Berlin vs. Hamburg 2:1

Im kulinarischen Städtevergleich zwischen Berlin und Hamburg hat die Hauptstadt klar die besseren Karten.

Text von Hans Mahr

Es war sozusagen ein Berliner Gipfeltreffen. Heinz Reitbauer, höchst dekorierter österreichischer Gastronom, und Sebastian Frank, höchst dekorierter Berliner Küchenchef, feierten gemeinsam bis in die frühen Morgenstunden. Und zwar wo? Natürlich in der höchst dekorierten Berliner Bar, in der Cordobar des Steirers Willi Schlögl, wo sich in Berlin Promis und Szeneleute ihr Fluchtachterl gönnen.

Aber der Reihe nach. Die beiden Köche hatten bei einer Präsentation in der österreichischen Botschaft das erste Mal seit zehn Jahren wieder zusammengearbeitet. Damals war Frank noch Souschef im Steirereck, jetzt ist er selbst ein Star. Sein Horváth in Kreuzberg hat vor Kurzem den zweiten Michelin-Stern bekommen und gehört damit zu den Top-Lokalen in der deutschen Hauptstadt. „Ich freue mich für ihn, er hat eine tolle Entwicklung gemacht“, streut ihm sein ehemaliger Chef Reitbauer Rosen. Und Sebastian Frank gibt das Kompliment zurück: „Es gibt keinen Besseren als ihn in Österreich.“

Berlin ist ein großartiger Boden für österreichische Kulinarik und die, die sie in der Hauptstadt vertreten. Der Urknall war das Exil in den 70er Jahren, das der österreichische Schriftsteller und 68er Rebell Ossi Wiener nach seiner Flucht aus Wien, wo man ihn wegen künstlerischer Exzesse einsperren wollte, aufgemacht hatte. Dort in Kreuzberg waren sie alle: der Beuys und der Bowie, der Lüpertz und der Baselitz – und auch Politiker wie der damalige Bundeskanzler Kreisky, ein Künstlerfreund, der einen offiziellen Besuch bei seinem Freund Willy Brandt im Exil ausklingen ließ.

Und genau diese geschichtsträchtige Heimstätte hat sich Sebastian Frank, damals gerade mal dreißig geworden, als neue Wirkungsstätte erkoren. „Ich find’s wunderbar, dass jetzt wieder ein so großartiges Lokal wie das Horváth aufgemacht hat“, sagt die bekannte TV-Köchin Sarah Wiener, die Tochter des ehemaligen Exil-Chefs, die selbst dort aufgewachsen ist und ihre ersten Küchenerfahrungen gesammelt hat.

„Es war nicht einfach, manchmal waren meine Frau und ich schon etwas verzweifelt, ob uns da wirklich der Durchbruch gelingen würde“, erinnert sich Sebastian Frank an die Anfänge. Doch mit seiner pannonischen Küche kochte er die Berliner Gesellschaft und auch die Kritiker ein. Zuerst ein Michelin-Stern, seit letztem Jahr zwei, und plötzlich hat ihn „tous Berlin“ auf dem Schirm. Wer einen Tisch bekommen will, sollte besser ein paar Wochen vorher reservieren.

Sebastian Frank hat seine Wurzeln östlich von Wien. „Meine Küche ist österreichisch-ungarisch – da bin ich zu Hause!“, schließlich ist er in Bruck an der Leitha aufgewachsen. Und deshalb kann man auf Franks Speisekarte je nach Saison Schwammerl­gulasch und Karpfen, Paprika-Zander und Schlögel mit Faschiertem finden. Natürlich und modern, leicht und unkonventionell – mit Sonnenblumenkernen, Senfsaat, Schwarzwurzeln.

Der zweite „Aufsteiger des Jahres“ liegt nur ein paar Minuten entfernt beim alten Checkpoint Charlie, um den sich in Berlin so viele Erinnerungen ranken. Einer der besten Sommeliers Deutschlands, der umtriebige Billy Wagner, hat sich mit dem Schweizer Koch Micha Schäfer zusammengetan, gemeinsam haben sie das Nobelhart & Schmutzig gegründet und zu einer In-Adresse gemacht. Man sitzt am langen, geschwungenen Tresen und lässt servieren, was die beiden für einen vorgesehen haben: Aal/Rotkohl, Forelle/Wacholder, Damhirsch/Rote Bete, alles zusammen 10 Gänge – und Billy Wagner unterstützt jeden mit seinen Craft-Beer- oder Wein-Entdeckungen. Ihm zur Seite steht der talentierte Jung-Sommelier Johannes Schellhorn, übrigens der Sohn von Sepp Schellhorn, dem umtriebigen Neos-Abgeordneten und M32-Chef in Salzburg. Achtung: Eine Menükarte zum Aussuchen gibt’s nicht, nur auf die ein oder andere Allergie wird Rücksicht genommen.

