Verrückt nach Riesling

Im kühlsten Teil der Wachau machen ausgerechnet zwei Quereinsteiger Weine, die diese Region perfekt abbilden. Die höchsten Lagen des Spitzer Grabens wurden einst von Winzern gescheut – heute sind sie ein Paradies für Liebhaber filigraner Gewächse.

Foto von Regina Hügli
Text von Christina Fieber
Michael Linke (li.) und Franz Hofbauer (re.) zeigen, dass man selbst die steilen Wachauer Terrassenweinberge biologisch bewirtschaften kann – auf Bewässerung wird dabei gänzlich verzichtet.

Entlang der Donau fährt man durch den lieblichen Abschnitt der Wachau, der von beinahe kitschiger Schönheit ist. Biegt man bei Spitz in ein Seitental ab, in den Spitzer Graben, ändert sich das Landschaftsbild markant. Dort wie da ist fast jeder Hügel mit Rebstöcken bepflanzt, aber der Spitzer Graben wirkt bäuerlicher, gröber. Auch die Temperaturanzeige am Armaturenbrett zeigt einige Grade weniger an. Hier weht ein rauer Wind. Weit oben in Trandorf, wo die Rebanlagen allmählich in Nadelwälder übergehen, kommt man zum Weingut Grabenwerkstatt. Eigentlich sieht es eher wie ein Holzstadl aus, wie sie noch überall hier in der Gegend stehen, nur moderner, größer, mit einem riesigen Panoramafenster. Genau genommen sind es zwei Stadeln – in einem wohnt der Wein, im anderen wird er verkostet.

Spricht Franz Hofbauer über den Spitzer Graben, trennt er ihn klar von der „Donau-Wachau“, als wäre das ein anderer Kontinent mit einem fremden, exotischen Fluss. Gemeinsam mit Michael Linke führt er hier seit einigen Jahren das Weingut. Nicht mehr als vier Hektar Rebfläche bewirtschaften die beiden Freunde, doch die haben es in sich.

Beide kommen aus einem Weinanbaugebiet, Franz aus der Gegend, Michael aus der Pfalz, beide dennoch aus keiner Winzerfamilie, beide sind verrückt nach Wein, seit sie denken können. Keiner von ihnen habe geplant, einmal ein eigenes Weingut zu haben. Als es dann doch dazu kam, war ihnen klar, es müsse in einer Cool-­Climate-Anbauregion sein. Im Spitzer Graben sind sie damit genau richtig: steile Terrassen, viel Sonne, aber auch kühle Nächte, die für langsame Traubenreife sorgen. Hier oben kündigt sich schon Mitte August der Herbst an, während unten an der Donau noch Hochsommer herrscht. Ein Traum, wenn man kühle Eleganz will – nicht zuletzt angesichts der Klimaerwärmung. Für sie die Voraussetzung, um genau die Weine zu machen, die sie sich vorstellen. Geschliffen und präzise.

Bei der Domäne Wachau in Dürnstein lernten sie sich 2009 kennen – beide waren dort beschäftigt. In jeder freien Minute hätten sie wie manisch Weine verkostet. Franz Hofbauer ist eigentlich gelernter Koch, später arbeitete er bei einem bekannten heimischen Weinhändler. Michael Linke absolvierte in Deutschland die Weinhochschule Geisenheim und praktizierte bei deutschen Weingütern wie Bürklin Wolf und Von Winning – entsprechend konditioniert war er auf deutschen Riesling.

„Wir haben richtige Riesling-Ländermatches veranstaltet – Wachau gegen Pfalz“, erinnern sich die beiden. Schließlich sei es ein Riesling Federspiel der Ried Bruck vom Spitzer Graben gewesen, der auch den Deutschen in den Bann zog. Von da an war für ihn klar: wenn österreichischer Riesling, dann von hier.

Der Riesling hat sie nicht mehr losgelassen. Bis ans andere Ende der Welt, nach Australien und Neuseeland, reisten sie, um dem Geheimnis der Rebsorte auf die Schliche zu kommen. Dort, wo niemand guten Riesling vermutet, wurden sie fündig: in kleinen Kellereien in den südaustralischen Adelaide Hills. Weine, die nie den Weg nach Europa finden. Das habe ihren sensorischen Horizont ­erweitert und Vorlieben gefestigt. „Letztlich haben uns immer Weingüter begeistert, die technisch abgerüstet hatten“, erinnert sich Michael, „weniger Maschine, mehr Gefühl“ sollte auch später ihre Prämisse bleiben.

