Aus b´sundrigem Holz

Die Bregenzerwälder verzichteten auf Maximierung beim Tourismus. Zwischen Schoppenau und Krumbach ist die Architektur so konsequent einnehmend und schön wie die Käsekultur vielfältig. Die Küche ist eine Küche der Frauen. Und der Erfindergeist wartet ums Eck.

Text von Alexander Rabl/Fotos von Michael Reidinger

Lust auf Pizza? Nein, Sie sind nicht im falschen Text. Wer Österreichs beste Pizza essen will, begebe sich dafür nach Schwarzenberg im Bregenzerwald. „Drei Monate haben wir am Teig und an den Temperaturen getüftelt“, erzählt Peter Fetz vom Hotel Hirschen. Der Teig fermentiert vier Tage, der Ofen bringt es auf 500 Grad. Die Tomaten für die Pizza kommen vom Vetterhof in Lustenau. Die Ränder der Pizza sind mit schwarzen Brandflecken durchsetzt, wie man es aus Rom und Neapel kennt und liebt. Die Pizza gibt es am Italien-Abend im Gasthaus zum Fernweh, eine Idee, die Patron Peter Fetz kam, als der innovative Hotelier während des Lockdowns über neue Konzepte fürs Restaurant nachdachte. „Wenn die Leute im Sommer nicht wegfahren können, holen wir die Ferne nach Schwarzenberg“, war sein Gedanke. Montags gibt es im Hirschen Saibling aus dem Bregenzerwald, als Hauptdarsteller eine Hand-Roll mit Reis, Avocado und Sesam, inklusive der berühmten Mochi-Mayo. Montag ist Mochi-Tag. Die Zutaten kommen aus der Region. Der Hirschen-Küchenchef ließ sich dafür von Tobi Müller in Wien mehrtägig briefen, man ist in ständigem Kontakt. Wer im Wiener Mochi keinen Tisch kriegt, was vorkommen soll, fährt also nach Schwarzenberg. Wiewohl es dort montags auch voll ist.

Der Gasthof Hirschen ist ein begehbares Gemälde am Hauptplatz einer Gemeinde, die schon seit mehreren hundert Jahren berühmte Gäste beherbergt. Die Schwarzenberger schauen genau darauf, dass die traditionelle, von Holz und klarer Linie bestimmte Gestalt der Häuser im Ort erhalten bleibt. Restösterreich, in weiten Teilen geprägt von Obi-Baumarkt-Architektur, hätte sich am Bregenzerwald ein Beispiel nehmen können. Leider ist es dafür jetzt zu spät. Doch auch hier ändern sich die Zeiten. „Früher einmal waren es 15 Wirtshäuser rund um die Kirche, jetzt sind es nur mehr zwei“, erzählt Franz Fetz, Legende als Gastgeber des Hirschen, der auch als DJ berühmt wurde und in den Sechzigern in Frankreich auflegte. Um Ideen sind er, der sich zurückgezogen hat, und sein Sohn nicht verlegen. Zu den berühmten Schwarzenberg-Bewohnern, die in die Welt hinauszogen, gehört auch ­Angelika Kaufmann, im nach ihr benannten Saal kann man im Sommer Musik von Franz Schubert hören. Ein Event, das Gäste aus aller Welt anzieht.

