Atlantik am Teller

Neben großartigen fangfrischen Fischen und Meeresfrüchten darf es in Porto manchmal auch herzhafte Hausmannskost sein. Und Reis, Reis, Reis.

Text von Alexander Rabl

Das Weißbrot ist nicht weniger als zwei Zent­imeter dick, noch lauwarm, weil ganz sanft getoastet, und leicht mit Butter beschmiert. Jetzt das Brot in den warmen Sud aus Muschelsaft, Salz, Butter, Wein, Zitrone und Koriander tauchen. Der Biss sanft, frisch, würzig, eine Offenbarung, das reine Glück. „Ich kann von diesen Muscheln nicht genug kriegen“, sagt einer der Mitesser am Tisch. Er ist nicht zum ersten Mal hier, im Restaurant O Gaveto in Matosinhos. Die Venusmuscheln sind fleischig, groß und ein paar Stunden alt, sie werden in der Schale serviert. Dazu der Wein, ein frischer Tiara von Niepoort, der ideale Wein zu einem Essen, das den Ozean auf den Teller bringt.

Das Fischerdorf Matosinhos liegt direkt am Atlantik. Hier wohnen die, die sich die Mieten in Porto nicht mehr leisten können. Hierher kommen die Bewohner Portos zum Essen, denn ihre Stadt befindet sich fest in den Händen ­reisender Amerikaner, Engländer, Franzosen, Holländer und Spanier. Der nächste Gang besteht aus Reis mit knackig gekochten Garnelen und wiederum Muscheln; der Reis locker gebunden, ein Klassiker der Meeresküche Portugals. Die Bilder, die der Gast beim Betreten des Lokals empfängt, kriegt er nicht mehr aus dem Kopf: riesenhafte lebende Krabben, lebende Hummer und Langusten in einem Kalter von der Größe eines Hotelpools. Die Meerestiere bewegen sich darin im Zei­t­lupentempo. Also wird Languste bestellt. Sie wird lebend präsentiert, kommt dann auf den Holzkohlengrill. Langustenschwanz und das restliche Fleisch werden getrennt serviert. Das Fleisch des Schwanzes wirkt eher widerstandskräftig als zart, was am Alter des Tieres oder – vermutlich eher – an der Garung liegen wird. Wenngleich es geschmacklich ein Vergnügen bereitet: süßer als Hummer, nach Meer, knackig. Ein aus den Schalen und dem Rogen gezogener Sud begleitet die Languste, außerdem Orangenfilets, Toastbrotscheiben und natürlich Reis.

Der Reis schmeckt hier immer gut, oft wird er nicht mit Wasser, sondern mit Bouillon zubereitet, und er begleitet ­alles, bis auf die Desserts. Köstlich dann auch die Innereien des Schalentiers, das zarte Fleisch, welches in den Fühlern wohnte, die etwa vierzig Zentimeter maßen, der Kopf, die herrlichen Säfte, die beim Garen entstehen. Diese Languste hat Mammutgröße, sie reicht locker für vier hungrige Esser.

Zum Nachtisch eine Torta de Azeitão, ein Traum aus Biskuit, Dottercreme, Zimt und Zitrone. Portugals Dessertkultur, die aus der Jahrhunderte alten Klosterküche stammt, verzichtet auf Eiweiß, vergöttert dafür das Eigelb. Das Eiweiß wurde in den Klöstern gebraucht, um die Wäsche zu stärken. Zumindest erzählt das die Legende. Der Überschuss an Eigelb wanderte in die Küche, gemeinsam mit Zucker, den es dank des Reichtums der Portugiesen und ihrer weltweit funktionierenden Versorgungskette ebenso reichlich gab wie Zimt, Nüsse und andere Gewürze. Die Nonnen und Mönche in den Klöstern hatten Zeit zu experimentieren. Was man in Porto oder Lissabon heute an Süßspeisen genießen kann, ist ihrem Erfindungsreichtum zu verdanken. Wenn man wissen möchte, was mit den Eiweißen passiert, weil ja keine Krägen gestärkt werden müssen, die Rezepte sich aber nicht geändert ­haben, kriegt man als Antwort: „Das Eiweiß wird weggeworfen.“ Manchmal ist Tradition auch ein bisschen blöd.