Überhaupt entpuppt sich Berlin heutzutage als Brutstätte für originelle Küchenkonzepte. „Junge Wilde“ liefern in der deutschen Hauptstadt alle Facetten der Experimentierküche, und das ist durchaus positiv gemeint. Im Einsunternull gibt Gemüse den Ton an – von der Zichorienknospe mit Zwergquitte über Schmorzwiebel mit Fichte bis zum Kohltopf mit Liebstöckel spannt sich der Bogen, jeweils einmal gibt’s auch Fisch und Fleisch.

Im Tulus Lotrek geht’s ähnlich „wild“ zu, allerdings deutlicher weniger gewöhnungsbedürftig, dort stehen Fisch und Meeresfrüchte im Vordergrund – Jakobsmuschel & Alge, Hummer & Steckrübe, Sepia & Spitzkohl.

Andere Junggastronomen haben das Wirtshaus in Berlin neu erfunden. Im Lode & Stijn, ja, da kochen zwei Holländer, sitzt man an Holztischen und nimmt erfreut zur Kenntnis, dass es Speisen auch ohne viel Chichi gibt. Rindertatar, Kohlrabi, Reh, Birnensorbet, ganz unkompliziert, aber köstlich – und deutlich günstiger als bei den Chichi-Kollegen. Bei dieser neuen Wirtshaus-Küche spielt schon wieder ein Reitbauer-Schüler mit: Manuel Schmuck hat in Schöneberg ein schickes, aber einfaches Lokal eröffnet: das Martha’s. Gelernt hat er beim Stanglwirt in Going, im Steirereck, schließlich im Berliner Zwei-Sterne-Restaurant Reinstoff, und jetzt verwöhnt er mit einer sehr eigenständigen neu-deutschen Küche in den eigenen vier Wänden die Gäste. So gut, dass ihn das Forbes-Magazin als einzigen in Deutschland in die „Top 30 under 30“ aufgenommen hat – schließlich ist Schmuck gerade erst 28 geworden. Doch zurück zu den Berliner kulinarischen Marktführern. Noch weitere sechs Zwei-Sterne-Restaurants gibt’s in Berlin und die subjektive Auswahl fällt schwer. Für mich ist ­Alleskönner Tim Raue deutlich die Nummer 1 in der Hauptstadt. Sein gleichnamiges Restaurant zwischen Kreuzberg und Mitte offeriert asiatische Fusionsküche vom Feinsten. Und am Rande: Wenn er endlich sein Shabby-Chic-Wirtshaus Soupe Populaire in einer alten Brauerei nach längeren Umbauarbeiten wieder eröffnen kann, spielt er auch in der deutschen Küche die erste Geige. Seine Königsberger Klopse schmecken besser als „bei Muttern“.

Wer’s klassisch will, wird in den Top-Hotels fündig. Im Esszimmer des Adlon zelebriert Hendrik Otto seine Aromaküche im fast intimen Kaminzimmer, und den besten Fisch gibt es zweifellos bei Christian Lohse im Regent (wo eigentlich nur der eigentümliche Name Fischer’s Fritz stört). Und noch einer mischt ganz oben mit einer puristischen und regionalen Gourmet-Küche mit: Marco Müller im Rutz kocht nicht nur hervorragend, auch das Weinangebot gehört zum besten in Berlin – und zwar zu Preisen, die man sich auch leisten kann.

Natürlich, was wäre Berlin ohne seine Schickimicki-Lokale: der Grill Royal an der Spree, den die Hollywood-Stars von George Clooney abwärts lieben. Oder das Borchardt am Gendarmenmarkt, das tatsächlich ein ­ordentliches Schnitzel zusammenbringt (trotz Fritteuse) und wo man alle Berliner Promis beim gemeinsamen „Absacker“ bewundern kann.

Doch apropos Absacker, wir kommen zum Anfang zurück. Die Bar, in der man am besten das nächtliche Berlin erleben kann, ist fest in österreichischer Hand. Und zwar in der von Willi Schlögl, einem Steirer, den es nach Berlin verschlagen hat und der heute die Cordobar zur Anlaufstelle nicht nur der Exil-Österreicher, sondern auch der Berliner Szene gemacht hat. „Berlin ist einfach eine geile Stadt, da geht die Post ab“, schwärmt er über die deutsche Metropole. Bis zu 25 offene Weine gibt es bei ihm und das Essen steuert Mraz-Sohn Lukas bei, der es weder zu Hause noch im Coburg ausgehalten hat und jetzt in der Cordobar „verrückte Sachen“ kreiert: knusprige Schweinehaut mit Paprika, Kohlsprossen-Ceviche mit Saiblingskaviar oder seine geniale Blutwurstpizza. Nicht nur Heinz Reitbauer und Sebastian Frank hat’s geschmeckt.

