Sinn & Sinnlichkeit: Manuel Rubey
Eine Ode an Timotheus. An den klärenden Rausch. An Schwiegermutters Schweinsbraten. Ein Plädoyer fürs Nichtmehrrauchen. Und der innere Zwang, beim Kochen ständig die Messer zu waschen. Manuel Rubey sucht Sinn und spielt zwinkernd Szenen aus dem Leben eines Bobo vor.
Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak
Sechstausendneunhundertneunundzwanzig Zigaretten hat er seit 1. Dezember 2013 nicht geraucht. Sagt seine Grüne-Lunge-Rauchfrei-App. Glücklich rennt Manuel Rubey bei Steffi Tscheppe-Eselböck auf „Gut Oggau“ offene Türen ein. Sie auch nicht. Seit Monaten. Okay, gibt Gesprächsstoff für Stunden. Wer, warum, wann, wie, das erste Mal, und das zweite, aber nix genützt. Aber. Jetzt. Endlich. Erfolgreich. Auf Dauer! (Schaumamal). Manuel tat’s der achtjährigen Tochter Ronja wegen, die ihn ewig gequält hat, seit sie im Kindergarten hörte, dass die Lunge beim Rauchen brechen kann. Halb lustig, halb verwundert lässt er die eigene Kindheit schatten: „Meine Eltern haben wie die Bösen getschickt. Mutter war Ärztin (Rufzeichen), Vater Maler und Bildhauer, Intellektuelle, ihrer Zeit voraus: Sie hat gearbeitet, er hat Kunst gemacht.“
Lacht: „Immer und überall Rauch. Im R4 bei den Ausfahrten, keiner angeschnallt, und hinten die drei Kinder. Bei den Diskussionen mit den Künstlerfreunden am Küchentisch sowieso. Ich hab diese Runden geliebt, haben mich wesentlich mehr interessiert als Schneemannbauen. Gibt Fotos, da sitz ich am Schoß eines Onkels und jeder pofelt ohne Wenn und Aber. War damals so. Heute? Ein Psychiater hat seinen inneren Knopf umgelegt. Die Methode? „Erst zwei Wochen Rauchertagebuch führen, wobei man schon ein Drittel weniger konsumiert; in diesen zwei Wochen jeweils nur einmal dieselbe Marke kaufen dürfen, was sehr schnell zum Urgrauslich-Effekt führt, wenn man bei Irgendwas ohne Filter hält; alle Stummel in einem Gurkenglas ständig mit sich tragen, vom Rasiertisch zum Stadtbummel, zum Nachtkastl. Bis es, gereinigt, täglich mit dem Geld gefüllt wird, das man für das Laster ausgegeben hat. Möglicherweise finden das manche kindisch, ich wollt mitspielen: Hab mir davon eine 200-Euro-Flasche Wein zur Belohnung gegönnt! Und viel Bewegung an der frischen Luft – ich geh laufen.“ Und/aber/hm: „Anfangs die volle Ladung Psychopharmaka, Champix, Wellbutrine, Cipralex.“ Nun, darüber könnten Pillengegner streiten, Manuel erklärt, SO VIEL ENERGIE dazubekommen zu haben, dass es jeden Durchmarsch lohnt.
