Wild nach Obst

Ohne einen Apfel in der Tasche verlässt Andrea Eckert nicht das Haus. Und wenn die Schauspielerin spätabends die einzige Mahlzeit des Tages zu sich nimmt, delektiert sie sich weniger an kulinarischer Kreativität als an Frische, Freundschaft und familiärem Ambiente.

Wild nach Obst

Text von Michaela Ernst Fotos: Manfred Klimek
Wer die Schauspielerin Andrea Eckert vier Mal die Woche mit schweren Einkaufstaschen das Delikatessen-Geschäft Meinl am Graben verlassen sieht, soll sich bloß keinen Reim daraus machen. Nein, sie gibt nicht jeden zweiten Abend ein Essen. Das würde sie zeitlich nicht schaffen. Nein, sie kocht nicht für sich selbst. "Ich besitze ja nicht einmal ein Backrohr!" Eckerts Taschen beinhalten in erster Linie Obst. Äpfel, Birnen, Bananen, Trauben, Mangos, Mandarinen, die die Papiersäcke ordentlich ausbeulen und somit den Eindruck erwecken, da schreite die Callas der Kochkünste durch die Stadt. "Ich bin immer hungrig, also esse ich den ganzen Tag Obst." Prompt zerstreut sie die Vorstellung, man habe es mit einer Diäten-Geplagten zu tun: "Erst spätabends, gegen zehn, halb elf, nehme ich die erste und einzige ordentliche Mahlzeit des Tages zu mir, was sich aus dem Lebensrhythmus meines künstlerischen Umfelds ergibt. Ich sitze eben nicht gern alleine bei Tisch."
Weil man gerade bei ihrer Paraderolle, der "Callas", ist, die auch im achten Aufführungsjahr dem Wiener Volkstheater noch volles Haus beschert: "Das ist das einzige Theaterstück, in dem ich esse. Eine Orangenspalte, von der ich einen Bissen auf den Boden spucke." Wieder Obst – das in Arie Zingers Inszenierung allegorisch für Leichtigkeit steht: "Es ist einer der wenigen komischen Momente in diesem von Ernsthaftigkeit getragenen Stück. Er zeigt einen Moment von Nachlässigkeit und Unbekümmertheit der Callas als Kontrapunkt zu ihrem sonstigen Verhalten."
Auch bei dem Zusammentreffen für die A la Carte-Story, das in dem neu eröffneten Restaurant "Marx" stattfindet, sorgt Obst für eine heitere Note. Eckert sitzt an dem gedeckten Tisch – weißes Tischtuch, Serviette, das übliche Gläser- und Bestecksortiment –, doch statt zur Speisekarte zu greifen, zieht sie aus ihrer Handtasche einen Apfel. Sie legt ihn auf den Butterteller, betrachtet ihn wohlwollend wie ein besonders gelungenes Gericht, greift dann überraschend zum Messer und teilt ihn ratzfatz in vier. "Wäre es etwas später, würde ich jetzt die Dorade im Ganzen oder ein Thunfischsteak bestellen – aber sorry, für ein richtiges Essen ist es mir einfach zu früh". Es ist 19 Uhr, als sie dies sagt. Oft steht sie um diese Zeit auf der Bühne.
"Ich bin ja meist auf dramatische Rollen abonniert und spiele von fixen Ideen Besessene oder Mörderinnen …, da geht es selten um Essen." In der vergangenen Saison betrieb sie in "Eisen" Vergangenheitsbewältigung als gedemütigte und widerspenstig tobende Täterin, die nach 15 Jahren Haft erstmals von ihrer Tochter besucht wird. Seit Anfang September dieses Jahres wütet sie als Amazone "Penthesilea" in Heinrich Kleists gleichnamigen Stück übers Feld. Verstrickt sich die Eckert nicht gerade unter größtem Körpereinsatz (daher auch ihr ewiger Hunger!) in den von Autoren und Regisseuren aufgesetzten Leidenschaften, frönt sie ihren eigenen: "Stillstand ist mir fremd.
Anfang Dezember erscheint eine Märchen-CD, auf der Andrea Eckert ihre Lieblingsmärchen erzählt ("Meine Märchen"). Außerdem arbeitet sie seit geraumer Zeit an ihrem vierten Film – "über Konrad Katzenellenbogen, einst Privatsekretär von Thomas Mann, später Zeuge bei den Nürnberger Prozessen. Katzenellenbogen ist heute ein faszinierender alter Herr, mit einer zornig-traurigen, verständlichen Unversöhnlichkeit gegenüber der Geschichte. Er lebt in Los Angeles und ich würde ihn gern dazu überreden, mit mir noch einmal in seine Geburtsstadt Berlin zurückzukehren". Produzent des Dokumentarstreifens ist Martin Kraml, Lebensgefährte der EU-Abgeordneten und Neo-Gastronomin Karin Resetarits.
