Schwerter zu Pflugscharen

Wolfgang Winkler-Hermaden – ein Winzersohn, der Metallstücke mit Vorleben zu sehr außergewöhnlichen Messern schmiedet.

Text von Florian Holzer · Fotos von Wolfgang Hummer

Über Messer wurde schon alles gesagt, alles geschrieben. Meistens von Männern, die beim Gedanken an geschmiedeten und geschliffenen Stahl unweigerlich ins Archaisch-Poetische abdriften. Da wird das Steakmesser dann schnell zum von Odin geweihten Balmung, der Filetierstahl zu Wielands Mimung, das Buttermesser zu Durendal, der sagenhaft unzerstörbaren Klinge des Roland.

Wolfgang Winkler-Hermaden hingegen spricht nicht sehr viel, er ist eher der stillere Typ. Aber immerhin sagte er vor zehn Jahren, da war er zwölf, dass er jetzt Schmied werden wolle. Und baute sich über die Weihnachtsferien im Hof des elterlichen Weinguts eine Esse. Bald kam ein „Hobby-Amboss“ dazu, nur 32 Kilo und dem Jungschmied sehr schnell zu minder. Aus der Esse im Hof wurde in weiterer Folge eine Holzhütte. Doch in der reichte bald der Platz nicht mehr aus, weshalb Wolfgang Winkler-Hermaden seine Schmiede vor drei Jahren in den Stall eines einsamen Bauernhofs am Waldesrand verlegte. Da hat er jetzt einen besseren Amboss, 80 Kilo schwer und über hundert Jahre alt, den fand er in der Werkstatt eines alten Freundes, der ihm versprach, dass er ihn mitnehmen dürfe, wenn er es schafft, ihn aufzuheben. Wolfgang Winkler-Hermaden wirkt zwar nicht gerade wie Wieland der Schmied, eher wie der kleine Bruder von Christian Ulmen, aber der Wille war im Teenager da offenbar schon sehr stark entwickelt, er hob ihn auf – ein bisschen Artus und Excalibur also auch hier.

Messerschmieden sind selten geworden heutzutage, gute Klingen kommen heute normalerweise aus großindustrieller Fertigung in Solingen oder Fernost. Insofern umgibt Winkler-Hermadens Arbeitsplatz auch ein sehr spezieller Zauber. Der Zauber des Rußes zum Beispiel und der Zauber des „Zunders“ – das sind schwarze Eisenoxidplättchen, die beim Schmieden von Metall abspringen und die finstere Schmiede mit bröseligem, schwarzem, metallischem Staub bedecken –, der Zauber des Eisens, das man hier förmlich riechen kann und das Stück für Stück mitunter eine sehr spezielle Geschichte hat. Und der Zauber der schieren Schlagkraft.

Vor einiger Zeit hat Wolfgang Winkler-Hermaden auf Willhaben einen Federhammer gefunden, aus den 60er-Jahren, mit sechs- bis siebenhundert Kilo eh eher klein, und mit einer Fußleiste sehr sensibel zu steuern, sagt er. Der Gedanke, dass der sehr sensible Federhammer einem auf den Finger schlägt, ist trotzdem entsetzlich. Auch ein wirklich großer Amboss steht da in der Mitte des dunklen Raums, 240 Kilo schwer und ebenfalls schon zu kaiserlich-königlichen Zeiten in Betrieb gegangen, den musste Winkler-Hermaden aber nicht heben. „Ich kaufe absichtlich alte Geräte“, sagt er, „es gefällt mir besser, mit solchen Maschinen zu arbeiten. Und es hat auch eine Auswirkung auf die Messer.“ Für eine Esse mit elektrischer Belüftung hat er lange gespart, sagt er, daneben steht ein altes Barriquefass mit Wasser, „da kommen aber keine glühenden Messer rein, das sieht man nur im Film“. Er kühlt da bloß die Zangen ab. Die glühenden Messer-Rohlinge bringt er nach dem Schmieden in einem speziellen Ofen auf verarbeitbare Temperatur – indem er sie bei guten tausend Grad Backrohrtemperatur zwei Tage lang quasi Niedertemperatur garen lässt, „danach kann man sie bohren und feilen, die eigentliche Arbeit beim Messermachen“.