Schubert schrieb der Forelle ein Lied und nicht dem Waller oder der Aalrutte. Wenn Dietmar Nussbaumer in der Krone in Hittisau Forelle blau serviert, weiß man, dass Schubert richtig lag. Eine einfache Forelle kann, je nach Zucht und Zube­reitung, der eleganteste aller Fische sein. Ihren Schwung im Wasser stellt die Forelle im kupfernen Dämpfer nach, die Haut (sie ist wirklich blau) ist beim Dämpfen aufgeplatzt, der Körper gekrümmt. In Windeseile und mit der Präzision eines Wälder Tischlers zerteilt Nussbaumer die Forelle. Die heiße braune Butter wird auf einem kleinen Flämmchen bei Temperatur gehalten. Salzkartoffel und Salat dazu. Das Fleisch hat angenehmen Biss, die Forellenhaut ist ein Genuss, ebenso die zarten Wangen. Patron Nussbaumer gießt einen Riesling vom Karthäuserhof ein. Seine Weinkarte zeugt von enormem Wissen und Liebe zum Wein. Nussbaumer erzählt: „Oft kommen Stammgäste, und der ganze Tisch bestellt Forelle. Wir könnten sie nie von der Karte nehmen.“ Den nicht nur blau, sondern auch gebraten und mit Mandelbutter angebotenen Signature-Fisch bezieht Nussbaumer von einem befreundeten Hobbyzüchter in Sibratsgfäll. Eine seiner anderen Quellen für Fisch ist der Bodenseefischer Martin Gugele aus Fussach, mit dem wir für die Herbstnummer von A la Carte 2018 Felchen und Egli fischen gingen.

Anderntags ein Besuch in Sibratsgfäll. „Viel gefüttert wird da nicht, es gibt ausreichend Larven und Insekten“, sagt der Forellenliebhaber Bereuter. Er habe ein Problem, sagt er: „Ich habe zu viel Absatz, und die Nachfrage wird immer größer. Ich will aber klein bleiben.“ Aquakultur und Wachstum bilden nur selten eine gelungene Verbindung. Neben der Krone versorgt Bereuter noch zwei Betriebe, gegen Voranmeldung kriegen auch Privatkunden ein paar Forellen. Stolz ist Bereiter auf eine Coanda-Wasserfassung, die verhindert, dass der reißende Bach bei viel Regen Holz und Steine zu den Fischen befördert. In Sibratsgfäll sagen einander Fuchs und Hase gute Nacht, jeder kennt jeden. Der Zugang zu den kleinen Forellenbecken ist unversperrt. Gestohlen, so Bereuter, würde nie etwas.

Der Bregenzerwälder Historiker Georg Sutterlüty schrieb: „Sollte man mir die Frage stellen, was das prägendste Naturmerkmal des Bregenzerwaldes ist, würde ich wohl antworten: Regen oder Wasser.“ Dem Wasser verdanken die „Wälder“ auch die saftigen Wiesen auf den Alpen. Dort grasen die Kühe im Sommer und bedanken sich für das gute Futter aus Gras und Kräutern mit extraordinär guter Milch. Erfahrene und tüchtige Senner und Käser machen aus dem Naturprodukt, wofür der Bregenzerwald unter anderem berühmt ist: Käse. In der kleinteiligen Alpwirtschaft handelt es sich bei Senner und Käser meistens um ein und dieselbe Person. Es gibt zahllose Sennereien, und alleine Hittisau hat 120 Alpen.

Eine Vorzeigesennerei ist die Alpe Wildmoos bei Bezau, betrieben von Simon Petrus und seiner Lebensgefährtin Simone Muxel. Die Hütte ist blitzsauber, mit Sinn für geschmackvolle, unaufgeregt gute Architektur ergänzt. Simon ist gelernter Zimmermann, ein im Bregenzerwald nicht seltener Beruf. Er hat sich hier seinen Traum erfüllt. Die Kühe, die Simon im Sommer hütet, kommen von befreundeten Bauern. Er bezahlt in Naturalien. Die Plätze der Kühe im Stall tragen ihre Namen. Wenn die Kühe im Stall ruhen, sind die Schwänze mit ­kleinen Schnüren im Schwebezustand gehalten. Das sorgt für Sauberkeit. Der Tagesablauf auf der Alpe Wildmoos ist immer gleich: Vor dem Melken am Morgen geht es bereits auf die Wiese. Jede Kuh gibt pro Tag etwa acht Liter Milch. Simon Petrus arbeitet nach traditionellen Methoden. Die Abendmilch reift in hölzernen Gebsen und wird nicht extra gekühlt. Am Morgen wird der Rahm abgeschöpft, die Milch mit der Morgenmilch vermischt und erhitzt. Die Zugabe von Lab erfolgt, der Käse wird gemacht, in Tücher geschlagen, gepresst.

