Zwischen Zukunft und Unendlichkeit

Es ist eines der bekann­testen Weingüter des Landes und Franz Xaver Pichler der wohl markan­teste Protagonist der heimischen Weinszene. Nun leitet Lucas Pichler das väterliche Erbe selbstbewusst und kompetent. Mit seinen geschliffenen Weißweinen zeigt er einen Weg in die Zukunft der Wachau.

Text von Christina Fieber/Fotos: LOXPIX

Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten: die kantigen Züge, die entschlossene Nase, die immer ein wenig zusammengekniffenen Augen und die störrischen Locken, die beim Vater inzwischen ergraut sind.

Nur der Ausdruck der Augen unterscheidet die beiden: Der Blick von Franz Xaver Pichler ist stolz, skeptisch, ein ­wenig wehmütig – als könne er sich nicht entscheiden, ob er erleichtert oder betrübt darüber sein soll, schon fast alles erlebt zu haben –, während der Blick seines Sohns Lucas, selbst schon weit über vierzig, noch neugierig, beinahe bubenhaft wirkt.

Mit seinem in der Weinszene berühmten Vater verglichen zu werden, ist Lucas Pichler vermutlich gewohnt. Seit er das Weingut übernahm, wird er an ihm gemessen.

Franz Xaver Pichler, von der Weinwelt schlicht F. X. genannt, ist nicht ­irgendein Winzer. Er ist eines der Aushängeschilder Österreichs, ein önologisches Nationalheiligtum, ein Wahrzeichen – die Erfolgsgeschichte vom kleinen Wachauer Weinbauern, der in den Olymp seiner Zunft aufstieg. F. X. Pichler gilt als einer der Mitbegründer des österreichischen Weißweinwunders. Als sein 1990er Riesling Kellerberg bei einer internationalen Verkostung alle anderen dieser Kategorie deklassierte, gelang ihm der weltweite Durchbruch. Von nun an räumte er zuverlässig Preise und Auszeichnungen ab – seine Gewächse von Wachauer Toplagen sind unter Weinsammlern begehrte Trophäen, wie sonst nur hochklassige Kreszenzen aus dem Bordeaux oder Burgund. Mit dem Riesling Unendlich und dem Grünen Veltliner M setzte er sich selbst schon zu Lebzeiten ein Monument.

Ausgestattet mit reichlich Selbstbewusstsein, einem ausgeprägten Instinkt für Qualität und dem Willen zur Einzigartigkeit, wurde der Weinmacher zur Legende.

Eigenschaften, die es einem Sohn nicht gerade leicht machen, zu bestehen. Der Druck, einen derart renommierten und hochgejubelten Betrieb zu übernehmen, zwang schon etliche Erben in die Knie. Lucas Pichler bestand. Anfangs noch wankend, aber zunehmend sicherer, stets argwöhnisch beäugt von der gesamten Weinbranche.

„Freilich hatte ich zu Beginn Bedenken, ob ich dem Druck der Erwartung standhalte“, erinnert sich Lucas Pichler, „aber ich bin ein Spezialist im Verdrängen.“ Foto Lukas Pichler

Vor gut zwanzig Jahren übernahm er die Vinifi­kation, vor einigen Jahren den gesamten Betrieb. Mit den Raffinessen moderner ­Kellertechnik konnte der Vater nichts mehr an­fangen, er sah sich immer als Handwerker, als Künstler. Spätesten 2009, mit der Eröffnung des neuen Weinguts, einem gigantomanischen Stück Architektur, verabschiedete er sich von der Vinifikation. Lieber arbeitet er im Weinberg – dort oben in den Terrassen des Kellerbergs oder am Loibenberg, den Rieden, die seinen Ruhm begründeten (vornehmlich alleine, ­unnötige Gespräche sind ihm eine Qual).

„Freilich hatte ich zu Beginn Bedenken, ob ich dem Druck der Erwartung standhalte“, erinnert sich Lucas Pichler, „aber ich bin ein Spezialist im Verdrängen.“

Den Führungswechsel habe die Familie schleichend vollzogen, bewusst nicht an die große Glocke gehängt. „Sonst hätten alle nur gelauert, bis ich einen Fehler mache“, vermutet Lucas Pichler.

