglich frisch bekocht. Weshalb sich Lilians Dreieck südlich ihrer Wohnung im Naturkostladen St. Joseph in der Zollergasse zuspitzt, einer Institution, in der Othmar Holzinger seit 30 Jahren darauf achtet, WOHER seine Produkte kommen. Jenseits der modischen Slogans biologisch und vegan.

Schicksein schadet klarerweise nicht. Beim Mittagstisch – für den sechs tibetische Flüchtlinge in der Küche stehen, einstige Mönche, die beim morgendlichen Gemüseschnetzeln ihr Frühgebet singen – fühlt man sich bisweilen schon in eine Model-Castingshow versetzt. Doch. Bei Sankt Joseph gibt’s nebst Charlies Lieblingsspeise Artischocken sämtliche ihrer Fastfood-Favoriten: Himbeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren, Paradeiser, die auch wie solche riechen und schmecken. Für Mütterchens Gusto Kokosjoghurts und frische Käse jedweder milchigen Provenienz, Wiener Stadthonig und Gewürze wie von arabischen Märkten. Ja, und die ultimativen Öko-Windeln, deren Preis wir aber nobel verschweigen.

Lilian Klebow spart anderswo. Beide Großväter waren Polizisten – nur apropos Penny Lanz, apropos „Soko Donau“, deren 11. Staffel im November anläuft – der Vater „ein Achtundsechziger“, sie wuchs „im Olympiadorf, also in Münchens Bronx“ auf, und nicht als „Labelkindchen“. Im Gegenteil: „Meine Eltern fuhren Rad und mit dem Wohnmobil auf Urlaub, Markenfuzzis waren für sie Feinde. Mutter war sehr umweltbewusst. Eine Weltmeisterin im Restelverwerten: Essen hat sie kaum je weggeschmissen. Schon damals ,gesund‘ gekocht, mit Gemüse, Eiern, sehr viel Käse und wenig Fleisch.“

Unsentimental sagt die Tochter: „Bin nicht an ihrem Rockzipfel gehangen. War immer schon sehr selbständig.“ Sie hält’s hoch, „dass die Eltern nie versucht haben, mich zu dirigieren. Sich stundenlang meine selbstgeschriebenen Gedichte angehört haben. Ich war Hölderlin-Fan. Und. Mich mit 18 gehen ließen. Ihr einziges Kind. Na ja, verstanden haben sie nicht, was ich beruflich tat und wollte. Aber jetzt! Sitzen sie auf einem Filmset und passen auf Charlie auf. Ich bin dankbar!“ Auch das Staunen, dass sie vieles ganz ähnlich macht wie früher die Mutter: Alles, was Lilian nicht unmittelbar braucht aus dem Adamah-Kistl, zu Smoothies verarbeitet und einfriert. Möbel und Klamotten gern in Trödlerläden kauft, auf Flohmärkten und in Second Hand Shops, zur gewieften Bastlerin, Restaurateurin, Näherin geworden ist und zu ihrer eigenen coolen Stylistin. Nicht bereit, „für Kleider so viel auszugeben.“ Sie kann sich das leisten. Die Mähne weht, die Augen strahlen, die Beine scheinen unendlich zu sein.

„Ha, mit 16 war ich Rebellin. Dunkelrote Haare, Silberschmuck, Glockenhosen, Batikröckchen. Hing im Englischen Garten rum, hab Demos organisiert, meine Wut gegen Dummheit und Gemeinheit der Welt rausgebrüllt. Tja, auch als Schulsprecherin in der Schule, in der mein Vater Mathelehrer war. Keine leichte Übung. Denn. Beliebt war er nicht. Später dachte ich, er hätte in die Wissenschaft gehen sollen. Doch er wurde Gymnasialprofessor, der seine Fächer über alles liebte – und nicht verstand, dass es den Schülern nicht genauso ging.“

17-jährig sang Lilian „Billie“ Sibylla – „ach, auch so ein altkluger Name, den man sich erst erarbeiten muss“ – Dibbedibbdibb in einer Girlieband unter Vertrag mit Ralph Siegel, 1996 wär sie beinah zum Songcontest angetreten. Süß! Dann ging sie nach Wien, um Schauspiel und Musical zu studieren, folgte der Herausforderung, „sich überraschen zu lassen. Beim Spielen, Singen – und immer im Leben“, wie sie dem Kurier erklärt hat. Dem Wiener wieder, was sie an Wien fesselt: Das Gebrochene, das Zwiespältige, den Humor. „Ich mag die Stadt, ich mag die Küche, ich mag die Leute, ich mag den Schmäh.“

