City in Motion

Abseits von rustikaler Weißwurst-Seligkeit und klischeehafter Italo-Gastro hat sich in München ein hochwertiges Fine-Dining Bewusstsein mit neuen Angeboten und Playern etabliert.

Text von Georges Desrues

Bekanntlich zählt das Hofbräuhaus zu den beliebtesten Attraktionen, die München seinen Besuchern zu bieten hat. Doch gibt es in der bayerischen Hauptstadt noch zumindest ein weiteres Lokal, das inzwischen fast genauso legendär und in jedem Fall einen Besuch wert ist. Die Rede ist vom einzigartigen Restaurant Tantris. Bereits von außen vermittelt der bizarre Flachbau mit den steinernen Fabelwesen vor dem Eingang diese ganz besondere Energie, wie sie nur wirklich außergewöhnliche Restaurants mit historischer Vergangenheit aus­zustrahlen vermögen. Und außergewöhnlich wie historisch bedeutsam ist das Tantris allemal.

Da wären zuallererst die gleichermaßen schrille wie umwerfende Architektur und Inneneinrichtung mit den orangenen Lampen, Wänden und Teppichen, die sich auch noch über die schräge Decke hinaufziehen. Dazu die rot lackierten Säulen, die Stühle in schwarzem Samt und all die anderen schwarzen Elemente, die ein Gegengewicht zu dem grellen Orange und dem leuchtenden Rot bilden. Ein wenig kommt man sich vor wie in einem James-Bond-Film aus den frühen 1970er-Jahren mit Roger Moore in der Hauptrolle. Und tatsächlich stammt hier alles Wesentliche aus dem fernen Jahr 1971.

„In Wahrheit kann man von Glück reden, dass meinem Vater das Geld ausgegangen ist“, sagt Patron Felix Eichbauer, „sonst hätte er in den 1990er-Jahren den ganzen Laden radikal umbauen lassen.“ Eichbauers Vater Fritz ist eigentlich Bauunternehmer. Damals hatte er im zu der Zeit noch kaum erschlossenen Stadtteil Nordschwabing und gleich nebenan einen Wohnkomplex gebaut. Mit dem Restaurant nach französischem Vorbild wollte er sich, als Gourmet, der er ist, einen Traum erfüllen. Für die Gestaltung beauftragte er den genauso eigenwilligen wie inspirierten Schweizer Architekten Justus Dahinden (in Wien leider nur wegen des weniger geglückten „Eulengebäudes“ der TU am Karlsplatz bekannt) und engagierte als Koch den damals noch weitgehend unbekannten Eckart Witzigmann – womit er eine neue Epoche in der deutschen Fine-Dining-Szene einläutete.

Die von der damals noch sehr neuen Nouvelle Cuisine inspirierte Küche des gebürtigen Österreichers und späteren „Jahrhundertkochs“ verschaffte dem Restaurant zwei Michelin-Sterne, zu der Zeit die höchste zu vergebene Bewertung im Land. Das Tantris zog Gäste aus ganz Deutschland und der Welt an und wurde zum Treffpunkt der damals viel besprochenen Münchner Schickeria, deren Ikone Gunther Sachs hier seinen Stammtisch hatte. Auf Witzigmann folgten die ebenso talentierten Südtiroler Heinz Winkler und später der Tiroler Hans Haas, der von 1991 bis 2021 als
Küchenchef tätig war.

Es sind also gleich mehrere lange Schatten, aus denen der seit 2022 amtierende Küchenchef, der Deutsch-Kanadier Benjamin Chmura, treten muss. Und das gelingt ihm mit Bravour. Was auch daran liegt, dass der Mittdreißiger die gehobene französische Küche, die im Tantris seit jeher geboten und neu interpretiert wird, beherrscht wie kein anderer. Das zeigt sich deutlich etwa bei seiner „Tourte de Tradition“, eine makellos komponierte Teigpastete mit Kalbsbries und Entenleber, der er mit einer eleganten Prise Salbei die nötige Intensität verleiht; oder bei dem perfekt auf den Punkt gegarten Filet vom Rehrücken, das in einer klassischen Sauce grand veneur, also einer sämigen Rotweinreduktion, daherkommt, die auf ideale Weise zwischen erfrischender Säure und charmanter Süße balanciert.

