Ying & Yang

Ausbalanciert. Powidldatschgerln & Korean BBQ. Eintropfsuppe & japanische Ramen. Modemacherin Michel Mayer & Daniel Lee, Meister des Qigong, Tai-Chi und Tao. Fusion aus zwei Familien, denen Essen wichtig ist. Es wird gekocht. Was beiden am besten aus unterschiedlichen Welten schmeckt.

Text von Ro Raftl/Fotos von Stefan Fürtbauer

Gelassenheit. Aus Liebe. Zur Harmonie, zur Familie, zum Essen, zum Wohlgeschmack. Natürlich niederschmetternd, dieses Ausgebremstsein in der Pandemie. Doch. So ein Wochenende mit Großeinkauf, sorgsamer Suche aller nötigen Zutaten, Wiegen, Putzen, Schälen, Schnipseln, adrettem Nudeldrehen, Köcheln, Würzen und appetitlichem Anrichten stärkt Geduld wie Hunger. Die ­Zufriedenheit, wenn die Mahlzeit so schmeckt wie sie soll. Und. Die Erinnerung an Orte, an Treffen, an Reisen, wo wie was geduftet, die Zunge berührt, den Geschmack gekitzelt hat. Augenverdrehen mit Lachen: „Fünf Sorten Reis im Schrank, eine Wissenschaft! Und das selbstgemischte Chiliöl muss immer parat stehen! Neulich“, sagt Modemacherin Michel Mayer, „haben wir uns zum Talad Thai Shop in die Schweglstraße aufgemacht – und es war so geruchs­intensiv, so bunt, so exotisch wie ­Urlaub. Fast kitschig romantisch.“

Beziehungsreich. Als Michaela 2009 unter Thailands Palmen meditieren und Tai-Chi üben wollte, traf sie Daniel Lee aus Los Angeles, der dort für sein Diplom als Qigonglehrer praktizierte. Zehn Monate später waren sie verheiratet. Seelenverwandte alltagstauglich. Er zog nach Wien, meinte, er könne überall leben. Wobei sich der erste Winter bei Eis und Schnee, höflich formuliert, „herausfordernd“ für einen Mann aus Kalifornien gestaltete, Meister der Entspannungslehren hin oder her. Dauerte ­natürlich auch seine Zeit, Schüler zu finden, eine Community aufzubauen. Heute würde Daniel Lee nirgendwo ­anders mehr leben wollen als in Wien. Das Kind hat vor sechs Jahren aller beider Wunsch nach Familie glücklichst erfüllt. Seither. Bedeutet Kochen und Essen weniger scharf (Chiliöl steht am Tisch, Smiley) und noch mehr frisch, g’sund, bio, ausgewogen. Yin und Yang. Altösterreichisch wie Michaelas, chinesisch-koreanisch-japanisch wie Daniels Vorfahren.

Reden im Geschäft. MM logiert in bester Citylage in der Singerstraße 7. Lebendig, unter braver FFP2-Maskierung. Bissl Show- Geplapper. Frauen und Mode – ein unendliches Terrain. Stopp. Geht diesmal ums Essen. Aber
ja, ebenso unerschöpflich. Im Laufe der Jahre haben wir schon Pöschls Krautfleisch, Petits Fours vom Demel und Nudeln der wechselnden Asiaten rundherum genascht. Wasser und Kaffee gibt’s immer. Hinten. An der weißen Theke neben bunten Stoffballen, frisch Gestecktem auf der Puppe, Leihschuhen zum Anprobieren, Nähmaschinen, Bügelbrett. Gemütlich. Fasziniertes Schweigen, wenn MM die Schere ansetzt und in einem Zug rund oder schräg ein ­ Oberteil ohne jegliches Gefutzel schneidet. Und. Die Kreditkarte festhalten beim obligaten Gang nach vorne, wo die Kollektion hängt, aktuell Frühjahr / Sommer – und die geliebten, diesmal leider unverkauften Träume aus besticktem Tüll, Seide, Organza, Satin für die ­Bälle, die nicht stattgefunden haben. Schnell was überstreifen vor großen Spiegeln, inspizieren, was in der schönen Vitrine aus den Fünfzigerjahren liegt.

