Hamburger massgeschneidert

Die Mühen der Ebene oder Wie ich meinen Imbiss lieben lernte

Hamburger massgeschneidert

Text von Christian Seiler Illustration: Markus Roost
Es ist nicht lang her, dass ich wieder einen Versuch unternahm. Ich spazierte hungrig den Berliner Kurfürstendamm hinunter und hielt nach Stärkung Ausschau. Ich hoffte auf einen kleinen Italiener, der selbst gebastelte Sandwiches verkauft oder wenigstens auf einen der reizenden Chiquita-Shops, wo man sich Obst in dichte Flüssigkeiten verwandeln lassen kann. Aber zwischen Kleider-, Telefon- und Schuhgeschäften lockte bloß ein McDonald’s, er lockte zwar nicht sehr, aber ich erlag dem Werben. Hamburger Royal, kleine Pommes frites, ein Coca-Cola, aus dem ich gleich einmal die Eiswürfel herausklaubte. Damit handelte ich mir immerhin gratis einen hässlichen Plemplem-Blick der umstehenden Jugendlichen ein.
Wie der Hamburger war? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich mich bis in den späten Abend hinein nicht von der Mahlzeit erholt hatte. Völlegefühl, Zwiebelgeschmack, Nahrungsunlust: im Wesentlichen das, was ich als Ergebnis entsprechender Mahlzeiten in Erinnerung gehabt hatte. Versuch gescheitert.
Dabei würde ich den Hamburger gern lieben. Ich erinnere mich mit geschlossenen Augen an die prächtigen Exemplare, wie sie in der Lobby des Soho Grand Hotels in New York serviert werden: das Fleisch nicht platt gedrückt, als ob ein Pickup-Truck darübergefahren wäre, sondern von majestätischem Volumen, direkt vom Grill und keinesfalls zu lange gebraten, sondern medium mit leichter Tendenz zu rare. Freilich wird der Burger im Soho Grand auch nicht als Snack verkleidet, sondern als das serviert, was einem Viertelkilo Rindfleisch netto zusteht, nämlich als Hauptmahlzeit. Die Einfassung durch die Semmel und das bisschen Salat und Gemüse, das mitgeliefert wird, sind reine Kosmetik.
Der gute Hamburger ist übrigens genauso Gegenstand heftigen Ermessens wie hierzulande die angeblich besten Buren-, Brat- und Leberwürste: Jeder redet mit und zieht einen Geheimtipp aus dem Zylinder. Ich ließ mich von einem amerikanischen Freund einmal quer durch Manhattan nach Greenwich Village schleppen, um in einem kleinen Texas-Café, das er als Brutstätte des idealen Hamburgers identifiziert hatte, einen reichlich verkohlten Fleischbrocken vorgesetzt zu bekommen, zwar in fein getoastetes Brot verpackt und begleitet von einer schmackhaften Sauce, aber schlussendlich doch verkohlt und trocken. Befund: Der ideale Hamburger war das nicht.
Aber wenigstens konnte ich an der Quelle recherchieren. Immerhin verbreitet der "State of New York", dass der Hamburger hier erfunden worden und daher als "New York’s Gift to World Cuisine" zu verstehen sei. Die zugehörige Theorie: Im Jahr 1885 wurde auf einem Jahrmarkt im Erie County, nahe der Stadt Hamburg bei Buffalo, von einem Brüderpaar namens Menches ein Imbissstand eingerichtet. Spezialität des Hauses: Hot Pork, heißer Schweinebraten. Als der Küche wegen des regen Interesses das Schweinefleisch ausging, sei man auf Rindfleisch ausgewichen. Die neue Kreation habe von da an den Namen des nächst gelegenen Ortes getragen: Hamburger.
Ob das stimmt, weiß niemand. Eine Konkurrenztheorie verortet den Hamburger in die Hansestadt im Norden Deutschlands. Dort gab – und gibt – es einen traditionellen Snack namens "Rundstück warm", wofür ein Stück Braten mit einer Sesamsemmel verheiratet wird. Ein wiederum amerikanisches Kochbuch verwendete 1891 zum ersten Mal den Begriff "Hamburger Steak" für ein Gericht aus Rindsfaschiertem. Sobald dieses gegrillte Artefakt mit Brot oder Semmel kombiniert wurde, sollte es "Hamburger Sandwich" heißen – ein Name, der sich mit zunehmender Popularität der Speise als zu lang erwies. Seit den fünfziger Jahren bezeichnet das schmale Wort "Hamburger" in Amerika sowohl die verwendete Sorte Fleisch – Rind, mager – als auch den Imbiss. Auf diesen Imbiss konzentrierte ich mich.
