Zwanglos

Anna und Martin Arndorfer sind in der internationalen Natural-Wine-Szene eine ganz große Nummer. Den Weg nach oben schaffte das Kamptaler Winzerpaar ganz ohne eitle Selbstinszenierung.

Foto von Regina Hügli
Text von Christina Fieber

Es gibt Orte, die eine besondere Ruhe ausstrahlen. Orte, die von der Außenwelt scheinbar nicht berührt werden – eigene Universen außerhalb von Raum und Zeit. Die Lage Merschein im Kamptal ist so ein Ort. In einem Seitental zwischen Zöbinger Heiligenstein und Gaisberg liegt sie abgeschirmt von allen anderen Weinbergen, umgrenzt nur von Bäumen. Martin Arndorfer hat den Weingarten von einem alten Winzer gekauft, der immer noch für ihn dort arbeitet, er mag die Stille und die Abgeschiedenheit. Tatsächlich ist die Lage ein Schatz: uralte Rebstöcke auf purem Urgesteinsboden, kühl und weitgehend belassen. Merschein ist eine der vielen kleinen Lagen von Anna und Martin Arndorfer. Knapp hundert auf lediglich 20 Hektar. Ein Potpourri unterschiedlicher Böden und Kleinklimata, die hier im Kamptal alle paar Hundert Meter wechseln. Eine Heidenarbeit und eine logistische Herausforderung, die vielen verschiedenen Standorte zu bewirtschaften. Letztlich ermöglicht es jedoch das, was sich die beiden Winzer wünschen: Vielfalt. Eine Vielfalt an Weinen, aber auch vielfältige Aromen in jedem ihrer Gewächse aus den unterschiedlichen Parzellen oder Lagen, aufgeladen mit den Geschichten jedes einzelnen Flecks. „Jeder Weingarten schmeckt anders“, sagt Martin Arndorfer, „das macht den Reiz aus und soll auch nicht glattgebügelt werden.“

Das verleiht den Weinen eine ganz eigene Spannung. Eine Stilistik, für die sie bekannt sind, im Ausland noch mehr als hierzulande. In Ländern wie Dänemark, England, Japan und den USA gehören sie zur Elite der Natural-Wine-Bewegung. Ihre Gewächse sind weltweit heiß begehrt. In über 30 Länder werden sie exportiert, kaum ein angesagter Gourmet-Hotspot von Bangkok bis Toronto, der sie nicht listet. Um Marketing muss sich das Winzerpaar nicht mehr kümmern. Händler, die irgendwo auf der Welt ihre Weine getrunken haben, sprechen sie an und wollen sie nun importieren. Ein Selbstläufer.

„Wir forcieren das nicht“, sagt Martin Arndorfer ohne jeden Anflug von Überheblichkeit, so, als wäre er selbst ein wenig überrascht von dem Erfolg. Mit seinen zerzausten Haaren, den weichen Gesichtszügen und den lachenden Augen wirkt er auch mit 40 Jahren immer noch wie ein aufgeweckter Junge. Ein sonniges Gemüt, das den Dingen des Lebens scheinbar gelassen entgegentritt. Keiner, der sich in Szene setzt oder gar rebelliert. Seine Vorstellungen setzt er trotzdem durch. „Ich wusste schon als Kind, dass ich einmal Weinmacher werde“, sagt er. Seine Mutter erinnert sich, dass er lieber mit in den Weingarten ging als in den Kindergarten. 2002 stieg er ins Weingut ein, zehn Jahre später übernahm er es. Seine Eltern ließen ihm jede Freiheit, auch wenn sie nicht immer verstanden, was da genau vor sich ging.

„Ich brauche Freiheit, mit Zwang geht bei mir gar nichts“, sagt er. Freiheit, die ihm den Raum gibt, sich zu entwickeln. Auch die Praktika vor der Betriebsübernahme hätten seiner Entwicklung gedient. Dabei interessierte ihn weniger die Stilistik der Weine als vielmehr die Herangehensweise der Winzer. Beim Wachauer Weingut Knoll etwa lernte er den sensiblen Umgang mit den Reben. Später dann im Friaul und im Piemont sei es nicht nur der Weinbau, sondern der allem übergeordnete Stellenwert von gutem Essen und Wein sowie die Freude am Genuss gewesen, die ihn beeindruckten. Man sprach dort über Weine, als sei es das Schönste und Wichtigste auf der Welt. Eine Ausprägung von Hedonismus, die Arndorfer bislang nicht kannte, die seinen Horizont radikal erweiterte. Damals entstand der Wunsch, einmal selbst Weine zu machen, die imstande sind, diese Leidenschaft hervorzurufen. Weine, die für sich sprechen, die kein Design mehr nötig haben. Die Zeit in Italien habe ihm Mut gemacht, später im eigenen Weingut auf vieles zu verzichten, das den puren Eindruck beeinträchtigen könnte. Voraussetzung dafür sei ein sensibler Umgang mit Boden, Rebe, Trauben und Most.