Hier schließt sich der Kreis zu Resetarits‘ Restaurant "Marx" in den ehemaligen Wiener Schlachthöfen. "Ich komme gern tagsüber her, zwischen den großen Mahlzeiten, weil das Lokal einen angenehm-ruhigen Rahmen für meine Besprechungen mit Martin bietet", erklärt Andrea Eckert. Abends bewegt sich die Schauspielerin allerdings lieber in den ihr vertrauten Regionen. "Nach der Vorstellung gehe ich zu ,Una‘ ins Museumsquartier. Das ist angenehm, weil ich vom Volkstheater aus nur über die Straße gehen muss". Außerdem schätzt sie die leichte, frische und Produkt bezogene Küche, in der sie problemlos Extrawünsche ("Mehr Olivenöl!", "Bitte die Pfeffermühle!", "Und dann noch die doppelte Menge Salat!") abgeben kann. "Wenn ich bestelle, wird es fast immer kompliziert."
An spielfreien Abenden verlässt Eckert kaum den ersten Bezirk, wo sich auch ihre Wohnung befindet. "Meist besuche ich das ,Salzamt‘, nur wenige Gehminuten von mir daheim entfernt und so eine Art Wohnzimmer für mich. Mit Monika Pöschl, der Besitzerin, verbindet mich eine jahrzehntelange Freundschaft. Damit lassen sich gleich zwei angenehme Dinge unter einen Hut bringen: Einerseits kann ich meine Freundin treffen, andererseits eines meiner Lieblingsgerichte konsumieren – den Salat mit Roastbeef, der dort zu den Klassikern zählt."
Familiäres Gefühl zählt für sie, "die gern alleine ist und viel Ruhe braucht", mehr als kulinarische Kreativität. Sie möchte nach ihrem langen Tag an einem Ort ankommen, wo man gut zu ihr ist, sie verwöhnt, ohne sie zu entmündigen und sie nach angemessener Zeit, ohne Überredungsversuche noch zu bleiben, wieder entlässt. "Ich bin keine, die lange wo bleibt. Essen ist etwas Herrliches, aber wenn sich der Abend ausschließlich darum dreht, wird mir langweilig." Hinzu kommt, dass Eckert kaum bis gar keinen Alkohol trinkt. Weil er ihr nicht besonders schmeckt. Weil sie leicht Kopfweh davon bekommt. Weil sie diese "andere Ebene", die sich nach einer gewissen Konsumation ergibt, erst gar nicht anstrebt. "Ich trinke lieber Wasser – wie eine Kuh", schmunzelt sie, "aber ich bin nicht dogmatisch. Manchmal nehme ich auch ein Glas Rotwein oder einen Gspritzten zu mir."
Lädt sie Freunde zu sich ein, bittet sie diese, den Wein mitzubringen. Nicht weil sie zu faul ist, die Flaschen bis in ihre Wohnung hochzutragen. Sondern weil sie keine Ahnung hat und durch ihr Nichtwissen niemandem den Abend verpatzen will. "Ich weiß, dass für viele Menschen zu einem guten Essen ein ordentlicher Wein gehört. Ich respektiere das, kann allerdings nicht damit belastet werden. Ich wüsste nicht einmal, wie man mich beraten könnte, damit ich zu einer Entscheidung fähig wäre …"
Die Zubereitung des Essens bereitet weniger Komplikationen, obwohl gerade diese in ihrem Haushalt nach einer strikten Organisation verlangt. "Ich habe nur zwei Kochplatten", erklärt sie amüsiert, weil sie ahnt, wie sich der Gesichtsausdruck ihres Gegenübers gleich wandeln wird. Wie? Kann? Man? Mit zwei Herdplatten? Ein Essen geben?! Für Sechs? Sechs Personen?!
Das ist ja überhaupt kein Problem, sagt sie, wenn man, so wie sie, zum Beispiel asiatisch kocht. Das ginge schnell und unkompliziert und schmecke jedem. Das Gemüse wird fast à point gegart, dann das Fleisch gebraten. Der Reis kommt zum Schluss. Kurz vor dem Anrichten bekommt das Gemüse noch einmal die zwei, drei Minuten, die ihm fehlen.
Als Nachspeise gibt es Oblaten-Torte, die lässt sich auch ohne Backrohr zubereiten. Die Oblaten kauft sie, das Rezept für die Schokoladencreme dazu stammt von ihrer Großmutter. Geht total einfach.
Genuss spielt sich für die zurückgezogen Lebende, die ihren Ruf als Wiener Diva eher gleichmütig hinnimmt und weiß, wie viel Disziplin sie ihrem Beruf schuldet, vorwiegend in privater Atmosphäre oder in wirklicher Ferne ab. "Ich liebe die Sonne und das Meer über alles." Deshalb flüchtet sie, sobald es die Zeit erlaubt, im Winter nach Asien. Auf Bali hat sie sich wohl gefühlt. Die Farben! Die Landschaft! Die Garküchen am Straßenrand! Während Wien in der grauen Nebelsuppe versank, wurde dort jeder Sonnentag zum Rufzeichen. Im vergangenen September verbrachte Andrea Eckert zwei Wochen auf Kreta. An einem stillen Ort. In einem einfachen Hotel. Sie brauchte nicht viel Luxus zum Wohnen, da das Meer vor der Türe lag. Sie verlangte nicht nach dekorierter Kochkunst, sondern nach Obst, Salat und frischem Fisch. "Wenn die Sonne scheint, ist für mich die Welt vergoldet."