25 Jahre Label Michèl Mayer. So lange kenn ich ihre Kreationen. Seit der progressive Schuhhändler Franz Wunderl erste Mayer-Modelle in seiner Pilgerstätte für den letzten Schrei am Fuß in Sollenau ausgestellt hat. Ihre Entwürfe waren cool und feminin zugleich. „Kleidsam“ hätten unsere Großmütter ihren sinnlichen Zugang zu Fashion genannt.

Michaelas Oma war 40, als sie geboren wurde. Die Mutter hat gearbeitet, also hat Michi mit ihrer Schwester auf Omas Küchenboden ­gespielt, manchmal durfte sie helfen. „Gefühlt stand die Angela-Oma immer in der Küche. Hmmm, der Duft von frischem Ölgugelhupf und Kakao in der Früh! Wenn ich von oben runtergekommen bin, war sie schon lange wach, um zu garteln. Wir hatten ­alles – Äpfel, Marillen, Erdbeeren und Ogrosln, also Stachelbeeren – und die schönsten Rosensträucher. Zwiebeln, Sauerampfer, Karotten: Ich hab’s geliebt, sie aus der Erde zu ziehen. Zur Parasolzeit ist sie mit einem Korb im Wald verschwunden und dann war die Tiefkühltruhe im Keller bis obenhin mit Parasolen voll. Gebacken kamen sie auf den Teller. Wow! Wenn’s am Rochusmarkt welche gibt, kauf ich sie immer. Selbst, wenn danach die ganze Wohnung nach Paniertem stinkt.

Die Oma hat mich sehr geprägt. Ihre Heiterkeit, Geselligkeit, Unternehmungslust, wenn sie mit den Freundinnen auf Busreisen ging. Für die hat sie auch im Wohnzimmer zum Kaffee aufgedeckt. Ach, ihre Obststrudel – und die Topfenschnitten! Süß, süß, süß. Mohnnudeln, Marillenknödel, Palatschinken, Kaiserschmarren, Krapfen und Gebackene Mäuse. Auch Karfiol hab ich lange nur süß gekannt, und wenn’s Fleisch gab, dann Blunzen mit Weißen Rüben. Oder Grammelknödel – aber die macht die Mama am besten.

Ich kann gut backen. Kuchen und Torten zu jedem Anlass in der Familie. Sonntagfrüh mach ich es noch. Mit Mandeln, Nüssen, Mohn, was grad zu Haus ist. Längst auch Pancakes, Mais- und Bananenbrot.“ Michaela, Michel, Michi, mittlerweile international.

Als die Großmutter starb, mit 62 viel zu früh, zog die Enkelin in ihre Wohnung. Die Werkstatt hat sie in der Küche eingerichtet. Kreativ an Schnitten und Stoffen geköchelt. Viel an die Oma gedacht. Inspiriert von deren Lust, nach dem Kochen zu ­häkeln, zu stricken, zu sticken.

Gründlich. Hat sich Mademoiselle M mit einem Handelsakademieabschluss und Berufserfahrung in einem Textilunternehmen gegen die Un­tiefen des kommerziellen Lebens gerüstet. Modedesign nach der Matura studiert. Am liebsten ­hätte sie ja schon mit vierzehn in der Modeschule Hetzendorf debütiert. Aber nein. Die Eltern! Heute findet sie deren Entscheidung g’scheit.

Ihr Label Michèl Mayer startete glutvoll: Lässig Kreatives entwerfen, an der Puppe stecken, nähen, präsentieren, bei Events auftreten. Showtime! Es gab Modepreise, gute Presse – und den Mut zu ­einem eigenen Geschäft. Sie hat’s 25 Jahre durchgezogen. Ohne dickes Sponsoring im Rücken. In Österreich. Jubiläum! Congratulations.

