Umami

Fisch und Fleisch (wenig). Wien und Berlin. Staatstheater, Film und Fernsehen. Tragödien und Komödien. Caroline Peters kocht und isst, wie sie ist: Qualität zählt und der umfassende Wohlgeschmack.

Text von Ro Raftl · Fotos von Stefan Fürtbauer

Der Star fährt mit dem Radl vor. Steuerberater in der Früh, Termin schon zweimal verschoben, musste sein. Und nachmittags Probe für Deponie Highfield – eine dieser urkomischen, wunderbar ­ästhetischen Absurditäten von René Pollesch, die längst Premiere gehabt haben wird, wenn dieses Heft erscheint. „Du versenkst immer meinen Schmerz in der Komödie, und das war schon immer mein Problem mit dir“, soll es da irgendwo heißen.

Trotzdem: „Ein früher Brunch und ein spätes Abendessen gehen sich aus.“ Caroline Peters ist unkompliziert. Das Sommerkleid wird sie nicht wechseln können, was ihr ein bissl Leid tut, doch der Beruf geht selbstverständlich vor: „Den Witz im Tragischen entdecken. Hysterie und Chaos zeigen können. Wenn du Fragen an das Leben hast, hörst du viel mehr Antworten in der Komödie als in der Tragödie“, sagt Peters. Sie liebt das. Zuvorletzt zeigte sie’s in Simon Stones Klassiker-Überschreibung Hotel Strindberg im Wiener Akademietheater. Worauf Theater Heute, das wichtigste deutschsprachige Bühnenmagazin, die Burgfrau zum zweiten Mal zur „Schauspielerin des Jahres“ wählte. Österreichs Theaterpreis „Nestroy“ folgte. Respekt! Doch keine Angst: Hier wird nicht abgehoben. Viel zu natürlich, offen, klar und lachbereit ist diese 45-Jährige norddeutsche Blondine mit den ausdrucksstarken Zügen, die auf japanische Küche fliegt. Allein das Wort „Umami“, umfassender Wohlgeschmack, findet sie toll: „Dass Geschmack mit dem Wohlbefinden des Körpers in Einklang gebracht werden soll!“

Acht Stunden mit Caroline Peters – und man möcht sie dringend „Umami“ taufen. Nach der Genuss-Zigarette zum Wein, einer nur, sie dosiert streng, „doch oje, an einem langen Abend mit Kollege Martin Wuttke im Café Engländer kann’s schon eine Schachtel werden“, hat sie von der Oma erzählt –„die mit 90 beschloss, das Rauchen aufzugeben, da sie die Treppe zum vierten Stock nicht mehr richtig hochkam“, Teenager Caroline aber bei jedem Besuch beschwatzte: „,Ich weiß, das du heimlich rauchst, und ich sag’s auch deinem Vater nicht. Soll ich dir eine anzünden?‘ Dann zog sie ein-, zweimal kräftig und froh. Mit 91 hat sie aufgehört, mit 93 ist sie gestorben.“

Ja. Man versteht, dass Peters als Kriminaloberkommissarin Sophie Haas einen Löwinnenanteil am Kultstatus der köstlichen ARD-Serie Mord mit Aussicht hat. Schwer Gestresste und Melancho­liker verehren sie (inklusive Lieblings­kalauer: Chef, Schäffer, am Chefsten) als homöopa­thischen Stimmungsaufheller. „Besser als Alk und ­Antidepressiva!“, verklärt sich eine renommierte Psychiaterin. 2014 ausgelaufen, findet man alle Serien-­Folgen in der Mediathek.

Sonne über dem Museumsrestaurant Salonplafond. Gschmackige Gschichteln über frühere MAK-Partys – ach, Niki Lauda auf der jetzt baufällig gesperrten Treppe! – und übers Lokal ließen sich erzählen, aber … Zuletzt von Architekt Martin Embacher umgebaut, ist es nun mit Kunst bestückt, die Terrasse und der Garten mit den Liegestühlen, Insel still und grün am Stubenring. Überlaufen gegen Mittag, doch der Verkehrslärm gedämmt: Kaffee, Croissants, Egg Florentine, frischer Pink-Grapefruit-Juice und Apérol Spritz – so könnte Sommer immer sein. Burgschauspielerin Peters, seit drei Jahren mit festem Wohnsitz Wien, hat sich vertraut gemacht mit den schönen Plätzen der Stadt, wohnt gerne hier, als „Immi“, als Immigrantin, denn sie glaubt, „Wiener kann man nicht werden, das muss man sein“. Bisschen sei es wie in Köln, wo sie aufgewachsen ist: „Da gehört man nur dazu, wenn schon Eltern, Groß- und Urgroßeltern dort gelebt haben.“ Dem Kölsch, dem frischen, leichten, spritzigen Bier – „Es macht fröhlich“ – hält sie die Treue: so weit, dass sie anderswo kein Bier mehr trinkt.

