Spicy,Spicy

„Vorstadtmann“ Bernhard Schir und der Geschmack der Thaischärfe. Fast eine Lebensliebe. Die in knifflig zeitintensivem Hacken, Rösten, Zermörsern zwecks Zubereitung Grüner Currypaste gipfeln kann. Doch. Wenn man sich für ein kreatives, sinnliches Leben entscheidet, muss man auch über Geschmack nachdenken und entscheiden.

Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak

Man nehme: Sinnlichkeit. Neugier. Intelligenz. Talent. Gebe einen Schöpflöffel Charme dazu. Eine kräftige Prise Non­chalance. Einen guten Schuss Nachdenklichkeit . Rühre vorsichtig eine Handvoll gebändigtes Temperament darunter. Garniere mit Humor und versonnen-amüsiertem Lächeln. Richte das alles auf g’standenen Ein-Meter-Achtzig an: Bernhard Schir. 53.

Ein Goodie, das leider nicht zu kaufen ist. Doch immerhin: In Film und Fernsehen und noch unmittelbarer am Theater in allen Facetten zu betrachten. Bloß wonach er riecht, wird bestenfalls am Bühnentürl beim Autogrammholen zu erraten sein. So etwas fragt man richtige Männer nicht. Im Sieveringer Steirerstöckl zwischen Vorstadtweiber-Dreh und Flug nach Berlin – er wohnt im ersten Haus in Berlin-Mitte, aber eigentlich gehört’s zum Prenzlauer Berg (und ja, man kann schon Heimfahrt sagen, da das Kind dort zur Schule geht, selbst wenn der Tiroler Schir Worten wie Angekommensein zutiefst misstraut) – also, im bilderbuchgrünen Steirerstöckl-Garten „gönnt er sich einen Kurzurlaub für Körper und Seele“, wie es der Prospekt ohne zu übertreiben anpreist. Redet über Essen, Einkaufen, Kochen und Geschmack. Und lächelt wie meist nur mit den Augen: „Kochen ist eine Kunst und eine gar edle.“ Das hat Henriette Davidis gesagt, Deutschlands berühmteste Kochbuchautorin, deren Praktisches Kochbuch (für die gewöhnliche und feine Küche) von 1845 über Generationen vererbt wird. „Wenn man sich für ein kreatives, sinnliches Leben entscheidet, muss man sich früher oder später mit Geschmack auseinandersetzen, in der Kunst und auch beim Essen. Das gehört zusammen“, sagt er.

Nach einer „schönen Kindheit“ und der Matura ­studierte der behütete Bub aus gutbürgerlichem Haus zunächst kurz Medizin in Innsbruck, ehe er am Wiener Max Reinhardt Seminar landete: „Dann fährt der Zug.“ In den freischaffenden Künstlerberuf, auf die Bühnen, vor die Kamera, in alle Kontinente. Parallel dazu verfeinern sich Zunge und Phantasie, verfestigen sich Mut und Ausdauer am Herd. „Fast alle Schauspieler, die ich kenne, beschäftigen sich mit Kochen – als kreativen Akt. Bei mir hat’s (wie bei vielen) ganz simpel in der Studenten-WG begonnen. Mit Schinken-Käse-Toast und Spaghetti Bolognese. Mehr war nicht notwendig, nicht wichtig, nicht möglich, ich hätte auch weder Zeit noch Geduld für mehr gehabt. Später, als man auch in bes­sere Restaurants kam, hab ich mich natürlich gefragt: Wa­rum schmeckt’s dort so gut? Selbst der Schinken-Käse-Toast! Hm. Es braucht eine gewisse Leidenschaft, vielleicht sogar Talent für Geschmack.“

