Situation. Konzentration. Salat.

Die Grazerin Pia Hierzegger lässt sich ein. Auf Moderieren, Schauspielen, Regieführen, Stückeschreiben. Auf Peking-Ente, Gnocchi-Teig und veganen Kuchen. Vorurteilsfrei und konzentriert. Kocht gerne selbst, kauft gern auf dem Wochenmarkt ein. Denn. Am liebsten mag sie: „Was Frisches zum Beißen.“

Text von Ro Raftl · Fotos von Christof Wagner

Die Situation. Jännerdunkel. Gänsehautfrost. Ein eiliges Mädel in Parka, Pudelhaube, Jeans trägt einen Schwall klirrender Kälte ins naturholzbeigegoldleuchtende Sinohouse – das noch immer fast neue in der Nußdorfer Straße, in dem Jin & Fang Loh von der malaysischen Insel Penang die „wahre“ Pekingente und indonesisches „Streetfood“ servieren. Selbst wenn im glattgetischlerten Lokal nix an asiatische Straßenstandln erinnert. Vom Fußboden könnte man essen! Doch wir haben Pekingente bestellt.

Das Mädel schüttelt glattes dunkles Haar – der Frisör würde sagen: einen klassischen Bob – aus der Pudelhaube und erklärt knapp, dass es seine Schlüssel verloren, sich selber ausgesperrt, eine Frau zum Glück die Schlüssel gefunden hat, weshalb es heute mit dem Auto von Graz nach Wien gefahren ist. Sonst pendelt es mit dem Frühzug, um sechs oder sieben: „Zwei Stunden, vierzig Minuten.“ Kein Wort zu viel.

Man merkt, dass Pia Hierzegger, 55 Kilo auf 1,69 Meter, ziemlich erwachsen ist. Am 2. Februar war sie 45. Nur, dass die Autorin, Regisseurin, Moderatorin und Schauspielerin, die in ihren Filmen meist streng, skeptisch, fast bissl grantig schaut, lieb und ungekünstelt lächelt.

Pia lässt sich ein. Auf Pekingente – „habe ich noch nie gegessen“ –, auf Fotofotofoto, auf Kosten, Trinken, Reden im Sinohouse.

Ohne Getue und Gezicke, ohne flattrig in den Spiegel zu schauen: Wie seh ich aus? Hat sich wortlos der Visagistin ausgeliefert, wischt nicht am Make-up rum, gebärdet sich nicht als Kostbarkeit, klimpert nicht atemlos ihre Leistungen runter, kommt einfach „grad“ daher.

So. Behält sie ihr Geheimnis. Macht neugierig, tiefer in Ungesagtem zu forschen, sich auszumalen, wie sie ihr Leben schupft. Wie Hierzeggers Freitags-Samstags-Einkauf am Lendplatz-Markt beim Fischhändler abläuft: „Er gibt mir immer gute Ratschläge.“ Wie sie das Messer hält, wenn sie das knackig frische Gemüse für die Suppe schnipselt, welche Figur sie macht, wenn sie an der Mur laufen geht. Neugierig, zu youtuben, wie ihr Hirn arbeitet und wie sie schaut, wenn sie bei politisch differenzierten Gesprächen im Grazer Theater im Bahnhof oder im Wiener brut wichtigen Menschen aus dem 110-Fragen-Zettelkasten ihre Frage sieben stellt: „Wem würdest du gerne eine Torte ins Gesicht hauen?“

Wie’s am Theater und beim Filmen ist, beschreibt die fleißig Flexible: „Konzentration. Auf die Situation. Zug um Zug, wie beim Schachspiel. Ich versuche, mit meinen Partnern eine Szene als Szene zu spielen, mir vorzustellen, wie jemand in dieser konkreten Situation reagiert. „Georg Friedrich“ – mit ihm hat Pia oft gedreht – „nimmt alles, was passiert, als Geschenk.“ Und. Bis jetzt habe sie noch nie erlebt, „dass jemand nur seinen Text abgeliefert, sich nicht aufs Spielen eingelassen hätte“.

