Suppen. Puppen. Intuition.
Ein Kantinenveteran. Hat in den Lockdowns den Haushalt lieben gelernt. Süßkartoffel-Ingwer-Orangen-Suppe im Topf. Chilisträucher auf dem Balkon. Nikolaus Habjan, gefeierter Meister der Puppen und vielschichtigen Künste, kocht endlich „richtig“. Nach Gefühl.
Stationentheater. Mit und ohne Puppe. Beginnen wir mit dem Finale: dem kleinen Glück, fast vor der Haustür, dem Zungenspitzelkick aus der Gelato-Bar Vanella in Wien Neun. „Eis zu jeder Tages- und Jahreszeit!“, lässt Nikolaus Habjan das Kind in sich spielen. Wenn auch nicht auf jedem Spielplatz. „Am Vanille erkennst den guten Eissalon. Traust dich, alle Sorten durchzukosten, selbst ganz erstaunt, dass Pistazie und Salzkaramell zu Lieblingssorten werden können.“ Doch. Bis sich Vanellas eisiges Karamell voll und dunkel an den Gaumen schmiegt, vorwitzig erhellt von Vanille, naturrein aus der Schote, ohne picksüß künstliche Aromen; bis der zarte Nachgeschmack der neuen Entdeckung Basilikum-Nuss feinsuppig jeden Geschmacksnerv kitzelt, dauert es seine Zeit.
Verabredungen, Verschiebungen, SMS, Mails, WhatsApps: Omikron grassiert noch immer an den Bühnen. In Basel inszeniert Habjan Rossinis Oper Der Barbier von Sevilla als Figurentheater. Da, dort und noch wo sind seit Langem Auftritte fixiert. Heftige Zeiten für den Puppenbauer, Puppenspieler, Sänger, Stimmenimitator, Kunstpfeifer, Theater- und Opernregisseur. Den „Virtuosen“. Virtuos ist das Codewort sämtlicher Artikel über NH. Es sind viele. Er wird nicht nur von den wichtigsten Intendanten geliebt. 2016 und 2018 war er beim Theaterpreis Nestroy klarer Favorit des Publikums.
Gibt ja kaum wen, der noch kein Erlebnis mit Habjan und einer seiner 65 Puppen hatte. Live in Theater, Oper, Konzertsaal oder virtuell auf YouTube. Wer hat sich nicht über „Adlerauge“ Berti Blockwardt zerkugelt, der uns in der Wiener Quarantäne bespitzelt hat? Über Sebastian Kurz, der Kreislers Kapitalistenlied am Heldenplatz sang: Nun, ich liebe euch und ich schieß nicht gleich …? Und hat nicht mit Friedrich Zawrel gelitten, in Habjans „wichtigstem“ Stück barbarischer Zeitgeschichte? 2012 bekam’s den Nestroy-Preis, doch noch wichtiger: Es wird bis heute an den größten Häusern aufgeführt. Erinnern!
Erinnern? Die Barbarei setzt sich woanders fort. Durchatmen. Kritisches Denken zählt, gewürzt mit einer gehörigen Prise Witz und Ironie. Das Glück des 35-Jährigen, genau das zu tun, was ihm das Liebste ist, seit er als Kindergartenkind Mozarts Zauberflöte im Salzburger Marionettentheater erlebt hat: Musik zu inhalieren, Puppen zu bewegen, Bühnenmodelle zu bauen. Anstand zählt auch. Flexibel, immer zehn Projekte im Kopf, bleibt Nikolaus trotz Megastress unserer Geschichte treu.
Stomach. Magie mit Charlotte.
Erstaunlich wach, na ja, bissl blass, da um fünf Uhr aufgestanden, um von Basel nach Wien zu fahren, studiert der junge Herr mit Charlotte die Speisekarte. Sie wählt das Spargelrisotto mit mariniertem Wassermelonenrettich und Grana Padana: „Ganz ausgezeichnet!“ Ein Glas Wein? „Immer!“, flötet Charlotte prompt und bestimmt. Wow! Die Magie der Puppe funktioniert auch im Gastgarten. Alle Anwesenden lachen fasziniert.
„Sie war Köchin in der Kantine des Theaters an der Wien. Ich hab Salome dort inszeniert“, erklärt Habjan ihre Entstehung. Auf Wunsch von Intendant Roland Geyer sollte Charlotte die Rede zu seiner Abschiedsvorstellung halten.