Simon kocht täglich Sennsuppe, eine Besonderheit, die es nur auf der Alpe gibt. Im fast klinisch sauberen Raum der Hütte beschlagen die Brillengläser der Besucher im süßlich-milchigen Dampf der immer stärker erhitzten Molke, zu der jetzt der sogenannte Edelsaure kommt, der Essig der Älpler. Bei etwa 80 Grad trennen sich das wenige verbliebene Fett, Eiweiß und Molke. Diese als Spezialität der Alpen angebotene warme Suppe hat fast keine Kalorien, die Eiweißteile fühlen sich an, als würde man in Wolken beißen. Je nachdem, ob das Gras, das die Kühe fressen, auf der Sonnenseite liegt oder im Schatten, schmeckt die Sennsuppe mal süßer, mal säuerlicher, mal hat sie mehr Volumen oder weniger. Es heißt: Die Wiese macht die Milch, die Kunst des Senners beziehungsweise des Käsers macht die Sennsuppe. Die Käse auf der Wildmoos-Alpe sind die leichte Wanderung über den untertags sonnenbeschienen Hang wert. Im Herbst wird die Alpe, wie die anderen auch, bereits geschlossen sein. Kommen Sie im nächsten Sommer und probieren Sie den marinierten Frischkäse aus Ziegen- und Kuhmilch und trinken dazu ­Buttermilch. Simone ist gelernte Bäckerin, ihre Kuchen sind nicht zu versäumen. Und vielleicht ist Otto noch da, Otto, das Schaf, das hier zur Familie gehört. Wie Hühner und Alpschweine, die zur Bewirtschaftung einer Alpe ihren Beitrag leisten. Die Schweine fressen die Molke, die Hühner geben die Eier für Kuchen und fürs Frühstück der Senner.

Um das Wissen um Käse zu vertiefen, folgt ein Treffen mit Alfred Baechta, der in Hittisau lebt. Baechta arbeitete als Käser und ist in der Pension Senner. Er ist 86 und sieht aus wie 75. Was macht einen guten Senner aus, wer macht den besten Käse? Baechta sagt: „Holz statt Nirosta, höchste Genauigkeiten bei der Arbeit mit den Kühen, gutes Gespür für Wetter und Temperatur, kein ­Industrielab, Aufbewahrung der Abendmilch in Gebsen.“ Die auch auf der Alpe Wildmoos verwendeten Gebsen sind Holzgefäße, in denen die Abendmilch bis zum Morgen ohne Kühlung aufbewahrt wird. Der selbst produzierte Lab verleihe dem Käse die Persönlichkeit, so Baechta, die Handschrift des Senners und Käsers. Lab kommt aus dem Kälbermagen. Daraus wird die Labwurst, die bei der Verwandlung von Milch in Käse assistiert.

Ein guter Senner brauche Fingerspitzengefühl in jedweder Phase, vom Melken bis zur Arbeit im Reifekeller. Er muss ein exzellenter Verkoster sein, und ihm muss klar sein, dass auf der Alp kein Tag ist wie der andere. „Schattige Wiesen verlangen beim Käsen eine andere Methode als Wiesen in sonniger Lage“, sagt Baechta. Der erfahrene Käser hat viele Schüler, hat vielen geholfen – mit geheimen Verfahrensweisen aus der Schweiz, wo dergleichen nur ungern weitergegeben wird –, und auf manche Schüler ist er besonders stolz. Wie auf Klaus, der in Schönenbach bei Bizau die Alpe Unterspitz führt. Klaus hat die Landwirtschaftsschule in Salzburg besucht. Nach der Reifeprüfung ging er auf die Alp. Klaus beherbergt 21 Kühe. Mehr als 50 % der Wiesen liegen im Schatten. „Darauf muss ich mich einstellen“, sagt er. Die Sennsuppe schmeckt auf der Alpe Unterspitz etwas säurebetonter, die Molke ist klar wie das Quellwasser, das neben der Hütte fließt. „Den Unterschied zwischen Milch von der Alp und vom Tal erkennt jeder Laie“, sagt Alfred Baechta. Zur Alpe gehört der Reifekeller für den Käse. Nach zwei Tagen im Salzbad (10 % Sättigung) kommt der Käse in den Keller, wo er alle zwei Tage mit Salzlake gewaschen wird. Das Salz entzieht dem Käselaib das Wasser. Manchmal riecht es in diesen Kellern etwas streng, hier duftet es geradezu herrlich, mild und appetit­anregend. Jeder Senner hat sein Betriebsgeheimnis.