Mit seiner Frau Anna hat er eine überzeugte ­Mitstreiterin. Auch Anna kommt aus einer Winzerfamilie, sie ist die Tochter des Kamptaler Wein- und Sektproduzenten Karl Steininger. Seit der Geburt der Kinder agiert sie zwar nicht mehr an der Front im eigenen Weingut, wichtige Entscheidungen werden aber gemeinsam getroffen. Wenn Anna bei der finalen Verkostung ihre Meinung abgibt, wird gerne noch einmal alles umgeschmissen, was vorher fix schien. Für beide ist nicht zuletzt Neugier der Motor. Immer wieder andere Richtungen einschlagen, neue Türen aufmachen. Die biologische Bewirtschaftung etwa und die Entscheidung, nun auch den nächsten Schritt in Richtung Biodynamie zu wagen. „Die Zeit ist reif“, meint Anna. Ihr sei das schon länger klar gewesen, nun sei auch Martin bereit. Erste Kurse sind schon absolviert. Man will sich nicht unbedacht in das neue Abenteuer stürzen, alles muss Hand und Fuß haben. „Wir arbeiten nicht wieder wie ­unsere Urgroßväter“, sagt er, „das ist eine verklärte Erzählung. Wir wissen heute, was wir tun und warum wir es tun oder auch lassen.“

Wissen als Fundament dafür, Eingriffe zu reduzieren, mehr zuzulassen. Eine allmähliche Entwicklung. Er erinnert sich an den ersten „wilden Wein“, den er gemeinsam mit dänischen Sommeliers verkostete, ein maischevergorener Chardonnay aus Frankreich. „Die haben den abgefeiert, und mir war nicht ganz klar, warum“, lacht er, „das war mir damals einfach zu steil.“ Wohlweislich habe man ihm eine Flasche mit auf den Heimweg gegeben, die er dann noch einmal in Ruhe inspizierte. „Plötzlich war ich angefixt.“ Nach und nach habe er mehr Gefallen an der Stilistik gefunden. Schließlich fragte ihn sein dänischer Händler, ob er sich nicht vorstellen könne, selbst einen maischevergorenen Grünen Veltliner zu machen – vor mehr als zehn Jahren, als „Orange“ bei uns noch auf der roten Liste stand. Er probierte es. Die Charge gab es damals ausschließlich in Dänemark, der Großteil ging ins Noma, damals nicht nur kulinarische Avantgarde, sondern auch Entwicklungshelfer für Natural Wines weltweit. „Ich wollte das bei uns gar nicht auf den Markt bringen und ständig diskutieren, warum der Wein trüb ist und anders schmeckt“, erklärt der Winzer.

Allmählich zweigte man immer mehr davon für andere Länder ab. Es sprach sich herum, dass da im niederösterreichischen Straßertal jemand ziemlich guten orangen Stoff produziert. Erst England, dann die USA und Japan. Später dann auch Österreich. Auch wenn für den heimischen Markt in manchen Jahren nicht mehr als ein Bruchteil der Produktion bleibt. 90 Prozent gehen ins Ausland. Inzwischen kommen die Weine mit Maischekontakt als „Naturweine“ in allen erdenklichen Schattierungen auf den Markt. Sie wirken nie kaschiert von der Ausbaumethode, vielmehr besitzen sie eine zusätzliche Information, bieten ein kompletteres Abbild der Traube, zeigen Vielschichtigkeit.

Die Naturweine-Serie ist ungeschönt und unfiltriert, seit einiger Zeit auch die der Charakter­weine. „Der Unterschied ist gewaltig, unfiltrierte Weine besitzen einfach eine zusätzliche Dimension, schmecken intensiver“, glaubt Martin Arndorfer. Die Trübstoffe, die im Wein bleiben, seien ja letztlich auch Geschmacksträger. Bekommt der Wein im Keller genügend Zeit, um sich zu ­entwickeln, setzen sich die natürlichen Trübstoffe ohnehin am Fass- oder Tankboden ab. Früher oder später werde sich das Thema Filtration erledigen, ist Arndorfer überzeugt, „der Geschmacksverlust filtrierter Weine ist evident“.