Hoch in Mode. Habjans kulturweltberühmte Elfriede-Jelinek-Puppe – 2013 für Jelineks Stück Schatten (Eurydike sagt) im Akademietheater gebaut – las die Rede zur Nestroy-Verleihung für Schatten mit der Stimme der Nobelpreisträgerin. Somit war sie beinah wirklich im Saal. Die perfekte Illusion. Später sprach Puppe Elfriede bei den Donnerstagsdemos Jelineks Aufruf gegen Schwarz-Blau.
Fotofotofoto. Der Müdwache inspiziert mit der Puppenköchin Stomachs Küche. Mmmh! Doch bitte keine Gier! Fast hätte sich Charlotte die Finger am Topf der Mairübensuppe verbrannt. Riecht aber auch zu gut. Serviert wird sie mit Mango-Chili-Chutney. Ja, Suppen. Magenwärmer, Seelentröster, Kraftspender. Nikolaus liebt sie. Mutters Kürbiscremesuppe steht auf Platz eins; Tomatensuppe geht immer: die beste nach einem Rezept der Oma. Mit ihrer Stosuppe, der schnellen, einfachen, kümmeligen, hat er sich oft in den Lockdowns erwärmt, als alle Projekte auf Eis lagen.
„Da hab ich erst ,richtig‘ zu kochen begonnen. In der Studentenzeit und während der Praktika war’s schwer.“ Lacht. „Rudimentäre Nahrungszubereitung, das würde ich nicht kochen nennen.“ Außerdem. „War ich vielleicht bissl eingeschüchtert von den familiären Vorbildern: zu respekteinflößend Omas herrliches Kalbsgulasch mit Nockerln, ihr Beuschel und ihre Mehlspeisen, bissl aus der tschechischen Ecke. Die Mohnnudeln hat sie selbst gerollt, und ihr Kaiserschmarren war der flaumigste je gegessene. Ohne Rosinen. Roh hab ich sie mit der Schaufel gegessen, doch in Aufläufen oder Weckerln sind sie bis heut ein No-Go.“ Natürlich. Halfen er und seine Schwester in der Küche. „Besonders gern, wenn Oma ihre herrlichen Lebkuchen buk. Allerdings: Unsere kamen nie in den Verzehr. Sie waren grau.“ Grau? „Ja, wir haben so exzessiv geknetet …“
Wenn wir zu lästig wurden, hat sie uns ein paar heiße Kartoffeln aufgeschnitten, mit Butter, Kümmel und Salz hingestellt – und es war Friede mild am Waldrand von Graz Andritz.“
Schwärmt: „Genuss wurde immer großgeschrieben in unserer Familie. Beide Eltern kochen gerne und wahnsinnig gut. Da sind wir schon sehr früh verwöhnt worden. Hauptköchin ist die Mama, ach, ihr Tafelspitz und ihr Reisauflauf, zum Niederknien! Der Papa bäckt so gerne, vor allem, seit er in Pension ist. Seine Osterpinze kann man weithin suchen. Jetzt. Macht er Nudeln. Auch ganz herrlich!“
Einschub: ideale Eltern, bibliophile: Vater Valentin war Verleger, Mutter Ulrike Bibliothekarin. „Ich eine Frühgeburt, immer schon extrem ungeduldig. Ein Allergiekind, das im Frühlingsgrün zu leiden begann, folglich im Turnsaal saß und las, wenn die anderen draußen spielten. Mit Schwimmen war leider auch nix, Chlorwasser bekam mir nicht. Also Denksport!“ Und Opern-Sucht. Und Plastilin-Gier, um Figuren zu formen. Nichts belächelt, nichts verboten, jeder schöpferische Versuch unterstützt, jede noch so schwierige Frage beantwortet.
Zu Weihnachten haben alle miteinander gekocht. Nikolaus letztens mit völlig neuem Selbstbewusstsein: „Vorher. Hab ich mich immer strikt an Rezepte gehalten, an Omas, Mamas und Ottolenghis aus dem Simple-Kochbuch. Das wurde nie was, war immer enttäuschend. Dann. Bin ich einfach meiner Intuition gefolgt. Wie beim Puppenbau. Bisschen mehr, bisschen weniger, bisschen anders.“ Im Lockdown hat er’s trainiert. Als Versuchskaninchen lud er seine beste Freundin Eva ein, und es gelang, sie glücklich zu kochen. Schließlich, sogar Gäste einzuladen. Mit Erfolg.