„Trinken macht weich und sinnlich, lockert Gespräche und verlegene Begegnungen, verlangt aber eine bewusste Entscheidung. Zwei Flaschen Wein spür ich am Tag danach. Zwei Tage.“ Früher dachte er immer: „Ich bin ein Suchtmensch.“ Dieser wunderbare Psychiater fand heraus: Nein. Viel eher Ordnungsfreak, um nicht Zwängler zu sagen. Einer, der das Messer zwischen Zwiebel- und Karottenschneiden abwäscht, obwohl Zwiebel und Karotten in denselben Suppentopf kommen. Der 35-Jährige spottet bissl über sich selbst: „Mein Vater hat jeden Pinsel nach jedem Malgang minutiös gereinigt, Handwerker verachtet, die ihr Gerät nicht pflegen. Ein Zeichen, das man erwachsen wird, wenn man Dinge machen kann, die auch die Eltern gut fanden.“
Aber. Heut muss er nicht kochen. Nur genießen. Und alles ist selten perfekt. Der Platz. Das Wetter. Die Liebe. Timotheus! Ja, jener weiße Sohn von Mechthild, der Weißen, und Bertholdi, dem Roten, aus der feinen Weinfamilie von Gut Oggau. T, dem nachgesagt wird, er besteche durch seinen druckvoll mächtigen Charakter, gelte als Ausbund von Selbstsicherheit, Gehalt und Raffinesse, hat sich einen Liebhaber glühend untertan gemacht. Der feingliedrig hübsche Manuel könnte T immer und immer wieder beißen, noch den letzten Tropfen auflecken, sich haltlos an ihm berauschen. Bei der verlässlichen Oma Mechthild kann absolut nichts schief gehen, aber … Winifred prickelt aufregend rosé, aber … Und die Roten sind keinesfalls Rubeys Fall. Doch T. Diese Persönlichkeit! Optisch der Unattraktivste im gezeichneten Oggauer Stammbaum, zieht er den Schauspieler-Kabarettisten-Autor-Sänger bis an den Neusiedler See. Als einziger Wein, für den Rubey Reisen unternimmt. Fließen ihm ja sonst mühelos zu im Kamptal, wo er zwischen Wein- und Waldviertel zweitwohnt. Nur hingreifen muss in den Regalen der Vinothek Langenlois. Und seinen Lieblings-muskateller vom Skoff aus der Südsteiermark findet er sogar im Gourmetmarkt.
Lustvoll spielt Manuel also alle kindlichen Seiten aus, die in seiner Kinderzeit unter vielen Ängsten, Untiefen, Fragwürdigkeiten nicht zum Blühen kamen, erst nach und nach in der Waldorfschule. Flirtet mit T im Glas und Edi Tscheppes altem Hund. Im Mantel an diesem kalten sonnigen Tag im burgenländischen Innenhof des kreativen, unglaublich fleißigen (und auch noch schönen) Winzerpaars. Manuel, dieser seltene Stern, der beim Spielen stets sein Geheimnis behält. Im aberwitzigen Kreuzfahrtprogramm „Triest“ mit dem engsten Freund Thomas Stipsits, das schon vor zwei Jahren den Kabarettpreis bekam und noch immer jeden Saal knallevoll packt. Obwohl / vielleicht „Kabarett wenig mit meinem Humorverständnis zu tun hat“, sinnt der leichtfüßig schräg komisch Tiefgründige einem goldgelben Schluck nach: „Wuchteldrucker faszinieren mich zwar, doch Humor entsteht für mich aus existentiellem Scheitern.“ Er hat seinen Chaplin studiert: „Muss immer lachen über Menschen, die sich größer zeigen als sie sind.“
Doch, natürlich träumt er auch den sogenannten Musts der Bourgeois-Bohémiens, kurz Bobos nach.
Realisiert sie sogar, seit er Geld verdient, seit ihn sein Film-Falco ins breite Interesse gepusht hat: Die feine Füllfeder statt des Bic-Kulis, das E-Mail an den Ochsenzüchter (und ORF-Reporter) Klaus Dutzler, bei dem er ein Fleisch bestellt, das heutigen Qualitätskriterien standhält, statt Billigware zu braten. „Holla“ erinnert der Werkstudent, der in WGs aus dem Papierl aß und sein Taschengeld als Heurigenkellner verdiente, „man muss sich Qualität auch leisten können! Geil, den eigenen Salat aus dem Garten zu holen, klar, doch im Waldviertel lachen s’ dich aus, wennst von bio schwätzt.“ Die Eltern, ja, in Wirklichkeit waren sie Biopioniere, konnten die Kinder aber nie für Dinkellaibchen mit Grünzeug begeistern. Weder Naserümpfen noch Protest vertrieb die Sehnsucht nach Großmutters Schnitzeln, Rindsrouladen und gefüllten Hendln. „So schrecklich es klingt, das erste selbstverdiente Geld hab ich zu McDonalds getragen.“
Jetzt, mit Ronja und Luise, schaut Daddy Sorgsam schon darauf, dass sie g’sund essen. Wär nicht ihr fataler Hang zu Süßigkeiten. Also bäckt er mit ihnen: Südtiroler Obstkuchen, Apfeltartes oder Miriams Zopf, den er auch Freunden gern zum Brunch auftischt. Jamie Oliver war sein erster Kochbuch-Lehrer, mittlerweile wirkt er schon bissl blass neben den Tipps des Londoner Israeli Yotam Ottolenghi. „Bobo-Schick natürlich“, nimmt sich Manuel an der Nase, Doris Knecht nenne das
„fidel verspießern“. Er hält seine Träume zumindest ans Licht, fällt nicht vollends auf sich selber herein. Bleibt am Unauslotbaren interessiert.