Aber Wienerisch reden? Das versucht sie erst gar nicht, selbst wenn sie schon das meiste versteht. Sagt konsequent „ein schöner Fisch“ und „Metzger“ und „drangetan“, nur „lecker“ sagt sie dankenswerterweise nicht. Pflegt Hochdeutsch – bei Theatertexten sowieso, bei Interviews, und auch im Ösi-Film Womit haben wir das verdient? – als Mutter einer 16-Jäh­rigen, die via Internet zum Islam übertritt. Für CP-Fans ein Muss: Ohne antiislamistischen Schaum vor dem Mund stellt Regisseurin Eva Spreitzhofer nicht nur jungen Mädchen alle richtig-wichtig-feministischen Fragen, lässt die Schauspielkünstlerin auch sämtliche Facetten komischer Verzweiflung hinreißend ausleben.

Also Hochdeutsch. „Mein Verhältnis zum Essen? Sehr, sehr positiv! Meine Mutter hat täglich Mittagessen gekocht, doch um nicht zu viel Zeit für ihre Arbeit als Literaturwissenschaftlerin zu verlieren, hatte sie ­einen relativen Plan, führte Rituale ein: Samstags gab es immer Spaghetti Bolognese, freitags immer so was, das hier Fleischlaberl heißt – nur war es länglich, kein Brot in der Masse und auch nicht so scharf gebraten wie Frikadellen. Köstlich! Ich tat als Kind an alles ­Mayonnaise dran. Das hat sich zum Glück gebessert!“ Lacht. Ja, sie ist schlank und trainiert, nix Fettiges dran.

Die beiden Töchter kochen zu lehren, lag der Mutter nicht im Sinn. Sie übersetzte Gedichte aus dem Russischen und lektorierte die Bücher des Vaters, eines ­renommierten Psychiaters. Eines über Irren- und Psy­chiaterwitze haben sie gemeinsam verfasst.“ CP gluckst, rührt im Kaffee: „Als Acht- und Zehnjährige haben wir in Gesellschaft permanent Irrenwitze erzählt. Hat uns unheimlich gefallen. Vielleicht etwas seltsam für Unbeteiligte – denn dass dahinter eine soziologische Abhandlung stand, haben wir natürlich nicht kapiert.“

An den Herd stellte sie sich erst, als sie in Saarbrücken auf die Schauspielschule ging: Ihr Bruder, Ethnologe, der lang in Italien gelebt hatte, trieb das „wissenschaftliche Lasagne-Essen“ mit ihr voran: Bio-Lasagne gegen Aldi-Tiefgekühltes. Die Bedeutung von Olivenöl. Wie eine Studentin preisgünstig exquisit kochen kann.

Wenn’s feierlicher wurde, kam der Geschmack der Kindheit ins Spiel, alle die ­Heimatgerichte des Vaters aus Schleswig-Holstein. „Er hat die heimische Küche sehr vermisst, und meine Mutter nahm etliche Großmutter-Rezepte in ihr Repertoire auf: Mockturtlesuppe, also gefakte Schildkrötensuppe, die nach Napoleons Kontinentalsperre in Niedersachen erfunden worden ist – nicht wegen Artenschutz natürlich damals. Es gibt mehrere Rezepte, bei uns kam Ochsenschwanzbrühe ohne Fleisch auf den Tisch. Und! Der Gänsebraten an Weihnachten mit einer ganz speziellen Füllung. Äpfel, Rosinen und Zwieback, wobei der Zwieback gerieben werden muss. Inzwischen kochen ihn meine Geschwister und ich auch selber. Ich nur jedes zweite Jahr. Ist doch sehr fett. Da ist mir ein schöner Steinbutt lieber. Doch wenn die Gans, dann gibt es Rote-Beete- und Selleriesalat mit Vinaigrette-Soße dazu. Salzkartoffeln. Rotkraut, Sauerkraut und Klöße waren bei uns zu Hause total verpönt. Warum eigentlich? Das weiß ich nicht.“