Den Spitzer Graben hatten sie immer im Hinterkopf. 2014 kehrten sie zurück. Woher sie die Courage nahmen, ausgerechnet in der Wachau, der bekanntesten heimischen Weinbauregion, geprägt von großen Namen, als Quereinsteiger ihr Glück zu versuchen? „Es hat uns gereizt, gerade hier unseren ganz eigenen Stil zu etablieren.“

Begonnen haben sie in einer Garage mit minimalistischer Ausstattung und Gerätschaft – Ernst genommen habe sie damals keiner. „Was soll das schon werden?“, raunten die Leute. Man hielt sie für ambitionierte Hobby- winzer, die meinten, alles anders ­machen zu können.

„Dabei stimmt das gar nicht“, sagen sie. Sie wollten immer dazugehören, immer ein Wachauer Weingut sein – oder vielmehr eines vom Spitzer Graben. Tradition sei ihnen wichtig, aber eben ein wenig anders interpretiert.

Als sie aus der Garage auszogen, in ein neues, von einer deutschen Architektin geplantes Weingut, war klar: Die meinen es ernst.

Inzwischen gehören sie dazu. „Wir sind ja so klein, das tut keinem weh“, sagt Franz. Dass er ein Einheimischer ist, erleichterte die Integration.

Vier Hektar, verstreut auf unterschiedlichste Rieden im Spitzer Graben, und ein paar zugekaufte Trauben aus Mautern. Was nach wenig klingt, grenzt an ein Wunder. Gute Lagen in der Wachau zu bekommen, ist ein ehrgeiziges Unterfangen.

„Wir haben genommen, was keiner wollte“, etwa verkannte Gustostückerl wie den Trenning, einen steilen Terrassenweinberg. Früher waren die Winzer überzeugt, man könne hier keinen Smaragd machen, zu nördlich, zu kühl. Es ist mit 550 Metern die höchste Lage der Wachau, wenn auch gegen Süden ausgerichtet. Ein Geschenk des Himmels, wie gemacht für ihr Vorhaben. Von hier kommen reife, spät gelesene Rieslingtrauben, dennoch voller Nervigkeit. Ohne den Einfluss des Waldviertels sei das nicht zu bewerkstelligen. Erst das raue Klima ermöglicht eine lange Vegetationsperiode und ausgeprägte Aromatik. Geht es um die späte Lese, stehen sie bewusst ganz in der Wachauer Tradition. Nur so könne man den Ausdruck der Lage abbilden, sind sie überzeugt. Wenngleich mit einem anderen Ergebnis. Sie wollen schlanke Weine. Botrytis und Restzucker lehnen beide strikt ab – ein Glaubensgrundsatz.

„Wir haben so hohe Säurewerte, da würden sich viele Winzer hier vor Gram die Haare raufen“, sagen sie und lachen. Dahinter steckt jede Menge Überlegung. Das beginnt mit extrem dichter Bepflanzung und strikter Laubarbeit, ihre Trauben hängen quasi frei, immer umspielt vom harschen Waldviertler Wind – eine Methode, die Michael aus der Pfalz mitgebracht hat. „Die Trauben brauchen Licht, Licht, Licht“, erklärt er.

Je mehr Laub, desto mehr Zucker würden die Trauben aufbauen, und das wolle man verhindern. Auch die biologische Bewirtschaftung helfe, zu schnellen Zuckeraufbau im Zaum zu halten, so vermeide man unerwünschte Überreife.

Kühle und hohe Lagen sind die Bedingung für finessenreiche Weine.

Bewässerung gibt es nicht, denn überschießendes Wachstum ist unerwünscht. „Während in den Weingärten rundherum die Trauben im Juli wuchern, sieht es bei uns aus, als könnten wir nichts ernten“, sagt er. Nur keine Verzärtelung, die Reben bräuchten Abhärtung. Das Ergebnis sind kleinbeerige, gesunde Trauben, die auch bei Regen nicht aufplatzen oder faulen.

Der Riesling vom Trenning fordert dann auch ordentlich. Er durchpeitscht den Gaumen und bereitet schauderndes Vergnügen. Sie nennen ihn ihren „Sadomaso“-Wein. Hochmineralisch – geprägt von Gneis –, Graphit und ein wenig Kalk. Wachau ohne Gnade. Splitternackt.

Weinbau am Spitzer Graben ist ein Grenzgang, herausfordernd für Mensch und Pflanze. Die Terrassen sind steil, die Parzellen eng. Die Weingärten der Grabenwerkstatt setzen noch eins drauf. Zwischen ihren Reihen kommt kein Traktor durch. Bei einigen tut sich selbst die kleine Bodenfräse schwer, die sie eigenhändig durch die Rebzeilen schieben.

