Sportlich, sinnlich, herdlich
Feiertag. Drehfrei. Und kein Tochter-Weekend. Also. Geht Juergen Maurer nicht auf den Markt. Entschleunigt am Berg. Steht nicht am Herd. Genießt nur den Geschmack der Gegend im Knappenhof in Reichenau an der Rax.
Text von Ro Raftl · Fotos von Philipp Horak
So denkt man sich Sommerfrische: starke Ausstrahlung. Guten Geruch. Mannomann. Nicht übel, die Muckis unter dem Garnpullover. Kraftkammer? Klar, gehört zur Allgemeinbildung. Der Kopf dazu könnte aus einem Ahnenbild der Jahrhundertwende entsprungen sein, als die Herren noch jeden Morgen den Barbier aufgesucht haben. Haupthaar, Bart und Brauen in millimetergenauer Perfektion getrimmt, kein fürwitziges Nasenhaar übersehen. Das Wesen dazu scheint offen und zurückhaltend zugleich. Sonnig beherrscht mit schattigen Ecken. Von der Seite gesehen, löst sich der strenge Holzschnitt in weicheren Linien auf, mit verwischten Anflügen von Melancholie. Da kann reinträumen, wer immer sich was träumen will.
Frisch höhengelüftet steht Vorstadtmann Juergen Maurer auf der Terrasse des Reichenauer Kurhotels Knappenhof. So gegen acht Uhr früh hat er sich zu einem Gang in Richtung Rax aufgemacht: „Die längere Distanz entschleunigt, erdet mich und verbindet mich mit dem, was ich hab.“ Jetzt die Bergschuh’ von den Füßen geschleudert. Kaffeee! Am lauschigen Löschteich serviert. Und Kärntner Reindling zum süßen Beginn eines Brunchs, der sich ein paar gute Stunden zieht. Wer ordentlich sportelt, darf auch ordentlich essen. Der Reindling ist ein Tribut an die à-la-carte-Geschichte über den Klagenfurter Stammgast, der den Knappenhof liebt, seit er das erste Mal in Reichenau Theater gespielt hat: Zweig’s „Schachnovelle” dramatisiert. Danach noch vieles mehr. Wenn die Freud-Suite wegen Festspielüberfüllung nicht frei war, hat er auch auf der Couch im kleinen Freud-Museum geschlafen. Gitti Klenner-Kaindl, die Geschäftsführerin (und Psychologin, aber das ist eine andere Geschichte), busselt er mit zärtlichem Respekt.
Reindling-Ausnahmezustand also. Die Insiderfragen zur Zubereitung hat Maurer mit Küchenchef Dieter Breitenecker schon im Morgengrauen diskutiert: Rosinen, wie er sie mag, Tochter Mara aber nicht? Die Prise Safran, die den Kuchen geel macht? Dem Reindling ein Krönchen aufsetzt, das er in Kärntner Bauernstuben nur ganz selten trägt . . .? An und für sich sucht der Genießer den Geschmack der Gegend, in der er grad umgeht. In Reichenau passt’s. Dieter Breitenecker, der vom Wechsel stammt, in Wien beim Schnattl und im Gaumenspiel praktiziert und dem Knappenhof 2013 seine Haube erkocht hat, sucht seine Produkte vor Ort: Die Brennesseln für einen Pudding mit Radieschen & Eierschwammerln sind in Wald & Wiesen gepflückt, den Wechsellachs, der eigentlich ein Saibling ist, bringt er von zu Hause mit, das Kreuzberglamm hat am Berg vis-à-vis geweidet und das Rind fürs rosa gebratene Beiried am Preiner Gscheid. Maurer bestellt Beiried: „Bin ja doch ein Fleischtiger.“ Es ist sein x-tes Menü an diesen Feiertagen. Drehfrei. Zu sich kommen. Den Kopf auslüften.
Gearbeitet wird nicht schwach. Ende Juni soll die erste Hälfte der zweiten Staffel „Vorstadtweiber” fertig sein, die zweite wird im September, Oktober gedreht. Geheim natürlich die Plots, doch eines ist absehbar: „In der ersten Folge sitz ich im Rollstuhl, nachdem mich meine Frau Maria zum Finale der letzten Folge in der Garage an die Wand gepickt hat." Gerti Drassl, ja, er „liebt“ ihre g’feanzte Großartigkeit. Schon seit der ersten gemeinsamen Arbeit am Emmy-Winner-Film „Das Wunder von Kärnten”. Hehe! Sie wird dem Vorstadtclan noch einige Überraschungen liefern.