Schir hat in Thailand gedreht. Wo die Frage, wie man Grüne Currypaste macht, so drängte, dass er sie in einem Kochkurs beantworten ließ. „Ein irres Ding“, kam er drauf, „unheimlich aufwendig, mit Winzighacken ­aller Zutaten, vom Zitronengras bis zur Kaffir-Limette, mit vorsichtigem Rösten von Kreuzkümmel, Pfeffer und Garnelenpaste (die man nicht mit den Fingern berühren sollte, weil die sonst sehr lange sehr intensiv stinken), mit feinstem Zermörsern sämtlicher Zutaten. Uff! Man macht sie nicht sehr oft, weil es so aufwendig ist. Gibt die grüne Paste natürlich auch im Asia-Laden. Trotzdem würde ich Grünes Thai-Curry à la Schir als mein Lieblingsrezept bezeichnen. Viel Chili! Spicy, spicy. Den Geschmack der Thaiküche spür ich schon sehr gern im Mund.“

So weit, unterschiedliche Chilisorten zu züchten, geht er aber nicht. Er sei auch ein Freund der getrockneten Flocken. Und natürlich müsse man aufpassen, nicht alle anderen Geschmäcker damit zuzudecken, Die Spaghetti con Punti di Filetto, für die er immer Fusilli, also Spiralen nimmt, sind die Lieblingsspeise seines 13-jährigen Sohnes Jonathan. Die Sauce zu den Filetspitzen – das Fleisch selbstverständlich vom Fleischhauer und nicht aus dem Supermarkt – darf nicht zu süß sein, aber auch nicht zu chili- und pfefferüberdeckt: „Eine leichte Schärfe ist die Kunst, sie soll die Tomaten-Süße nicht überdecken. Ich mag es sehr, dieselben Gerichte immer weiter zu verfeinern und zu verbessern.“ Der Daddy schüttelt milde gerührt den Kopf: „Ich fand’s in diesem Alter cool, ins Restaurant zu ­gehen, mein Sohn liebt es, wenn ich für ihn koche! Jaaa, und ich tu das, sooft ich in Berlin bin, wenn ich nicht drehe oder probe. Möchte mir das schöne beglückende Abenteuer Kind ja nicht entgehen lassen, wie es heranwächst. Ist schon passiert, dass ich nicht da war, wenn er einen Schub gemacht hat – es ist schrecklich, das zu verpassen.“ Ein begeisterter Vater, durchaus bereit, den künstlerischen und finanziellen Wert der Angebote an der Zeit zu messen, die ihm mit Jonathan bleibt. Sonst? „Wir skypen, mailen, simsen, whatsappen. Logisch. Mit einem Digital ­Native.“ Ihm, dem Digital Immigrant, reicht das zu seinem Glück. Bernhard Schir verweigert Facebook und Twitter. Grinst: „Hab nicht so viel Interesse, der Welt mitzuteilen, an welchem Strand ich gerade liege und welches Hemd ich mir gekauft habe. Es geht auch ohne Social Media.“

Über Geschmack. Nachdenken und entscheiden. Nicht nur beim Essen. An der Josefstadt als jahrelang vom Vater missbrauchter Sohn in Thomas Vinterbergs Das Fest furios gegen die honorige Verdrängungsgesellschaft aufzutreten, in einer Rolle, die ihm 2007 den Theaterpreis „Nestroy“ brachte. Oder in der Uraufführung des Zweipersonenstücks Heilig Abend von Daniel Kehlmann im Februar 2017 Maria Köstlinger zu verhören, die als Bombenlegerin verdächtigt wird. Sich nach seinem Durchbruch in die Breite mit der Arztserie OP ruft Dr. Bruckner (1996) auf allen Kanälen in Melodramen, Krimis und Komödien erzappen zu lassen „Ich mache eben Pop UND Klassik. Ich lasse mich in meinen Rollen nicht festlegen.“ Vergangenes Jahr hat der Vielseitige Karl Schönherrs Stück Der Weibsteufel bei den Festspielen Reichenau inszeniert: „Meine erste Regiearbeit.“ Es könnten weitere folgen.