Das Ergebnis: wenig Ertrag, viel Substanz, Weine mit Kante und Schliff, aus der Werkstatt und nicht vom Fließband.
Das bedeutet Handarbeit pur, Bergweinbau ohne Heimatromantik, viel mehr ein Knochenjob. Bei bis zu 82-prozentiger Hangneigung müssen Erntehelfer topfit sein, auch für den Kalkofen, wo die Weingärten wie ­Bienenwaben waghalsig aus dem Hang ragen. Steil, steinig und heiß ist es dort. Die Humusauflage ist dünn, darunter liegt blanker Fels, an dem sich die Wurzeln des Rebstocks festkrallen und ihn durchdringen.

Die schlichte, moderne Architektur des Weinguts fügt sich perfekt in die Landschaft ein.

„Das packt nur der Riesling“, sagt Franz Hofbauer. So divenhaft sich die Rebsorte im Keller gebärde, in der Natur sei sie eine echte Kämpferin, eine Amazone. Dort wie da will sie viel Aufmerksamkeit – auch im Glas. Kein Wein, den man so nebenher trinkt, Riesling Kalkofen will erobert werden. Anfangs verschlossen, unnahbar, von kargem Charme – mit der Zeit umso eindringlicher.

Trenning und Kalkofen – wohl die prägnantesten Riesling-Lagen weit und breit. Dagegen wirkt der Riesling der Ried Bruck verspielt und temperamentvoll. Der Weingarten am Bruck, der bekanntesten Lage des Spitzer Grabens, kam erst spät dazu. Er sei ihnen in die Hände gefallen, der Eigentümer wollte sie nach Hagelschäden nicht mehr selbst lesen und verkaufen. Einzige Bedingung: Er sollte weiterhin biologisch bewirtschaftet werden. Um sieben Uhr früh besichtigten sie den Weingarten, um acht Uhr begann die Lese. Drei volle Tage mit zehn Leuten für 750 Liter. „Eigentlich nix, aber für uns war es die Welt!“, erinnert sich Michael.

Die Mär, die steilen Terrassen könnten nicht biologisch bewirtschaftet werden, habe sie erst richtig dazu angespornt: „Warum soll es denn hier nicht gehen?“, gibt sich Franz Hofbauer ­erstaunt, wenn es überall auf der Welt funktioniere. Man brauche halt mehr Manpower, mehr Aufwand, mehr Zeit.

Sie bringen hier oben auch biodynamische Präparate aus. Das Anrühren der Präparate, bei dem kein Handy erlaubt ist, entschleunigt. Eine Stunde ohne Anrufe, Mails oder Nachrichten. All die Zeit auch, die man im Weingarten verbringe, verändere die Gedanken, die Einstellung. Man dringt tiefer, lernt die Natur, die Rebstöcke verstehen. Michael hingegen sieht es pragmatisch: Er merke, wie die Reben etwa nach einer Hagel­attacke durch ein Baldrianpräparat abheilen. Es funktioniert, und das reicht ihm.

Letztes Jahr pflügten sie erstmals einen Weingarten mit dem Pferd. Die Erfahrung, das schwere Noriker-Kaltblut langsam durch die Reben zu führen, beeindruckte sie. Das sei wie Meditation.

Im Keller ist alles reduziert, ein paar Stahltanks, zwei kleine Holzfässer, eine Presse und ein spartanischer Fuhrpark mit drei Handfräsen, der heilige Urban an einer nackten grauen Wand, sonst nichts. Vergoren wird spontan. Wenn es sein muss, weil die Gärung zickt, wärmen sie Tanks halt mit Decken. Alles geschieht langsam, vor allem der Riesling lasse sich Zeit mit der Entwicklung, und das sei gut so. Der fertige Wein wird nicht geschönt oder filtriert, vor geringer Schwefelzugabe hingegen scheuen sie nicht zurück. Das brauche man, um den Charakter der Lagen zu erhalten, glauben sie. Auch Ganztraubenpressung und der Verzicht auf Maischestandzeiten würden dazu beitragen. Selbst ihre Veltliner sind gertenschlank. Auch wenn die beiden Winzer verrückt nach Riesling sind, der Grüne Veltliner gehöre in der Wachau einfach dazu. Und er geht ihnen gut von der Hand. Aus den beiden Terrassenlagen Schön und Brandstatt kommen Veltliner, die zart und verhalten sind und trotzdem Tiefgang zeigen. Sie sind wie Tag und Nacht: Brandstatt mit seinen bis zu 70 Jahre alten Reben ist feinnervig, schnell, salzig, Schön hingegen besitzt den Charme eines Gigolos.

Es sind keine massentauglichen Gewächse und trotzdem heiß begehrt. Die Lager sind leer, die Weine ausverkauft. —

Weingut Grabenwerkstatt
Feldweg 6, 3622 Trandorf
grabenwerkstatt.at