Die Touristen sind da, und Porto ist froh darüber. Die Taxifahrer sind gut beschäftigt, gut genährt und gut gelaunt, für einen Passagier aus Mitteleuropa sind ihre Tarife ein Geschenk. Sie erzählen vom warmen Geldregen, den die Reiseindustrie über die auch sonst oft verregnete Stadt ausbreitet. Die Kreuzfahrt-Touristen mögen sie weniger. Die Signature Dishes der Küche der Hafenstadt sind so zahlreich wie die Farben der Fassaden der wunderschönen alten Häuser, die noch nicht den Plänen der Immobilienspekulanten zum Opfer gefallen sind. Angefangen beim Stockfisch, den es in zahllosen Varianten gibt, über das tradi­tionelle Kuttelgericht mit Bohnen sowie Suppen aus Gemüsen aller Arten bis hin zu großen Braten und noch größeren Heilbutten und anderen Fischen.

Nur ein paar Meter liegen oft die Restaurants, die der Tradition den Vorzug geben, entfernt von denen, die die Moderne und molekulare Postmoderne nach Porto importiert haben. Der Gipfel der gehobenen Genüsse befindet sich im Stadtteil Vila Nova de Gaia. Hier stehen die Lagerhallen und Keller der großen Portweinproduzenten. Als es im Dourotal noch keine klimatisierten oder in Stein gehauenen Weinkeller gab, musste der Portwein im Sommer aus dem brennheißen Tal ins gemäßigte Klima Portos. Dort lagerte er oft Jahre, um schließlich in Flaschen gefüllt und verschifft zu werden. Im Hotel The Yeatman lagern die Gäste auf feinster Bettwäsche und haben, wenn sie Hunger verspüren, die Wahl zwischen mehreren Restaurants aller möglichen Kategorien, wobei das beste einfach den Namen des Hotels trägt. Ricardo Costa, der junge Küchenchef, ist seit zehn Jahren im Haus und darf als Klassenbester der Stadt bezeichnet werden. Zum Essen wird das Panorama über die Stadt, den Fluss und die vielen Brücken, welche die beiden Stadtteile verbinden, mitserviert. Costas Autorenküche verbindet spektakulär Meer und Land, serviert etwa einen Top-Wolfsbarsch mit Austern und einem aus Fleischknochen gewonnenen Fond, gibt zum Tintenfisch Molke und Räucheraal und serviert den Bauch vom Spanferkel mit Chili, Jalapeño und Koriander. Banane und Schokolade ergeben ein Weltklasse-Dessert von eleganter Kühle und unter Verwendung von wenig Süße. Der Weinkeller des Yeatman ist ziemlich unschlagbar, was die Auswahl betrifft. Die Sammlung an Ports ist exzellent. Das Ambiente des Restaurants allerdings befindet sich eher auf der klassischen, sprich etwas langweiligen Seite.

Das Meer brachte den Portwein nach England und damit seinen Produzenten in Portugal Wohlfahrt. Aus dem Baskenland auf dem Landweg nach Portugal immigriert ist die Küche, der Vasco Coelho Santos zugetan ist. Sein Restaurant heißt Euskalduna, was auf Baskisch „baskisch“ heißt. Man läutet an der Tür, um eingelassen zu werden. Mehr als ein Chef’s Table und zwei kleine Tische sind es nicht. Das Menü nennt sich „Momentos“, und es gibt nichts anderes. Es hat zehn Gänge und wird in einem Rahmen serviert, der nackten Stein und eine fette Marmorplatte sowie japanische Schlichtheit kombiniert. Dashi rules, pulverisierte Saucen und Geschmäcker, Mango mit Garnelen und Curry, eine Makrele mit Gin und Gurken sind das, was in Europas Städten und also auch in Porto gerade en vogue ist. Stunden nach dem Anläuten an der Restauranttüre spuckt das Studio seine Gäste wieder aus. Willkommen in einer anderen Welt, der alten Welt. Zeit für Bacalhau, the old-fashioned way.

