Z´haus owi

In eineinhalb Stunden. Schafft Peter Simonischek den Weg aus dem Wiener Schlaraffenland, das seine Frau kultiviert, ins steirische Geschmacksparadies seiner Kindheit. Zur Frische sinnlicher Traditionen. Backhenderlhaxeln abkiefeln. Guat!

Text von Ro Raftl · Fotos von Christof Wagner

Kaisers! „Links im Eck bei der Apotheke“, steht in der SMS, doch es dauert, bis wir uns zu Peter Simonischek durchgewurschtelt haben. Samstags ist der Bauernmarkt am Grazer Kaiser-Joseph-Platz komplett überrannt. Und wir sind entzückt: Wollen nix als Eierschwammerln und Brimsen und Honig und Fisolen und Kräuter und noch viel mehr in große Körbe stopfen – alles so bunt, so frisch, so appetitanregend wie im coolsten Bio-Werbefilm. „Im Paradiesgartl“ hätte man früher gesagt. Glückliches Graz. Diesen Markt gibt es täglich. Und die Fressbuden am Rand halten sich in Grenzen.

Hier! Peter Simonischek. So kurzsichtig kann man gar nicht sein. Dieser Charakterkopf! Schnauzbärtig, ja, seit Toni Erdmann, während die weiß wehenden Federn ums Kinn aus seinem letzten Film Der Dolmetscher wieder verschwunden sind. Diese Statur! Lässig in Jeans und braunem Polo, taucht er das Schokocroissant in den ­Cappuccino, blödelt mit Bekannten, freut sich über ­unsere Begeisterung. Klar, als Oststeirer mit slowenischem Namen, der in Graz geboren ist. Feingestimmt für die A la Carte-Inszenierung – doch nix dabei von dieser Mir-kann-keiner-was-erzählen-Attitude großsprecherischer Altherrenrunden in Wiener Lokalen, denen ganz nebenbei keine fesche Katz, die das Bild quert, entgeht.

Abgestreift die Haut des lebensgierig angeberischen Machos Georg, glatt gefühllos gebügelter Sohn eines NS-Mörders, den er in Der ­Dolmetscher spielt – bis gegen Schluss die Fahrten mit dem Holocaust-Überlebenden Ali (Jirˇí Menzel) zu den Untatsorten seines Vaters zumindest Nachdenklichkeit über Schuld und Läuterung wecken. „Tja, sehr österreichische Ambivalenzen, im Fall des Nationalsozialismus bis zur Waldheim-Affäre in den 1980er-Jahren ambivalent.“

Kaisers Espresso schmeckt, als hätte ihn der italienische Cousin gebrüht, der Marillenkuchen zerfließt auf der Zunge. Für Augustiner-Bier und Pulled-Pork-Burger ist es eindeutig zu früh. Sie sollen grandios sein. Next time.

Wir kaufen also Käferbohnen, Sulz, frischen Schafkäse und knuspriges Bauernbrot. Auftragsarbeit von Simonischeks Frau. Brigitte Karner. Gestern haben die beiden in der List-Halle aus Roths Radetzkymarsch gelesen. Doch ungeachtet seines Status braucht der Einkauf seine Zeit: Autogramme für verzückte Damen! Begreiflich. Der ­Jedermann, acht Sommer auf der Salzburger Festspielbühne, der sehnsüchtig-kauzige Toni Erdmann in Maren Ades’ oscarnominiertem Kinofilm, für den P. S. als erster Österreicher mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, der Star zahlloser Fernsehspiele – und last, but not least der Burgschauspieler. Seit 1999 immer wahrer, leichter und tiefer in einem, mit explodierender Spielfreude, grenzenloser Verwandlungslust, heiligem Ernst und der ganzen Kunst, die er in Graz gelernt und 20 Jahre an der Berliner Schaubühne geübt hat. Zuletzt in dem köstlichen Stück The Who and the What des pakistanischen Amerikaners Ayad Akhtar als (jäh-)zornig liebender muslimischer Vater zweier Töchter, Nummer eins die kleine schlaue Heuchlerin, Nummer zwei intellektuell emanzipiert. Sie schreibt einen Roman. Gender-Politik. Und. Es geht um den Propheten. Oje.

