Adieu, bonjour!

Abschied von der Sterneküche: die neuen Bistros am Meer. Wo man an der Côte d’Azur gut essen kann, ohne Millionär zu sein.

Text von Hans Mahr Foto von Interfoto/ATV

Er ist der Wolfgang Puck von Cannes. Während unser Lieblingskärntner bei den Oscars die Stars und Sternchen bekocht, serviert Bruno Oger seinen 700 Gästen von Steven Spielberg bis Nicole Kidman beim Filmfestival in Cannes das Gala-Menü: Bretonischer Hummer mit Kaviar, Kalbskotelette mit Trüffel, rote Früchte.

Bruno Oger ist einer der Kochstars der Côte d’Azur. Zwei Michelin-Sterne und vier Gault & Millau-Hauben hat seine Villa Archange von den Kritikern eingeheimst. Aber ein richtiges „G’schäft“, wie man in Wien sagt, lässt sich mit Gourmet-Küche selbst im noblen Cannes nicht machen. Auch wenn der p. t. Gast für das Menü bis zu 210 Euro hinblättern darf …

„Ich hab die Konsequenzen gezogen und umgebaut“, sagt der Sternekoch. „Statt hundert Sitzplätzen gibt’s im Gourmet-Restaurant nur noch dreißig. Dafür hab ich mein angeschlossenes Bistro vergrößert – und das läuft vor allem im Sommer phantastisch!“ 350-mal im Jahr ist das sympathische Bistrot des Anges offen. Versorgt wird es aus der gleichen Küche wie das Sternerestaurant. Oger („Ich kombiniere die Küche meiner Heimat Bretagne mit der Provence.“) und seine sechs Chefs produzieren für „oben“ sieben Gänge „Gourmet Cuisine“ mit Austern, Langusten, Steinbutt und Bressehuhn und für „unten“ Bistro-Küche vom Feinsten: Erbsensuppe, Schnecken, Ravioli, Kabeljau, Steak Frites.

Da freuen sich die Familien, da werden Geburtstage und Hochzeiten gefeiert, da toben die Kinder, da ist es so richtig gemütlich. „Es stimmt schon, im Gourmet-Restaurant hat es in den letzten Jahren deutliche Rückgänge gegeben“, sagt der hochdekorierte Sternekoch etwas traurig. „Nicht nur bei mir, sondern bei allen, die sich auf die Hoch-Gastronomie konzentriert haben. Und das fangen wir mit dem Bistro-Geschäft auf.“ Er lacht wieder: „Aber ehrlich gesagt, es macht Spaß, auch was Lässiges zu haben, das sich jeder leisten kann.“

Der Sternekoch von Cannes ist nicht der Einzige, der neuerdings ein Faible für Bistros entdeckt hat. Seinen Ausgang hat der Trend in Paris genommen. Nachdem die angejahrte französische Hochküche durch den Aufstieg der modernen Spanier und den Hype um die „Nordic Cuisine“ gewaltig unter Druck gekommen ist, haben sich immer mehr Spitzenköche der Renaissance einer anderen speziell französischen Tradition verschrieben: der Wiederentdeckung des Bistros. „Bistronomie“ oder „Neo-Bistros“ heißt der Trend, der sich zwischenzeitlich bis in den Süden durchgeschlagen hat. Statt Sterneküche eben Bistros am Meer.

Kein Wunder, wer will heute schon stundenlang an weißen Tischtüchern und mit Silberbesteck ebenso ellenlange wie kunstvolle Menüs konsumieren – vor allem, wenn man auf Urlaub ist. An der touristenverwöhnten Côte d’Azur ist die Zeitenwende besonders spürbar.

Natürlich macht es speziell dem Urlauber mehr Spaß, in einem gemütlichen, aber doch modernen Bistro zu sitzen. Natürlich hat auch der Gourmet Freude daran, ein ganz normales Steak Frites oder einen feinen Lammbraten zu genießen. Und natürlich ist das Ganze auch eine Kostenfrage. Wer kann sich heute schon ein paar Hundert Euro leisten, nur so fürs Abendessen. Vor allem, wenn man jung ist.

