Helga Baumgärtl in Moskau

Wodka: aus dem Russischen, Di­mi­nu­tiv für Wasser, sprich Wässerchen ist eine meist farblose Spirituose mit einem Alkoholgehalt von idealerweise vierzig Volumprozent. Sagt Wikipedia.

Text von Helga Baumgärtel

Im piekfeinen Moskauer Hotel Baltschug Kempinski kann man allein an der Bar 115 Sorten Wodka probieren. „Der Russian Standard Platinum aus St. Petersburg zum Beispiel“, erläutert der Food & Beverage-Manager, „ist für mich der klassische russische Wodka. Genauso wie der hier, schnuppern Sie mal, ein schöner komplexer Beluga Gold Label aus Sibirien.“ Die 115 Wodkasorten des Baltschug – im Russischen wird er mit „V“ geschrieben – sind aber nur ein Tropfen im riesigen internationalen Wodka-Meer. Etwa 6.000 verschiedene Marken gibt es weltweit.

Leonard Cernko, gebürtiger Österreicher und der F & B-Manager des Kempinski Hotels Baltschug, probiert mit mir nun schon seit einer Stunde das – nach wie vor – Volksgetränk der Russen.

Ja, ja, ich weiß, Wodka in Mengen ist gefährlich – stünde bei uns wahrscheinlich auf der Flasche –, und die Lebenserwartung der Russen liegt ja auch nur bei kurz über sechzig Jahren …

Die vergoldeten Kuppeln rund um den Kreml – die Aussicht vom Kempinski ist spektakulär – beginnen sich leicht zu verdoppeln. Hick! Vierzig Prozentiges in einer exzessiven Menge – wobei wir nur einen Teil der rein-russischen „Wässerchen“ probieren – artet selbst für eine professionelle Zunge in harte Arbeit aus!

Dazwischen schaut kurz mal Oliver Eller vorbei. Eller ist der Generaldirektor des Baltschug, und beide kennen sich aus gemeinsamen Zeiten im Berliner Hotel Adlon und dem Ritz-Carlton Moskau, das Eller 2007 eröffnete.

Ein Glas-und-Stahl-Palast übrigens und Lieblingshotel der Moskauer Millionäre. Schätzungsweise 50.000 davon gibt es in der Stadt. Die Maybach-Limousinen mit abgedunkelten Scheiben, die Ferraris und Porsches drängeln sich vor der Hotelauffahrt. Oben in der super eleganten „O2 Lounge“, deren Terrasse vom österreichischen Designstudio Destilat (destilat.at) gestaltet wurde, mit tollem Blick auf den Roten Platz und den Kreml, versammelt sich alles, was Rang und Namen hat – und das nötige Kleingeld vorweisen kann. Sehen und gesehen werden, lautet das Motto.

Die beste Sushibar der Stadt befindet sich oben im zwölften Stock unter der riesigen Glaskuppel. Und zum „Nachspülen“ warten über 200 Wodkasorten. Falls es mal kein Wodka sein sollte: Den 2000er Dom Pérignon gibt es für knappe 2.000 Euro.
Am nächsten Morgen kutschiert uns der Hotel-BMW (Taxis, Lektion No. 1 in Moskau, sollte jeder meiden, der nicht des Russischen einigermaßen mächtig ist, denn die Fahrer haben meistens weder Taxameter noch englische Sprachkenntnisse und verlangen nach Gutdünken). Der Chauffeur brachte uns zum wohl schönsten Handwerksmarkt in Russland, dem Ismailowski Park vor den Toren Moskaus. Hier können Sie alles viel günstiger erwerben als in der Stadt: die bemalten Puppen, Teppiche aus dem Süden Russlands, alten Silberschmuck, Ikonen (neue, denn die Alten dürfen nicht ausgeführt werden!), Samoware und Bernstein.

Die jüngste Attraktion aber ist ein kultureller Vergnügungskomplex mit dem Namen „Kreml w Izmajlova“, ein kunterbuntes Disneyland russischer Geschichte. Angeführt vom neuen Wodka-Museum.