In der Früh heißt es aufstehen, Kühe melken und Käse machen. Die Sennsuppe gehört zu den Spezialitäten auf der Alpe.

Wo gibt es die besten Käsknöpfle? Fragen wie diese beantwortet kein Fremdenführer. „Wahrscheinlich beim Egender in Schönenbach“, antwortet Alfred Baechta. „Ansonsten sind es eher die kleinen, unscheinbaren Gasthäuser.“ Wir landen im Gasthof Tonele in Egg. „Niemals mit der Butter sparen, der Teller muss glänzen, wenn die Knöpfle aufgegessen sind“, sagt Alfred Baechta. Und stellt beim ersten Bissen der Käsknöpfle fest: „Das ist sehr gut, aber eine Spur zu viel Emmentaler.“ Die Käsemischung ist neben dem Mehl für die Spätzle und dem Fingerspitzengefühl beim Zubereiten bestimmend für die Güte dieses vermeintlich einfachen Gerichts. „Es braucht reifen Käse für den Geschmack und jüngeren Käse für die Fäden.“ Auch die Lagerung des Käses spiele eine Rolle. So mancher Bregenzerwälder Käser oder Käsehändler hat sich auf Käsknöpfle-Käse spezialisiert und bietet fertige Mischungen an. Noch etwas? „Der Zwiebel auf den Käsknöpfle muss wirklich knusprig sein und nicht zu fein geschnitten.“ Mancher isst dazu Apfelmus, was gut zum Zwiebel passt, in der Regel gibt es Salat.

Dass eine Kuh Milch gibt, liegt am Kalb. Je besser es dem Kalb geht, desto besser schmeckt sein Fleisch später einmal, so eine Binsenweisheit. Doch nur wenigen Kälbern geht es gut. Sogar im kleinstrukturierten Bregenzerwald sind Preisdruck und Tiertransporte ein Thema. Statt der Milch ihrer Mutter kriegen die Kälber Milchpulver, weil der Preis, den der Lebensmittelhandel für ein Kalb bezahlt, so niedrig ist. Milch zu füttern würde sich nicht rechnen. Eine perverse und lebensfeindliche Kalkulation. Es geht aber auch anders. Das Kalbsbries, das in der Krone in Hittisau gemeinsam mit Salat, Kräutercreme und Pfirsichen auf den Teller kommt, wirft die Frage auf: Wie kann so teuflisch gutes Kalbsbries entstehen? Krone-Chef Dietmar Nussbaumer verweist auf die Naturpark-Metzgerei gleich ums Eck.

Die Geschäftsführerin der erst vor Kurzem eröffneten Metzgerei Nagelfluhkette ist Pia Nenning. Sie erzählt: „Wir wollen die Preise für Kalbfleisch selbst festlegen und nicht vom Handel oder von deutschen Schlachthöfen vorschreiben lassen. Fütterung, Stall und Stroh kosten Geld – was der Bauer für die Arbeit braucht, soll er kriegen.“ Eine klare Ansage. Und ein Erfolgsrezept. Die kleine Genossenschaft umfasst 44 Mitglieder, davon sind 22 Landwirte. „Größer wollen wir nicht werden“, sagt Nenning, die betont, dass sowohl Milchpulver als auch Kunstdünger für die Mitglieder No-Gos sind. Die Kälber müssen im Naturpark geboren, aufgewachsen und – sanft – geschlachtet werden. In der Metzgerei steht übrigens ein prächtiger Dry Ager, ein Rolls-Royce seiner Art. Dort reift neben Kalb- auch Rindfleisch. Das Kalb eine, das Rind drei Wochen. Neben dem Futter spiele die Reifezeit beim Fleisch die größte Rolle, sagt Pia Nenning. Sie ist eine freundlich wirkende junge Frau, die beim Kontrollbesuch bei ihren Landwirten und Lieferanten auch schon mal deutliche Worte findet, wenn ­etwas nicht ideal passt.

