Endlich wieder

Australien nach dem Lockdown – endlich wieder bereisbar. 253 Tage en suite waren die Restaurants und Weinbars in Sydney geschlossen und präsentieren sich nun wieder in ihrer ganzen Pracht.

Foto von Nikki To
Text von Hans Mahr

Einen schöneren Platz gibt es in ganz Sydney nicht. Zur Rechten liegt das berühmte Opernhaus, vorne majestätisch die Harbour Bridge, die Sydney Bay glänzt malerisch im Sonnen­untergang und die quirligen Möwen spazieren auf der Hafenmauer.

Das Essen kommt in der freiluftigen Opera Kitchen nicht einfach auf den Teller, sondern mit einer durchsichtigen Gitterhaube. Wie bitte, was soll diese komische Abdeckung? „Heute sind ­unsere Möwen etwas hungrig, warum auch immer …“, sagt der freundliche Kellner und deutet auf die Fish & Chips. „Einmal abbeißen und dann wieder unter die Haube mit dem Fisch, sonst …“

Was „sonst“ bedeutet, erlebt der Gast Minuten später. Etwas zu lange abgebissen, und schon rast eine Möwe im Tiefflug zum Tisch, pickt den halben Fisch samt Papier aus der Hand und ist auf und davon, bevor man sich noch vom Schock erholen kann. Schade drum, denn die Fish & Chips hier in der Opera Kitchen auf der Hafenmole sind die besten, die man weit und breit finden kann.

Zwei volle Jahre lang konnte man covidbedingt nicht nach Australien einreisen, der Kontinent hatte sich total abgeschottet. Und auch im Land selbst war der längste Lockdown in der Geschichte angesagt: 253 Tage en suite waren die Restaurants und Weinbars zu. Jetzt ist alles wieder offen und zugänglich, Australien, Sydney und die Kulinarik. Ein Erlebnistrip durch die Gaststätten der Pazifikmetropole zahlt sich aus. Denn was Feinschmecker schon länger wissen, wird auch jetzt nach dem Lockdown unter Beweis gestellt: Die Zeiten, in denen Bier und Steaks, einfachste Weine und verbratene Fische als kulinarische Höhepunkte gegolten haben, sind längst und – Gott sei Dank! – unwiderruflich vorbei. Und derjenige, der die Revolution von der rückständigen Grill-Kulinarik zum multikulturellen Gourmet-Eldorado eingeleitet hat, ist immer noch die Nummer eins in Australien.

Neil Perry heißt er, und alles begann nach einem längeren Aufenthalt in Frankreich: „Ich habe immer französisch gekocht in Sydney, aber die Nouvelle Cuisine, die ich dort erlebt habe, hat mich sehr beeindruckt.“ Und so beschloss Perry, die Leichtigkeit der neuen französischen Küche auch nach Hause zu importieren. Anfang der 90er-Jahre eröffnete er im alten „The Rocks“-Viertel am Hafen sein erstes eigenes Lokal, das Rockpool, verarbeitete die asiatischen Einflüsse hierorts und wurde zum Begründer des australischen Küchenwunders.

Das alte Rockpool am Hafen gibt’s nicht mehr, dafür ein neues in einem alten Bankgebäude in der Innenstadt, das Neil Perry gemeinsam mit gut betuchten Investoren als Rockpool Bar & Grill aufgemacht hat. Hier wird nicht mehr so viel experimen­tiert wie damals am Hafen, dafür gibt’s eine erstklassige Küche mit seinen Kreationen: Beim Seafood sind es King Prawns mit Ziegenkäse-­Tortellinis, ­Pinienkernen und Rosinen, gebackene Calamari mit Macadamia-Nüssen und kambodschanischen Kampot-Pfeffer, Korallenforelle mit Kokos, Chili und Curryblättern, und auf der fleischigen Seite ­stehen geräucherter Schinken mit Zwiebelcreme und Tonkabohnen, ein halbes Huhn mit Artischocken in zerlassener Butter sowie jede Art von Steaks (am besten das 60 Tage gereifte Rib­eye am Knochen) zur Auswahl. ­Alles erstklassig, gediegen.