Hübsche russische Studentinnen führen mit lustigem Englisch durch die 500 Jahre währende Geschichte des russischen Nationalgetränks, erstmals konsumiert anno 1470 im Tschudow-Kloster zu Moskau. Und die Zaren haben im Laufe der Jahrhunderte am Wodka-Monopol fast so viel Geld verdient wie heute die Öl-Multis am Schwarzen Gold.

Die Girls erzählen von Zar Peter dem Großen, der viel für die Verbreitung des Wodka tat und selbst gern zur Flasche griff. Allerdings lag damals der Alkoholgehalt bei „nur“ achtzehn Prozent. Trotzdem, wer zu einer Feier des Zaren zu spät erschien, musste zur Strafe einen ganzen Liter Wodka auf einmal hinunterspülen. Und so entstand der in Russland immer noch praktizierte Brauch, verspäteten Gästen als erstes ein „Straf-Gläschen“ einzuschenken.

Die Wodka-Fabrikanten wurden zu Millionären; Peter Smirnoff zum Beispiel, der Lieferant des Zaren. Sein Sohn musste zwar nach der Oktoberrevolution 1917 aus Russland fliehen und verlor sein gesamtes Vermögen, aber er baute das Unternehmen in Konstantinopel und Paris erfolgreich wieder auf.

Oder der Wodka-Produzent Nikolai Schusstow. Dieser hatte eine ausgeklügelte Vermarktungsstrategie: Er bezahlte junge Studenten dafür, dass sie in renommierten Restaurants seine Produkte bestellten. Gab es im Restaurant keinen Schusstow-Wodka, sorgten sie mit lautstarken Beschwerden für gewaltiges Aufsehen. Am nächsten Tag kam der Vertreter von Schusstow, und flugs deckte sich das Restaurant mit den Schusstow-Spirituosen ein.

Die Zeiten der Prohibition, erst unter Lenin, dann unter Gorbatschow (der nur einen Liter pro Monat per Gesetz verordnete) markieren nur einen Tropfen im großen Wodka-Fass. Von der Theorie im Museum an den Tresen: im Restaurant Tractir gleich nebenan (geöffnet von 12 bis 24 Uhr) kann man quer Kornfeld probieren, was heutzutage über 600 Wodka-Produzenten allein in Russland so alles aus Weizen oder Gerste brennen.

Sanft und engelsgleich zum Beispiel die „Snow Queen“ unter schickem Dekor. Niedlich als Souvenir sind die bemalten Puppen mit aromatisiertem Wodka. Die Gelben haben ein Honig-Wodka-Cocktail in ihrem
dicken Bäuchlein, die Roten einen Wodka-Cranberry-Drink.

Zurück an den Fluss …

Am Abend lassen wir uns mit Blick auf das Lichtermeer des Kreml vom Sommelier des Baltschug in Sachen russischer Wein einstimmen. Gibt es den denn überhaupt? Aber ja! Rund um die Krim (Stichwort Krim-Sekt) ist etliches an neuen Winzern und Ideen gewachsen.

Zum Beispiel das „Château le Grand Vostock“ in der Region (Vorsicht, Zungenbrecher!) Krasnodarsky, das mit französischen Önologen seit 2004 eine Palette sehr guter Sekte, Weiß- und Rotweine anbietet. Oder auch der Schweizer Claude Burnier, der mit seinem Cabernet Sauvignon ein Geheimtipp ist und sich nicht in den Moskauer Weinkarten befindet, denn die neureiche Russen-Schickeria schlürft überwiegend Hochpreisliches aus Frankreich und Italien. Und dieses für den billigsten Landwein ab 50 Euro aufwärts.

Also: Anprobieren der „neuen Russen“ lohnt sich!

Die postmoderne Glitzerlandschaft Moskau, bestehend aus Messing, Marmor und Glas, umfahren stets von schwarzen Limousinen, überwiegend des Typs Mercedes Benz Maybach, begleitet von schwer bewaffneten „bodyguards“, von vorne und von hinten rausspringend, ist es eine Reise wert? Wer Glitter, Glanz und neumodische Gloria, bunt schillernd wie in Disneyland mag, ist hier gut aufgehoben.