Jürgen Hirschbühl führt den Familienbetrieb Gasthof Adler in Krumbach. Er züchtet Gemüse, und seine Rinder führen bei ihm ein Luxusleben.

Zu den Gründern der Genossenschaft Nagelfluhkette zählt der Koch und Gastronom Jürgen Hirschbühl vom Gasthof Adler aus Krumbach. In Sulzberg besitzen Hirschbühls ein Haus, davor ein prächtiger Gemüsegarten. Hier ist das Klima vom nahen Bodensee geprägt, und die Sonne scheint niemals unterzugehen. Nach einem kurzen Regen duftet es nach Kräutern und Blumen. Erbsen, grüner Spargel, Mangold, Rhabarber, Urkarotten, gut gewachsene Salate, wohin das Auge blickt, wohin die Hand greift. Ein paar Meter weiter grasen auf einer leicht abschüssigen Wiese mit Obstbäumen die Texter-Rinder, denen Hirschbühl ihre Hörner lässt. Ihre Milch geht ausschließlich zu den Kälbern, Zusatzfutter ist unerwünscht, Kunstdünger auf der Wiese ebenso. Die Milch der Kühe sei so fett, dass Hirschbühl für die Zukunft die Produktion von Burrata erwäge, sagt er. Frau Hirschbühl hat den glücklichen Kühen ein bisschen Brot mitgebracht. Freude und Ovationen in Form eines euphorischen „Muhs“. Bei der Rückfahrt nach Krumbach schauen wir auf überdüngte, tote Wiesen der ­Intensivbewirtschaftung, daneben die bunt blühenden Wiesen aus nachhaltiger Landwirtschaft. Im Gasthaus elegante, warme Atmosphäre. Die Kombination aus Burrata (noch nicht aus eigener Erzeugung), Roten Rüben, Nüssen und Pfirsich ist sommerlich erfrischend und harmonisch abgestimmt. Ein mürb-saftiges Vergnügen ist der rosa gebratene Rücken von der Gams aus dem Naturpark, geschossen von befreundeten Jägern. Zum Abschluss ein Schnaps, gebrannt aus Kräutern von einem lokalen Moor, bitter, straight, köstlich.

Beim Essen hat der Bregenzerwälder ein Motto: „S muss g’hörig si.“ G’hörig bedeutet nicht nur gut, sondern auch ausreichend. Pfauenräder am Teller sind hier unerwünscht. Die kulinarische Moderne brauchte eine Weile, bevor sie sich hierher wagte. Zum Beispiel in Form des Schulhus in Krumbach, eröffnet 1994. Küchenchefin Gabi Strahammer kocht keine Streberküche, Zeugnisse kümmern sie nicht. „Wenn mir etwas gefällt, ziehe ich das durch“, sagt die bescheiden auftretende Köchin, „und manchmal muss man die Gäste zu ihrem Glück zwingen.“ Mit den Jahren koche sie immer reduzierter, fügt sie hinzu. Mancher Gourmetkritiker würde hier sagen: „Aber diese Küche hat sich doch nicht weiterentwickelt!“ Mancher Gast sagt dann: „Gott sei Dank!“ Zur Kombination aus weißer Tomatenmousse und Tomatenscheiben, gewürzt mit Öl, Essig und Basilikum, kann man nur gratulieren. Warum kochen andere Chefs nicht auch so? So uneitel und gut. Am Vormittag sammelte Gabi Bergschnittlauchblüten. Damit und mit Butter wird das Kalbssteak überbacken. Das Bodensee-Felchen mit einem dezent mit Kreuzkümmel gewürzten Karottenpüree ist zart und köstlich. Ein luftiges Dessert aus Cassis und Schokolade ist nichts anderes als perfekte Sommerküche. Herbert Strahammer, der aus dem Weinviertel kommt, hat dazu feine Tropfen im Keller.