Den Vorstadtweibern und seiner Rolle als Hadrian „Hadi“ Melzer ist er herzlich zugetan. Sie wissen: Hadi, der Mann von Caro (Martina Ebm) und der Ex von Sylvia (Julia Stemberger), die sich vom Krankenhausbalkon in den Tod befördert. Hadi, der in Folge 14 fristlos entlassene Banker, mit ordentlich Dreck am Stecken, den die wunderbar fiesen Intrigenspiele letztlich zum Bundeskanzlerkandidaten hochpushen. Abrakadabra! Abgesehen davon ziemlich realistisch die Hadi-Figur, vom wirklichen Leben abgeschrieben, oder sei’s nur, dass Schir sie so glaubwürdig ausfüllt. Mit äußerlicher Haltung in allen Malaisen und innerlicher Distanz zu sich selbst. Bestens betucht ehelicht der Banker seine junge Sekretärin, fühlt sich bisweilen überfordert, entspannt sich mit der Ex, hm, was sich (für zwei Weiber) potenzmäßig nimmer ausgeht. Aber ja, Hadi rastet in Extremfällen auch aus, prügelt sich gar, besäuft sich bis zum Gehtnichtmehr. Doch er ist kein Jammerlappen und kein Schwätzer. Gefühle liest man hauptsächlich an seinen Augen ab. Schir kann das. Hat das. Und ist obendrein sexy!

Er freut sich schon auf den Dreh der dritten Staffel im Oktober, auf die (beim Lesen oft für ihn selbst) überraschenden Wendungen, mit denen Drehbuchautor Uli Brée eine Figur weiterentwickelt, aufs Miteinanderspielen der Weiber und Männer. Ätzt amüsiert und verwundert zugleich über die widersprüchlichen Kritiken – „jeder schreibt, wie’s ihm reinpasst“ – und darüber, wie viele Blickrichtungen es auf diese Serie gibt: „Ist nix anderes als gute Unterhaltung. Punkt. Wenn die Gerti Drassl in einer Folge einen Schwangerschaftstest kauft, ist das feinste Komödie … Und. Der ORF hat Erfolg. Warum kann man das nicht einfach so stehen lassen?“

Privates lässt er gern privat. Steht eh in Wikipedia, dass er seit 2008 nicht mehr mit Jonathans Mutter, der schönen deutschen Schauspielerin Suzan Anbeh mit französisch-iranischen Wurzeln zusammen ist. Doch. „Ob ein fröhliches Mahl überhaupt ohne Frauen denkbar ist, lasse ich offen“, legt er sophisticated den Spruch von Erasmus von Rotterdam auf den Wirtshaustisch. Zum sämigen, gerade richtig scharfen steirischen Erdäpfelgulasch (das durch ein Essiggurkerl auch noch pikante Säure gewinnt). Zum süffigen südsteirischen Rosé aus biologischem Anbau. Also. Natürlich hat er eine Partnerin. Keine Schauspielerin. „Ich lebe seit sechs Jahren in einer unfassbar schönen Beziehung. Und damit es so bleibt, rede ich nicht darüber. Ich bekoche sie wahnsinnig gerne (obwohl sie’s genauso fabelhaft kann), mag es so gerne, wenn sie ‚Mhmmm‘ sagt. Sinnlich!“ Muss dann doch mit ein bissl Selbstironie nachsalzen: „Männchen macht Weibchen durch Nahrungsangebot gefügig.“