„Ja, wir haben eine Krise hier in Frankreich“, sagt auch Stéphane Raimbault, ebenfalls mit zwei Michelin-Sternen ausgestattet, der in diesem Jahr den 25. Jahrestag seines Feinschmecker-Restaurants L’Oasis in La Napoule, ein paar Kilometer westlich von Cannes, feiert. Und er reagiert wie sein Kollege Oger: „Wir mussten uns etwas Neues einfallen lassen, das nicht so teuer, nicht so aufwendig wie ein Gourmet-Lokal ist – ein Bistro eben.“

Und so entstand neben dem feudalen L’Oasis (Spezialität: französische Küche mit Asia-Touch) vor ein paar Jahren das Bistrot L’Etage, versorgt aus der gleichen Küche, bei Regen im ersten Stock über dem Restaurant, und wenn’s schön ist im kleinen Garten nebenan. Stéphane Raimbault sieht das ganz pragmatisch: „Wir müssen uns anpassen, auch etwas anbieten, das billiger ist, schneller serviert werden kann und das auch weniger Kalorien hat! Das wollen immer mehr Gäste.“ Wenn die Qualität stimmt, dann funktioniert das Gourmet-Doppel: Während man im feinen Restaurant nicht unter 150 Euro pro Person davonkommt, kostet das Menü mit Thunfisch-Tatar, einer Bouillabaisse mit Petersfisch und einer Crème brûlée weniger als 50 Euro. Und das Spezielle am Angebot des Oasis-Bistro: Der Gast kann auch von der ­großen Restaurant-Karte bestellen und bekommt’s im Garten um 30 Prozent günstiger. Kein Wunder, dass man heutzutage für das Bistro länger vorreservieren muss als für das noble Restaurant.

Einer hat diesen Trend schon vor Jahren professionell umgesetzt: Alain Llorca, Spitzenkoch aus dem berühmten Moulin de Mougins, jahrzehntelang der Feinschmecker-Hort Nummer 1 an der Côte d’Azur. Die „Mühle“ ist geschlossen, und der umtriebige Llorca kocht in seinen Bistros in Nizza und Vallauris feine Systemküche, wie etwa exzellente Zucchinisuppe, Dorade mit provenzalischem Risotto oder karamellisierte Schweinebrust.

Aber auch die neuen, modernen Feinschmecker-Restaurants an der Côte d’Azur haben sich dem Bistro-Trend an­gepasst. Lässig und unprätentiös, ohne Tischtuch und Schnickschnack, dafür aber nur mit marktfrischen Produkten. Ein Paradebeispiel dafür ist das Les Bacchanales in Vence, gut erreichbar zwischen Nizza und Cannes. Patron Christophe Dufau serviert nur ein Menü in vier ­Gängen mit jeweils zwei Wahlmöglichkeiten – derzeit ­Crevetten oder Spargel, Fisch oder Milchkalb, frischer oder geräucherter Käse, Mispeln oder Erdbeeren. Das Ganze um 55 Euro, die moderne Kunst an den Wänden drinnen und die Terrasse mitten im Kräutergarten draußen inbegriffen.

„Ganz ehrlich, bei mir kommt wirklich auf den Tisch, was ich in der Früh auf dem Markt entdeckt habe oder was bei mir im Garten wächst“, sagt der sympathische Dufau, der als Einziger der neuen Sterneköche an der Côte tatsächlich auch hier geboren ist – was man seiner Provence-Küche auch deutlich anmerkt. Und noch eine besondere Spezialität des Hauses macht das Les Bacchanales zu einem wirklichen Geheimtipp: Nirgendwo an der Côte gibt es so viele neue und spannende Weine aus dem französischen Süden, von Nizza über Saint-Tropez bis hin zu Roussillon. Da gibt es einiges zu entdecken, schließlich haben auch hier die jungen Winzer übernommen und liefern statt mittelprächtiger Spritz-Rosés seit einigen Jahren tolle Weine – traditionell, biodynamisch oder auch als Orange-Wein.