Naheliegend ist eine Erklärung, ­warum es im Bregenzerwald so gut schmeckt: Es ist eine Frauenküche. ­Namen wie Gabi Strahammer, Erna Metzler (Schiff in Hittisau), Wilma Natter (Krone in Hittisau) und Antonia Moosbrugger (Schwanen, Bizau) standen und stehen für die sanfte, aber konsequente Verfeinerung der autochthonen Küche. Viele von ihnen arbeiteten bei berühmten Köchen im Ausland, etwa bei den Haeberlins im Elsass, und brachten mit, was sie dort gelernt hatten. Gemeinsam hatten sie, dass ihre Arbeit weniger dem Ruhm und der Selbstverwirklichung galt, sondern mehr der Liebe zum Metier und zum Gast. Und nicht zuletzt der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Erfolgs.

Frauen mussten im Bregenzerwald immer schon ihren Mann stehen, wie es heißt. Im 30-jährigen Krieg standen schwedische Soldaten bei Alberschwende. Die männlichen Bregenzerwälder waren selbst im Krieg. So stürmten die Frauen in weißen Juppen (die lokale Tracht) im Morgengrauen, bewaffnet mit Dreschflegel und Axt, über einen Hügel den Invasoren entgehen. Die Schweden kriegten es mit der Angst du zu tun und zogen ab. Erna Metzler, Seniorküchenchefin im Schiff im Hittisau, sagt: „Die Frauen im Bregenzerwald sind selbstbewusst, stark und kreativ. Deshalb gibt es auch so viele starke Frauen in den Restaurants.“ Sie erzählt, dass sie vor mehr als 30 Jahren fast vor den Trümmern ihrer Existenz als Wirtin stand, als der Mann mit 43 Jahren starb und der Betrieb hochverschuldet war. „Es gab nur zwei Möglichkeiten: Das Schiff verlassen oder kämpfen. Ich entschied mich fürs Kämpfen, auch für die Kinder.“ Jetzt ist sie 75 und täglich in der Küche, ihr Motto: „Solange wir können, können wir. Und wenn es einmal vorbei ist, sagen wir, es hat sich gelohnt.“

Im Schiff in Hittisau gibt es drei Restaurants. Die Wälderstube wirkt dabei nicht nur architektonisch, sondern auch kulinarisch ein wenig aus der Zeit gefallen. Warum müssen es Kingfisch-Sashimi und Scampi-Tatar sein? Der zarte Hirsch wird von einer Miniportion Käsknöpfle mit karamellisierten Zwiebeln und Kirschen begleitet – eine gute Idee. Ein Gegenentwurf zur Gourmetabteilung des Schiff ist das im gleichen Haus in einem spektakulär wirkenden Kubus aus Holz und Glas untergebrachte Ernele, der Name eine Hommage an Erna Metzler. In dieser Mischung aus regionalem Delikatessenladen und Restaurant kocht Küchenchef Felix Groß und erzählt: „Bei uns sagen die Gäste, sie wollen, dass ich einfach draufloskoche, ganz ohne Speisekarte.“