Mit wachem Geist, politisch à jour, kann Peter Simonischek auch zornig knurren. Jederzeit bereit, zur Verteidigung der Demokratie auf die Barrikaden zu steigen. Sein zarter Hinweis: Dem Markt gegenüber steht an der Oper das in Marmor geschnittene Mantra Schillers an die Schauspieler: „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben, bewahret sie, sie sinkt mit euch, mit euch wird sie sich heben.“ Ja. ­Zwischen Erdäpfeln und Kürbissen hat Simonischek ganz leicht die duftigen Blätter eines Mimosen-Stöckls berührt: Sie ziehen sich zusammen, flattern, zittern nach. Dieses Phänomen hätten ihn die Mimosenfelder auf den Seychellen gelehrt, die sich beim Durchgehen wogend bewegen … „Er ist einer der Seltenen, die Gemüt haben“, schrieb Theater-Publizist Andres Müry als Fragensteller in dem Simonischek-Buch Ich stehe zur Verfügung. Kein Verehrer würde es je zum Altpapier werfen. Ohne trockene Thesen über das Theater erzählt es mit Humor vom Leben. Etwa das: Graz in den Sechzigerjahren. Der junge Schauspieler beobachtet in der Straßenbahn fasziniert zwei junge Mädchen, die sich streicheln und küssen: „Das eine war schwarzhaarig, das andere hatte langes braunes Haar, zwei ephebische Wesen, Luftgeister. Als sie sich voneinander ­lösten, sah ich, dass es gar nicht zwei Mädchen waren. Es waren Peter Handke und Libgart Schwarz.“

Aber jetzt. „Z’Haus owi.“ – Ein Satz, den die Oma jauchzte, bevor sie das Peterl zu den Besuchen nach Slowenien mitnahm. Ihre Schwestern führten den Erb-Bauernhof: „Die Tante Angela ist mit den Ochsen gefahren und hat den Stall ausgemistet, die Tante Resi hat Haushalt und Küche gemacht. Aber wie. Irgendwann war sie Köchin beim Grafen Windisch-Graetz. Wenn wir gekommen sind, haben wir schon von weither das Hühnergeschrei gehört – der Gockel hat mit den gackernden Hennen laut protestiert, wenn die Tante Resi eine abgefangen hat. Zwei Stunden später stand sie schon als Backhendl auf dem Tisch.

Backhendl ist auch im „traditionellen Familiengasthaus Haberl angesagt. Ein Mekka für Genussreisende, von sämtlichen Gastro-Magazinen hoch ausgezeichnet, mit allen Gütesiegeln von AMA bis Slow Food dekoriert, bejubelt das Kulinarium Steiermark die Zutaten des Erfolgs: die Topküche von Hans Peter Fink, die eingelegten Delikatessen von Bettina Haberl-Fink, eine exzellente Weinauswahl und der Umstand, dass man hier nicht auf die Stammgäste vergessen hat. Eine dauerhaft schöne ­Liebes- und Erfolgsgeschichte, seit die 16-jährige Wirtstochter Bettina Haberl und der 20-jährige Wirtssohn H. P. Fink als Kochlehrlinge bei Finks Vater auf der Riegersburg aufei­nandertrafen. Er stieg zum hochprämierten Küchenchef des Hotel Sacher auf. Sie mietete sich in ­Essigkaiser Gölles’ Dachboden ein, rührte Marillenmarmelade und konservierte Eierschwammerln in Essig – die Startprodukte von Fink’s Delikatessen. Als er vor zehn Jahren das Pendeln satt hatte, übernahm er mit Frau und Schwager Mario, dem Diplom-Sommelier, das Gasthaus der Schwiegereltern in Walkersdorf. Sie haben aus- und zugebaut, die Keller, die Gast­räume, die Terrasse, Fink’s Delikatessenladen.

Diesmal also. Nur 44 Minuten im Auto von Graz „z’Haus owi“ in die liebliche Oststeiermark mit ihren Mischwäldern, Maisfeldern, Streuobstwiesen, nach Ilz und Walkersdorf, einen Katzensprung vom Ziegenberg entfernt, wo sich Simonischek von seiner ersten Salzburger Tasso-Gage eine alte Obstpresse mit einem Stückl Grund gekauft, das winzige Häuschen mit Brigitte Karner vergrößert hat. Übers Leben reden. Die herbe Niederlage seiner ersten Ehe. Den langen Erfolg der zweiten. „Ich bin ein bürgerlicher Mensch, Familie ist für mich ein Wert, Kinder aufwachsen zu sehen.“ Seit Kurzem ist der Vater dreier Söhne Opa einer Enkelin.