Hm. Klingt fast ein wenig nach Hafen. Noch vor ein paar Jahren hat Schir erklärt: „Ein Hafen ist etwas Vorübergehendes. Dort holt man Essen, Getränke, ruht sich aus. Ich bin ein Freund des offenen Meeres.“ Na gut, in New York hat er, hm, (auch) der Liebe wegen, drei Monate im Actors Studio geschaut, was dort abgeht. In Paris, wo er zwei Filme ­gedreht, zwei Jahre gelebt hat, (auch) um Suzan Anbehs französischen Wurzeln nachzugraben, hat er das Kochtopf- und Pfannen-Paradies bei Dehillerin entdeckt. Über ein Kochbuchfoto, und jetzt stellen Sie sich bitte eine Lammhaxe mit grob geschnittenen Schalotten und Kartoffeln mit ein, zwei Rosmarinzweigen in einer Kupferpfanne mit schmiedeeisernem Stiel vor. Und ja, es war ein Kochbuch von Paul Bocuse von einem Altwarentandler an der Rive Gauche. Ach, Dehillerin! Erst drei, dann noch mehr Töpfe gekauft, und Messer und einen Schöpflöffel. „Am Kupfer brennt nix an, Gemüse, das du irrtümlich drei Stunden am Feuer stehen gelassen hast, ist immer noch bissfest, hat sogar auch das Aroma bewahrt, einfach ALLES schmeckt besser in Kupfer gekocht.“

Wie die Götter kochen, hat der kreative Freizeitkoch in der Closerie des Lilas am Montparnasse geschmeckt, in diesem Etablissement, wo sich unter Fliedersträuchen schon Émile Zola und Paul Cézanne getroffen haben, später die Lost Generation von Hemingway bis Henry Miller, auch Pablo Picasso oder Jean-Paul Sartre. Ein Herd des intellektuellen Paris. „Du kriegst Sachen, die du noch nie gesehen hast, und wehe, du bestellst den falschen Wein. Die Gefahr, du könntest dir den Geschmack des Gerichts verderben, wenden die Kellner ab. Liebenswürdig, aber bestimmt. So was würden sie niemals zulassen.“ Ebenso wenig im La Coupole, wo Schir zum ersten Mal in Zucker glacierte Schalotten gekostet hat und von der Rotweinschaumsauce, in der Blütenblätter schwammen, fasziniert war. Von den „verzaubernden Geschmacksentwürfen bis hin zum Käse, der in 1 x 1 Zentimeter großen Stückchen daherkommt, für die einer in ganz Frankreich herumfährt, um sie zu suchen. Nicht nur in Paris, Spitzenköche generell sind wahre Künstler.“ Wobei. „War mal auf den Malediven tauchen, auf der Rückfahrt fischte die Boatcrew einen Yellowfin Tuna, hat ihn am Strand auf den Grill gelegt. Frischer Fisch, in Würfel geschnitten, dazu Limettensaft und ­Papayasalat! Besser geht’s nicht.“

Als Bub ist er gleich nach der Schule heimgeradelt, zum warmen Essen, das die Mutter jeden Tag für ihn auf den Tisch gestellt hat. Sehr, sehr gut habe sie gekocht. Ihr gespickter Hirsch mit Serviettenknödeln war legendär. Ganz speziell aber, zumindest für ihn als Teenager: ihr Paprika­schnitzel mit Reis. „Völlig einfach in der Anfertigung – aber diesen speziellen Geschmack krieg ich bis heute nicht hin.“ Eher noch die Gefüllten Paprika, obwohl die auch gar nicht leicht sind. Ja, und um sich nicht aufs hohe Ross zu setzen: Jamie Oliver und Nigella Lawson haben ihm Mut gemacht haben bei seinen ersten Versuchen, die Schinken-Käse-Toast-Periode zu sublimieren. „So sinnlich, wenn Nigella im TV Eigelb und Eiweiß mit den bloßen Händen trennt! Nix etepetete. Das macht Freude.“ Für die Wiener Schnitzel und Schinkenfleckerln kam irgendwann der Plachutta dazu. „In Berlin ‚wollen’se‘ immer österreichisch essen. Ich liebe ‚meinen‘ Plachutta – die Rezepte sind herrlich, und das Resultat schaut wirklich so aus und schmeckt auch so, wie es soll, was bei Jamie Oliver nicht immer der Fall ist.“ In Gesprächen quetscht man dann irgendwo, ­irgendwie heraus, dass Muskat zu den Schinkenfleckerln eine Sensation ist. „Probiert es aus. Wie am Theater: Probieren, probieren. Irgendwann. Kommt dann der große Applaus.“