Eine einzige große Party

Sie ist fröhlich, unkompliziert und wirkt wie eine einzige Party von Jerusalem bis Tel Aviv – die neue israelische Küche erobert die Welt. Nach den experimentierenden Spaniern, den schlichten Skandinaviern und den krea-tiven Südamerikanern kommen nun die israelischen Köche: ausgelassen, lebenshungrig und wild! Und das können sie – von vegetarischer bis Luxusküche.

Text Petra Schenk

Enge Gassen, großes Gedrängel, Geschrei von Verkäufern, Gerüche aller Art, am Boden spielende Kinder, Kreuze tragende Pilger, schwer bewaffnete Soldatinnen und Soldaten. Es ist laut, bunt und rücksichtslos. Jeder Quadratzentimeter, auf dem sich dieser Alltag abspielt, ist geschichtsträchtiger Boden. Das Aufeinandertreffen drei offizieller und ein paar selbsternannter Weltreligionen lässt die Stadt spürbar vibrieren. Das unerbittliche Gezerre an ihr liegt in der Luft, die große Anspannung ist zum Greifen nah. Alles hier scheint elektrisiert und in einem brodelnden Dauer­ausnahmezustand.

Nur einige hundert Meter Luftlinie entfernt, außerhalb der alten Stadtmauern nahe dem größten Obst- und Gemüsemarkt Israels, dem Machane Yehuda, steht eine Gruppe junger Menschen lachend und in ausgelassener Stimmung vor einem Lokal mit ähnlichem Namen und Street-Art-Graffitis entlang der Mauer. Es ist Abend, es ist Party, es ist das pralle Leben und vor allem: Es ist Jerusalem! Kein anderer Platz ist so gegensätzlich und randvoll mit Emotionen. Im Machneyuda, einem hippen – oder vielleicht dem hippsten – Restaurant Israels, entladen sich diese allabendlich. Hier geht es laut, fröhlich und temperamentvoll zu. Eingerichtet mit einfachen Holztischen blickt man von einer Galerie auf die unteren Tische und das bunte Treiben hinab. Dazu pulsierende Beats aus den Lautsprechern. Die Kellnerinnen und Kellner tänzeln lächelnd von Tisch zu Tisch. Trotz aller Lässigkeit ist hier alles orchestriert. Dafür sind die drei Chefs Uri Navon, Assaf Granite und Yossi Elad verantwortlich, für die auch Foodies aus Tel Aviv anreisen. Auf der Basis von frischem Gemüse, Fisch und Meeresfrüchten entstehen umwerfend gute Speisen mit mediterranen, arabischen und europäischen Einflüssen. Alles läuft wie am Schnürchen – das restliche Durcheinander ist gewollt. Marktschreierisch geht es in der offenen Küche zu. Im scheinbaren Chaos stechen Flammen gefährlich hoch empor, Köche schreien, johlen, rufen einander zu und schlagen auf Pfannen und Töpfe, als seien sie in einer Percussion-Show. Die Atmosphäre ist aufgeheizt, die Gäste stimmen mit ein. Hier werden nicht nur hervorragende „Vom Markt auf den Tisch“-Gerichte geboten, sondern hier wird zu späterer Stunde schon auch mal auf den Tischen getanzt. Marktlokal, Nachtklub und kulinarischer Hotspot. Weder koscher noch halal: Die Calamari auf einer „burnt“ Melanzani-Creme schmecken großartig. Verbrannt ist hier nämlich das neue gegrillt. Oder eine Interpretation der arabischen Shakshuka, das Uri Navon Shikshuit nennt. Mit Tahina, also Sesampaste, Joghurt und Pesto auf Kebab. Diese Art von Partyspirit-Gourmetrestaurant steht momentan für die neue ­israelische Küche. Ein weltweiter Hype lässt Lokale wie dieses auch in ­anderen Großstädten eröffnen. So gibt es bereits einen Machneyuda-Ableger in London. Und lustige Nachahmer beziehungsweise Interpreten weltweit – auch in Wien mit dem Miznon hinter dem Stephansdom.

