So a Kas
Österreich ist ein Land mit Kultur. Um anspruchsvolle Käsekultur mit individuell gemachten Käsen abseits der industriellen Massenproduktionen bemühen sich bislang nur einige wenige innovative Köpfe.
So a Kas
Text von Viola Cornel Fotos: Phillip Horak
Rund 70 Kilometer von Wien entfernt, in Diendorf am Kamp, lebt Robert Paget mit Familie, siebzig Ziegen und elf Wasserbüffeln. Auf seinem Hof angekommen wird man von Freiheitskämpfer Che Guevara begrüßt, der riesengroß auf der Hausmauer prangt. Ein altes Laster von Paget? "Nein, der stammt von einem kubanischen Fest, das hier stattgefunden hat." Politische Hintergründe sind keine zu orten. Zur Entschärfung wurde ein Coca-Cola-Schild neben den Revoluzzer gehängt. Ein bisschen Widerstand hat auch Paget geleistet, als er vor 30 Jahren beschloss, nach Diendorf zu ziehen: "Ich habe versucht, die Welt zu retten, und versuche es auch weiterhin", sagt er lachend. Für den studierten Biologen war es ein kompletter Neubeginn. "Ich hab von der Landwirtschaft überhaupt nix verstanden. Ich hatte keine Ahnung, was saure Milch ist, oder von sonst irgendetwas, das mit Käse zu tun hat." Angebaut wurde so ziemlich alles, nur Reis und Kaffee hat Autodidakt Paget ausgelassen. "Übrig geblieben ist die Idee, Käse zu machen – den hab ich immer schon gern gegessen." Die logische Konsequenz: Eine Ziege wurde angeschafft. "Mit der lernt man gleich mal, was man mit null Ziegen nicht lernt: Man muss sie zweimal täglich zur selben Zeit melken. Man kann nicht einfach sagen‚ ich steh heute nicht auf oder fahr weg." Es dauerte nicht lange und aus einer wurden 25 teils Rasse-, teils Wald- und Wiesenziegen. Die Schwierigkeit, die sich ergab: Die Vorurteile gegen Ziegenmilchkäse waren groß, erst recht gegen jene aus Österreich. Geschätzt wurde nur, was aus Frankreich kam, weshalb Paget seine Käse auch vorerst als "Ziegenkäse nach französischer Art" verkaufte. Später wurde es "Ziegenkäse aus dem Waldviertel", dann "Ziegenkäse aus biologischer Landwirtschaft" und heute ist es "Ziegenkäse von Robert Paget". Neben Heurigen und Wirtshäusern aus der Umgebung und Spitzenadressen wie "Loisium", "Schwarzes Kameel", "Steirereck" und "Urbanek" verkauft der Freidenker seine Käse freitags und samstags ab Hof. Vor zehn Jahren wäre das kein Thema gewesen. Heute kommen die Kunden regelmäßig, um sich in the middle of nowhere Pagetkäse zu holen.
Die Faszination für Büffel
Diese hat der begnadete Käser in Indien entwickelt, wo Wasserbüffelmilch verarbeitet wird. "Dort habe ich den besten Topfenstrudel meines Lebens gemacht." Heute stehen in seinem Stall elf Wasserbüffel. Schiefgehen kann trotz 25 Jahren Käseerfahrung noch einiges: "Mozzarella war drei Jahre lang Schweinefutter." Seit eineinhalb Monaten kann man den Büffelmilch-Mozzarella in Pagets Hofladen kaufen. Am liebsten wäre es dem Perfektionisten, wenn man seinen Frischkäse noch am selben Tag isst. An die Gastronomie will er ihn aber nicht weitergeben. "Da müsste ich ihn in einer starken Salzlake konservieren. Und so schmeckt der Käse dann auch – bestenfalls salzig." In die Mozzarellaschiene will sich der Käsemeister aber nicht zwängen lassen. Er will lieber die Eigenschaften der Büffelmilch ausloten. Mit rund acht Prozent Fett hat die Milch einen doppelt so hohen Fettanteil wie die der Kuh, was den Käse um ein Vielfaches cremiger, runder und molliger macht. "Bei bestimmten Produkten kommen diese Charakteristika besonders gut raus, bei anderen ist es nicht so wichtig." Joghurt aus Büffelmilch ist dick und so fest, als würde man Crème fraîche löffeln, mit dem Vorteil, dass dieses Joghurt nicht aus reinem Fett besteht. "Zum Kochen öffnet das neue Tore. Ich habe inzwischen viele Kontakte in der Gastronomie, die es in der Küche verwenden."