Ihn hat „die Ambivalenz“ an der Rolle des Georg Schneider gereizt, „die sehnsüchtige Glückssuche eines verlorenen Menschen, der’s erst mit einer spießigen Familie versucht, bevor er sich dazu bekennt, schwul zu sein“. Wie abgekupfert vom wirklichen Leben. Klar, auch den Typus flottes Künstlergroupie kennt man, Georgs Altachtundsechziger-Mutti, die über ihre großen Zeiten schwadroniert: „Alle hab ich sie gehabt. Also sorry. Wer dein Vater war, kann ich beim besten Willen nicht sagen“. Ziemliche Keule für einen Heranwachsenden. So was kann viele Therapiestunden kosten.
Juergen hatte Glück mit seiner Mamsch. Nach der Kochlöffel-Aka hat die Tochter des Kärntner Architekten Herbert Hiltl den Ferlacher Elektroingenieur Friedbert Maurer geheiratet, sich um Kinder und Haushalt gekümmert. Täglich frisch gekocht – und wie! Die Klassiker der Wiener Küche frei interpretiert: gefüllte Paprika, Szegediner Gulasch, Beuschel, g’röste Nierndln. Es ist aber das Zungenragout, das vom Sohn als Leibspeis verherrlicht und nachgekocht wird – wobei er allenfalls die Pimentkörner durch grünen Kardamom ersetzt: „Weil grüner Kardamom, glaub ich, nicht so in Mamis Würzrepertoire verankert war“. Dazu gibt er Reis. Kindheitsgeschmack wie zu Haus. Ist er sehr mamimäßig drauf, spickt er die Zwiebel im Reiskochwasser mit Nelken.
Eine eigene Familie, so richtig Papa, Mama, Kind, wollte sich bei ihm nicht ergeben. Doch, er hat Zusammenleben geübt, zwischen 21 bis 30, nur mit einer. Danach kamen bissl Durcheinander, ein Sohn und eine Tochter. „Mara ist 13“, sagt er. „und lebt fifty-fifty zwei Wochen bei ihrer Mutter, zwei Wochen bei mir“. Dass er sich die Existenz als alleinstehender Teilzeitvater nicht ausgesucht hat, „sie aber genießen kann. Mara die Sicherheit zu geben: ,Meine Eltern sind für mich da, was immer passiert‘, halte ich für das Wichtigste. Jedenfalls hab ich bestimmt mehr Zeit auf Spielplätzen und beim Aufgabenmachen mit ihr verbracht als mein Vater mit mir.“ Lacht: „Bloß. Kleine Kinder mit ihrem Lieblingsessen nackerte Nudeln mit Parmesan zu bekochen, ist eine Fleißaufgabe.“ In seinem Dornbacher 170-Quadratmeter-Loft, das dank hochinteressanter Raumaufteilung bei aller Luftigkeit großer Fensterfronten urgemütlich wirkt, steht die Küche wie eine Kommandozentrale im Raum. Jetzt schnurrt der verliebte Daddy längst: Sein schönes, kluges, begabtes Kind konnte als Neunjährige nach seiner Ansage (über die Trennwand zum Badezimmer) die erste eigene fabelhaft gewürzte Kartoffelsuppe kochen. Ja, es kristallisiert sich immer stärker heraus, dass auch sie eine Genießerin ist, seine aufwendigen Frühstücksanrichtungen mit Tischtuch, Süßem, Saurem, Salzigem und allem g’sunden Gschistigschasti liebt. Auch, wenn er vom Markt heimkommt, mit Säcken voll frischer duftender Beute. Maurer grinst. Stempelt sich zum Phäaken, der das Grundsinnliche als notwendige Forderung ans Leben erkannt hat: die frischen Erdbeeren vom burgenländischen Feld, die Lammkeule vom Türken am Brunnenmarkt, die Marillen vom Baum in der Wachau gepflückt, den lebensspendenden Überfluss als starkes Erlebnis.