Um vieles ruhiger (was allerdings nicht schwierig ist), aber kulinarisch kein bisschen langweiliger geht es im 1868 zu. Das bezaubernde Restaurant befindet sich nahe dem neuen Luxusviertel nur wenige Schritte vom exklusiven Mamilla Hotel und dem blumengeschmückten Waldorf Astoria Jerusalem. Der Eingang in der King David Street ist unscheinbar. Fast wie im Märchen schlüpft man durch einen etwas größeren Mauerspalt in einen engen Vorhof und über wenige Stufen geht es dann zum Restaurant. Das Haus, das man betritt, zählt zu einem der ältesten Gebäude Jerusalems außerhalb der Mauer. 1868 erbaut, ist es sogleich der Namensgeber dieses speziellen Ortes. Das historische Kreuzgewölbe schafft eine intime Atmosphäre und mehrere kleine Speiseräume tun ihr Übriges. Und trotzdem ist das Ambiente nicht verstaubt – im Gegenteil: Designersessel aus Holz und hellgrüne Pölster geben den Räumlichkeiten einen Hauch von Skandinavien. Chefkoch Yankale Turjeman ist in Jerusalem geboren, hat einige Zeit in London gekocht und sich in seinem eigenen Restaurant nun ganz der koscheren, kreativen Küche verschrieben. Was er auf den Teller bringt, sind kleine Kunstwerke, die aber allesamt Sinn für den Gaumen und große Freude machen. Zweifelsohne sind seine Kreationen kulinarische Meisterwerke und ganz große Küche. Zum Anfang wird eine kleine Topfpflanze, die mit verschiedenem Essbarem versehen ist, eingestellt. Klingt nach „Hat man schon gesehen“ – schmeckt aber nicht so. Mit Oliven und Mandeln geschmückte Zweige und kleine Nüsse, salziges Marzipan, Umami-Meringues und karamellisierte Erdnüsse sind hervorragend. Es ist ein verspielter Einstieg, der aber einige ungewöhnliche Aromen und Texturen parat hat. In dieser Art sind auch die restlichen Gerichte dieses Koches: vielschichtig, liebe­voll, durchdacht und umwerfend im Geschmack.
Perfektion und Design werden an vielen Orten hochgehalten, doch in Israel werden sie viel lässiger und selbstverständlicher gelebt und umgesetzt als in Städten wie Paris, London oder Kopenhagen. Mit Kunst hat etwa auch das Restaurant Mona zu tun. Umgeben von einem Garten in einem prunkvollen Gebäude, ehemals Teil der Bezalel Akademie für Kunst und Design, liegt das Mona in den angeschlossenen Räumlichkeiten einer Galerie. Eine lange Bar macht das Restaurant lebendiger als das distinguierte 1868. Nichtsdestotrotz bleibt das Ambiente elegant und das Servicepersonal jung, fröhlich und die Männer hipsterbärtig. Was von den beiden Chefs Moshe Gamlieli und Itamar Navon auf den Tisch kommt, hat Klasse und Stil: Eine Verschmelzung von Europäischem und Nahöstlichem. Düfte, Gewürze und Frische spielen auch hier eine große Rolle. Wer nach all dem feinen Tuna Sashimi mit Chiliöl, Fisch Tartar und Hühnerleber mit Sherry-Essig noch kann, dem sei die Cheesecake mit Ziegenmilch Joghurt und Sauerrahm ans Herz gelegt. Unsüß, intensiv, einzigartig!