Den Holsteinischen Rauchkatenschinken, sehr salzig, sehr rauchig und perfekt zu frischem Spargel, wollte CP nach Wien übertragen. Geht nicht, gibt’s nicht – doch sie fand ein Pendant bei der Metzgerei Bauer in Gersthof. Nur: „Die sehr dicken Scheiben zu bekommen, die in Schleswig-Holstein auf einem Brettchen neben dem Spargelteller liegen, erforderte eine ganz ausführliche Diskussion. In Österreich wird Schinken ja meist superdünn geschnitten. ,Warum machen sie das?‘, verhörte die Metzgerin vorwurfsvoll. Erst nach untertäniger Entschuldigung: ,Eine alte Familientradition!‘ hat sie ,Ahsooo‘ gebrummt und dicke Scheiben geschnitten.“

Zeit ist knapp. Proben und Gastspiele und Proben und Drehen. Mit 18 erst hatte das Akademikerkind entschieden, dass sie Schauspielerin werden wollte. „Ich war die Jüngste und meine Geschwister studierten. Da ging das ohne Aufruhr. Überdies. Haben unsere Eltern uns schon ganz früh hemmungslos ins Theater geschleppt.“ Also. Reinbeißen und mehrere Aufnahmeprüfungen durchstehen, denn mit 18 war CP noch schüchtern und nur innerlich vom Drang beseelt, sich aufzuführen. Glück endlich mit dem „wunderbaren“ Schauspiellehrer Detlef Jacobsen in Saarbrücken: „Er sah die Komik an seinen Schülern und förderte sie. Tja. Auch wenn es im klassischen Theater kaum komische Rollen für junge Schauspielerinnen gibt. Man kann die sentimentale Junge sein – doch komisches Talent und Jungsein is nicht.“ Trotzdem: Andrea Breth holte die 23-Jährige an die Berliner Schaubühne – und sie hat diese Chance genützt. Unaufhaltsam. Gefragt, gelobt und sogar besungen, von einer Band namens TempsEau: Hier kommt Caroline Peters! Richtig verstanden fühlte sie sich endlich von den Regiemeistern René Pollesch und Luc Bondy: in ihrer Liebe zu „Komödien, die mich berühren und zugleich auch entsetzlich traurig sind, wie bei Strindberg. In meiner Liebe zum Schwarzen, zur Verzweiflung, die einen so schreien lassen, dass man schon wieder lachen muss.“

Bei Familientreffen in Berlin entdeckt die Menschendarstellerin bei weltverstreuten Cousinen und Cousins oftmals auch die innere Verwandtschaft. In Wien lebt sie mit dem Hamburger Fotografen Frank Dehner, mit dem sie verständnisinnig den Postkartenverlag art postal mit Laden in Margarethen gegründet hat, „um das Postkartenschreiben nicht zu vergessen“. Mit ihm kocht sie auch.

„Nicht gerne im Alltag, so schnell, schnell, noch vor der Probe, da geh ich lieber essen. Doch in der Freizeit finde ich’s wahnsinnig angenehm und erholsam. Schon das Einkaufen ist ja wunderbar, sich zu überlegen, was man macht, worauf man Lust hat, nicht nur immer Vorgefertigtes zu essen. Jetzt. Hab ich einen Slow Cooker gekauft, so einen Tontopf, der langsam gart. Man legt alles hinein, was man essen möchte – eine Lammhaxe, Tomaten, Kartoffeln, Gemüse, Gewürze –, kommt sieben Stunden später nach Hause und hat einen fantastischen Eintopf. Die ganze Wohnung riecht so, als wäre man ein Kind und die Mutter hätte für einen gekocht.

Ja. In der Küche mutiert Peters zur Hohepriesterin der Langsamkeit. Rezepte aus den Ländern mitzubringen, die man bereist, hat sie von ihrer Mutter gelernt. Und dass Eintöpfe Schnipselgeduld erfordern, doch dafür zwei Tage halten. Mutter führte Tajine ein, diesen Tontopf aus Tunesien, mit allen Varianten von gegartem Fleisch und Gemüsen, auch Ratatouille. Die Tochter importierte aus dem letzten Frankreich-Urlaub die Galettes, hochdeutsch Buchweizenpfannkuchen, wienerisch wohl eher Palatschinke. Schwärmt jedenfalls: „Herrlich, so ein gemächliches Essen, damit kann man einen Sonntagvormittag verbringen. Bis man die gemacht hat, und genussvoll vorbereitet, was man alles drauflegen möchte!“

Schluss mit Langsam. Ab zur Probe. Zu klugen, witzigen Texten aufsehenerregender Wissenschafts-Autoren, von Biologin Donna ­Haraway bis Psychoanalytiker Jacques Lacan; zu Musik, Gesang, sieben rauchenden Lipizzanern auf der Bühne, Westernparodie, Gendertheorie, Unmittelbarkeit. Wiedersehen im Shiki, dem Michelin-besternten japanischen Fine Dining samt Brasserie und Bar, mit dem der Violinist und Dirigent Joji Hattori einen der schicksten Coups in der City gelandet hat.

