Wenn der Vater mit den Söhnen kocht

Genetisch schwer belastet und in der Küche aufgewachsen – da gibt es kein Zurück. Entweder Rebell oder Koch. Markus Mraz hat Verstärkung bekommen. Seit einem Jahr steht er mit seinen beiden Söhnen Manuel und Lukas am Herd. Eine Familienbande, die nicht zu trennen ist.

Wenn der Vater mit den Söhnen kocht

Text von Claudia Schemerl-Streben Fotos: Philipp Horak

Schweißtreibende Temperaturen, sechs Köche auf engstem Raum und Bestellungen vom bis zum letzten Tisch besetzten Restaurant. Hochbetrieb. Aber in der Küche herrscht absolute Stille. Kein Ton, kein Servicegeschrei ist zu hören. Nur die Klingel. Die Arbeitsschritte gehen der Mannschaft wie selbstverständlich von der Hand. Volle Konzentration ist oberstes Gebot. So wie es Souschef Manuel Mraz eingeführt hat. Plötzlich ein Fluchen am Patisserie-Posten – Bruder Lukas experimentiert mit einer dekonstruierten Sachertorte und Marillengel. Das Ergebnis stellt den aufbrausenden rothaarigen Jungspross nicht zufrieden. Das bringt Manuel am Anrichte-posten aus dem Konzept. Er platzt heraus: "Ruhe, ich muss mich hier konzentrieren – sonst geht’s nicht."

