Ein italienisches Drama
Toskanas Winzer sind in der Krise. Die Nachfrage versiegt, die Keller sind voll und neue Strategien nicht in Sicht. Ein italienisches Drama.
Ein italienisches Drama
Text von Manfred Klimek Fotos: Manfred Klimek
Eine Vinothek in Siena. In der Auslage eine Flasche Chianti Classico Riserva "Rancia", gefüllt am sehr guten Weingut "Felsina", gefüllt im sehr guten Jahr 1999. Preis: Achtundzwanzig Euro. Wie fast überall in Europa.
Wir wollen diesen Preis nicht zahlen. "Was wollen Sie denn zahlen?", fragt der Vinothekar. Maximal fünfzehn Euro. "Wenn sie alle vier Kisten mitnehmen, dann geben ich ihnen die Flasche um zwölf Euro." Wir sind im Geschäft.
So geht es derzeit allerorts in der Toskana. Von Lucca bis Grosetto, von Arezzo bis Florenz: Wer einen guten toskanischen Wein kaufen will, kann mit den Vinothekaren handeln. Er wird nur gewinnen.
Denn die Lager sind voll, die Keller auch: Toskanischer Wein wird nicht mehr getrunken, so scheint es. Das ist freilich übertrieben, doch der Hype der späten neunziger Jahre, die Blüte der so genannten "Super-Tuscans", ist vorbei. Nirgendwo sonst im europäischen Weinbau kann man die Krise und ihre Folgen besser beobachten als im Land des Dolce Vita; selbst die besten Winzer, selbst die besten Regionen, wie etwa Bolgheri, bleiben nicht verschont. Was ist der Grund?
Erinnern wir uns an die guten Jahre. Und vor allem an die Jahre davor. Die Toskana, im Besonderen das Gebiet des Chianti Classico, war vor dreißig Jahren eine ökonomische Krisenregion. Dann kamen die Touristen – die wohlhabenden Art-Direktoren großer Werbeagenturen, die Herausgeber berühmter Zeitschriften, die linken Regisseure und Schauspieler, die sozialdemokratischen Politiker des europäischen Nordens – und entdeckten die Toskana als Rückzugsgebiet vom städtischen Hedonismus der zeitgeistigen Epoche. Sie kamen, blieben und tranken den regionalen Wein.
Den regionalen Wein wollten sie aber auch zu Hause trinken, so packten sie ihn kistenweise in die Kofferräume ihrer Volvo-Kombis. Doch der Vorrat ging schnell zur Neige, also traktierten sie die Vinotheken ihrer Heimatgemeinden, die bislang Chianti nur aus Bastflaschen kannten. Nachfrage erzeugt Produktion, die Preise stiegen. Die guten Jahrgänge zwischen 1985 und 1990 unterstützten diesen Schub noch; die ersten Markenweine – etwa Tignanello – entkamen der Kreation weitsichtiger Weinmacher, sie waren die Vorläufer der "Super-Tuscans".
Bolgheri wurde entdeckt, dortselbst die berühmtesten Weingüter (Ornellaia, Sassicaia) als beste Weingüter Italiens stabilisiert. Nach und nach verschwand der klassische Wein und wurde durch zeitgeistige Kreationen ersetzt. Die Preise stiegen in ungeahnte Höhen und viele Winzer wurden reich.
Doch wollten alle Winzer vom Boom profitieren, auch die mittelmäßigen. Also produzierten alle Winzer einen "Super-Tuscan", auch die mittelmäßigen. Und da die Nachfrage anhielt, trank man bald mittelmäßige Weine zu überteuerten Preisen. Dann versiegte die Nachfrage. Und das Versiegen traf alle. Auch die guten Winzer.
"Wir haben uns selber ruiniert", sagt der Isole-e-Olena- Winzer Paolo de Marchi, der die schwere Absatzkrise für seinen Betrieb als überwunden ansieht: "Mein Classico geht auf alle Fälle." Mit "selbst ruiniert" meint de Marchi die fehlende Strategie für eine nahe liegende Zukunft. "Noch vor vier Jahren hat man geglaubt, dass der Ansturm ewig anhalten würde." Weit gefehlt.