Aber wer den echten Neil Perry und seine Küche kennenlernen will, muss weiter östlich nach ­Double Bay fahren, ins Margaret. Das gehört ihm ganz allein, dort muss er keine Rücksicht auf Investoren nehmen. Im Margaret ist es gemütlicher, lauter, aber auch noch interessanter. Zum Start frische Sydney-Rock-Austern mit einer sensationellen Lime-Salsa, Artischockensalat mit Pecorino, Fenchel, Blutorange und Nüssen und zum Hauptgang entweder den Garfish (auf Deutsch Hornhecht) mit Bergamotte-Zitronen, grünen ­Oliven, Petersilie und Chiliöl oder die Entenbrust mit scharfen Roten Rüben und Honig. Dazu den gegrillten Kürbis mit Buttermilch oder die kleinen Erbsen mit Anchovis, Chili und Knoblauch, da kommt Geschmacksfreude auf. Und wer noch nicht restlos satt ist, der bestellt die große australische Käseplatte, da bedarf es keiner Sehnsucht nach Frankreich, auch beim Käse hat der Kontinent ordentlich aufgeholt.

Da wie dort kommt man mit hundert Euro pro Person locker durch – und da ist schon ein ordentlicher Chardonnay von Margaret River oder ein süffiger Shiraz aus dem Barossa Valley drin. Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass die australischen Weine Spitzenklasse repräsentieren, anfangs mithilfe französischer, deutscher und auch öster­reichischer Winzer, jetzt mehr oder weniger im Alleingang. Und auf jeder Menükarte, auch in den teureren Lokalen, finden sich hervorragende Tropfen zu leistbaren Preisen – bei einer Investition
von fünfzig bis sechzig Euro kann man schon was sehr Ordentliches auf den Tisch bekommen.

Weil gerade von den teureren Ess­tempeln die Rede war: Drei der Haute-Cuisine-Restaurants bieten tatsächlich Spitzenklasse, wenn auch zu recht gehobenen Preisen. Zwei davon werden vom zweiten ­australischen Kochstar Peter Gilmore geleitet, Quay und Bennelong. Beide sind ideal platziert – das erste genau zwischen Harbour Bridge und dem berühmten Opera House, mit Blickkontakt zu beiden, das andere direkt gegenüber an der Oper. Quay ist das spannendere von beiden, noch dazu mit dem schöneren Ausblick. Chef Gilmore arbeitet exklusiv mit Farmern und Fischern zusammen, damit das Frischeste und Beste auf den Tisch des Hauses kommt.

Das 8-Gänge-Menü gibt tatsächlich einen Überblick über die besten aus­tralischen Produkte: Austern und Prawns zum Einstieg, Pilze mit Tintenfisch, Nudeln mit Rindermark und Krabben, Ente mit Blaubeeren, geräuchertes Schweinsconfit mit Salami, Artischocke und Treviso – und nichts davon ist importiert. Drei Stunden und 240 Euro pro Person ohne Wein muss man für dieses kulinarische Fest einplanen. Ein bisschen billiger (und weniger) wird es im gegenüberliegenden Bennelong, wo drei ­exemplarische Gänge bereits um 120 Euro serviert werden.

Ein Altmeister der japanisch-australischen Küche werkt in der Innenstadt, leicht abgesetzt vom City-Trubel mit Zen-Garten als Ausblick. Das Tetsuya’s des gleichnamigen Chefs ist seit mehr als dreißig Jahren ein Evergreen der Sydney-Kulinarik – zwischenzeitlich so erfolgreich, dass er auch zwei Restaurants in Singapur aufgemacht hat. Die zehn Gänge in seinem Tetsuya’s in Sydney zählen jedenfalls zum Besten, was man in Australien bekommen kann, eine ideale Liaison zwischen Japan und Australien. Feinstes Sashimi, Jakobsmuschel, Whiting-Fish, Austern, Schwein, Wagyu-Beef – alles, was gut und teuer ist, kommt zeremoniell auf den Tisch. Und zwar in extremer Geschmacksprägung. Ein Beispiel für Tetsuyas Kombinations­liebe: Der Fisch kommt in einer Austern-Kräuter-Emulsion mit Wassermelone und japanischem Rettich – klingt kompliziert, schmeckt fantastisch. Hat aber auch seinen Preis, 200 Euro immerhin. Wer dazu gar eine Weinbegleitung will, darf noch einmal 120 Euro auf den Tisch des Hauses legen.