Aktuell trotzdem eher Sorgen. Schwere Einbußen. MMs Erfolg der letzten Jahre beruhte auf Abendroben, präsent vom Opernball bis zum Red Carpet der Golden Globes. Lockdown in der Ballsaison = Desaster. Tja, und selbst große Hochzeiten, für die Mayer „coole“ Fashion liefert, wurden verschoben.

Tief durchatmen. An sich selbst und seine kreativen Möglichkeiten glauben. Vor gut sechzehn Jahren hat sie eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin absolviert: „Um einen neuen Zugang zur Mode zu finden, vom Oberflächlichen wegzukommen.“

Eine spannende Phase, in der ihr klar wurde, „dass Mode gar nicht oberflächlich ist. Das Handwerk zu beherrschen, der Prozess von der Idee zum fertigen Modell ist wesentlich. Du musst sehr viel über Menschen wissen, um sie einkleiden zu können.“ Als Surferin weiß sie wiederum, wie man Wellenkämme und Wellentäler ausbalanciert. Also. Darf man Glück zum neuesten Projekt wünschen, das sie mit Co-Créatrice Monika Ferrari begann: Costumes Couture, Kostüme für Film und Theater. Mit der Arbeit an einer deutschen Filmproduktion übertüfteln die beiden die Pandemie.

Spätestens jetzt begreift man die Seelenverwandtschaft zu Mister Lee: durchatmen, entspannen, ruhig werden, sein. Lachen und kochen.

Wir sind zu japanischen Ramen geladen. Daniel liebt Suppen. „Hühnersuppe (Oma hat eine Weiße Rübe mitgekocht) geht nie aus. Ist ja nicht nur eine Basis für Ramen, sondern überhaupt für fast alles“, merkt Sous­chefin Michi an. Und dass es bei Daniel nie ein Ungefähr gibt, jede Zutat wird genau bemessen. Also: 500 g Dinkelfeinmehl (wahlweise Weizenmehl), 180 ml Wasser, 2 Eier, ¼ Teelöffel Salz für Ramen(-Nudeln). Verwirrenderweise geben die Nudeln den unterschiedlichsten Suppen-Basen die Namen. Sie wurden schon am Vortag in großer Menge durch die Maschine gedreht. Was übrig bleibt, wird am nächsten Arbeitstag, wenn das Kochen schnell gehen muss, zu Yaki Soba verarbeitet. Bratnudeln. Klingt simpel, wär nicht die Yakisoba-Sauce das große Geheimnis jedes leidenschaftlichen Kochs. Kaufen kann man sie auch, doch Daniels Vater, allergisch gegen allerlei, hat sie selbst gemacht, und so der Sohn. „Sooo gut“, leckt sich die Ehefrau die Lippen.

Trotzdem. Auf zur kleinen Warenkunde ins Nippon Ya, den japanischen Supermarkt, Ecke Wienzeile-Faulmanngasse, über den die ehrenwerte Frau Ayumi wacht. Wo es getrockneten Kombu gibt, eine dunkelbraun-grünlich, leicht fischig schmeckende Alge aus Meeresgründen kalter klarer Gewässer – milder und süßlicher in den japanischen als im Atlantik. Unabdingbar für die Ramen: eingeweicht, kurz überbrüht, in feine Streifen geschnitten. Wie Nori, die andere bekanntere Alge, die als getrocknetes, danach geröstetes, gewürztes, papierartiges Blatt verkauft wird und primär als Deckblatt für Su­shi dient. Im Ramenfond soll sie nur kurz ziehen: als Garant für Umami, den umfassenden Wohlgeschmack, vereint mit Kombo und Bonito-Flocken. Die sehen wie durchsichtige Holzspäne aus und werden „tanzende Fischflocken“ – Katsuobushi – genannt, da sie sich in Kontakt mit heißer Suppe zu bewegen beginnen. Rauchig schmecken sie, erinnern an den Fisch, von dem sie stammen. „Gutes Essen“, doziert Daniel sanft, „­resultiert aus der Balance der Aromen. Das Wichtigste daran ist die Qualität der Zutaten.“ Lacht. „Yeah, cooking is in the family.“ Erzählt von den Schulferien, in denen er aus Los Angeles zu den Großmüttern geflogen ist, zur ­ja­panischen Großmutter nach Tokio, zur chinesischen nach Hongkong. Sie starb mit 99 Jahren, doch niemals wird er die Faszination des Fischmarkts in Hongkong vergessen, die Familientreffen dort: „Wie Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen – alle – dort den einzig wahren Fisch für den Tag ausgesucht, ins Restaurant gebracht, ­berieten, wie er zubereitet werden soll, miteinander gegessen haben …“