Ich burgerte mich durch New York. Besser als im Soho Grand wurde der Hamburger nicht. Ich reiste nach Arizona, in die Rocky Mountains. Je weiter von den großen Städten entfernt, desto McDonald’s die Hamburger: das Fleisch von der Stange, überschmeckt von Convenience-Sauce. Es bewahrheitete sich meine traurige These, dass gerade die einfachsten Dinge urbane Sorgfalt brauchen, um ihren ländlichen Ursprung gebührend feiern zu können.
Erlaubt mir zur Beweisführung eine kurze Abschweifung. Gerade bestellte ich mir auf einer Alm in der Nähe von Dorfgastein eine Pfanne weithin gelobter Kasnocken. Die Mahlzeit wurde zwar pittoresk serviert, erwies sich aber bereits bei der ersten Gabel als schlicht unessbar, der Käse, mit dem die Nocken überschmolzen worden waren, fragwürdig. Die gerösteten Zwiebeln aus dem Packerl, genauso der klein geschnittene Schnittlauch. Ein unerbittlicher, puppenküchenmäßiger Hautgout, und dazu ein echtes Ärgernis. Hatten die Herrschaften in der Küche denn keine Zeit, keinen Platz oder keine Lust, um eine Zwiebel frisch zu rösten oder einen Bund Schnittlauch zu schneiden? Immerhin kostete die Pfanne 15 Euro. Und warum verstanden sie nicht, warum ich mich aufregte? Ich sah dem strammwadlerten Kellner an, dass er keine Ahnung hatte, was mir nicht gefiel, als ich die Pfanne zurückschickte. Schade um die Nocken, sagte er noch.
Ich erinnerte mich, als ich kopfschüttelnd die Hütte verließ, an mein Kopfschütteln über die schlechten Burger im mittleren Westen, die ihrerseits den einzigen Vorteil gehabt hatten, dass sie rund um die Uhr serviert wurden, 24 Stunden pro Tag.
Das Ergebnis meiner vierwöchigen Case Study im Land der unbegrenzten Möglichkeiten war erschütternd. Der Reihenversuch brachte mich nicht weiter und wurde abgebrochen. Ich stieß nur einmal, und zwar an ganz anderer Stelle, auf einen Hamburger, der mich begeisterte. Das war im Zürcher "James Joyce Pub", einem Wirtshaus, das eine große Schweizer Bank in Dublin abtragen ließ, um es in Zürich neu aufzubauen. Die Bank wollte damit dem Dichter die Ehre erweisen, der seine letzten Jahre in Zürich verbracht hatte und auf dem Friedhof Fluntern begraben liegt, und der Zufall will es, dass ausgerechnet hier der Hamburger nicht nur anständig ist, sondern mehr als das. Aber das beantwortete meine Frage nicht. Was macht einen Hamburger zum Leckerbissen.
Es brauchte, so viel war mir klar, die ordnende Hand des Spitzenkochs. Gut, dass Eckart Witzigmann zur Stelle war. Er lieferte verbindliche Anleitungen zur privaten Produktion eines Hamburgers, der diesen Namen ehrt und sich weder mit Bic Mac noch Whopper gemein macht, sondern das Gericht dort einordnet, wo es hingehört, in die Kategorie "Delikatesse".
Das hat Folgen. Sie müssen den Hamburger selbst zubereiten und sie müssen seine Bestandteile an den besten Adressen einkaufen. Zum Beispiel dürfen Sie nicht im Supermarkt in das Regal "faschiertes Rindfleisch" greifen, sondern müssen beim Metzger Ihres Vertrauens Rinderlende samt Fettrand bestellen, pro Person 180 Gramm. Am besten drehen Sie das Fleisch daheim durch den Fleischwolf, direkt vor der weiteren Verarbeitung. Sollten Sie kein solches Gerät besitzen, darf das schon der Metzger für Sie erledigen, Sie sollten dann allerdings nicht länger als zwei, drei Stunden warten, bevor Sie den Delikatess-Burger wie folgt zubereiten:
* Eine Sesamsemmel halbieren und in der gebutterten Teflonpfanne goldgelb braten.
* Aus dem Fleisch ein lockeres Küchlein formen, dieses außen salzen und pfeffern, anschließend auf Grillstäben (oder in der Pfanne) braten – nicht zu lange herumfackeln, das Fleisch ist ausgezeichnet,
es sollte keinesfalls durchgebraten und dabei ausgetrocknet werden.
* Nun verrühren Sie 2 Esslöffel Mayonnaise mit etwas Kren, schneiden eine Zwiebel und eine Tomate in dünne Scheiben, vielleicht gönnen Sie dem Burger auch noch ein bisschen Gurke.
Was Sie dazu essen sollen? Handgeschnitzte Pommes frites natürlich. Was sonst.