Zum Beispiel in einer der Traditionsadressen, dem Escondidinho, einer wunderschön gekachelten Institution. Hier schmeckt Stockfisch in mehreren Varianten, einmal als Auflauf oder gleich pur mit Olivenöl und Kräutern, dazu die kleinen runden Erdäpfel, die in Porto und Umgebung gerne zum Bacalhau serviert werden. Er ist eine überaus nahrhafte Köstlichkeit. Die Fleischportionen sind im Escondidinho ebenso groß wie der Weinkeller. In diesem, gleich gegenüber dem Coloseo, wo Opern, Fado und Konzerte aufgeführt werden, gelegenen Lokal trifft sich das alte Porto.

Das junge, schöne und reiche Porto fährt zum Essen gern ans Atlantikufer. Denn wenn auch die Schönheit Portos einnehmend ist, sie speist sich aus dem Nebeneinander hochbetagter, vor sich hin gammelnder Fassaden und fesselnder Architektur zwischendrin (der Bahnhof!). So ist das größte Spektakel dann doch die Natur selbst. Vierundzwanzig Stunden bei freiem Eintritt. In der Casa de Chá da Boa Nova, einem mutig, mit dem Willen zur Ausgefallenheit designten Lokal in einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude, das den Blick auf den Atlantik als großes Schauwerk inszeniert, hat der Starkoch Rui Paula vor einigen Jahren sein kulinarisches Meisterstück geliefert. So grenzenlos wie der Horizont, welcher sich dem Gast bietet, der zwischen den Gängen die Zehen in den Atlantik tauchen kann, so grenzenlos ist auch das Konzept von Paulas Küche. Aufregend, was er sich zu Fisch und Gemüse einfallen lässt, von der salzig-umamigen Seetang-Brûlée bis zu Kartoffel-Tartelette mit Weißem Spargel und Osietra-Kaviar, von Rotbarbe mit dem südafrikanischen Maniok und Cashewnüssen bis zur Languste in einer Suppe mit Gewürzen aus Korea. Manchen Gängen merkt man die Bemühung um ­Exzellenz so sehr an, dass ihr Genuss plötzlich ebenfalls etwas Anstrengendes bekommt. Und doch: eines der besten Meeresfisch-Erlebnisse Europas. Keine Frage, dass die Empfehlungen des Sommeliers mit den Kreationen, die den Gast da im Lauf von mehr als zwanzig Gängen erreichen, locker mithalten.

Doch bei allem Respekt vor den Leistungen der Top-Liga am Herd: Schließlich zieht es einen noch einmal in das Fischerstädtchen Matosinhos. Am Sonntag finden in den traditionellen Restaurants die großen Familientreffen statt, Geburtstage und Jubiläen werden mit Freude, Zeitaufwand und bei gutem Essen begangen. Zwischendrin die Jugend Portos, die sich auf einen Fisch und ein paar von den mächtigen Gamberi trifft. Zu den besten Adressen zählt neben dem eingangs gelobten O Gaveto die Esplanada Marisqueira. Drei Laufmeter animierend arrangierte, gerade ein paar Stunden alte Meerestiere, Garnelen in allen Größen, Krabben und Seezungen empfangen die Gäste. Die Venusmuscheln mit Koriander schmecken noch ein wenig besser als im O Gaveto. Ein Traum sind die frischen Seeigel, dazu etwas Zitrone und Sojasauce, unvergesslich gut und nicht zu versäumen. Die kleine Languste ist zart und also korrekt zubereitet. Dazu gibt es gegrillte süß-aromatische Ananasscheiben und – natürlich – Reis. Die Verbindung der Küche Portugals und der Regionen, die aus Portugal vor Jahrhunderten per Schiff und mit dem Willen zur Kolonialisierung erkundet wurden, sie findet sich immer wieder in Pfannen und auf Tellern. Noch einmal eines dieser dottergelben Desserts bestellt, das die Sonne scheinen lässt, auch wenn Porto gerade im Nebel liegt, der vom Atlantik hereinzieht.