CP hat die japanische Küche erst in Wien richtig für sich entdeckt. Konkret im winzigen Kuishimbo im Majolikahaus, da sie genau gegenüber auf der Rechten Wienzeile wohnt. Seither. Versucht sie sich zu Haus an dampfenden Nudelsuppen, an Salaten mit Fisch und Algen, an Hot Pots und der Eier-Huhn-Bowl „Oyakodon“. Irgendwann wird sie Maki und Sushi rollen. Natürlich kauft sie am Naschmarkt ein: alles vor der Nase, der feine Fisch, die Gewürzläden und für weniger Asiatisches der Billa. Am Wochenende der Bauernmarkt für frisches Obst und Gemüse. Denn. „Ich les unheimlich gerne Bücher über Funktionsweisen beim Essen. Etwa Krebszellen mögen keine Himbeeren. Dazu gibt es ein zweites Buch mit Rezepten von Sterneköchen, die sich mit diesen Erkenntnissen tolle Gerichte ausgedacht haben.“

Ihr Vater ist jetzt 89. Doch gute Gene muss man auch richtig füttern. Zweierlei vom Saibling also im Shiki, und als Hauptgang Gebratene Wildfang-Reinanke aus dem Millstätter See mit Edamame, Zuckerschoten, hausgemachtem Fischhaut-Chip, Su-Miso und Erbsen-Bonito-Dashi. Bitte sehr. Statt Dessert – denn Süßes mag sie nicht – einen Mini-Sushi-Rollkurs von Küchendirektor Alois Traint für den Japanküchenfan. Mit der Erkenntnis, dass echtes Wasabi ein haariger Wurzelstock ist, der aussieht wie ein Radi und gerieben hellgrün wird. Traint sagt, jetzt muss er noch vegan kochen lernen, das ist viel schwerer als japanisch. Caroline Peters muss den Text des Uraufführungsstücks von Theresia Walser für die Salzburger Festspiele lernen: Die Empörten. Eine finstere Komödie.

Jetzt muss Weißwein her.

Lammeintopf im Slow Cooker
Rezept für 2–3 Personen
Eine 4 bis 5 Zentimeter hohe Beinscheibe vom Lamm, ­Tomaten aus der Dose, große frische Tomaten, Cocktail­tomaten, Tomatenmark, passierte Tomaten, 2 Zimtstangen. Den Topf mit Knoblauch ausreiben. Beinscheibe in der Pfanne in Knoblauch und Olivenöl kurz anbraten.
Alle Tomatenarten in den Topf geben, bis er circa halbvoll ist. Das angebratene Lamm würzen: mit Salz, Pfeffer, Lammgewürz oder Café de Paris. In den Tomatensud legen, sodass es ganz bedeckt ist. Zimtstangen und Lorbeer dazugeben. 5 Stunden auf normaler Kochstufe im Slow Cooker garen lassen.
Auf dem Herd dieselben Zutaten 3 bis 4 Stunden auf mittlerer Stufe köcheln.
Bon appétit! Wärmt von innen.

Oyakodon Huhn-Eier-Bowl
Zutaten
2–3 Hühnerkeulen, enthäutet, eintbeint, in kleine Stücke geschnitten
½ Zwiebel, fein gehackt
3 Eier, verquirlt
eine Handvoll dünn geschnittenes Nori
2 pochierte Eidotter
2 Schalen gekochter Reis
Für die Sauce
2 EL Dashi (japanischer Fischsud)
2 EL Sake
2 EL Zucker
2 EL Mirin (süßer Reiswein)
2 EL Sojasauce
Zubereitung
Die Zutaten für die Sauce in eine Pfanne gießen und leicht köcheln lassen. Das Huhn zugeben, gut vermischen, nach ein paar Minuten auch die Zwiebel.
Kochen lassen. Die verquirlten Eier vorsichtig am Rand der köchelnden Sauce entlanggießen und die Pfanne zudecken. Etwa eine halbe Minute stocken lassen, während man die Pfanne leicht schwenkt. Die Hühner-Eierspeise in/über zwei reisgefüllten Schalen verteilen, darüber das pochierte Eidotter setzen und mit gehacktem Seetang bestreuen.