Dass die Arbeit mit Büffeln nicht die einfachste ist, musste Paget erst lernen. Die Tiere reagieren sensibel auf alles, was nicht alltäglich ist. Während eine Kuh Mengen von zehn bis 25 Liter Milch kaum zurückhalten kann, reduziert eine Wasserbüffelkuh, die nur rund sieben Liter Milch pro Tag abgibt, ihre Milchproduktion bei Irritationen im schlimmsten Fall auf null. "Es reicht schon, wenn Leute in den Stall kommen oder der Melker wechselt. Für einen Hobbybetrieb ist das verkraftbar. Aber wenn in einem Großbetrieb von 250 Büffeln nur noch die Hälfte Milch gibt, ist das ein Problem." Mainstream ist für Paget kein Thema. Er vergleicht seine Berufung mit einer Forschungsarbeit. Das neueste Projekt des Slow-Food-Mitgliedes: "Die Liste im Kopf ist lang. Als Nächstes ist ein Blauschimmelmischkäse von Ziege und Büffel dran." Man darf also gespannt sein, denn: "Alles was Paget angreift, wird gut", so Käsesommelier Herbert Schmid vom "Steirereck", der sicherlich zu den profiliertesten Käsekennern Österreichs mit enormem Hintergrundwissen zählt.
Die Kühe folgen aufs Wort.
Selbst auf einem Bauernhof mit Kühen aufgewachsen, gab es für Franz Deutschmann nie einen anderen Weg, als selbst einmal einen zu führen. Den Traum Käser zu werden, hatte er als Kind aber nicht. Was ihm keine Ruhe gelassen hat: wie der Käse entsteht, der täglich vom elterlichen Betrieb an die Molkerei geliefert wird. "Ich wollte wissen, wie aus dem flüssigen, weißen Etwas ein gelbfärbiger Käse entsteht." Nach dem Deutschmann die Landwirtschaftsschule besucht hatte, setzte er sich verstärkt am Hof ein und wechselte in die biologische Landwirtschaft. Vor zwanzig Jahren kein einfacher Weg. "Die meisten Bauern, die das gemacht haben, waren Aussteiger, wo man sich gefragt hat, ob das überhaupt wirtschaftlich ist. Trotzdem konnte ich meine Eltern überzeugen." Nach einer fünfjährigen Umstellungsphase und etlichen "Käsungsversuchen", war der Steirer soweit: Er eröffnete seine Hofkäserei in Frauenthal an der Laßnitz.
Dass Deutschmann Partner brauchen würde, die ihm Milch liefern, war klar. "Wir hatten damals eine Tagesmenge von 70 Liter, den Betrieb aber auf 400 Liter ausgelegt, die in einem weiteren Ausbauschritt auf 800 gesteigert werden sollten." Gemeinsam mit vier Bauern, die ihn täglich mit frischer Biomilch beliefern, wurden sechs verschiedene Käsesorten kreiert, die mittlerweile an Adressen wie Meinl am Graben, KDW in Berlin und an die Supermarktketten Billa und Merkur geliefert werden: Camembert, weißer Rohmilchbrie, roter Brie, Kürbiskern- und Fasslkäse und der so genannte Steirerschimmel.
Die große Herausforderung bestand darin, aus etwas Ursprünglichem, also aus Rohmilch, einen Käse herzustellen. Sich auf das schwierige Handwerk der Rohmilchverkäsung einzulassen, war in der damaligen Zeit ein gewagter Schritt. Dennoch war Deutschmann davon überzeugt. "Die eigene Bakterienkultur, die man auf jedem Bauernhof hat, ist notwendig, um dem Käse eine bestimmte Richtung zu geben. Wenn ich die Milch pasteurisiere, gehen die eigenen Geschmacksträger, die ich auch durch die Fütterung beeinflussen kann, verloren. Bei der Rohmilchverkäsung entwickelt sich ein eigenes Aroma, es gibt einfach mehr her." Dass ein gewisses Restrisiko besteht, muss man in Kauf nehmen: "Als Rohmilchkäser hat man den Nachteil, dass man keinen erstklassigen Käse machen kann, wenn man keine erstklassige Milch hat." Deutschmanns Schlüssel: Ein höherer Milchpreis für hohe Qualität.