Die Rolle des Sohnes, der lediglich das Erbe verwaltet, verweigerte er. Allmählich konnte er sich aus dem Schatten des Vaters befreien, mehr und mehr Selbstsicherheit gewinnen, eine eigene Handschrift entwickeln. Er brach keine Geschmacksrevolten vom Zaun, eher feine sensorische Evolutionen. Vielfach noch unbemerkt von der Öffentlichkeit, auch weil der Sohn es tunlichst vermied, die weitgehend störungsfreie Erfolgsgeschichte aufs Spiel zu setzen. Vielleicht wurde Lucas Pichler aber auch einfach nur unterschätzt. Die Weine sind unter seiner Führung etwas leiser geworden, aber nicht ­weniger beeindruckend.

Schon länger verzichtet der Winzer auf Botrytis, jene edelfaulen Trauben, die mitgelesen werden, um Weißweinen Fülle und eine süße, honigartige Aromatik zu verleihen. Eine Stilistik, die in der ­Wachau ihre Meister fand und die zu ihrem Markenzeichen wurde. Um die ersehnte Zuckergradation für Smaragde zu erlangen, wurde auch extrem spät gelesen. Während zu Allerheiligen die Menschen unten in den Dörfern an den Gräbern standen, wurde oben in den Weinbergen gerade erst mit der Lese der ­Smaragde begonnen.

„Es gab einen regelrechten Wettbewerb, wer noch später erntet“, erinnert sich Lucas Pichler an die Hochzeit jener Stilistik in den 1990er-Jahren.

Ein Weinstil, der vielen Wachauer Winzern Erfolg und Wohlstand bescherte und von dem sie sich naturgemäß nicht gerne verabschieden. Ein Weinstil, der Lucas Pichler jedoch nicht mehr zeitgemäß erscheint. Unter seiner Regie wurden die Rieslinge und Grünen Veltliner des Hauses leichter und eleganter. Ohne Zuckerguss zeigen sie noch deutlicher die Spuren ihrer Herkunft, der einzigartigen Wachauer Urgesteinslagen. Pichler orientiert sich bei seinen Gewächsen aber auch an den Entwicklungen in der Gastronomie: „Es hat sich ja auch die Küchenstilistik verändert“, sagt er, „opulente Cuisine mit reduzierten Saucen und Unmengen an Butter nach französischem Vorbild ist ­heute passé.“

Zu den subtilen Gerichten von heute würden die Alkoholbomben von gestern eben nicht mehr passen.

Gelesen wird bei den Pichlers ­inzwischen früher. Man will Reife, aber keine Überreife mehr. Auch die Klimaerwärmung erfordert diesen Schritt.

Man sei auch ständig auf der Pirsch nach kühlen Lagen – steilen Terrassenweinbergen hoch oben am Waldrand, die seit Jahrzehnten nicht mehr bewirtschaftet werden. Die Sanierung ist aufwendig, müssen doch die Steinterrassen erst wieder händisch aufgebaut werden, und die Bewirtschaftung mühselig. Für viele Betriebe scheint sich das nicht mehr zu lohnen. Für Lucas Pichler ist es genau die Herausforderung, die er braucht:

„Ich will selbst etwas schaffen“, sagt er. „Ruht man sich lediglich auf den Lorbeeren der vorigen Generation aus, beginnt der Niedergang“, ist er überzeugt.

Freilich konnte Lucas von Beginn an aus dem Vollen schöpfen, der Vater habe ihm freie Hand gelassen. Immer unter der unausgesprochenen Erwartung jedoch, dass der Sohn Höchstleistungen abliefert.