Ein gänzlich anderes Ambiente erwartet einen im Jan von Jan Hartwig. Nachdem der 40-Jährige von 2014 bis 2021 im Restaurant des Hotels Bayerischer Hof drei Michelin-Sterne erkocht hatte, eröffnete er im Herbst des Vorjahres sein eigenes Restaurant. Auf Sponsoren und Financiers verzichtete er dabei, was vermutlich auch die Lage im für ein Spitzenrestaurant vergleichsweise schlichten Rahmen des sogenannten Rhaetenhauses erklärt, einem eher unauffälligen Bau aus den 1950er-Jahren in der Maxvorstadt, an dem man mit etwas Unachtsamkeit fast vorbeigehen könnte.

Gleichfalls eher schlicht und minimalistisch, wenngleich angemessen gediegen, präsentiert sich der warm beleuchtete Speisesaal im Jan – alles andere als schlicht hingegen Hartwigs Küche. Das zeigt sich bereits bei den Amuse-Bouches wie der Tartelette mit Foie gras au Chantilly, die cremig und knusprig zugleich ist und Lust auf mehr macht. Eindrücklich auch die zarte Rotbarbe, die mit Joghurt und Streifen von schwarzem Knoblauch und Plankton überzogen wird – ein Signature Dish des Kochs und ein optisches Feuerwerk, dem eine Sauce aus Piment d’Espelette den stimmigen Charakter verleiht. Kein allzu großes Wunder also, dass die Küche des Jan nur wenige Monate nach der Eröffnung mit drei Sternen belohnt wurde.

Vor etwas längerer Zeit, aber auch erst vor knapp zwei Jahren, eröffnete das Tohru in der Schreiberei. Bei genannter Schreiberei handelt es sich um ein prachtvolles Bürgerhaus aus dem 16. Jahrhundert, in dem einst die Stadtgeschichte niedergeschrieben wurde und das als das älteste Münchens gilt. Und so überrascht wenig, dass die Umbauarbeiten streng vom Denkmalschutz überwacht wurden, was auch das Fehlen einer Klimaanlage erklärt. Gelungen ist die Neugestaltung dennoch durch und durch. Und so sitzt man im ersten Stock in einer Art originaler Ritterstube mit gotischen Bögen und steinernen Fensterrahmen, aber mit nüchterner und geradlinig-moderner Einrichtung in warmer, etwas schummriger Beleuchtung.

Küchenchef und Namensgeber Tohru Nakamura ist waschechter Münchner, aber mit japanischen Wurzeln, was sich auch deutlich in seiner Arbeit widerspiegelt. Im Gastraum etwa darin, dass das eine oder andere Gericht mit Essstäbchen serviert wird, und in der Küche in den Zutaten und Zubereitungsarten. Wie etwa im Fall des Hamachi, also eine Art Sashimi von der Stachelmakrele, das sich mit Auster, Gurke, Alge und hohem Erfrischungswert präsentiert. Oder beim bayerischen Saibling, den Nakamura mit Rettich und Kohlrabi, aber auch mit japanischem Ingwer und Hibiskus-Ponzu zugleich erdet und exotisch erhöht.

Gleich um die Ecke vom Tohru liegt das noble und gut sortierte Feinkostgeschäft Dallmayr, eine weltbekannte Münchner Institution mit dem angeschlossenen gehobenen Restaurant Alois im ersten Stock. Dort heuerte im Herbst 2022 der Niederösterreicher Max Natmessnig an, um in schwindelerregender, nahezu Jan-Hartwig-ähnlicher Geschwindigkeit – in nur sechs Monaten – zwei Michelin-Sterne zu erobern. Allerdings scheint Speed überhaupt das Motto des Mittdreißigers zu sein, der nur drei Monate nach Erhalt der Auszeichnung seinen Abgang für den laufenden Herbst verkündete. Wer sein Nachfolger sein soll, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