Das innige Verhältnis zu seinen Tieren macht sich bezahlt. "Wenn man eine Vertrauensbasis aufgebaut hat, dann folgen die Kühe auch." Die "Pawlow’sche Konditionierung" des Käsers ist im ganzen Ort bekannt: Die Tiere sind in einem Laufstall untergebracht und haben die Möglichkeit, ständig ins Freie zu gehen. Während sie gemolken werden, werden sie auch gefüttert. Von Vorteil ist, dass sie auf ihre Namen hören, den jede seiner rund 20 Kühe selbstverständlich hat. "Wenn ich sie rufe, kommen sie über den Laufhof rüber. Gleichzeitig werden sie angelernt, nur einmal zu kommen. Das heißt, wenn ich vergesse, dass ich eine Kuh schon gemolken habe, kommt die auch kein zweites Mal." Problematisch kann es allerdings durch die Namensvergabe werden: Bei der Zucht ist es üblich, dass der Name der Kälber mit demselben Anfangsbuchstaben beginnt wie der Name der Mutterkuh. "Wir haben eine Linie mit e. Da muss man schon aufpassen, dass man keine Namen wählt, die ähnlich klingen, sonst stehen gleich zwei oder drei Kühe vor der Tür."
Die heiklen Ziegen
463 Kilometer von Deutschmann entfernt wird im Salzburger Lungau auf die Milch der Ziege gesetzt. Gunther Naynar heißt der Käser, der sich seit dreißig Jahren mit der Käseproduktion beschäftigt. Begonnen hat alles in der Dachsteingegend, wo sich der damals 20-Jährige in den Kopf gesetzt hatte, selbst Käse herzustellen. "In einer Zeit, wo es alles andere als modisch war und schon gar nicht anerkannt. Wo die Konsumwelt gerade ihren Aufschwung erlebt hat und wo alles, was möglichst weit weg, billig und schnell war, einen höheren Stellenwert hatte. Es war ein bissel ein Protest gegen die Zeit, dass ich selber was g’macht hab." Die ersten Experimente fanden auf einer Almhütte statt, in der so ziemlich alles gleichzeitig passierte, angefangen vom Kochen bis zum Brotbacken und Käsemachen. Zurate gezogen wurde ein befreundeter Käser, der von der alten Schule war und das Handwerk von Grund auf erlernt hatte. "Den hab ich dann g’fragt, ob’s eh nicht ganz falsch is, was ich da mach." Auf Naynars Hiasnhof in Göriach werden alte Getreidesorten von der Arche Noah angebaut und biologische Frischkäse bis zwei Jahre lang gereifte Hartkäse von Kuh und Ziege produziert. Mit Frankreich will sich der Stoiker gar nicht messen. "Das war vielleicht vor dreißig Jahren ein Thema. Inzwischen sind wir aber ein paar Leut‘, die das schon längere Zeit ernsthaft und erfolgreich machen und selbstbewusst genug sind, um zu wissen, dass wir uns nicht ständig mit Frankreich messen müssen. Angeboten wird Naynars Käse im "Mesnerhaus" in Mauterndorf, bei den Obauers in Werfen und im "Steirereck" in Wien. Feinkostläden beliefert er nur wenige, lieber verkauft er seine Käse selbst am Markt. Eine Supermarktlistung käme für ihn nicht in Frage: "Das ist mir zu anonym."
Das Wohlbefinden seiner Herde ist dem 53-Jährigen sehr wichtig. So lange es die Witterung zulässt, sind seine Kühe auf der Weide. Die Ziegen haben eine große Auslauffläche und bekommen jeden Tag Frischfutter durch den Zaun zugesteckt. "Das hat psychologische Gründe. Die Ziegen sind sehr heikel und freuen sich einfach, wenn’s jeden Tag was Neues kriegen. Ziegen sind viffer als zum Beispiel Schafe und dadurch auch gemeiner. Kühe hingegen sind das genaue Gegenteil, sie sind friedliebend, ruhebedürftig und haben einen langsamen, wohltuenden Rhythmus. Es ist schön, diese zwei Pole an Tieren zu haben."
Naynars Kühe dürfen die Hörner behalten, was Seltenheitswert hat. Er ist davon überzeugt, dass die Hörner einen Sinn haben und sich womöglich sogar auf die Milch auswirken. Auch auf das Wunder der Technik kann er verzichten: Naynar arbeitet mit einer Konstruktion, bei der der Hartkäse mit Hebelwirkung und Zement im Kübel zusammengepresst wird – ein originelles System, das durch nichts zu überbieten ist. Von gelebter Tradition hält das Slow-Food-Convivium-Mitglied viel: "Es ist schön, wenn die Sachen bleiben, wo sie gewachsen sind. Grundnahrungsmittel müssen nicht hin und her transportiert werden – es ist nicht notwendig und eine Verarmung für unsere Welt, wenn man überall das Gleiche kriegt. Es ist die Vielfalt, die unsere Welt ausmacht."