Glücklich in der heimatlichen Landschaft, aufgewachsen in Markt Hartmannsdorf – bis zur Verschickung aufs Konvikt St. Paul im Lavant­tal. Sollte Zahnarzt werden und die Dentistenpraxis mit Labor des Vaters übernehmen. Schauspieler?

„Etwas für’n Fasching, doch kein Beruf.“ Wir lassen die Wutwatschen beiseite, die der cholerische Patriarch austeilte, sobald die Internatslehrer den Buben einen „faulen Hund“ nannten – „verzweifelt und enttäuscht, dass ich seine Erwartungen nicht erfüllt habe“. Er habe den Vater geliebt, der auch „lachen konnte, bis die Tränen spritzten“. Bog halt eine Zahntechniker­lehre hinunter und studierte vorgeblich Architektur, während er heimlich die Schauspielschule besuchte. Die Praxis übernahm schließlich seine Schwester, und der Vater hat ihn noch als Jedermann erlebt.

Jedenfalls. Reiches Reservoir für Simonischeks Vaterrollen.

Den Geschmackssinn des Theatertalents bildete die Grazer Oma, eine Eisenbahnerwitwe, bei der er während des Studiums wohnte. Ihre Festessen fielen auf den Montag, wenn die Eltern zum Einkaufen fuhren: Griesnockerl- oder Leberreissuppe, gebackenes Bries, Brat- oder Backhendl und als Nachspeise Weinchaudeau oder Biskuitroulade – beides damals ultramodern. Als er selbst zu kochen begann, hat sie ihm das Rezept für ihr Ritschert mit der Hand in ein Thea-Kochbuch geschrieben. Oder Türkensterz, den sie mit Milch schön grobkörnig kochte und mit Zucker bestreute. „Der Proleten­sterz“, grinst Enkel Peter, „tellerweise hab ich ihn verschlungen und suche vergebens Menschen, die gut Sterz kochen können.“

Ach, und die Kutteln!“, singt er ihnen eine Ode. Die Oma hat sie wie Wiener Schnitzel paniert, waren ja in den Nachkriegsjahren die billigste Sorte Fleisch. In seiner Theaterzeit in Bern ging er selbst mit Wonne an die Zubereitung. Denn. Am Markt in der Münstergasse, wo er gewohnt hat, standen direkt unter seinem Fenster zwei Frauen in Tracht und boten in einem mit weißem Leinen ausgeschlagenen Weidenkorb schweizerisch geputzte Kutteln an. Soo weiß, soo sauber! Jetzt aber der Höhepunkt – auf die heroische Selbstlosigkeit seiner Frau: „Brigitte kocht sie nicht nur deliziös, sie isst sie dann auch. Nach einem alten Rezept aus der Gegend von Venedig.“

Während die Familie Haberl & Fink den Tisch mit Köstlichkeiten bestückt, ist Brigitte Karner vom Ziegenberg herabgestiegen, und zwischen Fotoshooting, Hendlhaxeln abkiefeln, Kernölspritzern auf Tischtuch und T-Shirts, den Biowein vom Herrenhof Lamprecht kosten und die winzigen Strudel, Kuchen, Cremen und Sorbets von der stilvollen Mehlspeis-Etagere selig vernaschen, entspannt sich eine lebhafte ­Familienkonferenz: über Videos der Fink’schen Kids beim schulfestlichen Rezitieren und Tanzen … über gutes Brot, das Simonischeks in Wien bei Felzl und Joseph besorgen … über den köstlichen Duft, den „früher“ die kleine Bäckerei ums Eck verströmte, wenn sie um vier Uhr früh nach Hause ­kamen … über die Perfektion, mit der Brigitte zur Spitzenköchin aufgeholt hat. P. S., der Gerne-Esser, schwärmt: „Sag in den meisten Restaurants ,Ja, danke, gut‘ und denk mir: fast so gut wie bei Brigitte. Sie weiß, wie ich was gerne mag: die Eierspeis nicht ganz trocken ge­braten. Überrascht ständig mit etwas Neuem, jeden Monat ein neuer Lieblingssalat. Jetzt grad: fein geschnittene Äpfel, Fenchel, Nüsse, angebratener Parmaschinken in Ahornsirup karamellisiert. Und. Ihre ­Tarte Tatin! Ihre Buchteln nach dem Heringsschmaus am Aschermittwoch! Wegen der Buchteln kommen selbst Gäste, die Fisch nicht ausstehen können!“ (Smiley)

