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Um den in limitierter Auflage erscheinenden Lavazza-Kalender wird wegen der Fotografie ein Kult betrieben, der nur noch vom ­Pirelli-Kalender wegen der dort abgelichteten Topmodels übertroffen wird. Lavazza setzt für 2014 auf Spitzenköche.

Text von Christian Grünwald Foto: Martin Schoeller

Martin Schoeller ist einer der gefragtesten und kreativsten Por­trätfotografen unserer Zeit. Er fotografiert vor allem Stars. Echte „Celebrities“. Barack Obama zum Beispiel. Oder Clint Eastwood. Die auftraggebenden Magazine heißen New Yorker, Vogue, National Geographic, GQ oder Vanity Fair.

Anfang 2013 fotografierte Martin Schoeller das erste Mal Küchenchefs. Ferran Adrià, Michel Bras, Massimo Bottura und einige andere posierten für den Lavazza-Kalender 2014. Man darf das Projekt als ein wichtiges Signal für den Berufsstand sehen. Jetzt sind Köche tatsächlich Stars. Das meint nicht nur Martin Schoeller: „Vor zehn Jahren hat sich kaum jemand für Köche interessiert. Heute sind sie permanent in den Medien vertreten.“ Zumindest einige Köche haben medial fast schon den Rang alternativer Popstars – Ferran Adrià ergänzt: „Der Kalender ist ein Zeichen dafür, wie wichtig Küchenchefs in unserer Zeit geworden sind. Trotz aller wirtschaftlichen Probleme berührt Haute Cuisine enorm viele Menschen. Lavazza hat das als Erster in einem Kalender zusammengefasst und dem Projekt so Kultcharakter verliehen.“

Ferran Adrià weiß den Ruhm auch richtig einzuordnen: „Wir wirken wie Stars, wenn wir auf Hochglanzfotos und in TV-Show dargestellt werden, aber am nächsten Tag gehen wir wieder ganz normal in unsere Küche arbeiten.“ Wobei sich die Arbeit zumindest für Adrià nach der Schließung des elBulli vor zwei Jahren deutlich verändert hat. Nach wie vor besteht Rätselraten, ob am alten Standort in Rosas jemals wieder ein Gast etwas zu essen bekommt, dafür betreibt der wohl nach wie vor maßgeblichste Küchenchef unserer Zeit in Barcelona mit seinem Bruder einige Restaurants und will dort nächstes Jahr auch noch eines mit mexikanischer Küche eröffnen. „Mein Bruder Albert kreiert dort, passend zu unserer Zeit, eine Art Prêt-à-porter-Cuisine. Man braucht ja nicht immer das aufwendige Sterne-Ding, viele können sich die Haute Cuisine ohnehin nicht leisten.“ So oder so wird sich die Küche in den nächsten zehn Jahren rasant weiterentwickeln, wohl nicht zuletzt auch durch zahlreiche noch unbekannte Akzente aus Südamerika: „Nicht alle fahren in der Formel 1, trotzdem gibt es viele gute Rennfahrer.“

Dem Unternehmen La­vazza zollt Ferran Adrià viel Respekt. „Solch innovative Projekte entstehen wohl vor allem in derartig engagierten Familien. Espresso ist ja ein äußerst vielfältiges Produkt: Man kann ihn heiß, kalt, flüssig oder fest servieren. Was du in jedem Fall dafür brauchst, ist Elektrizität. Insofern ist Espresso ein High-Tech-Produkt.“

Die Auswahl der Küchenchefs für den Kalender war vor allem vom individuellen, zum Teil jahrelang gepflegten Zusammenarbeitsstatus mit Lavazza abhängig. Slow Food Gründer Carlo Petrini monierte bei der Präsentation, dass dafür keine Frau ausgewählt wurde und begeisterte sich für ein Kalenderprojekt mit mehrheitlich weiblichen Produzenten. Zumindest dafür wäre Martin Schoeller als Fotograf wohl nur zweite Wahl. „Frauen bekomme ich nur selten zu fotografieren, dafür sind besonders meine Porträts einfach zu direkt.“ Wer wissen will, was damit gemeint ist, googelt „martin schoeller close up“ und sieht sofort jede Menge Porträts prominenter Männer in tatsächlich berührend direkter Manier. Beinahe ungeschminkte Gesichter mit Falten, Sonnenflecken und anderen kleinen Makeln. Berührend nah, aber eben auch nicht idealisiert, ohne das übliche Hollywood-Strahlegrinsen. Das mögen nicht alle Stars, Frauen verständlicherweise am wenigsten.