Er niest. Ja, die Birke. „Ein wunderschöner Baum. Doch ich liebe sie nicht. Vor allem, wenn sie blüht.“ Direkt über uns im altvaterisch romantischen Hof des seit Anbeginn von Theaterleuten geliebten Restaurants in der Seegasse. Rauschend die Feste von Claus Peymann, George Tabori, Luc Bondy. Würdig. Nikolaus ehrt die Erinnerung, nur nützt sie grad gar nix gegen Pollenallergie. Heldenhaft, dass er trotzdem Show macht. Danke. Mit Handkuss an Charlotte. Die büselt längst in ihrem Puppenkoffer.
Konzerthaus. Gemischter Satz mit Franui.
Dorthin eilt er, zur neunten Auflage des Frühlingsfestivals Gemischter Satz seiner lang Verschworenen, der Osttiroler Musicbanda Franui und ihren Masterminds Andreas Schett und Markus Kraler – laut Ö1 das „eigenwilligste Musikensemble Österreichs“. Vielschichtiger Wein, vielschichtiges Programm, zwei Abende lang im Wiener Konzerthaus. Drei Durchgänge wird NH mit Lady Bug moderieren, dieser rechthaberisch-bissig-witzig-charmant-melancholischen „Soubrette auf Abschiedstournee“. Seit 15 oder seit 17 Jahren? Mit Georg-Kreisler-Liedern jedenfalls, denen sie verfallen ist: Wenn der Schnee in der Nacht plötzlich blau oder grün wird, wenn der Zahnarzt erklärt, er will kein Honorar … dann ist alles nicht wahr.
Nikolaus hat die Lieder als Kind im Radio gehört, mit seiner Schwester gesungen, sagt, Kreislers Musik habe ihn geprägt. Schlag sie tot nannte er seine erste satirische Revue im Schubert Theater am Alsergrund, wo er seiner ersten Klappmaulpuppe, dem Herrn Berni aus dem Altersheim, ihre boshaft dunkle Seele gab. Wien ohne Wiener, seine Inszenierung von Kreisler-Chansons mit Schett und Kraler am Volkstheater. Und. Alles nicht wahr riss das Bregenzer Festspielpublikum 2021 zu Standing Ovations hin. Nun. Erscheint am 1. Juli das Album Kreisler-Lieder von Habjan und Franui als Hommage zum 100. Geburtstag des großen Liedkomponisten, Dichters, Musikers und Kabarettisten. Dann wird auch ein Wein sein. Möglicherweise Gemischter Satz.
Café Monarchie. Tee mit Läusen.
Puppengesichter. Alle zum Nachbauen. Wohin man schaut, vom Personal bis zu den Gästen, alt, jung, aufgebrezelt, abgefuckt. Ihre Nasen, Kopfbewegungen, Wortfetzen. „Inspirierend! Fast wie U-Bahn“, begeistert sich Nikolaus im Garten des fliederfarbenen Café Monarchie. Oft geht er zum Textlernen hin. Allein die eigenwillige Perspektive der Wandmalerei von Schloss Schönbrunn fasziniert ihn. Aus den Büschen regnet’s winzige Blattläuse, sie schwimmen im Tee, imprägnieren sein Hemd. „Egal, hab eh grad eine weiße Partie zu waschen“, winkt er ab. Als Kind hat er Spinnen gezüchtet, Insekten gezeichnet und wollte nebst Puppenspieler auch Zoologe werden. Darauf ein Himbeersoda!
Und Rückblicke auf die Baseler Premiere. Freude über feine Kritiken, Freude, dass die Eltern da waren, Freude über Gabri’s Pasta in der Rheingasse, seine kulinarische Insel während der Proben. Natürlich hat er seine Lieben dorthin verführt: „Wenn du das Menü bestellst, weißt vorher nicht, was du kriegst. Die perfekte Überraschung: vier Vorspeisen, drei Hauptspeisen und eine Nachspeise“, schmeckt er dem Schweinebauch in Selleriepüree nach, der Salsiccia con Pasta und dem hausgemachten Eis. „Kann mit Vanella konkurrieren!“ Also köstlich.
„Ein Wunder“ hat sich dem Kantinenveteranen ebenso aufgetan. Manifestiert am Theater Basel. Umgebaut zu einer „Kantine für alle, Oper, Schauspiel und Ballett“, regiert Giuseppe aus Sizilien über die Küche und beschert Genuss der Extraklasse – und alles wie ein Gemälde angerichtet.