Weit billiger und noch etwas experimenteller geht es bei Saint Peter in Paddington, zwanzig Minuten von der City entfernt, zu. Doch das Essen ist die Reise wert. Chef Josh Niland sorgte für Aufregung, als er vor fünf Jahren das Saint Peter vollmundig mit dem Satz „Ich werde die Zubereitung von Seafood neu erfinden!“ eröffnete. Aber er hat Wort gehalten. Zum Einstieg gibt es eine „Tuna-Salami“, die tatsächlich so aussieht, wie sie heißt. Gepresster, getrockneter Thunfisch in einer Rolle – und vier Scheiben ­Salami kommen auf den Teller, nicht schlecht, zumindest ungewöhnlich. In ähnlicher Manier geht es weiter: Die eingelegte Makrele wird auf Butterbrot präsentiert, die kleinen auf Holzkohle gerösteten Flusskrebse kommen mit schwarzem Knoblauch und handgepflückten Kapern, und der zwölf Tage dry-aged Schwertfisch wird im eigenen, gebratenen Bauchspeck eingerollt serviert. Das alles geschieht vor den Augen der Restaurantgäste, die vom Barhocker aus dem Treiben der Köche zusehen. „Am Anfang waren die Gäste etwas verwirrt!“, gesteht Chef Josh und lacht. „In der Zwischenzeit kommen sie gerade deshalb, weil wir so anders sind.“ Dem kann man sich nur anschließen und rechtzeitig reservieren, denn der Laden brummt.

Wer Seafood „normal“, aber in höchster Perfektion genießen will, muss nach Darling Harbour auf die andere Seite der Brücke. Dort im Cirrus gibt es alles, was das Meer hergibt, in gewohnter, aber doch moderner Form: Austern, Jakobsmuscheln, Tintenfisch, Krabbe, Forelle, Kingfish, Tuna und natürlich Hummer satt. Den sollte man jedoch 48 Stunden vorher telefonisch bestellen, dann wird er wirklich frisch geliefert, gekocht und mit Kräuterbutter serviert. 80 Euro kostet das Menü, nur der Hummer ist extra, dafür ist der grandiose Ausblick aufs Meer gratis.

In der Küche des hochgelobten Firedoor gibt es weder Gas noch Strom, auf den drei Öfen wird über Holz gekocht und gegrillt – alles vom Brot bis zu Pilzen, Kabeljau, Schweine- und Rindersteak. Und das hat auch seinen Reiz, vor allem, weil Chef Lennox Hastie sich seine Tricks als Souschef bei Victor Arguinzoniz im baskischen Asador Etxebarri – immerhin Nummer sechs auf der World’s 50 Best-Liste – abgeschaut hat.

Aber natürlich ist ein Trip nach Sydney ohne den Besuch des berühmten Bondi Beach undenkbar. Denn dort spielt sich das wahre Leben ab, hier wird gesurft und geschwommen (allerdings besser im Meerwasserbecken, denn die Brandung ist wirklich stark), hier zeigen sich die Beach Boys und Girls, hier speist die Hautevolee. Natürlich im verglasten Iceberg Dining Room mit Blick auf Bondi Beach. Dort ist man ein wenig italienisch angehaucht, hat Gamberetti und Agnolotti genauso auf der Speisekarte wie Stracciatella und Tiramisu. Achtung, mit kurzen Hosen kann man nicht eintreten, am Abend geht es ein bisserl nobel zu. Gemütlicher speist man am anderen Ende des Bondi Beach. Das Sean’s Bondi serviert „Farmhouse Kitchen“, Sean schreibt mit Kreide auf die Tafel, was er heute vom Bauern bekommen und was er daraus gemacht hat: Karfiolsuppe, gebackener Kabeljau, ein halbes Huhn mit Kürbis und Oregano, die Qualität schwankt, manchmal kommen Fisch und Fleisch nur halb warm und leicht verkocht – aber wie gesagt, es ist gemütlich hier mit den Korbstühlen und den bunten Postern an der Wand.