„Wehninger ist mehr“, sagt der „Pathologe“ in Aufschneider2 über die coole Kollegin Dr. Wehninger aka Pia Hierzegger, mit der er Leichen seziert und auch sonst noch einiges teilt … Zufällig wird er von Josef Hader gespielt. Dass sie ein Paar sind – ein glückliches – hat er bei Claudia Stöckl gesagt. Wahnsinn! Viel mehr als nur ein Kompliment. Extrem zugeknöpft war Hader bisher mit privaten Bekenntnissen. Wehninger ist eben mehr … Auf der Berlinale sind Hierzegger und Hader miteinander über den roten Teppich gegangen. Als Ehepaar in Haders Opus Wilde Maus. That’s it. Pia schwätzt nix Weiteres.

Wärmt sich an Jins pikant säuerlicher Suppe. Probiert das „Dreierlei gedämpfte Garnelen Dim Sum“. Den Champagner mag sie auch. Lobt, bis dass der Wirt schnurrt. Selbst, wenn sie einschränkt: „Ich geh gar nicht so gerne essen. Die Sachen schmecken mir besser, wenn ich sie selber mache. Die Kombination aus Zutaten und Zubereitung! Mag auch nicht so große Portionen.“ Was sie täglich mag, ist Salat. Gemischten am liebsten. Nach persönlichem Gusto variiert: „Was Frisches zum Beißen!“ Als Basis grüner oder Vogerlsalat. Mit: gekochtem Brokkoli oder Kohlsprossen oder Käferbohnen, gebratenem Radicchio, oft Schafkäse oder Parmesan drüber, oder mit Nüssen, hm, das kann problematisch werden, weil dann hat man oft Motten. Ihr neuer Lieblingssalat (ohne Nüsse) geht so:
Vegan oder nicht vegan. Das ist die Frage, die Pia Hierzegger umtreibt, seit ihr Neffe und andere Youngsters mehr den Veganismus verfechten. Als eine Art Clubkarte für eine neue bessere Welt? Tja. Ist nicht nur ein Thema in Haders Film Wilde Maus, könnte auch die Autorin Hierzegger zu einem Theater­stück oder einem Hörspiel inspirieren. Die hitzigen Debatten, pro und kontra, die wüsten Postings im Intenet, sobald es um Veggie-Wurst geht, sind schließlich völlig enthemmt.

Ha! Kleinen Kindern drohen Mangelerscheinungen ganz ohne Milch, Käse, Eier, Fleisch und Fisch, ohne tierisches Eiweiß und tierisches Fett. Denn. Wo bleiben Kalzium, Vitamine, Omega-3-Säuren, Eisen, Zink und Jod? Okay, okay, Obst, Gemüse, Linsen, Bohnen, Nüsse, Salat und Margarine bringen das auch, doch erst für ausgereifte Menschen g’sund! Dagegen steht: das Tierleid. Der Umweltschutz. Der Hunger in der Dritten Welt. Wie viele Menschen könnten ausreichend essen, wenn nur die Rinderzucht eingestellt würde: „Mit jedem Kilo Fleisch, das wir essen, verbrauchen wir knappe Ressourcen. Die Herstellung eines einzigen Kilos Rindfleisch braucht unglaubliche 15.000 Liter Wasser. Und. Rindfleischproduktion ist der größte Flächenfresser. Außerdem. Ist die Viehzucht ein „Klimakiller“ hat das Wochenmagazin Die Zeit an Zahlen der „Environmental Working Group“ aus den USA gezeigt: „Bei der Herstellung eines Kilo Rindfleisches entstehen rund 27 Kilogramm des Klimagases Kohlendioxid.“ Uff!

Für Feinschmecker trotzdem eine seltsam absurde, ja schreckliche Vorstellung, welche Geschmackserlebnisse Veganern entgehen. Kein Steak, keine Forelle, keine Pekingente!

Pia bleibt offen beim Schmecken. Sie probiert gern was aus.