Michaela erklärt mit leichtem Kichern in der Stimme, wie ihre Venedigreisen funktionieren: „Ich schau mir die Guggenheim Collection an, er schaut: Wann sperrt der Fischmarkt auf.“ Bissl stolz, dass erst sie seinen Gusto auf italienische Pizza geweckt hat: „Wir machen sie zu Hause auf dem Stein, falls wir nicht doch zu den Italienern Federico II oder La Spiga gehen.“

Augenblicklich wärmt sie sich im Teehaus Cha No Ma, das ebenso zum Reich der liebenswürdigen Frau Ayumi zählt, an der Ästhetik eines Matcha Latte. Mit süßen Hintergedanken an die Klinik­packung Sesameis. Für sie „das einzige und beste Eis“. Kann das Liebe sein?

Die asiatische Küche habe sie erst in L. A. kennengelernt, sagt sie später in der eigenen Wohnung, „als mich Daniel seinen Eltern vorgestellt hat. Bei den Besuchen der Großeltern in Tokio und Hongkong hat sie mich vollends verzückt. Das beste Essen findest in den Shoppingmalls: eine Stunde anstellen! Und dann sitzt auf Plastiksesseln vor einem Plastiktischtuch und kriegst Dim Sum in einem Plastikgschirrl. Aber. Nie vorher oder nachher hab ich so göttlich fluffig-würzige Dim Sum bekommen.“ Spöttelt: „In ein asiatisches Restaurant in Wien kann ich mit Daniel nicht gehen … Außer Haus essen wir nur, was wir zu Haus nicht kochen: ein Schnitzel beim Pöschl, ein Martinigansl bei den Drei Hacken, Fische in der Bodega Marquès, Ceviche im Mochi.

So nah, so fern: „In Mexiko haben wir sie selbst gemacht. Zu einer Hochzeit in Cabo San Lucas eingeladen, war die Gesellschaft auch Hochseefischen, Mahi Mahi, den großen. Ha, und ich hab den allergrößten gefischt.“ Spielt den Triumph aus, atmet durch, sänftigt sehnsuchtsvoll: „Ach, und in Thailand haben wir Krabben gefangen.“

Es ist Liebe. Die sie, wie sonst nur beim Parasol in memoriam Oma, die Wohnung zwei Tage verstinken lässt – um auch im Winter BBQ, sprich: traditionelles koreanisches Bimbim Bap, zu garen. „Das Fleisch lassen wir richtig dünn schneiden und marinieren es vorher.“ Ja. Daniel hatte auf der Uni das Essen so schrecklich gefunden, dass er selber zu kochen begann. „Dabei wuchs das Bedürfnis, es gut zu lernen. Früher saßen der Großvater und die Onkel am Tisch, tranken Bier und diskutierten, während Großmutter und Tanten in der Küche standen. Mein Bruder und ich haben unserer Mutter geholfen. Für die Jungen ist Kochen eine Notwendigkeit. Das einfachste Mittel, um das Niveau zu erhöhen. Man braucht nicht so viel Geld, man muss nur wissen, WIE.“ Seine nuanciert gewürzten Ramen beweisen es.

Schlutz und Umami.