Dass der talentierte Natmessnig nun nach Amerika geht, ist nicht nur für die Firma Dallmayr, sondern wohl für ganz München ein Verlust. War doch seine asiatisch geprägte und bisweilen sehr couragierte Küche mit Sicherheit ein Ansporn für den einen oder anderen Kollegen, selbst mit etwas mehr Mut an die Sache zu gehen. Toll etwa der Tintenfisch, den er mit Romesco und Palmherzen serviert und mit einer gut gewürzten Sauce einen Hauch von malaiischem Laksa verpasst. Exotische Aromen auch beim knackigen Kaisergranat, der mit thailändischer Chili-Fisch-sauce Nam Prik und intensiv duftenden Pandanblättern gewürzt ist – schlichtweg umwerfend. Bleibt lediglich die Frage, ob ein Verkostungsmenü tatsächlich vier Gänge mit Kaviar und drei Gänge mit Trüffel (in diesem Fall, und weil Sommer ist, australische Wintertrüffel) braucht? Aber die Frage könnte man nicht nur im Dallmayr und in München, sondern immer öfter in der Fine-Dining-Szene rund um den Erdball stellen.

Nach diesem Feuerwerk an Luxusingredienzen freut man sich, dass es aus München Neues nicht nur aus dem Bereich der gehobenen Gastronomie zu berichten gibt. So führt etwa seit vergangenem Frühjahr der Koch und Szenegastronom Hans Jörg Bachmeier das bodenständige Gasthaus Beim Sedlmayr, das der gleichnamige verstorbene Volksschauspieler einst gründete. Das Konzept blieb freilich dasselbe. Und so isst man bayerische Klassiker wie etwa Innereien-gerichte, die man in dieser Vielfalt selbst in den besten Wiener Gasthäusern nur selten findet, darunter Kalbsniere oder -leber sauer, Kalbskopf oder -leber gebacken mit Kartoffelsalat oder auch Lüngerl mit Knödel.

Bis 12 Uhr mittags gibt’s in dem Gasthaus in unmittelbarer Nähe zum Viktualienmarkt auch die obligaten Weißwürste zu essen. Da es ohne diese in München sowieso nicht geht, ist der Sedlmayr alleine schon deswegen kein schlechter Anlaufpunkt, weil er seine von Ludwig „Wiggerl“ Wallner bezieht – und der eine wandelnde Legende ist, was die ikonische Münchner Wurst betrifft. Der Mann ist nämlich nicht nur Metzger, sondern auch Betreiber der Gaststätte Großmarkthalle, in deren Keller er seine berühmte Weißwurst mit dem hohen Kalb-fleisch­anteil erzeugt. In der Gaststätte bekommt man sie serviert, bevor sie jemals künstlich gekühlt wurde, was freilich für zusätzlichen Genuss sorgt. Aber die Großmarkthalle liegt eben auch entscheidend weiter draußen als der zentrale Viktualienmarkt. Was den Sedlmayr immerhin zur zweitbesten Lösung macht, um eine Weißwurst zu essen; und somit zur neben dem Besuch des Hofbräuhauses und dem Tantris dritten Pflichtübung eines jeden Münchenbesuchs. —

Tantris Maison Culinaire, Tantris DNA, Bar Tantris
Ein Lokal wie eine Zeitreise. Die einzigartige Architektur stammt im Wesentlichen aus dem Gründungsjahr 1971 und ist zum Glück längst denkmalgeschützt. Hier arbeiteten gleich mehrere der namhaftesten Köche Deutschlands und hier wurde Gastgewerbegeschichte geschrieben. Seit dem Vorjahr ist der talentierte Benjamin Chmura Küchenchef und Nachfolger von Größen wie Eckart Witzigmann und Heinz Winkler und serviert Gerichte, die durchaus in der französisch geprägten Tradition des Hauses fußen, dabei aber die persönliche Handschrift des Deutsch-Kanadiers tragen. Ein Münchenaufenthalt ohne Besuch im Tantris ist denkbar, aber ein Fehler. Da trifft es sich gut, dass das Lokal seit Kurzem zweigeteilt und im hinteren Teil eine Art gehobene Brasserie namens Tantris DNA untergebracht ist. Netterweise gibt es aber auch eine Bar, an der man gar nicht zu essen braucht, um das wundervolle Design zu bestaunen und Geschichte einzuatmen.
tantris.de

Jan
Kaum ein halbes Jahr hat es gebraucht, damit der Michelin das im Oktober 2022 eröffnete Restaurant von Jan Hartwig mit drei Sternen und somit als bestes Restaurant Münchens bewertet. Ob es das wirklich ist, muss freilich jeder selbst
entscheiden. Tatsache aber ist, dass hier, in einem vergleichsweise schlichten Rahmen, eine seriöse und inspirierte Küche geboten wird, die zu den besten der Stadt und ganz Deutschlands zählt.
jan-hartwig.com