Wussten Sie übrigens, dass die chinesischen Ein­wanderer schon sieben Prozent der australischen Bevölkerung ausmachen? Das sind mehr als die Zahl der ­Ureinwohner, der Aborigines. Keine Frage daher, dass auch die kulinarische Szene von chinesischen Restaurants ­geprägt wird. Das bekannteste nennt sich Mr. Wong, residiert auf zwei Stockwerken und hat fast 200 Sitzplätze. Von gemütlich kann also hier keine Rede sein. Aber die kantonesische Küche ist nahe am originalen Vorbild, und die Preise ermöglichen, auch mit der ganzen Familie am runden Tisch zu sitzen und Hot & Sour-Soup mit Krabben, Frühlingsrollen mit Ente, Chicken und Jellyfish-Salat sowie Beef mit Pfeffer und Zwiebeln aus dem Wok zu speisen. Allerdings, wer gerne Dim-Sum hat, die berühmten chinesischen Teigtaschen, der sollte zu Mittag bei Lucky Kwong vorbeischauen, Frau Kwong serviert die besten.

Und wer all diese kulinarischen Höhepunkte in Sydney genossen hat, der kann sich zum Absacker wieder auf die Holzbank der Opera Kitchen setzen und diesmal nur ein Glas australischen Champagners trinken. Denn auf den sind die allgegenwärtigen Möwen nicht so scharf, und man kann ihn unbehelligt austrinken. —

Auf TheHans.tv gibt es ein Video von Hans Mahrs Sydney-Reise zu sehen.

Adressen

Opera Kitchen
operakitchen.com.au

Rockpool Bar & Grill
rockpoolbarandgrill.com.au

Margaret
margaretdoublebay.com

Tetsuya’s
tetsuyas.com

Quay
quay.com.au

Bennelong
bennelong.com.au

Saint Peter
saintpeter.com.au

Cirrus
https://www.bentleyrestaurantgroup.com.au/cirrus

Icebergs
icebergs.com.au

Sean’s Panaroma
seansbondi.com

Mr. Wong
Instagram: mr.wongsydney

Lucky Kwong
luckykwong.com.au

Firedoor
firedoor.com.au

Geräucherte Aal-Creme mit Seegurken-Knusper und ­Osietra-Kaviar.
© Nikki To
Im Quay, zwischen Harbour Bridge und Oper gelegen, kommen stets die besten australischen Produkte auf den Tisch
© Nikki To
Peter Gilmore arbeitet im Quay ausschließlich mit heimischen Zutaten, importiert wird nichts.
© Nikki To
Peter Gilmores Ochsenschlepp-Gang mit Maroni, schwarzem Knoblauch und Trüffel.
© Nikki To
Im Firedoor gibt es weder Gas noch Strom, Chef Lennox Hastie (unten) bereitet vom Brot bis zu den Desserts alles über offenem Feuer zu.
© Nikki To
© Nikki To
© Nikki To
Im Cirrus bereitet Brent Savage Meeresfrüchte in höchster Perfektion zu.
© Leigh Griffiths, Cirrus
© Leigh Griffiths, Cirrus
© Leigh Griffiths, Cirrus
Chef Tetsuya Wakuda zelebriert in seinem ­Restaurant Tetsuya’s japanisch-austra­lische Fusions­küche vom Allerfeinsten.
© Petrina Tinslay