Winkler-Hermaden ist schmiedender Autodidakt, keine Lehre, nicht einmal einen der häufig angebotenen Schmiede-Kurse hat er je besucht, „das hab ich immer verweigert. Wieso soll ich mir von jemand anderem in meine Schmiede dreinreden lassen?“ Stattdessen lernte er Maschinenbau, ein Berufszweig, der ihm dann aber zu wenige Möglichkeiten bot, um sich zu verwirklichen, „weil ich bin halt eher der handwerkliche Typ“. Und obwohl er das als Teenager stets für sich ausgeschlossen hatte, schließlich doch die Weinbauschule. Wolfgang Winkler-Hermaden ist heute neben seinen beiden älteren Brüdern im elterlichen Weingut in Kapfenstein beschäftigt, seit vier Jahren ist die Messerschmiede ein außergewöhnlicher Nebenerwerb, für ein Messer braucht er mindestens fünf Arbeitsstunden, manchmal aber auch 60, „und ich gebe grundsätzlich keine Garantien dafür ab, wann es fertig ist. Es braucht so lange, wie es braucht“. In der Schmiede am Waldrand kugeln die unverarbeiteten Metallstücke ein bisschen herum. Einerseits klassischer Messerstahl in Form von zu Bahnen geschnittenen Stahlplatten, durchaus martialisch, aber auch rätselhafte, massive, rostige Metallringe mit profilierter Innenseite von drei bis vier Zentimetern Wandstärke. „Die sind vom Leopard-Panzerrohr, und das ist ein Stück einer deutschen 88-Millimeter-Flak aus dem Zweiten Weltkrieg, eine der gefürchtetsten Waffen dieser Zeit.“ Auch eine obskure, sehr rostige, sehr schwere Flöte sieht man da – der Lauf eines deutschen Maschinengewehrs, nach dem Krieg „entmilitarisiert“, also durch Bohrung und Quetschung militärisch unbrauchbar gemacht. Nicht aber unbrauchbar zum Schmieden. Winkler-Hermaden bekommt solche Stücke ab und zu im Tausch gegen eine Kiste Bier, hat mit Waffentümelei überhaupt nichts am Hut. Aber Stahl, der so eine Belastung aushält, interessiert den Schmied natürlich, „extrem zäh, ein interessanter Kombinationspartner für einen sehr harten Stahl“.

Der wiederum liegt in seiner ursprünglichen Form in einem anderen Winkel der Schmiede herum: das alte Kugellager der Turbine eines Wasserkraftwerks – für einen metallurgischen Laien vermeintlich unverformbar, aber Wolfgang Winkler-Hermaden schmiedet Messer draus. Kugellager seien wegen ihres hohen Kohlenstoff-Anteils generell ein interessantes Thema, sagt er, der Chrom-Anteil wiederum mache die Verarbeitung schwer – in Verbindung mit weichem, nicht rostfreiem Stahl sei das aber ein ganz guter Mittelweg, erfährt man. Und dass man Kugellager für so ziemlich alle Messer verwenden könne, also sowohl Küchenmesser als auch Jagd- und Allzweckmesser, und dass es vor allem für Laien den Vorteil besitze, dass man es sehr leicht nachschleifen könne, „ein Ledergürtel reicht da meistens“.

Ob ihn ein ursprüngliches Stück Stahl inspiriere, frage ich, ob er ein Messer, seine Eigenschaften, seine Balance, seine Haptik, sein Gewicht, seine Form schon vor Augen habe, wenn er einen speziellen Brocken Metall in seinen Händen hält. Winkler-Hermaden lacht, „wenn ich Zeit hätte, könnte ich mich inspirieren lassen“. Aber die Zeit habe er nur selten, Aufträge und Bestellungen erfordern, dass die Messer den Inspirationen seiner Kunden entsprechen, nicht seinen eigenen.