„Ein Timotheus-Rausch ist ein klärender Rausch“, philosophiert er ins Mampfen, Schlutzen, Knuspern des Joseph Brots nach geheimem Eselböck-Rezept, des Schafmilchbries genau auf dem Punkt, der eingelegten Artischocken und Oliven, während ein superscharfer Pfefferoni heftige Hicks auslöst („immer, wenn’s zu scharf wird“) und Manuel zu seiner persönlichen Rausch-Hitliste inspiriert: „Der g’schissenste ist der erste Rausch. Wenn man seinen Körper und seine Ausdauer noch nicht kennt. Ribiselwein im Maurer Bad“ war’s bei mir – und es war furchtbar. Heckenplescherräusche“ hat er beobachtet, „die so aggressiv machen, bis einer dem anderen in die Goschen haut“. Exzessiven Champagnerüberschuss „mit Frauen, die unbedingt Champagner haben wollten“, hat er probiert. „Räusche, die sich anfühlen wie eine eisigklare Winternacht. Doch: Am nächsten Morgen ist alles gut.“ Ach ja, und der geliebte Timotheus-Rausch – der intimste Bekenntnisse befördert, die man selbst im Nebel noch schlüssig formulieren und artikulieren kann.“
Vier Semester Geisteswissenschaften hat Lockenkopf Manuel studiert, bis er wusste, dass aus ihm kein Forscher wird, dass ihn Menschenbeobachtung interessiert. Wär als Zivildiener in der Psychiatrie Baden wegen einer Theatertruppe für Patienten schon fast im Sozialdienst hängen geblieben. In der Schauspielschule Kraus sah er sich endlich „im richtigen Club“. Kein Gedanke mehr an die Ego-Wunde, nach ausgezeichneter Matura durch die Prüfung im Reinhardtseminar gerasselt zu sein. Entspannung! Zwischen Ziegengemecker aus dem Pferch von Gut Oggaus Stall-Klo und dem plätschernden Italosound aus Steffis Lautsprechern. Ach ja, Musik hat Rubey auch gemacht, mit den „Mondscheinern“, bis zu einem Hit, weshalb er lang als Musiker galt. Ein Liedtext aus der Box beamt ihn zum letzten Life Ball, den er mit Stipsits moderiert hat. A propos zu ihrer Sitcom „Salambo“ über ein schwules Hotelbesitzerpaar in Beziehungstroubles, wenn damals auch mit unverdauter Wut im Bauch, dass die Serie – monatelang geschrieben, monatelang beim ORF auf den Planungslisten – letzten Ende nicht realisiert worden ist. Der Ärger ist gegessen. Manuels alternativer Lebensplan, ein Lokal, zu eröffnen, quasi schriftlich abgearbeitet.
Er wird nicht darauf zurückgreifen müssen, denn: Er dreht und dreht und dreht. Grad wieder mit David Schalko, der ihm die interessante Punze „Seelenfleisch einer Ikone“ aufgedrückt hat. Nachdem er Rubey in der Verfilmung des Glavinic-Romans „Wie man leben soll“ und in dem Fernseh-Zweiteiler „Aufschneider“ als Joseph Haders Pathologen-Assi eingesetzt hatte. Um ihm – wie allen Hauptdarstellern in der Satire „Braunschlag“ – den anfangs so herrlich gelackten Vatikan-Kontrollor auf den Charakter zu schreiben. Wer hat die Häutungen des in Knabenseminaren sozialisierten Herrn aus Rom nicht gesehen? Die bizarr beseligende Pointe, dass die Frau die seinen Körper in unerwarteter Geilheit beben lässt, „eigentlich lesbisch“ sei, nicht zutiefst genossen? Jetzt geht’s um „Altes Geld“, den ORF-Seriennachfolger, der mit Udo Kier als Patriarchen eines milliardenschweren Clans auf der Suche nach einer neuen Leber beinahe neu begonnen werden musste, als Gert Voss viel zu früh plötzlich starb. Intrige, Lüge, Satire. Viel mehr darf nicht gesagt werden.