Verlässt man mit diesen tiefen Eindrücken die hügelige Landschaft Judäas gen Westen, geht es abwärts Richtung Mittelmeer und Tel Aviv. Tel Aviv! Mit jedem Kilometer lässt man ein Stück emotionale Verdichtung und Verwirrung hinter sich, das Atmen wird freier und schließlich taucht man in eine unglaubliche Mischung aus manischer 24-Stunden-Großstadt, gläsernen Wolken­kratzern, Strand, Strand und noch einmal Strand. Es scheint, als wäre hier die ganze Stadt. Sonnen, surfen, laufen, tanzen, rumhängen, Spaß haben. Der Blick reicht von Old Jaffa bis Herzliya, dazwischen Sand, Meer und Himmel. Das macht froh und fröhlich. Ungebremst greift gute Stimmung um sich. Tel Aviv ist alles, was Jerusalem nicht ist. Ohne lange Geschichte, ohne heilige Stätten. Was es hat, sind Bars, Restaurants, Party und Beach. So haben die Tel Avivians für ihre junge Stadt schon Auszeichnungen wie „Beste Urbane Strände“, „Bestes Nachtleben“ und natürlich auch schon „Beste Foodie-Szene“ bekommen. Zu Recht.

Inmitten der berühmten und hippen Shenkin Street – in den 80er Jahren Zentrum einer alternativen Musik- und Theaterszene, heute die Einkaufsstraße für coole israelische Designerstücke und andere funky Dinge – befindet sich eine kulinarische Institution: das Orna & Ella. Es wurde vor mehr als zwanzig Jahren, 1992, von den damaligen Studenten Ella Shein und Orna Agmon eröffnet. Seitdem ist es fester Bestandteil für Tel Aviver Lifestyle und Spirit. Die sehr einfache, aber nicht unsympathische Bistro-Atmosphäre darf einen nicht abschrecken, traditionelle israelische Gerichte sowie einige neue Interpretation machen die etwas karge Atmosphäre wieder wett. Suppen, Salate, Fleisch und Pasta werden mit frischen und hochwertigen Zutaten bereitet. Im Orna & Ella verschmelzen unzählige Gewürze zu einem großartigen Geschmackserlebnis: Egal ob salzig wie ein perfektes Moussaka aus Tomaten- und Gurken­salat mit Fetakäse und Joghurt-Minze-Dressing oder die Spezialität des Hauses: Süßkartoffelpuffer.

Nur wenige Gehminuten entfernt liegt das mondäne Hotel Montefiore. Das 1922 als Privatresidenz erbaute Haus wurde aufwendig restauriert und im üppigen Kolonialstil eingerichtet. Dunkle Holzmöbel, schwere Lederfauteuils, Palmen und Deckenventilatoren dominieren sowohl die schummrige Bar als auch das elegante Restaurant. Die Küchenlinie ist passend zur gut situierten internationalen Gästecrowd klassisch französisch mit einem vietnamesischen Touch. Die Speise­karte reicht vom eher 08/15-Krabbencocktail über ausgezeichneten rohen Thunfisch mit Yuzu oder feine Muscheln mit Zitronengras bis hin zu deftig-knusprigen Lammkoteletts oder einer gut gewürzten Pekingente mit Ingwer. Rund um das Montefiore, nahe des bekannten Rothschild Boulevards mit seinen weißen Häusern im Bauhaus-Stil, kann man bei Tag zwischen zahlreichen Cafés flanieren und bei Nacht ausgiebig feiern.