Die Serie der Charakterweine profitiert klar von dem Verzicht auf derlei schönheitschirurgische Eingriffe. Die Leidenschaft weiß etwa, eine Cuvée aus vier verschiedenen Reb­sorten, zeigt ein schier unendliches Aromenspektrum, ohne dabei an Leichtfüßigkeit einzubüßen. Ihr Roter Veltliner auch, eine Rebsorte, die Martin Arndorfer nie sonderlich interessierte, bis er wieder einmal einen alten Weingarten angeboten bekam, den er keinesfalls ablehnen konnte. Ein Filetstück: über vierzigjährige Terrassenanlagen am Gaisberg, karger Boden, pures Urgestein. Bedingungen, die der gerne ins Triviale abgleitenden Rebsorte Spannung und Substanz geben.

Die Weißweine der Charakter-Serie werden ohne Schalenkontakt ver­goren. Der Winzer will sich nicht ideologisch festzurren lassen: „Ob Maischegärung oder Ganztraubenpressung, ich mag beide Welten.“ Die staatliche Prüfnummer bekommen die Winzer weder für die eine noch für die andere Welt. Inzwischen
verzichten sie darauf. Aufs Etikett schreiben sie lediglich: „Wein aus Österreich“. Eine sanfte Ironie als Antwort auf die amtliche Halsstarrigkeit. Weder Lage noch Jahrgang darf auf der Flasche angegeben werden. Wie Kamptaler Wein zu schmecken hat, bestimmen die Behörden. Die Kunden kümmert das nicht, für sie zählt nur der Inhalt der Flasche. Und der ist erstklassig.

Letztlich bedeutet der Verzicht auf die Prüfnummer auch eine Befreiung von Zwängen. Freiraum für neue Kapitel. Für das Spiel mit Assemblagen etwa: Nicht nur Lagen und Rebsorten, auch Jahrgänge werden bei den Arndorfers inzwischen cuvéetiert. Was bei Schaumweinen üblich ist, gilt bei trockenen Weinen immer noch als Sakrileg. Ihr aktueller Riesling Straßer Weinberg kommt nun aus zwei verschiedenen Jahrgängen. „Die Non-Vintage-Variante hat uns einfach besser geschmeckt“, sind sich Anna und Martin einig.

Ein eigenes Kapitel ist auch das Fuchs und Hase-Projekt, das Anna und Martin gemeinsam mit Alwin und Stefanie Jurtschitsch vor einigen Jahren starteten. Eine Serie von Pet Nats, die weit über den bloßen Spaßfaktor hinausgeht, der dem in der Natural-Wine-Szene gehypten Sprudel gerne anhaftet. Den beiden Winzerpaaren gelingt ernst zu nehmender Perlwein, pur, unkompliziert und doch komplex. Fünf Volumes pro Jahrgang kommen auf den Markt, dazu noch eine auf der Maische ­vergorene Sonderedition, ausschließlich für Dänemark und Japan freilich.

Scheuklappen gibt es nicht. So ist einer der schillerndsten Weine der Arndorfers ausgerechnet ein Müller Thurgau. Eine geächtete Rebsorte, die kaum mehr jemand anfasst, weil sie gerne triviale Weine ergibt. Der Müller Thurgau Per Se hingegen ist alles andere als trivial: zart und hintergründig, unaufgeregt aufregend. 11,5 Volumenprozent, die tief schürfen. Reiner Traubengeschmack ohne Verzerrung. Er kommt aus dem Weingarten, der immer noch von dem alten Mann betreut wird, dem er gar nicht mehr gehört. Von jenem abgeschiedenen Ort, an dem die Stille herrscht. —

„Jeder Weingarten schmeckt anders, das macht den Reiz aus und soll auch nicht glattgebügelt werden.“
Martin Arndorfer
Viele verschiedene Einzellagen mit unterschiedlichster Charakteristik prägen die Weine von Anna und Martin Arndorfer. Geologie und Kleinklima wechseln im Kamptal ständig, daraus ­entsteht Vielfalt.
„Unfiltrierte Weine besitzen einfach eine zusätzliche Dimension, schmecken intensiver.“
Martin Arndorfer

Adresse
Weingut Martin und Anna Arndorfer
Weinbergweg 16, 3491 Straß im Straßertale
ma-arndorfer.at