Tja, Kantinen. „Nahrungsaufnahme halt, während des Studiums an der Wiener Musik-Uni, zahlloser Praktika und Tourneen.“ Pures Glück dagegen der Gmoakeller in Wien nach Auftritten in Konzerthaus und Akademietheater. Die wahre Liebeserklärung aber schickt NH heim nach Graz, an seinen „großen kulinarischen Tempel“ Santa Clara. Unauffälliger Zugang von der Bürgergasse 6, Gewölbe und Garten zur Abraham-a-Santa-Clara-Gasse, quasi ums Eck vom Schauspielhaus. „Was die alles mit Gemüse machen!“ Fenchel im Ofen war ein Leibgericht, als er 2018 Paulus Hochgatterers Text über den weltberühmten Grazer Sohn, den Dirigenten Karl Böhm, inszenierte: Böhm als vielschichtig-zynisch-analytisches Stück über Mitläufertum, Habjan in 15 Rollen, als Puppenspieler und als Pfleger des Alten. DIE Erfolgsproduktion schlechthin: 10.000 Klicks für den ersten Stream, Gastspiel-Reisen ohne Ende, Übertragung in ORF 2. In der Kritik steigerte sich „virtuos“ zu „atemberaubend“ und „genial“.
Ja. Das Verschworensein in gegenseitigem Vertrauen. Hat das kongeniale Team
H & H bis auf den grünen Hügel von Bayreuth geführt. Nicht zu vergessen der frenetische Beifall für die Opernverführung Von Luft und Liebe mit feinfühligen Texten des Psychiaters H zur Meisterschaft des Kunstpfeifers H mit Ohrwürmern von der Koloratur der Königin der Nacht bis zur Koloratur der Puppe Olympia aus Hoffmanns Erzählungen. Meisterhaft, klar. 2015 kam er bravourös auf Platz vier der weltbesten Kunstpfeifer, einen Platz vor Roger Whittaker.
Karmelitermarkt. Ochsenherztomaten. Und. Lego für Erwachsene.
Habjan kauft ein. Gemüse muss her. Chicorée für die Frittata – und ganz wichtig: eine große reife Ochsenherztomate für die Süßkartoffel-Ingwer-Orangen-Suppe. Die hat er bei Freunden gegessen und sofort nachgekocht: „Ingwer und Orange putzen im Winter jede Verkühlung weg. Im Sommer schmeckt sie als Kaltschale herrlich. Jaaa. Mit einem Knoblauchbaguette!“ Also Knoblauch. Unbedingt. NH ist ein Fan. Lacht ungerührt: „Zum Leidwesen meiner Mitmenschen.“ Knoblauchsuppe ist ein weiterer Favorit im Sortiment, und über Vanillerostbraten lässt er nichts kommen – „auch wenn man ihn drei Tage nachher noch riecht“. Petersil, Minze? Na, braucht er nicht. Surprise, Surprise: Der Star wäscht nicht nur seine Wäsche selbst, er zieht auch Blumen – außenseitig – und Gewürzkräuter – innenseitig – auf dem Balkon. Yotam Ottolenghi lässt grüßen. Alles da.
„Von der glatten bis zu drei Sorten gekrauster Petersilie, von Brunnenkresse über Koriander, Thymian, Majoran und Minze bis Oregano. „Der Liebstöckel wuchert. Die ganz scharfen Chilis röten sich prächtig. Der Colastrauch für den besten Magentee gedeiht. Manches ist winterhart. Das andere wird abgeschnitten und eingefroren.“ Doch wer gießt, wenn er wochenlang auf Gastspielen ist?
„Hihi! Die ferngesteuerte Bewässerungsanlage. Ich kann von Stuttgart aus gießen. Ganz einfach über eine App. Hängst ein Magnetschloss an den Wasseranschluss an – damit wird der Verbrauch gesteuert.“ Er führt sie via Handy vor: „Du siehst den Wasserfluss auf der App. Genau fünf Liter sind verbraucht worden. Wird es sehr heiß, musst womöglich zwei Mal gießen. Ist für eine Woche Regen angesagt, setzt du das Gießen aus. Und. Man legt kleine Schläuche mit verschiedenen Aufsätzen – je nachdem, ob es tröpfeln oder rieseln soll. Wie Lego für Erwachsene. Macht total Spaß!“
Bariton Florian Boesch gab ihm diesen Tipp: „Baumarkt. Royal Gardening samt App Rain Point.“ Bei Proben zu Schuberts Liederzyklus Die schöne Müllerin mit Franui an der Staatsoper Berlin. Herzzerreißendes, von Praktischem entschärft. Hält Virtuosen am Boden. —