Martin Schoeller wurde mit diesen Close-ups bekannt, wird seither in einer Reihe mit so populären Fotografen wie Richard Avedon, David LaChapelle oder Annie Leibovitz genannt. Für Letztere arbeitete Schoeller Mitte der 90er Jahre drei Jahre lang als Assistent in New York, frisch aus Deutschland angekommen und noch mit bescheidenen Englischkenntnissen. Sein grandioser Umgang mit Licht resultiert wohl aus den Erfahrungen dieser Anfangsjahre. Für die typischen Close-ups bringt Schoeller das Objektiv auf Augenhöhe seines Gegenübers und rückt auf eine Armlänge vors Gesicht. Jetzt noch eine gängige Tageslichtlampe und die richtige menschliche Chemie mit dem Protagonisten. „Meistens brauch ich nicht mal einen Belichtungsmesser, das geht wie von selbst. Viel wichtiger ist, dass der zu Porträtierende in Stimmung ist und mitmacht. Dass das so ist, ist letztlich mein Job. Und je besser die Idee für ein inszeniertes Foto ist, umso eher macht derjenige auch mit.“ In diesem Zusammenhang sieht Martin Schoeller auch viele Parallelen zwischen seinem Business und der Arbeit von Küchenchefs: „Köche kämpfen so wie alle Kreativen ständig um jedes Detail. So wie viele Faktoren zusammenkommen müssen, dass ein Foto gut ist, braucht es auch viele Zutaten, damit ein Essen großartig wird. Und beides ist stets Teamarbeit.“

Die Zusammenarbeit mit den Köchen war recht problemlos. „Ferran Adrià haben wir einfach in die Plastikkugel gesteckt, an der die Zutaten mit Angelschnüren und Klebestreifen befestigt waren. Er wollte dann noch spontan einige Zutaten dabeihaben, die wir später einfach reinkopiert haben. Mehr Retusche war da schon für das gemeinsame Foto mit seinem Bruder Albert nötig, denn in Wahrheit balancierten die beiden nur wenige Zentimeter über dem Fußboden.“ Carlo Cracco wiederum musste beim Posing mit dem Huhn das Tier immer wieder sanft schütteln, weil Hühner in Ruhestellung in sich zusammensinken. Nachhaltig in Erinnerung blieb das Shooting mit Antonino Cannavacciuolo. „Mit dem vielen Fisch hat das Studio zwei Tage lang sehr heftig gerochen.“

Dass viele Köche tatsächlich Starappeal besitzen, bewies Martin Schoeller dann bei einem Folgeauftrag mit drei hochkarätigen ­Küchenchefs. Er wurde für eine Time-Magazin-­Coverstory engagiert, die Mitte November 2013 erschienen ist. „Für die ,The Gods of Food‘-Story musste ich René Redzepi, David Chang und Alex Atala fotografieren. Neben den klassischen Studiofotos hatte ich auch die Idee, die drei an einem Teich beim Angeln zu fotografieren. Wir waren also in freier Natur, aber das Angelmotiv allein war dann auch langweilig. Zur Sicherheit hatte ich auch noch hohe Kochmützen besorgt, die natürlich keiner von denen freiwillig trägt. Also hab ich Alex Atala bezirzt, ob er das Ding nicht einmal kurz aufsetzen möchte. Die beiden anderen haben sich darüber halb tot gelacht, konnten aber dann letztlich auch nicht mehr nein zur Mütze sagen.“