Dieses Carte-blanche-Konzept erlaubt dem Küchenchef, mit den kleinen Mengen zu arbeiten, die ihm lokale Züchter, Fischer und Produzenten liefern. Da gefällt und überrascht das Saiblingstatar, begleitet von Gurkeneis und Gurke, durch seinen herrlichen Biss, den der Zuchtsaiblinge leider oft vermissen lässt. Woher kommt dieser herrliche Fisch? Felix vereinbart einen Termin mit einem Bekannten, der ihn exklusiv mit Fischen aus seinen Teichen beliefert. Klaus Elmenreich veranstaltet Kurse fürs Fliegenfischen entlang der Bregenzer Ach. Wobei „Catch & Release“ verboten ist. „Bloß wenn wir ein Forellenweib­chen voller Kaviar fangen, geht es zurück ins Wasser.“ Von den Forellen und Saiblingen, die Elmenreich in ­seinen drei kleinen Teichen züchtet und die drei Jahre (!) im kalten Wasser wachsen, muss und möchte er nicht leben. Warum er ausgerechnet das Ernele beliefert? „Ich sah Felix zu, wie er respektvoll über die Fische streichelte, sah seine Freude am Produkt, und wir waren Freunde.“

Ist Hinterwäldler ein Begriff, der im Bregenzerwald geboren wurde? Gerade die ruhigeren Orte abseits der verkehrsreichen Routen Richtung Warth und Arlberg, unberührt von den wenigen Gewerbegebieten, entfalten beträchtlichen Charme, auch wenn manche sie als Einschicht abtun. Im wunderschönen Hotel Schwanen in Bizauträgt das Menü den vielversprechenden Namen „Wilde Weiber“ und ist doch gezähmt vegetarisch. Der Salat aus Karfiol, Nüssen und grünem Sellerie ist delikat und toll abgeschmeckt. Auf einer Creme auf Joghurtbasis mit Mohn kommen knackig-frische Radieschen mit frittierten Blättern. Die gefüllte Zucchiniblüte ist traumhaft, ein Salat mit Sellerieblättern, Gartengurke, Mandeln, Himbeeren, Wiesenkräutern und Blumen ist so dekorativ angerichtet wie vielschichtig und nachgerade unterhaltsam gut. Erfreulich mit Biss dann der Saibling mit Frühkartoffeln und Spinat, große Klasse auch das zarte junge Lamm aus Au mit einer flaumig-luftigen Kruste aus Bröseln, begleitet von Fenchel, gefüllt mit Lamm­faschiertem. Etwas Provence im Alpenland. Der junge Chef, Emanuel Moosbrugger, der unter anderem im Benu in San Francisco gearbeitet hat, gibt dem Restaurant den willkommenen kosmopolitischen Anstrich, und seine Weinkarte ist erstklassig. Nicht in puncto Umfang, sondern bezüglich Konzept und Inhalt.

Unweit des Schwanen wartet eine Entdeckung. In den einfachen, mit besten und schönsten Hölzern eingerichteten Stuben der Taube bieten die beiden Schwestern Monika und Margit preiswerte Gastfreundschaft. Der Sonntagsbraten sorgt auch in der Nebensaison für ein volles Haus. Das Kalbsgulasch mit feinsten Spätzle ist ein Muss, der Spinatknödel mit Tomatensauce nicht weniger gut. Margit hat eine Sammlung von Kochbüchern von Johanna Maier, wie sie erzählt, doch elaborierte Sterne- oder Haubenküche befinde sich nicht auf ihrer Agenda. Ein paar schöne, preiswerte Bioweine sind da. Hier wie auch in den anderen erwähnten Gasthäusern und Restaurants sind Einheimische zu Gast. Besucher von weiter her sind willkommen. Doch die „Wälder“ überlassen das Genießen nicht nur ihren Gästen. Sie sitzen gerne selbst an den besten und den schönsten Holztischen.

Wohin im Bregenzerwald

ANDELSBUCH

Jöslar
www.joeslar.at
Eine einfallsreiche Mischung aus Weinbar, Bar und Kino. Hier trifft 18 auf 88.

BEZAU

Hotel Gams
www.hotel-gams.at
Erstklassig ausgestattetes Hotel, dessen Angebot sich nur an Pärchen richtet. Die neue, sehr aufwendig gestaltete Pizzeria zieht auch Gäste aus der Umgebung an. Ein innovativer Wurf, zweifellos. Gnocchi statt ­Käsknöpfle.