Sentimentale Erinnerungen an cremig-fett-süß-saftige Kindheitsgenüsse wird man ihr nicht entlocken. Der Vater, Architekt und emeritierter Professor für Raumplanung an der TU Graz, hat Frühstück und Jausenbrote gebaut. Die Mutter, ein Architektenkind, das in Teheran maturiert hat, brachte persischen Reis (in allen Mandel-Rosinen-Berberitzen-und Dillspitzen-Varianten) auf den Tisch und fand’s gesünder, viel Gemüse und wenig Fleisch zu essen. Vor allem aber: „Mit Konzentration! Man isst nicht nebenbei!“ Ein Gebot, das Pia vertieft hat, als sie mit zwanzig Gastritis hatte: „Da hab ich begonnen, sehr langsam zu essen. Manchmal ist das blöd, weil man sich kein zweites Mal nehmen kann – vor allem, wenn sich viele junge, sehr hungrige Menschen über die Schüsseln stürzen, doch es hat sich bewährt. Du merkst schneller, wenn du satt bist.“
Zu kochen fing Pia Hierzegger erst in Dublin an. Als sie ihr Germanistikstudium mit Theaterwissenschaftlichem am Samuel Beckett Institut am Trinity College erweitert hat: „Ein Lingua Stipendium. Hab’s sofort bekommen, da sich die meisten auf Amerikanistik geworfen haben, Dublin hat keinen interessiert.“

Dort. Fand sie das Streetfood nicht so toll. „Ich hatte ja auch wenig Geld, und Feinheiten gab’s nur auf gesellschaftlichen Anlässen. An köstlich frischen Lachs erinnert sie sich in Dublin, an frische Forellen in einem Pub in Galway, an die Chips, den Irish Coffee, das Bier. Na, nicht an Whiskey. Den hat sie elegant abzulehnen gelernt. Doch. Im Freundeskreis wurde ständig gekocht – indisch oder italienisch –, das war herrlich! Und man lud sich gegenseitig ein. Also hat Pia ihren ersten „Coq au vin“ fabriziert, eines der fleischigen Paraderezepte ihrer Mutter, sogar in ein Telefongespräch investiert, um sich Zutaten und Zubereitung ansagen zu lassen. Burgenländischen Weißwein fand sie in einem winzigen Laden ums Eck.

Leider. Waren die Hendlstücke trotzdem innen bissl blutig. Jetzt. Wüsste sie, wie lange sie den Coq köcheln lassen muss, hat sich bereits an Griesnockerln und Gnocchi bewiesen, nur: „Huhn ess ich genau zweimal im Jahr. Einmal, wenn meine Schwester zum Salat mit Hühnerstreifen einlädt und einmal den Coq au vin bei meiner Mutter.“ Beistrich, Rufzeichen: Natürlich holt sie das Tier beim Biobauern.

Pia lacht. Über sich selbst? Oder die Frau, die sie in Wilde Maus spielt? „Die sich ständig ein wahnsinnig schlechtes Gewissen macht, was beim Essen geht und was nicht: Aquakultur aus dem Friaul geht gar nicht! Hm. Das ist so typisch für unsere Zeit.“

Dem veganen Neffen zu Ehren – dem Sohn ihrer älteren Schwester, die von der Architektur und der Ausstattung kommend, auch beim Theater im Bahnhof mitwirkt – hat sie zur letzten Familieneinladung einen veganen Kuchen erzeugt, „obwohl ich nicht gut beim Backen bin: Alsan, Zucker, Mehl. Und er war wirklich gut!“

Der vegane Neffe bedeutet ihr viel. Denn sonst hat’s Pia nicht so mit Mehlspeis und Süßem: „Ein kleines Stück Schokolade nach dem Essen, am liebsten Haselnuss oder die von der Insel São Tomé: reine Kakaomasse ohne Zucker.“ Diese Schoko von Claudio Corallo hat sie entdeckt, als sie drei Mal in Lagos, Nigeria, für ein Drehbuch und ein Theaterstück (das dort auch aufgeführt wurde) recherchiert hat. Schwärmt von den Yams, den Süßkartoffeln, den duftenden Limetten, dem guten Reis, und ja, sie hat auch Caracoles, die großen Schnecken in Palmöl herausgebraten, probiert. Ja, sie kostet sich gerne durch. Findet’s auch „wahnsinnig gut“, neue Gerichte nach Hause „mitzubringen“. Aus Thailand oder Vietnam, und aus Italien, ob nun aus Aquileia oder Neapel, „wo’s sowieso das beste Essen der Welt gibt“. Trotzdem. „Nach zwei Wochen ess ich lieber zu Haus, koch mir meinen Fisch selber und den Salat.“ Risotto sehr selten. Auch wenn’s Pia in Italien schmeckt, mag sie’s nicht so gern „breiig“ im Mund, braucht „was zum Kauen“.