Die Entscheidung etwa, auf biologische Bewirtschaftung umzustellen, habe der Vater zu Beginn nur murrend zur Kenntnis genommen. Dort oben in den steilen Terrassen, wo kein Traktor mehr fahren kann, mit Tees und Kräuterextrakten herumzuexperimentieren, aufwendig zu begrünen und Kompost auszubringen, rangen ihm nur Unverständnis ab. Und die Vorstellung, jedes ein­zelne Unkraut mit der Hand auszuzupfen, wie früher, als er noch ein Bub war – geradezu irrwitzig. Plagen, denen man dank moderner Agro­chemie entkommen war, sollte man nun wieder freiwillig auf sich nehmen. Für viele Winzer der älteren Generation bedeute biologische Bewirtschaftung einen Rückschritt in die Steinzeit, glaubt Lucas Pichler:

„Der Vater schlägt wahrscheinlich immer noch die Hände über dem Kopf zusammen.“

Die Meinung, dass in der Wachau biologische Bewirtschaftung nicht möglich sei, hält sich in der Region hartnäckig. Auch er habe Angst gehabt, dass es nicht funktioniert, aber die Umstellung müsse lediglich im Kopf passieren, „dann klappt das schon“.

Inzwischen ist der Betrieb biozertifiziert. Ein Schritt, den die heutige Zeit erfordere, ist Pichler überzeugt.

Genau wie der Austritt ihres Weinguts aus der Vinea Wachau, der regionalen Winzervereinigung, die in der Wachau so mächtig ist wie die Seilbahngesellschaft in Tirol. Ihre Regeln geben Stil und Beschaffenheit der Weine vor.

Mit den Marken Steinfeder, Federspiel und Smaragd schufen sie bindende Qualitätsstufen, die sich an der Zuckergradation orientieren. Eine Erfolgsgeschichte – die sich ­jedoch überholt habe, glaubt Lucas Pichler: „Nach vierzig Jahren ist der Gaul niedergeritten“, sagt er, „es wird Zeit für ein neues Pferd!“

Jahrelang habe er versucht, die Mitglieder der Vinea zu überzeugen, den sogenannten Codex der Zeit anzupassen. Die Weinbranche habe sich in den letzten fünfzehn Jahren rasend schnell weiterentwickelt – nur die Wachau sei stur stehen geblieben.

Die aktuelle Einführung des Herkunfts­systems DAC in der Wachau wäre dafür eine Chance gewesen. Allein, es sei niemand mitgegangen. Alle hätten nur abgeblockt.

„Ich kam mir vor wie Don Quijote, der ­gegen Windmühlen kämpft!“, klagt er.

Heute könne doch niemand mehr ernsthaft behaupten, dass ein Wein mit 14 Prozent ­Alkohol besser sei als einer mit 13 Prozent.

„Der Codex ist ein Korsett, das nicht mehr zeitgemäß ist“, urteilt er.

Auch wenn ihm der Schritt schwergefallen sei, sein Unbehagen mit den starren Verordnungen überwog. Lucas Pichler geht nun ­andere Wege, um seinen Gewächsen wieder jene Finesse zu geben, die ihnen gebührt.

Riss man sich früher um warme Lagen wie Loibenberg, sucht er heute zunehmend nach kühler gelegenen Rieden. Grüner Veltliner leidet unter der zunehmenden Trockenheit. In heißen Sommern droht seine typische Frische verloren zu gehen.

Mit dem Liebenberg, der jüngsten Errungenschaft des Hauses, habe man einen ­idealen Standort für die heimische Sorte ­gefunden. Lucas Pichler nennt ihn seinen „kleinen Kellerberg“. Selbst in warmen Jahren gelingen ihm feinsinnige Weine von der Einzellage westlich von Dürnstein. Die Grünen Veltliner sind von den dort vorherrschenden kalkhaltigen Böden geprägt. Weine für Kenner, wie er glaubt. Nicht ­unbedingt gefällig, vielmehr eigenständig – fordernd und nahezu forsch in ihrer ­Pubertät; gereift hingegen ein vollendetes Schauspiel.

Eines der großen Erfolgsgeheimnisse der Pichlers: der Zeit immer einen Hauch voraus zu sein, in Richtung Unendlichkeit.

Weingut F. X. Pichler
Oberloiben 57, 3601 Dürnstein
Tel.: 02732/853 75
www.fx-pichler.at