Auch im festspiel-mondänen Cannes ist die Küchenrevolution spürbar. Nicht nur die neuen Bistros, sondern auch die neuen „Restaurants Gastronomique“ nehmen auf die Brieftasche von Einheimischen (ja, die gibt’s noch!) und Touristen Rücksicht und konzentrieren sich auf eine marktfrische und erschwingliche Küche. Im L’Antidote serviert Christophe Ferré Spargelrisotto und wilden Steinbutt mit Artischocken, im trendigen L’Affable bei Jean-Paul Battaglia gibt’s die beste Gänseleberterrine der Côte d’Azur und Lammnüsschen mit Thymian.

Schwieriger wird’s in Saint-Tropez, wo die vielen Stars nicht nur in den bekannten Strand-Restaurants wie dem Club 55 oder dem Nikki Beach die Preise hoch- und die Normal-Touristen vertreiben. Direkt am Hafenbecken, neben dem berühmten Café Sénéquier mit seinen roten Sesseln findet sich eine löbliche Ausnahme. Das blitzblanke Le Girelier serviert bis halb zehn am Abend ein Menü um 39 Euro mit Austern, Black Angus Beef und Tarte Tropézienne. Sogar ein Kindermenü um 16 Euro wird hier im Zentrum des sommerlichen Sternchen-Wahns angeboten. Diese Preise kann sich auch unsereins leisten. Noch eine Alternative: Eine Straße dahinter bietet Christophe Leroy in seinem La Table du Marché ähnliche, familienfreundliche Preise – im Erdgeschoß für beste französische Patisserie und im Garten für seine neo-klassische, provenzalische Küche.

Viel einfacher haben es diejenigen, die an der schönen Côte d’Azur ein Domizil haben. Star-Regisseur Robert Dornhelm etwa jettet nach dem Dreh seines neuen Film-Epos über die Sacher-Dynastie nach Mougins bei Cannes – und kocht selbst. „Ich tu das leidenschaftlich gern, das entspannt mich, und die Gäste sagen, es schmeckt auch.“ Und wenn Dornhelm & friends einmal zu faul zum Kochen sind, dann pilgern sie ins Hinterland nach Pégomas ins ländliche Bistro Mourachonne. Oder nach Nizza ins Bistrot d’Antoine.
Extradienst-Verleger Christian Mucha und seine Ekaterina sind seit drei Jahren in Sainte-Maxime zu Hause. „Ich liebe den Süden Frankreichs, und zwischenzeitlich sind wir schon mehr als die Hälfte des Jahres hier“, sagt der Journalist, der für sich die kleinen Restaurants zwischen Cannes und Saint-Tropez entdeckt hat. Am liebsten geht er ins Bungalow Kafé in Saint-Aygulf. Dort bekommt er um vierzig Euro drei Fischgänge – „und die vom Feinsten“, schwärmt Mucha.

Es stimmt schon , man muss nicht mehr Millionär sein oder das Sparbuch vorher räumen, wenn man in Frankreichs Süden ­Urlaub machen oder zumindest ein paar schöne Sonnentage verbringen will. Und selbst während des Filmfestivals, des ­Lions-Events für die Werbebranche, der MIDEM für die Musikleute oder der MIP für die Fernsehmacher ist die Côte d’Azur erschwinglich geworden. Durch die neuen Bistros und Restaurants, wo endlich auch die sonst so selbstbewussten Franzosen zeigen, dass „excellent“ nicht gleichbedeutend mit „très cher“ sein muss.

Bon appétit, übrigens!
Cannes
Tel.: +33 4 92 18 18 28
www.bruno-oger.com

Bistrot l’Etage
La Napoule
Tel.: +33 4 93 49 95 52
www.oasis-raimbault.com

Carré Llorca, Nizza
Café Llorca, Vallauris
Tel.: +33 4 93 92 95 86
www.carrellorca.com

Les Bacchanales
Vence
Tel.: +33 4 93 24 19 19
www.lesbacchanales.com

L’Antidote
Cannes
Tel.: +33 4 93 43 32 19
www.lantidote-chhristopheferre.fr

L’Affable
Cannes
Tel.: +33 4 93 68 02 09
www.restaurant-laffable.fr

Le Girelier
Saint-Tropez
Tel.: +33 4 94 97 03 87
www.legirelier.fr

La Table du Marché
Saint-Tropez
Tel.: +33 4 94 97 01 25
www.christophe-leroy.com