Wirr, ein bissl. Ihr Mann ist Österreicher und lebt in München. Sie ist Münchnerin und glühendster Wien-Fan. Tja. Auch die Liebe begann mit Verwirrung. Lilian/Billie war fünf Jahre mit dem Kollegen Hary Prinz zusammen, traf Erich Altenkopf ein halbes Jahr nach der Trennung, „viel zu früh, um sich neu zu binden, was auch keiner von uns wollte, doch es war die Musik, die uns zusammengebracht hat. Er ist ja nicht nur der Doktor Niederbühl in ,Sturm der Liebe‘, sondern auch als Sänger und Pianist im Prayner Konservatorium ausgebildet worden.“ Also … 2011 haben sie in Duino geheiratet, ohne Öffentlichkeit, nach buddhistischem Ritus. Das hat ihnen (auch) das beste biologisch angebaute Olivenöl des Friaul eingebracht. Nachdem Marino Rossa, Besitzer des wunderbaren Restaurants Al Cavalluccio, Altenkopfs ansichtig, herausgeschossen kam: Ob er womöglich / tatsächlich der Dottore aus „Tempesta d’Amore“ sei?! „Nach dem ist ja halb Italien verrückt.“

Langsam hat sich der Angelobte von McDonalds und Wienerwald auf Billies vegetarisch-vegane Küche umgestellt. „Seinen Prosciutto, sein Huhn, sein Schnitzel, alles, was er besonders mag, bekommt er, selbst wenn ich nur noch ganz selten Fleisch ess.“

Aber. Was ist gegen Tom Ka Gai zu sagen, wobei sie „die beste aller Zeiten in einer kleinen Garküche in Bangkok“ gegessen hat, was gegen Fenchel & Apfelspalten, mit Wein abgelöscht, gegen Radicchio mit Pasta oder Omas westfälische Hausmannskost, Zwetsckendatschi und Reiberdatschi mit Apfelmus? Das Linsengemüse und den Bohnentopf nicht zu vergessen, deutsch oder kubanisch, ganz egal: Linsen und Bohnen liefern Eiweiß UND Ballaststoffe. Köchin Lilian liebt exotische Gewürze wie Kreuzkümmel und Galgant, den übrigens schon Hildegard von Bingen pries, und würzt damit ihre Nudelgerichte. Bloß Matoke, den super
leckeren Brei aus Kochbananen, den sie in Uganda geschlemmt hat, „muss man dort lassen. Kochbananen sind hier nicht so …“ Klar kreisen die Gedanken beim Hacken, Rühren, Köcheln, doch die besten fliegen im Wirr beim Green Morning Frühstück zu. Bei Guacamole auf Josefsbrot mit Safranfäden, mit oder ohne Charlie, mit oder ohne Altenkopf. Die zum Walter-Jurmann-Abend mit Béla Koreny, Wolf Bachofner, Julian Loidl & Friends blühten erst richtig beim Smoothie mit Gurke, Spinat und Kräutern in einem mundgerechten Glas. Sie sangen seine Lieder in der „Seitenblicke“-Werkstatt Interspot – in der Walter-Jurmann-Gasse – und im Café Korb, seine Witwe kam aus L. A., und am 31. Oktober geht’s mit „Zu schön, um wahr zu sein“ in Mödling weiter. Als erster Station in Niederösterreich.

Ein Gemüse-Stick, versonnen in den Kresse-Frischkäs-Dip getaucht, begrünt die Idee zu einem Interviewbuch über Vorbilder. Haben junge Mädchen überhaupt noch welche? Mhm. „Rihanna“. Oder vielleicht: „Mein Vater, meine Mutter“, hörte Lilian, als sie weithin umgefragt hat. Unter vielen ihre 19-jährigen Babysitterinnen, eine Österreicherin und eine österreichische Inderin. Alle haben sie Angst in einer zusehends kaputten Welt ohne Lichtgestalten. Klebow auch. Nur hat sie ein Vorbild, ein „Riesenvorbild“ sogar: Jane Goodall, die Verhaltensforscherin. „So herrlich in ihrem Humor und ihrer Erscheinung. So klein und zart und so kraftvoll und energiegeladen.“ Das Jane-Goodall-Institut hat Klebow zu seiner Ehrenbotschafterin ernannt. Für sie schließt sich der Kreis zum Buch in einem Interview (auf youtube) mit Goodalls Enkelin Angel Van Lowick über Plastiksackerln – die in Afrika tonnenweise als Müll herumschwirren. Ob aus Klebows Vorhaben etwas wird, steht in den Sternen. Überraschen würde es nicht. Sie hat russische Ahnen, die bürgen für ein Rückgrat aus Stahl. Umweltschutz und vegetarisches-veganes Essen sind jedenfalls keine hohlen Phrasen eines verwöhnten Stars. Hut ab, Frau Kommissar! Der Germteig fürs nächste Georgische Hefebrot möge geschmeidigst gelingen.