Tage wie dieser sind keine Seltenheit. Wenn der 18-jährige Lukas von seinen Reisen durch die besten Restaurants Europas zurückkehrt, ist die Spannung in der Mraz-Küche vorprogrammiert. "Wenn Luki kommt, schauen alle zu ihm auf, er wird vom Team mit Fragen ausgesaugt. Da muss Manuel schon manchmal runterschlucken. Er ist zwar der Souschef hier, aber wenn sein Bruder da ist und seine Geschichten erzählt, merkt Manuel schon, dass er nicht mehr die Nummer eins ist", verrät Vater und Küchenchef Markus Mraz. Neid entsteht auf beiden Seiten – wie es unter Geschwistern eben üblich ist. Während der eine mit den euphorischen Berichten aus dem Ausland und dem Sonderstatus zurechtkommen muss, ist der andere auf die Position des Bruders eifersüchtig. "Ich mach die ganzen Praxen im Ausland und bin so weit weg und dem Manuel geht’s total gut", kann sich Markus Mraz von seinem Jüngsten in regelmäßigen Abständen anhören. Die pragmatische Antwort des Ranghöchsten: "Ich hab dich ja nicht dazu gezwungen."
"Die zwei sind eine gute Kombination. Lukas ist der Geschmackskoch, sehr zielstrebig und bringt laufend neue Ideen aus dem Ausland mit. Manuel ist jemand, der flexibel und spontan Entscheidungen treffen kann, wenn es die Situation erfordert. Er ist ein Lebenskünstler in allen Lagen." Spektakulär wird Lukas geschichtete Kreation aus scharf, salzig, sauer und süß – eine Erbsencreme – von Bruder Manuel präsentiert: "Der Boden von einem konischen Glas wird mit Passionsfrucht bedeckt, darüber wird dann Erbsensuppe gegossen, die wir mit einem süßen, weißen Schokoschaum abdecken. Finalisiert wird das Ganze mit scharfem Currypulver, das man effektvoll mit Puderpinsel über die Suppe staubt – das Gericht ist ein Geschmacksflash, ein Hammergericht", wertet Manuel den Erfindungsreichtum seines Bruders.
Begonnen hat die Karriere der Mraz-Söhne schon im Vorschulalter: "Wir hatten ein Brot, das in Blumentöpfen serviert wurde. Wir zwei haben bergeweise Töpfe ausgebuttert und mehliert, haben einfach alles gemacht, was kein anderer Koch machen wollte", sagt der Ältere grinsend. Nachdem Manuel und Lukas die Gastronomieschule am Judenplatz absolviert hatten, durften sie selbst entscheiden, wie es weitergehen soll. Lukas wollte die Welt sehen. "Man lernt Küchen, Menschen, Städte, Dörfer und Kaffs kennen. Ich finde das aufregend. Meine erste Praxis hatte ich im "Esszimmer" in Salzburg. Es war gerade Festspielzeit und wir mussten Vollgas geben. Bis zu 16 Stunden sind wir in der Küche gestanden. Ich hätte auch 24 Stunden gearbeitet, so viel Spaß hat es gemacht." Zwei Praktika bei Molekularkoch Juan Amador in Hessen und zehn Monate als Commis bei Jean-Georges Klein im Elsass folgten. Derzeit steht Lukas für ein Jahr beim holländischen 3-Sterne-Koch Jonnie Boer in Zwolle am Herd. Ideen werden per Konferenzschaltung nach Wien übermittelt. "Das geht aber nicht per Knopfdruck. Ich hab einfach immer einen Block dabei, schreib’s mir schnell auf und tippe mein Gekritzel abends am Computer ab. Nach ein, zwei Monaten ist es dann perfekt und ich hab eine eigene Kreation", sagt Lukas Mraz euphorisch. Fasziniert hat ihn vor allem die Küche im "L’Ansbourg" bei Jean-Georges Klein: "Die Menüs werden molekular, die A-la-carte-Gerichte klassisch zubereitet. Kalbskotelett im Ganzen, also mit zwei Rippen drauf, kommt vakuumiert für zweieinhalb Stunden bei konstanten 60 °C ins Wasserbad. Das Fleisch wird extrem zart und bleibt schön rosa. Danach wird es aufgeschnitten und bei 220 °C von allen Seiten angebraten. Mich hat das total überzeugt."
Auf die Idee, in Jonnie Boers "De Librije" mitzukochen, ist er auf einer der vielen Reisen mit seiner Familie gekommen. "Ich geh da gar nicht nach den Bewertungen der Gourmetführer. Mir geht’s mehr darum, wie es mir schmeckt. Wenn ich etwas probiere, und ich pack‘ es gar nicht, dann möchte ich wissen, was hinter den Kulissen abgeht. Mein Vater sagt immer, wenn man sich nach einem Restaurantbesuch nur an ein Gericht erinnern kann, dann ist das Essen schon sehr gut. Bei Jonnie Boer kann ich mich an fast jedes Gericht erinnern!", sagt der 18-jährige Kreativkoch. "Als Käsegang haben sie zum Beispiel Epoisses, kräftigen flüssigen Rotschmierkäse aus dem Burgund, mit ein paar Apfelgelees serviert – sonst nichts. Ich hab mir gedacht, ein bissl wenig, aber warten wir mal ab. Man glaubt, man hat eine Suppe und dann wird vom Kellner eine Schicht Karamell daraufgelegt. Es hat ausgesehen wie Crème brûlée, mit dem Unterschied, dass es darunter flüssig war. Dann stichst du rein und es ist in drei Sekunden fest und du denkst dir wow und fragst dich, wie das geht. Im Endeffekt ist es Methyl, eine Geleeart, die nicht bei Kälte, sondern bei 96 °C stockt."
Reisen ist für die Familienbande Routine. Angefahren werden Gourmetdestinationen in ganz Europa; konsequent mit dem Auto. Dass man zu spät kommt, gehört beim Mraz-Clan zum Drehbuch dazu: "Wir sind da alle drei ziemlich gleich", verrät Manuel Mraz. "Wir kommen meist in letzter Minute an. Bei der Anreise zu Michel Bras in Laguiole hat es ohne Ende geschüttet. Man fährt stundenlang durch den Wald. Mittendrin ist dann dieses topmoderne Glashaus. Wir waren alle im Freizeitgewand, sind schnell aus dem Auto raus, haben uns Hemd, Hose und Sakko angezogen, sind wieder ins Auto gehüpft und zum Restaurant hinaufgefahren. Ein bissl stressig ist es halt immer", Manuel Mraz grinst. Seit einem Jahr besetzt der 20-Jährige die Souschef-Position. Geplant war dieser Werdegang nicht. "Für mich war es immer der Service. Der extrem nahe Kontakt zum Gast hat mich damals mehr interessiert." Nach dem Schulabschluss kam dann alles anders. In einem kleinen Restaurant im neunten Bezirk sollte Manuel als Kellner aushelfen, gelandet ist er in der Küche. Die Vorteile überwogen schnell: "Man kann in der Küche grantig sein, schauen wie man will und muss sich auch nicht herrichten. Ich kann dort sein, wie ich bin." Den Anrichteposten hat er in der Mraz’schen Küche sofort okkupiert. "Es ist der Platz, der mir am meisten taugt. Weil es mir Spaß macht, die Gerichte so auf dem Teller zu präsentieren, dass sie gut ausschauen." "Wenn wir die neue Karte besprechen und ich am Freitag einen Skizzenvorschlag mache, schaut er am Montag ganz anders aus. Nämlich getoppt. Er bringt die Gerichte mit Fingerspitzengefühl und seiner künstlerischen Ader einfach super auf den Teller. Das macht mich frei im Kopf und ich kann mich auf den Geschmack konzentrieren", sagt Markus Mraz. Mit Kontra seiner beiden Söhne muss er ständig rechnen. "Ich kann viel von den beiden lernen. Von Lukas neue Kochtechniken, weil er bei Leuten in der Küche steht, die echte Profis sind und nicht nur Schnickschnack kochen. Der soziale Part in der Küche wird von Manuel übernommen. Er hält das Team zusammen – das macht mich stolz. An eine Übergabe denkt der junge Vater und 39-jährige Küchenchef noch lange nicht: "Lukas hat mich einmal von einer seiner Auslandsreisen angerufen und gemeint: ‚Papa, wie lange willst du denn das noch machen?‘ Ich hab gesagt: ,Spinnst du.‘ Ich hab gar nicht weiter nachgefragt. Die darauf folgende schlaflose Nacht war schlimm genug."