In einer Gegend, in die man nicht einfach so schlendert, östlich des Ayalon Freeway steht der von den Architekten Baranowitz und Kronenberg erbaute 165 Meter hohe Wolkenkratzer, der Electra Tower. In diesem hat einer der Pioniere der Tel Aviver Gourmetrestaurant-Szene, mittlerweile Celebrity Koch und Good-Cop-Juror einer Kochshow, Haim Cohen, sein neuestes Restaurant eröffnet. Es liegt aber nicht wie man annehmen könnte hoch oben mit Blick auf die Stadt, sondern ebenerdig. Das macht aber nichts. Glasfenster bis zum Boden lassen das Lokal in dem sonst eher finsteren Business-Viertel von außen hell erleuchtet scheinen. Riesige Industrielampen sorgen im reduziert designten Lokal für Helligkeit. Von den Betonwänden hängen türkische Teppiche und die Möbel sind aus recyceltem Holz vom Niederländer Piet Hein Eek. Der angesagte Designerlokaltempel erinnert an „places to be“ in New York oder Hongkong – mit Sicherheit ein Wohlfühlort für Kosmopoliten und die schicke Tel Aviver Szene. In der offenen Küche (ohne geht es kaum mehr) verbindet Cohen Gerichte seiner Ashkenazi-Großmutter mit mediterranen Einflüssen – basierend auf viel Fisch, Meeresfrüchten und natürlich frischem Gemüse und jeder Menge Gewürzen. Israelische Fusion-Kitchen auf höchstem und teuerstem Niveau in the Middle of Nowhere. Aber: Es sind ja nur wenige Taximinuten, um wieder im hemmungslos fröhlichen Tel Aviver „Party-Nightlife“ zu versinken. Und wer das nicht macht, versteht nichts von Israel. Versteht nichts vom Leben.

Orna & Ella
Pioniere der neuen israelischen Küche: einfaches Ambiente, geschmacks­intensive Gerichte.
Sheinkin 33
www.ornaandella.com

Restaurant Hotel Montefiore
Mondän: französische und vietnamesische Küche
Montefiore 36
www.hotelmontefiore.co.il

Yaffo Tel Aviv, Haim Cohen
Angesagt & teuer: Israelische Fusion Kitchen
Yigal Alon 98
Electra Tower
www.yaffotelaviv.com

Manta Ray
Klassiker am Strand: frische Fische & Meeresfrüchte in großer Auswahl
Charles Clore Park 703, Promenade Tel Aviv
www.mantaray.co.il

Dr. Shakshuka
Bodenständiges israelisches Essen: Das beste Shakshuka (Nationalgericht mit sehr hohem Sympathie­grad)
Beit Eshel St 3
www.doctorshakshuka.co.il

Zepra
Schick: Thai Fusion – ­asiatische und japanische Küche.
Yigal Alon St 96,
www.zeprarest.co.il

Claro im Sarona Market
Gute Lage: Fusion, mediterran, europäisch, israelisch
Rehov Ha’Arba’a 23
Corner of David Elazar 30
www.clarotlv.com

North Abraxas
Sympathisch-chaotisch: mediterrane, israelische ­Küche
Lilienblum 40
www.facebook.com

The Old Man And The Sea
Der Klassiker im alten Hafen von Yafo: groß, grell, laut und unzählige Gerichte
Kedem 85
www.2eat.co.il

Adressen Jerusalem
1868
Elegant und kreativ: koschere Gourmetküche
King David 10
www.1868.co.il

Machneyuda
Laut und temperamentvoll: marktfrische israelische Küche
Beit Ya’akov 10
www.machneyuda.co.il

Mona
In einer Galerie: israelisch modern interpretiert
Shmuel Hanagid 12
www.monarest.co.il

Touro
Im Herzen des male­rischen Viertels Mish-kanot Sha’ananim: mediterran-koscher
Sh.  A.  Nachon 2
www.facebook.com

Spoons
Familiär und tolle Aussicht: mediterran, israelisch, koscher
Tura 27, in Yemin Moshe

Chakra
Trendy & laut: nicht koschere, internationale Küche in orientalisch/­israelischer Interpretation
King George 41
www.chakra-rest.com

Dolphin Yam
Seit 44 Jahren beliebt: nicht koscher, mediterran, Fisch, Meeresfrüchte
Shimon Ben Shetach 9
www.rol.co.il

Hatzot
Grillhouse: koscher und fleischig, klassisch orientalisch-israelisch
Agripas 121, nahe dem Machane Yehuda Markt
www.hatzot.co.il