"Es war wie zu den Zeiten des Börsebooms, teilweise geschah die Entwicklung ja parallel", meint der Önologe Vittorio Fiore, der selbst für eine Reihe Super-Tuscans verantwortlich zeichnet. "Doch ein Ende war abzusehen, manche Winzer waren unglaublich naiv und haben sich von der Euphorie anstecken lassen."
Fakt ist, dass viele toskanischen Weine heute standardisiert schmecken. Die önologischen Mittel erlauben diese Nivellierung. Und im selig machenden Boom wurde der kreative Wettbewerb der Weingüter weit hintangestellt, die alten, regionalspezifischen Weine aus dem Chianti, aus Montalcino und Montepulciano vergessen. Man erinnerte sich zwar schon 1999 an den guten alten Classico-Riserva, stellte diese Initiative aber bald wieder ins mediale Abseits, als man letztlich erkannte, mit Modeweinen viel schneller Geld machen zu können.
Auch streckte man sich nach der Decke der großen Bewerter. Man schielte nach den begehrten "Drei Gläsern" des nationalen Gambero-Rosso; man warf sich Robert Parker für 90+ Punkte vor die Füße. Also produzierte man, was diese auftrugen: Dichte, konzentrierte und alkoholische Fruchtbomben. Der Konsument aber wandert ab. Er trinkt – auch in Italien – gleich geartete chilenische, australische und südafrikanische Weine, die ihn höchstens ein Drittel der nationalen Ware kosten. Das haben die italienischen Winzer lange nicht wahrgenommen, da Sammler und Genießer weltweit ihre Lager füllten. Doch jetzt sind die Keller voll. Und müssen erst mal ausgetrunken werden. Das kann Jahre dauern.
Die geringe Unterschiedlichkeit, die oft absurd hohen Preise, das sture Beharren auf schnelles Geld und die Untauglichkeit Perspektiven zu entwickeln führen nun zur ökonomischen Dauerkrise. Der Weg hinaus ist für viele Winzer an bittere Erkenntnisse gekoppelt.
Große Unternehmen, wie Angelo Gaja, Frescobaldi oder Antinori, haben Handlungsspielräume, die sie auch in Krisenzeiten Auswege durchsetzen lassen. Doch die Mittelständler, oft kleine Betriebe, sind bis über beide Ohren verschuldet, da sie ungehemmt ausgebaut haben. Einige dieser Stöcke hingen heuer mit schöner Traube. Doch keiner kam, der erntete.
Der italienische Markt verlangt zunehmend nach einfachen, leicht konsumierbaren Weinen unter zehn Euro. Diese kommen aus den Abruzzen oder Sizilien. Die Toskana hat in diesem Segment nur noch den Chianti-Classico, den Rosso di Montalcino und den Rosso di Montepulciano anzubieten. Doch ganz selten unter jener Schmerzgrenze, die dem Konsumenten teuer ist. Will man zurück zu den qualifizierten Massen, muss man die Hosen kräftig runterlassen.
Für viele der "Super-Tuscans" schlägt demnächst schon die letzte Stunde. Sie haben sich keinen Namen gemacht, der Winzer hat keine Marke kreieren können und im Spiel der Önologie können sie nichts Besonderes vorweisen. Wer braucht sie noch? Und was geschieht mit den Stöcken?
Schon schielen die gleichfalls darbenden Konzerne auf die besten Flächen. Hier ist Hoffnungsland. Dem Abstieg folgt der Aufstieg, wenngleich es nie wieder so werden wird, wie es einmal war. Toskanischer Wein rangiert in Zukunft wieder in den Supermarktregalen, wo er vielleicht immer hingehörte – er ist der Star im unteren Mittelfeld. Toskanische Spitzenwinzer aber, die Zeit und Geld noch haben, werden ihre Marken über die Krise retten und immer auf gleicher Höhe mit den besten Weinmachern des Bordeaux, des Burgund und des Piemont stehen. Denn man sieht sich zu Recht als Teil einer europäischen Weinelite. Auch wenn der Wind dieser Tage gar eisig weht.
*Der Autor ist Fotograf und besitzt seit 1997 Anteile an einem toskanischen Weinberg in der Nähe von Grosetto.