Klar. Die Steirer galten ja immer schon als „wildhartes Bergvolk hinterm Semmering“. Innovativ. Nicht erst, seit die Kommunisten bei der Grazer Gemeinderatswahl dick dastehen. Seit Gründung des Forum Stadtpark vor 60 Jahren: All That Jazz. Steirer haben ganz Österreich schubweise mit Impulsen getränkt. Okay, Dramatiker Wolfi Bauer ist tot, doch Regisseur Bernd Fischerauer hat mit 72 grad den Roman Burli publiziert, und ein anderer Grazer, Peter Simonischek hat ihn vorgelesen. ­Internationalstolz kann man Arnie Schwarzenegger, Helmut Lang, Klaus-Maria Brandauer nicht vergessen. Und Nikolaus Harnoncourt, der zwar in Berlin geboren, doch in Graz aufgewachsen ist, und … doch das ginge zu weit. Wär schon das Jetzt in gut behirnter widerständiger Tradition seitenfüllend: Filmemacher Michael Glawogger, der mit den Kinowerken Nacktschnecken, Slumming, Contact High neue Räume für Witz und Wahnsinn geöffnet hat, bevor er in Liberia starb. Oder. Das zeitgenössische Volkstheater, die schräge Off-Truppe Theater im Bahnhof, begründet 1996, die ihre Darsteller im Streben nach Peinlichkeit in Würde „Bühnentiere“ nennt.

Dort agieren Michael Ostrowski und Pia Hierzegger in tragenden Rollen – auch als Missing Links zu Glawogger: Hierzegger kreierte die Figur der „Mao“ in seiner Sex, Drugs & Rock’n’Roll-Trilogie, die Ostrowski vergangenes Jahr mit Hotel Rock’n Roll fortgeführt hat. Als Manu Stangl moderiert sie mit Ostrowski die satirische Talkshow Demokratie – Die Show auf Puls 4. Doch sie kann mehr: Gewann mit dem Theaterstück vernetzt denken den Augsburger-Stücke-Wettbewerb 2007. Und. Dramatisierte den Roman Das ewige Leben von Wolf Haas fürs ­Grazer Schauspielhaus, wo 2011 auch ihr Stück Die Kaufleute von Graz uraufgeführt worden ist.

Das muss man allerdings bei Wikipedia rausfinden. Pia Hierzegger. Konzentriert sich. Auf die Situation. Jetzt im Sinohouse.

Sagt nur: „Die meisten Arbeiten machen mir sehr viel Spaß. Manchmal ärgert mich bissl, wenn zu wenig Zeit fürs Einzelne ist.“ Pia pflichtbewusst. Jedenfalls versuche sie, unaufgeregt zu bleiben.

Ihre Küchenwände sind mit Bildern vollgehängt. Geschenke: Der Freund ihrer Schwester Johanna ist Künstler. Mittendrin ein gesticktes japanisches Kitschbild vom Altwarentandler. Sie liebt es. Eine Teekanne aus Istanbul. Ein metallener Schwedenofen. Schick, bloß selten befeuert. Der Feinstaub! 100 Überschreitungstage in Graz. Hierzegger hält sich, wenn auch gelegentlich murrend, an den Aufruf zu Public Awareness, öffentlicher Achtsamkeit. Sein ist Bewusstsein. Im Pendlerzug, oft mit Freunden, die manchmal bereichern, manchmal auch moralisch unterstützen, isst sie sicherheitshalber Suppe.