Aber klar, das Gasthaus Pöschl in der Wiener Weihburggasse mag er sehr, und das Imperium der Huths in der Schelling­gasse: Schaut zu und bewundert, wie es wächst und wächst seit dem Beginn mit der Gastwirtschaft und ihrem Faktotum, der strengen Frau Lotte. Wenn die Vorstellung früher endet, kehrt er gern ein.

Und. Wein muss es sein, für den unprätentiösen Genießer mit Hausverstand. Meist holt er ihn aus der Buschenschank Brunner im Kleegraben bei Ilz: „Da sind schon meine Eltern hingegangen, eine schöne Tradition. Ich probier alle Sorten durch und frag den Gustl rituell: Welcher ist dir dieses Jahr besonders gut gelungen? Er schlägt vor: ,Probier amal meinen Welschriesling‘ oder ,Probier amal meinen Sauvignon‘. Je nachdem, nehm ich ein paar Schachteln mit nach Wien. Bier trink ich nur gegen den Durst“, schweift er ab zum 25. Hochzeitstag im Palais Coburg, wo sie die gesamte Kollektion Château d’Yquem des 19. Jahrhunderts im Keller liegen haben, und dass ihnen der Chef damals einen Château Latour hingestellt hat. Oder war’s ein Cheval Blanc? Wie immer. Simonischek lacht. „Kommt ja nur auf die Bedingungen an, unter denen man Wein trinkt: Unsere mitgeschleppten Retsina-Flaschen vergammeln hier. In Wien Retsina trinken? Nein. Ich möcht mich freuen können auf das erste Glas in Griechenland.“ Lacht länger: „In Berlin hab ich mich fast gegiftet, als es im KDW plötzlich steirisches Kernöl zu kaufen gab. Wollte es original und exklusiv aus der Steiermark bringen. Hm. ,Die Einbildung ist ein hoher Herr!‘, hat die Oma immer gesagt.“

Ritschert
100 g weiße Bohnen und 100 g Rollgerste über Nacht einweichen.
500 g Selchfleisch (Stelze, Ripperl, Bauchfleisch) weich kochen, Suppe aufbewahren.
1 große Zwiebel und 1–2 Knoblauchzehen schälen, fein hacken und in einem großen Topf in 2 EL Butterschmalz anrösten. Mit ¹⁄¹6 l Wein ablöschen oder gleich mit der Selchsuppe aufgießen. Bohnen, Rollgerste und 1 Lorbeerblatt zugeben, mit Salz, Pfeffer, Kümmel abschmecken, ca. 1 Stunde langsam weich kochen.
Selchfleisch, 100 g geschälte, gewürfelte Erdäpfel, 200 g Wurzelgemüse – Karotten, Sellerie, Petersilwurzel – geschält und geschnitten beigeben, ca. 30 Minuten ­köcheln lassen. Umrühren! In den letzten 15 Minuten Kräuter – Lieb­stöckel, Salbei, Basilikum – beifügen.
Abschmecken.
Im Suppenteller servieren, mit Petersilie bestreuen. Beilage: frisches Bauernbrot.

Trippa alla trevisiana – Kutteln nach Art von Treviso

Zutaten für 4 Personen
600 g Kutteln, vorgekocht und in Streifen geschnitten
100 g magerer Speck
1 große Zwiebel, gehackt
4 EL Butter
1 Rosmarinzweig
400 ml Bouillon (evtl. aus Würfeln)
4 Bauernbrotscheiben
Salz, Pfeffer
100 g Parmesan
Zubereitung: Den Speck fein hacken, die Butter erhitzen, Speck und Zwiebel darin anziehen lassen. Kutteln und Rosmarin zufügen und einige Minuten mitdünsten. Mit Bouillon ablöschen. 50 Minuten zugedeckt auf kleinem Feuer kochen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Brotscheiben rösten, je 1 Brotscheibe in die Suppenteller legen, mit den Kutteln bedecken und mit Parmesan bestreuen.
Dazu passt ein Glas Valpolicella.