Seine Lust am Essen war immer mit Lust an Bewegung verschränkt. Seit der 48-Jährige als Kinderballettbub bis ins Klagenfurter Stadttheater gehüpft, in der Mittelschule als Kaderschwimmer, Turner- und Zeichentalent aufgefallen ist. Deshalb. Zog er mit 18 nach Wien, um an der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz Graphik zu studieren und das Lehramt zu machen. In der Studentenbude hat er für sich selbst gekocht. Na, nicht Dosen gewärmt. Richtig. Geschält, gehackt, gequirrlt, geröstet, gebraten, gebacken. Herausfordernd nach dem guten Mutter-Futter. Kellnerieren ging er, um sich sein erstes Motorrad zu finanzieren. Parallel dazu in Musicals mit einer Amateurtruppe singspielen. Zufällig eher, aber sehr leidenschaftlich. Bis. Erhard Pauer vom Theater der Jugend ein Vorsprechen & Vorsingen im Wiener Kabarett Kulisse veranstaltet hat, als Juergen dort den Kellner gab. Das Wettex in die Abwasch pfefferte, Mut fasste und Pauer fragte, ob er auch vorsingen dürfte … Er durfte und wurde sofort besetzt. Uff! Zwei Tage hat er überlegt, gewusst, dass damit sein Studium hinfällig wird. Dann die Theaterchefs gefragt, ob sie seine Mentoren werden wollten, als Äquivalent zu einer Ausbildung. Das haben die wiederum zwei Tage überlegt – dann bot ihm Reinhard Urbach einen Ensemblevertrag an. Der Debütant musste halt die Gewerkschaftsprüfung ablegen.
Hat er seine „Mamsch“ besucht, ist er in Kärnten gewandert, „wo’s ein paar Berge gibt, bei denen du die Ohren anlegst, wo dann aber Erbsensuppe und Brettljause in der Alpenvereinshütte besser schmecken als jedes Chateaubriand“. Mit der Maschin ist er ins Friaul gebrettert, nach Udine, Cividale, Venzone „wo die Küche dem Kärntnerischen ganz nahe ist“. Den Erdbeer-Risotto hat er aus Venzone mitgebracht, „der Frau Maria aus dem Caffè Vecchio nach dem Teller gekocht.“ Obwohl: „So wie ihr ist er mir, um die Wahrheit zu sagen, nie gelungen, aber zur Erdbeerzeit ess ich ihn gern, schon als Erinnerung ans Friaul bei mir zu Haus direkt ums Eck. Wobei: Wenn ich ihn als Hauptspeise richte, mach ich ein paar knusprige Chips aus San-Daniele-Schinken und lege sie auf den Risotto." Fleischtiger (wissen wir schon), aber echt! Schwärmt nicht nur lauthals vom friulanischen Lado, diesem speziell gewürzten weißen Speckfett: „Da kannst dich eingraben!“ Erinnert sich auch an Lissabon, wo er als Werfel in Paulus Mankers „Alma − A Show Biz ans Ende” nach Purkersdorf und Venedig in einem pittoresk verfallenen Konvent gastiert hat, nicht an den Geschmack von Bacalhau: „Meist zu trocken, kompliziert und stinkend in der Zubereitung“, sondern an die Jause: die Wurst, den Käs, den Vinho Verde. „Das Schöne an dem Beruf ist, dass man herumkommt.“
Ernsthaftigkeit, exakte Körperarbeit, sozialpolitische Haltung, die sich unter anderem darin äußert, dass er seine Wohnung selber putzt, hat Maurer im Schauspiel Leipzig zwischen 1993 und 1997 intensiv trainiert. Theaterchef und Regisseur Horst Ruprecht hat ihn geholt, Wolfgang Engel folgte und inszenierte Maurer als Shakespeares Richard III., was zu einem Titelblatt des Bühnenmagazins Theater heute und zu Maurers Engagement am Wiener Burgtheater führte: „Claus Peymann ließ mich vorsprechen und kiefelte zwei Stunden lang diverse Richard-Szenen mit mir durch. Eine schöne Erinnerung!