The Yeatman
Rua do Choupelo, 4400-088 Vila Nova de Gaia
Tel.: +351/220 13 31 00
Nach Meinung der Restaurantführer Portos bestes Restaurant, untergebracht im gleich­namigen Hotel, das inmitten der alten Portweinlagerstätten liegt. Spektakuläre Aussicht von der Terrasse, wenn es das Wetter erlaubt. Fantastische Weinauswahl.
www.theyeatman.com

Euskalduna Studio
Rua de Santo Ildefonso 404, 4000-466 Porto
Tel.: +351/935 33 53 01
Winziges, formalistisch eingerichtetes Lokal, in dem nach japanischem wie auch baskischem Vorbild ein Menü, bestehend aus mindestens zehn kleinen Gerichten, serviert wird. Die ­Gäste schauen den Köchen bei der Arbeit zu.
www.euskaldunastudio.pt

Cantinho do Avillez
Rua de Mouzinho da Silveira 166, 4050-416 ­Porto
Tel.: +351/223 22 78 79
Der portugiesische Starkoch und umtriebige Unternehmer José Avillez hat unter anderem auch eine Niederlassung in Porto. Hier gibt es mehr oder weniger kreativ ausgedachte Tapas und schöne Weine dazu. Das Publikum: jung und kosmopolitisch.
www.cantinhodoavillez.pt

DOP
Largo São Domingos 18, 4050-292 Porto,
Tel.: +351/222 01 43 13
Mitten im animierenden gastronomischen ­Treiben aus Weinbars und Restaurants liegt das schon seit Jahren populäre DOP, die City-Dependance von Rui Paula. Casual Dining mit hohem Anspruch.
www.doprestaurante.pt

Prova Winebar
Rua de Ferreira Borges 86, 4050-209 Porto,
Tel.: +351/916 49 91 21
Wo sich die Weinhipster aus Amerika und ­Europa treffen: eine kleine, bestens bestückte Weinbar, sehr cooles Ambiente. Hier kann man Pet Nats aus Portugal probieren, Rotweine der im Ausland unbekannten Sorte Baga und selbstverständlich das Beste aus dem Dourotal. Dazu kleine feine Snacks.
www.prova.com.pt

O Escondidinho
Rua Passos Manuel 144, 4000-382 ­Porto
Tel.: +351/222 00 10 79
Eines der besseren, alteingesessenen Restaurants der Stadt. Alleine schon wegen seiner Einrichtung besuchenswert. Hier findet man die Antithese zur modernen, immer auch etwas ­molekular inspirierten Küche der derzeit angesagten Spitze. Bacalhau, Kutteln und Steaks in kaum bewältigbaren ­Portionen.
www.escondidinho.pt

Casa de Chá da Boa Nova
Rua da Boa Nova, 4450-705 Leça da Palmeira
Tel.: +351/229 94 00 66
Rui Paulas fantastisch gelegenes ­Restaurant zieht Fischfreunde aus aller Welt an. Moderne, aber auch etwas sehr verspielte Küche in zwanzig Gängen wird hier zum Blick auf den Atlantik ­serviert. Großes Schauspiel.
www.casadechadaboanova.pt

O Gaveto
Rua Roberto Ivens 824, 4450-279 ­Matosinhos
Tel.: +351/229 37 87 96
Das seit vielen Jahrzehnten zu den ­Fixpunkten der Porto-Gastronomie ­zählende Fisch- und Meeresfrüchtelokal gilt Einheimischen wie Weltreisenden als besonders lieb gewonnene Adresse. Klassisch und gut zubereitete Spitzenware, dazu eine der besten Weinkarten der Umgebung. Tolle Desserts.
www.ogaveto.com

Esplanada Marisqueira Antiga
Rau Roberto Ivens 628, 4450-252 ­Matosinhos
Tel.: +351/229 38 06 60
Das Reich der Krabben, Garnelen, ­Muscheln, Langusten, Hummer, Kabeljaus, Seezungen und Wolfsbarsche. Ein sympathisches, zu Recht immer sehr gut besuchtes Fischrestaurant mit tollem Ambiente, gutem Service und einer Weinauswahl, die sich nicht auf Porto und Umgebung beschränkt.
www.esplanadamarisqueira.com