Kreml und Roter Platz sind immer noch der „focus point“ aller Moskau-Besucher. Vom Baltschug Kempinski direkt über die Moskwa-Brücke, und Sie tauchen schon ein in das bunte Völkergemisch auf dem Roten Platz, eingekastelt von einer roten Backsteinmauer mit 2.235 Metern Länge, überkront von 50 goldenen Kuppeln seiner Kathedralen. Sie können flanieren: zum Beispiel ins berühmte Kaufhaus GUM, wo es alles gibt, was Gucci, Armani und Boss zu bieten haben – nur leider sehr viel teurer. (Lektion No. 2: Auch die russische „noveau riche“ fliegt nach Paris, Berlin oder Mailand, um sich mit Prestige-Klamotten einzudecken).

Insofern kann man den Prachtboulevard der Nikolskaya mit seinen Fabergé-, Cartier- und Versace-Läden genussvoll hinunterflanieren. Er ist eh nur fürs Auge bestimmt. Schließlich, ganz am Ende der Flaniermeile, sollte man unbedingt einkehren ins Café Pushkin, dem berühmten Sohn der Stadt gewidmet, in welchem sich Business-Leute und Touristen mischen, die gefüllte Piroggen verkosten oder das leckere Dessert Pushkin. Und solchiges auf zwei Etagen, sogar 24 Stunden am Tag.
Was offerieren die Landesküchen anderer russischer Regionen?

„Georgisch“ bedeutet Schaschlik, Salate aus frischem Gemüse ohne Dressing, Paste aus Bohnen.

Typisch Georgisch isst man im Tiflis.

„Armenische“ Küche lebt von gekochtem Fleisch, getrockneter Zunge und vielen Kräutern. Empfehlenswert ist das Noah’s Ark.

Und die sibirisch-arktische Küche schließlich besteht aus gefrorenem und geraspeltem Fisch und meist sehr fettigen Suppen. Kein Wunder, dass das beste Restau­rant Expedition heißt.“

Dass man dort alles am besten mit Wodka hinunterspült, dürfte wohl klar sein!

So wie in der Propaganda Bar, einem der besten und angesagtesten Clubs der Stadt. Nicht am Tage. Da ist die Propaganda Bar eher unscheinbar und beliebt bei den Einheimischen wegen des guten und preiswerten Essens. Nachts aber, so ab 23 Uhr, verwandelt sich das unscheinbare Lokal in einen rauschenden Nachtclub. Bis morgens um fünf. Dann verwandelt sich die Bar wieder in ein gutbürgerliches Lokal zurück.

Und jetzt, zum Finale, wird noch der berühmteste Wodka-Cocktail der Welt serviert: die „Bloody Mary“.

Sie wurde 1922 in Harrys New York Bar in Paris von Fernand Petiot kreiert. Lieblingsgetränk von Ernest Hemingway dortselbst in seiner Pariser Zeit.

Damals gleiche Teile Wodka und Tomatensaft, später ein Drittel Wodka, zwei Drittel Tomatensaft, dazu Pfeffer, Zitrone, Tabasco.

Na denn allerseits: Nasdrowje!
Ul. Balchug 1
Tel.: +7 (495) 230 65 00
www.kempinski-moscow.com

The Vodka History Museum
www.vodkamuseum.ru

O2 Bar im Ritz-Carlton
Tverskaya St. 3
Tel.: +7 (495) 225 88 88
www.ritzcarlton.com

Café Pushkin
Twerskoj bl. 26 a
Tel.: +7 (495) 739 00-33
www.cafe-pushkin.ru

Propaganda Bar
Bolshoi Zlatoustinski 15
www.propagandamoscow.com

Tiflis
Ul. Ostozhenko 32
Tel.: +7 (495) 290 28 97

Noah’s Ark
Maly Ivanovsky per. 7–9
Tel.: +7 (495) 917 07 17

Expedition
Pevchensky per. 6
Tel.: +7 (495) 775 60 75