Ein ausgedehnter Gegenbesuch an der Nordsee zeigt es: Im jahrelangen Gourmet-Kampf
Berlin vs. Hamburg hat die Hauptstadt zwischenzeitlich die Nase vorn. Mit einer einzigen Ausnahme: Während die Hauptstadt noch immer über kein 3-Sterne-Restaurant verfügt, feiert Hamburg seinen Top-Küchenchef. Kevin Fehling hat mit seinem Restaurant The Table in der neuen Hamburger Hafencity schon nach einem halben Jahr die Höchstwertung des Guide Michelin erhalten. Hier gibt’s keine Tische, sondern eine lang gezogene Theke für 20 Gäste, vor der Gang für Gang die Speisen zubereitet und auf die andere Seite hinüber serviert werden. Natürlich passt Fehlings strikt international ausgerichtete Küche zu den Michelin-Vorstellungen, was Gourmet-Tempel heutzutage zu offerieren haben, nämlich alles von überall: Geselchtes und Austern, Hamachi und Spitzkohl, Kaviar und Seeigel und die Entenbrust mit Rotkohl-Maki. Aber immerhin, der Michelin ist zumindest über seinen französischen Schatten gesprungen. Rundherum gibt’s nicht viel Neues in der Hafenstadt. Das Haerlin im Hotel Vier Jahreszeiten und das Seven Seas von Karlheinz Hauser haben ihre Spitzenposition behalten.

Wer wissen will, wie echte Hamburger seit fünfzig Jahren ihren Fisch serviert bekommen wollen, geht ins Fischereihafen-Restaurant. Die lebendigste Asia-Küche findet man bei Henssler & Henssler und – weil wir schon bei Fernsehköchen sind – Tim Mälzer hat neben seiner Bullerei jetzt ein Tagesrestaurant im Hafen eröffnet: Die gute Botschaft serviert Frühstück und Lunch quer durch alle Gelüste, von der Salatbar bis zum Brathähnchen. Na gut. Von den Hamburger Neuzugängen der letzten Jahre stechen zwei zumindest etwas heraus. Das Vlet (althochdeutsch für „Kanal“) in der Speicherstadt bringt moderne, norddeutsche Küche mit Aal und Flusskrebs, Hasenrücken und Hirschbäckchen. Und das Heldenplatz soll nicht an die Wiener Stätte mit zweifelhaftem Ruf erinnern, sondern an „alle Menschen, die ihr Leben im Alltag meistern – von der alleinerziehenden Mutter bis zum Unfallchirurg, der Leben rettet“. Na ja, ein bisschen viel Philosophie für ein Wirtshaus. Aber das Essen ist hervorragend und es wird bis spät in die Nacht (zwei Uhr!) serviert – was für das konservative Hamburg nicht selbstverständlich, aber sehr praktisch ist. Zum Beispiel, wenn man in der nach mehr als zehn Baujahren endlich fertiggestellten Elbphilharmonie einen Platz ergattert hat.

Der feinschmeckerische Zweikampf Berlin vs. Hamburg im Fußball-Sprech: In der Breite ist Berlin unschlagbar, an der Spitze schlägt Hamburg zu. Kurz, 2:1 für Berlin.

BERLIN

Horváth
www.restaurant-horvath.de

Tim Raue
www.tim-raue.com

Reinstoff
www.reinstoff.eu

Rutz
www.rutz-restaurant.de

Kreativ, modern

Nobelhart und Schmutzig
www.nobelhartundschmutzig.com

Einsunternull
www.einsunternull.com

Tulus Lotrek
www.tuluslotrek.de

Lode & Stijn
www.lode-stijn.de

Martha’s
www.marthas.berlin

Szene-Lokale

Borchardt
www.borchardt-restaurant.de

Grill Royal
www.grillroyal.com

Bar

Cordobar (Koch: Lukas Mraz)
www.cordobar.net

HAMBURG

Gourmet

The Table Kevin Fehling
www.the-table-hamburg.de

Haerlin
www.restaurant-haerlin.de

Seven Seas
www.karlheinzhauser.de

Kreativ, modern

Vlet
www.vlet.de

Die gute Botschaft (Tim Mälzer)
www.dgb.hamburg

Henssler & Henssler
www.hensslerhenssler.de

Heldenplatz
www.heldenplatz-restaurant.de