Doch. Gruber geht, der Grund, warum Manuels schöne, immer bissl wirre Locken futsch, erst einer Glatze, nun blonder Patina gewichen sind, hat sich tief eingekerbt ins Seelenfleisch. Krebs, ja, Chemotherapie und trotzdem, oder deshalb eine frische Liebe. Das erste Haarbüschel verliert er in Doris Knechts Romanverfilmung unter der Dusche: „Ich greif hin und hab einen Schippel in der Hand. Danach rasiert mir meine Kino-Schwester eine Glatze. Mein Film, meine Rolle!“ Wusste er, seit er die Buchtexte im Rabenhof Theater vorgelesen hatte. Hypochondrisch genug, um sich die Diagnose Krebs samt Folgen an einem dreißigjährigen, erfolgreichen, fabelhaft vernetzten Jungmanager vorzustellen: „Eine extreme Zeit in einer extremen Rolle.“ Zum Schlechtausschauen musste er mit der Radikaldiät von Dukan abnehmen. Empfand da "die liebevolle Arbeitsatmosphäre" von Regisseurin Marie Kreutzer und Kamerafrau Leena Koppe als ,extrafein‘. Sehr angenehm, wenn mal das Testosteron wegfällt. Selbst wenn sie gezofft haben, blieb es elegant."
Elegant, wie Steffi Tscheppe die exklusive Lieferantin ihres begnadeten Wurzelspecks nur als „die Dame“ preist, ohne den Namen zu verraten: „Sie produziert so kleine Mengen. Ich möcht verhindern, dass sie plötzlich überrannt wird …“ Einleuchtend. Den T-Verliebten, der trotz Intensivlektüre von Ottolenghis Vegetarian Cookbook auch nach der ungarischen Wurst freilaufender Bioschweine greift, inspirierte es jedoch zur Hommage an Schwiegermutter Sigi Nolz’ klassisch deftigen Schweinsbraten: „Ha, dieses knusprige Schwartel!“ Er hütet Sigis Rezept, es gelingt ihm schon fast ebenso gut. Denn. „So cool und sexy ich’s find, wie meine Frau schnell, freihändig und ohne zu kosten, Italienisches aus dem Handgelenk herstellt – ich brauch fixe Vorgaben, Zeit und Ruhe. Mittagsjournal hören oder ein Hörspiel, und dazu Gericht für Gericht schnitzeln, fitzeln, rühren, köcheln, das mag ich. Fahr auch noch ein drittes Mal zum Naschmarkt, wenn mir ein ausg’rissenes Gewürz fehlt. Rasch rasch, das lass ich lieber. Zwänglerisch meinetwegen.“ Aber verzeihlich: Will die Rolle als Chef am Herd bei den bekochten Freunden würdig spielen. Hat nach Mutters Veggie-Food die Freuden des Essens erst spät entdeckt.
Zwanglos trägt Manuel nur Eierspeisfarbe am Kopf (Arbeit ist eine andere Kategorie). Erklärt: „Sonst schimmert’s schwarz durch die blonde Perücke.“ Ja, Langhaarperücke, blaue Linsen und „ein ziemlicher Pascher“ sind für den Sohn des sterbenden Patriarchen in „Altes Geld“ gefordert. Kulinarisch sollte der on top sein. Mehr seelischen Trost fand er in der „nur kleinen“, aber wunderbaren Rolle in Händl Klaus erstem Film „Kater“. „Stipsits und ich spielen ein schwules Musikerpaar und haben eine Woche mit dem RSO verbracht. Die vergessen über der Musik aufs Essen. Ich glaub, Musiker sind bessere Menschen.“