Alpe Wildmoos
Simon Petrus
Tel.: 0664/581 84 00

BIZAU

Schwanen
www.biohotel-schwanen.com

Taube
www.taubebizau.at
Schmucke wie einfache Pension, die von zwei Schwestern in der Tradition der Familie geführt wird. Zum Frühstück gibt’s hausgemachte Marmeladen. Gleich neben dem Haus ­Natur, Wiesen und Wald.

Egender in Schönenbach
www.jagdgasthaus-egender.at
Legende unter den Bregenzerwälder Käsnocken-Gasthöfen, beliebtes Ausflugsziel für Wanderungen in einer schöner kaum vorstellbaren Gegend.

Schnapsbrenner
www.brenn.at

EGG

Gämse aka Tonele
Tel.: 05512/23 27
Rain 96, 6863 Egg

GROSSDORF

Adler Grossdorf
Irma Renner
Tel.: 0650/456 34 37
Grossdorf 14, 6863 Egg
Irma Renners nur sonntags geöffnetes Wälder Gasthaus bietet ein Mal in der Woche gemeinsam mit Wälder Hausfrauen ein Menü, welches lokale Geschmacksgrenzen überschreitet. Öfter dabei zu Gast: Top-Chefs aus Österreich und darüber hinaus.

HITTISAU

Krone
www.krone-hittisau.at
Hochwertige Hölzer, gerade Linien und wunderschöne Räume in einem Haus mit langer Geschichte. Die Familie Nussbaumer führt die Krone mit Sensibilität und Affinität zu Kunst und Kultur. Große Bibliothek plus Zeitungen und Zeitschriften. Im kleinen Garten eine Oase der Ruhe.

Schiff
www.schiff-hittisau.com
Eines der bestgeführten und berühmtesten Hotels der Region. Die Familie Metzler schuf einen perfekt funktionierenden Mikrokosmos für Feinschmecker und Erholungssuchende. Alleine das Frühstück, welches im Restaurant Ernele serviert wird, darf als kleine Sensation bezeichnet werden. Ein Muss für Erforscher lokaler Käsekultur.

Naturpark Metzgerei
www.naturparkmetzgerei.at

KRUMBACH

Adler
www.adler-krumbach.at

Schulhus
www.schulhus.at

MELLAU

Hotel Bären, Café Deli
www.baerenmellau.at
Im Deli trifft sich am Wochenende der „junge“ Brgenzerwald. Kaffeekultur, Frühstück und ­Atmosphäre sind so urban wie einzigartig. Das Hotel Bären, zu dem das Deli gehört, bietet leistbare Zimmer mit regional ­inspirierter, kontemporärer ­Einrichtung.

SCHWARZENBERG

Hirschen
www.hotel-hirschen-bregenzerwald.at
Man betritt ein Gemälde, man wohnt in einem Museum. Natürlich bietet der Hirschen dabei jeglichen zeitgemäßen Komfort. Die Geschichte des Hauses sollte man sich bei Gelegenheit erzählen lassen. Keine Frage ist, dass die Familie Fetz zu den wichtigsten und ideenreichsten Gastronomen des Bregenzerwalds zu zählen ist.

Adler
www.adler-schwarzenberg.at
Jugendlich lässiges Gasthaus in wunderschönem Rahmen. Gleich neben dem berühmten Hirschen isst man unkompliziert, einfallsreich und gut. Die Weinkarte wartet mit einigen Überraschungen auf. Angenehm niederschwellig und ­familienfreundlich.

Käseladen
Einer der bestsortierten Käse­läden der Region, ein Muss für Besucher des Bregenzerwalds, die sich mit der lokalen Kultur der Milchverarbeitung vertraut machen wollen. Tolle gereifte Bergkäse.
www.kaesladen.com

Fischgenuss
Aquakultur in größerem Ausmaß und dennoch Qualität? Hier scheint das zu gehen. Die Fische können in einem kleinen Laden frisch oder gebeizt zum Nach-Hause-Nehmen erworben werden.
www.fischgenuss-bregenzerwald.at

Sibratsgfäll
Fischer Engelbert Bereuter
Tel.: 0664/377 94 60