Hält man so ein Messer dann in Händen, ist das schon ein sehr erstaunliches Gefühl. Selbst wenn man schon Aberhunderte von Messern in der Hand hatte, und auch dann, wenn man sich extra vorgenommen hat, bei der Berührung der hand­geschmiedeten Stücke keine erstaunlichen Gefühle zu empfinden. Winkler-Hermadens Messer glänzen nicht, sind nicht poliert. Auch die Klingen aus Damaszenerstahl – er verschmiedet dafür fünf Schichten von normalerweise zwei verschiedenen Stahlen, die bei ihm sechsmal gefaltet werden, bis die Klinge aus 160 Schichten besteht und nach der Feilung und dem Schliff ihre ganz spezielle Materialstruktur preisgibt – strahlen nicht wie gewohnt wie Pfauenräder oder Lackmus-­Papier in allen möglichen Farben. Vielmehr zeigen sie die Faltungen, den Schmiedeprozess, die Handarbeit. „Ich lass’ immer eine Zunderschicht drauf“, erklärt der Schmied, „das ist mein Stil. Ich hab schon ewig kein blank poliertes Messer mehr verkauft.“

Natürlich fertigt er auch die Griffe selbst, Hölzer aus der Umgebung, aber auch Ebenholz oder was auch immer gerade zum Messer passt. Die Präzision, mit der er dabei arbeitet, ist unglaublich, Nieten werden unsichtbar, Holz – so satt geölt, dass es sich fast wie Leder anfühlt – trifft absolut fugenlos auf Messing oder Stahl. Ein klassisches Laguiole-Messer wirkt daneben wie ein Taschenfeitel. Dass Wolfgang Winkler-Hermaden auch die Leder-Scheiden und wenn nötig eine Holzkiste selbst herstellt, ist Ehrensache, dafür trennt er sich dann auch umso schwerer von seinen Werken: „Es tut schon weh, wenn man’s dann hergibt. Bei den ersten war’s am schlimmsten …“

Messerschmied ist in Österreich mittlerweile eine vom Aussterben bedrohte Berufsgattung, die Wirtschaftskammer hat noch 163 Mitglieder in der Sparte Metalltechniker, Fachgruppe Messerschmiede, zu der allerdings auch die Messerschleifer gehören. Und der Markt der wenigen handwerklichen Schmieden in Österreich, die heute noch Messerklingen fertigen, ist einigermaßen klar umrissen: das sogenannte „Rambo-Messer“, martialische Survival-Schwerter, mit denen man sich der Weltbedrohung im Nahkampf stellen kann, Spielzeuge für den von Selbstzweifeln geplagten Mann mittleren Alters. „So eines hab’ ich nur einmal gemacht, ganz am Anfang“, bekennt Wolfgang Winkler-Hermaden fast beschämt, heute sei das Verhältnis zwischen Küchenmessern und Jagd-/Allzweckmessern bei ihm in der Schmiede ausgewogen. Prozentuell ins Gewicht fallen da natürlich Steakmesser-Bestellungen wie jene des jungen Saalbacher Adler-Resorts, mit 50 Stück die größte Bestellung, die Winkler-Hermaden bisher annahm. Aber auch bei Richard Rauch bekommt man ein handgeschmiedetes Messer zur Seite gestellt, wenn’s wirklich scharf sein soll. Und von jenen Kollegen, die vergangenes Jahr gemeinsam mit Winkler-Hermaden die Jagdprüfung ablegten, hat auch schon jeder einen „Knicker“ geordert. Apropos Jagd, da drängt sich doch die Frage auf: Und Flinten selber machen? Habe er tatsächlich schon überlegt, lacht Winkler-Hermaden, eine Ausbildung in Ferlach stand schon einmal im Raum, „aber meine wie vielte Ausbildung wäre das dann …?“
Mit dem Jahrgang 2016 kelterte der Schmied jedenfalls auch seinen ersten eigenen Wein, einen spontan vergorenen Traminer mit Holzfass-Ausbau. Der Name des Weins: „Zunder“.

8353 Kapfenstein 105
Tel.: 0664/794 45 41
www.messerschmiede-winkler-hermaden.at