“ Die sechzehn Jahre an der Burg aber gestalteten sich zu einem Zickzack zwischen Höhen und Tiefen, je nach Direktor und Regisseur. Klaus Bachler prophezeite: „Du bist ein Typ, der mit 40 überhaupt erst anfängt.“ Doch, war nicht nur das. Die pragmatische Perspektive in Ostdeutschland: Was kann der? Gefällt mir das?, den Status als Arbeiter hatte Maurer als wohltuend gespürt. Lag ihm näher als das Elfenbeinturmgewese an der Burg. Matthias Hartmanns „Egogewichse: Der Mensch ist Material“ ging ihm auf den Keks. Nach vollendeten 18 Jahren wäre Maurer „der letzte pragmatisierte, beamtete Schauspieler geworden“, 2012 kam’s zu einer Trennung ohne Schmerzen. „Künstler zu verbeamten, entzieht ihnen die Grundlage“. Davon ist er überzeugt. Andererseits: „Schon ein hochschwelliger Sprung aus der Sicherheit des Engagements in die Freiheit.“
Doch. Gab neben dem Theater auch ein Leben im TV. In Serien von „Schnell ermittelt” über „Tatort Hiob”, „SOKO Wien”, „Vier Frauen und ein Todesfall”. Eher als Verdächtiger denn als Opfer. Ja selbst als Buddy des Schäferhunds Kommissar Rex in einer austro-italienischen Neuauflage durfte Maurer als verbitterter schicksalsgezeichneter Witwer daherkommen. Und. Regisseur Andreas Prochaska hat ihn für „Das Wunder von Kärnten” durchgesetzt. Maurer sagt laut, dass er ihm dankbar ist. Nach zehn Folgen „Vorstadtweibern” stand er nun auch wieder auf der Bühne: als desillusionierter Realpolitiker Hoederer in Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ am Landestheater NÖ in St. Pölten.
Alles zu seiner Zeit. Auch beim Alkohol: „Wenn ich zum Ottohaus hirsche und es ist heiß, trink ich ein Bier. Nach einem fetten Essen will ich einen Schnaps. Im Knappenhof trink ich abends Wein. Die Gitti Kaindl stellt mir einen Heideboden vom Preisinger hin und der ganze Körper sagt: ,Hocherfreut, Sie kennenzulernen! Wir werden Freunde.‘ Kauf ich selber ein, dann beim Winzer. Der Jagdinstinkt! Beute machen! Na ja, der Hannes Reh in Andau, der Artner in Höflein, der Gesellman in Deutschkreutz erleichtern die Jagd. Zu meinem Glück hat ja auch die Sorgfalt beim Weißwein zugenommen. Der G’mischte Satz vom Meyer am Pfarrplatz ist schlicht eine Sensation. Von Wieningers Weinen gar nicht zu reden."
Na, für Blendendes, Marke Vorstadtweiber, verschwendet er seine Gage nicht. Hat sich lieber den Bubentraum von der eigenen Motorradlwerkstatt erfüllt. Traum auch seines Wundermechanikers Alex Tichy. Also. Haben die beiden das Reifengeschäft von Szene-Legende Hans Jelinek in Ottakring übernommen. Einschub: „DER Jelinek! Der in Urzeiten als Erster den Österreich-Ring um 6.000 Schilling gemietet hat, damit seine Kradler-Buam drüberbrettern konnten“. Maurer mutierte zum „Entrepreneur“, während Tichy um eine (markenfreie) Motorradwerkstatt auf Moto psycho Tichy erweitert hat, und zieht im Hintergrund als PR-Mann und Website-Gestalter die Fäden. Findet’s: „Erfrischend als Kontrapunkt zur Schauspielerei. Hat so was Reales. Ölige Finger sind echt schmutzig.“
Gut, das lebensgefährlichste Biker-Alter zwischen 20 und Mitte 30 hat er überstanden. Kann ohne Imageschaden auch nur mountainbiken. Natürlich zu geschmackigen Zielen. Ins Kahlenbergerdörfl, ins Restaurant am Tulbingerkogel oder gleich über Dornbach – Exelberg – Dopplerhütte – Königstetten nach Tulln zum Sodoma. „Dort schmausen, zwei Viertel, dann dich und das Radl zum Bahnhof schleppen. Ein Traum.“