Tohru in der Schreiberei
Im Jahr 2021 in einem wunderschönen mittelalterlichen Haus eröffnetes Restaurant mit exzellenter, stark japanisch
geprägter Küche des Münchner Küchenchefs Tohru Nakamura. Empfehlenswert ist auch das Zweitlokal im Erdgeschoß und Hof des Hauses.
schreiberei-muc.de/tohru

Alois im Dallmayr
Gehobenes Restaurant im ersten Stock des mythischen Feinkostgeschäfts Dallmayr, das bis vor Kurzem von Max Natmessnig bekocht wurde. Wer dem gefeierten österreichischen Küchenchef nachfolgen soll, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
dallmayr.com/de/delikatessenhaus/restaurant

Werneckhof Sigi Schelling
Vor zwei Jahren hat sich Sigi Schelling, langjährige Sous­chefin von Hans Haas im Tantris, selbstständig gemacht und dieses Haus übernommen, in dem einst Tohru Nakamura kochte. Die Küche der Vorarlbergerin ist deutlich von ihrem Lehrmeister geprägt und dementsprechend klassisch wie exzellent, was für starken Andrang sorgt.
werneckhof-schelling.de

Gaststätte Großmarkthalle
Weitläufiges und bilderbuchhaftes Gasthaus am Areal des Großmarkts, betrieben vom legendären Wirten und Metzger Ludwig „Wiggerl“ Wallner, der als der Letzte in München gilt, der diese beiden Berufe in Personalunion vereint. Die Weißwürste werden im Keller erzeugt, frisch serviert und gelten etlichen Münchnern als die besten der Stadt.
gaststätte-grossmarkthalle.de

Beim Sedlmayr
Im vergangenen Frühjahr übernahm der Koch und Szenegastronom Hans Jörg Bachmeier die Leitung dieses Klassikers unter den Münchner Gasthäusern, den der verstorbene Volksschauspieler Walter Sedlmayr einst gründete. Gekocht wird bodenständige bayerische Küche, die, wenngleich sie auf Besucher aus Österreich nicht gerade exotisch wirkt,
dennoch überzeugt.
beim-sedlmayr.de

Weisses Bräuhaus im Tal
Extrem stimmiges Gasthaus mit prachtvoller Gaststube, das von der Kelheimer Kultbrauerei Schneider betrieben wird. Dementsprechend große Auswahl an legendären Weißbiersorten der Brauerei sowie bodenständige, traditionelle Küche mit Betonung auf Innereiengerichten.
schneider-brauhaus.de

Schmalznudel – Café Frischhut
Sympathische Münchner Institution, in der Großvater, Vater und Sohn Frischhut frische Schmalznudeln und Krapfen in heißem Öl (nicht Schmalz) herausbacken. „Schmalznudel Café Frischhut“ auf facebook.com

Grapes
Sehr gediegen eingerichtete Weinbar mit eindrucksvoll großer Auswahl an konventionell und naturnah erzeugten Weinen. Dazu Tapas sowie einige Gerichte und jeden Donnerstag Pâté en croûte von Benjamin Chmura aus dem Tantris.
grapes-weinbar.de

Nachfolger von gleich drei Legenden der deutschen Gastroszene: der Deutsch-Kanadier Benjamin Chmura, Küchenchef im
mythischen Res­taurant Tantris
© Restaurant Tantris
© Georges Desrues
Japanisch geprägte Küche im mittel­alterlichen Rahmen – der Münchner Küchenchef Tohru Nakamura in seinem Tohru in der Schreiberei
© Ramon Haindl
© Ramon Haindl
Im Rekordtempo zu drei Sternen – das erst im Oktober 2022 eröffnete Jan von Jan Hartwig
© Fritz Buziek
© Pieter D’Hoop
Aufstrebender Stern: Die Vorarlbergerin Sigi Schelling, einst Souschefin von Hans Haas im Tantris, machte sich 2021 mit dem Werneckhof selbstständig.
© Volker Debus
© Volker Debus
Hochburg des Münchner Weißwurst-Kults: Gaststätte und Metzgerei Großmarkthalle
© Georges Desrues