Im Land der Schinken

Wenn in Friaul die Traubenernte eingebracht ist, die Winzer wieder entspannter sind und die Wirte ihre Fogolare befeuern, ist die beste Zeit gekommen für einen kulinarischen Abstecher in das Weingebiet zwischen Alpen und Adria.

Unter seinen Großeltern wären da freilich nicht solche Fleischtrümmer auf den Rost gekommen, sagt Giancarlo Toso, während er mit seiner Grillzange zwei imposante Fiorentina-Steaks auf dem mehr als 100-jährigen Holzkohlengrill wendet. „Damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, herrschte hier wie in ganz Friaul bittere Armut. Hin und wieder gab es ein Stück Wurst, manchmal die Keule einer alten Henne und ansonsten viel Gemüse und Kartoffeln“, sagt der Wirt, der seit 50 Jahren an seinem sogenannten Fogolar mitten im Gastraum steht und für seine Gäste das Fleisch brät.

Die Armut war es auch, die etliche Bewohner der Region bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in die Emigration trieb, nach Frankreich, Deutschland, Nord- und Südamerika. Dort gründeten sie Auswanderervereine und tauften sie Fogolar. Was wiederum die starke symbolische Bedeutung des Holzkohlengrills für Kultur und Identität der Friulaner verdeutlicht. „Der Fogolar ist auf allen vier Seiten offen, damit diente er nicht nur als Kochstelle, sondern auch als Wärme­quelle, was ihn zum Inbegriff der Heimeligkeit macht“, betont Signore Toso.

Außerdem typisch für den friulanischen Grill ist die glockenförmige Abzugshaube, die mal rund, mal eckig ausfallen kann und stets mit einem kleinen rustikalen Stoffvorhang umrundet ist. Serviert wird das Gegrillte nach Absprache mit dem Service auf Wunsch in durchaus überschaubaren Portionen und in mehreren Gängen, darunter freilich auch ausreichend Gemüse und zumindest ein Nudelgang.

Die wohl typischste Pasta der Gegend sind die Blecs, deren Name offenbar aus dem Slowenischen importiert wurde und vom deutschen „Fleck“ abstammt. Tatsächlich handelt es sich um mehr oder weniger quadratische Teile, die in der Regel nicht aus Weizen-, sondern Buchweizenmehl erzeugt werden. Auch sie ein Überbleibsel aus Zeiten der Not. „Die Blecs waren die erste Pasta, die in Friaul Verbreitung fand“, erzählt Dario Martina, Besitzer der Osteria da Afro in Spilimbergo und anerkannte Instanz in Sachen friulanische Küchen-Historie. „Weizen galt als nobel und wurde zu der Zeit hier nicht ­angebaut, man aß vor allem Polenta, manchmal Kartoffeln. Und um wie alle anderen Italiener auch eine eigene Pasta zu haben, machte man die Nudeln aus Buchweizen.“

Kombiniert werden die Blecs in der Regel nur mit geschmolzener ­Butter und geriebenem lokalen Montasio-Käse. Es kann aber auch vorkommen, dass man sie mit den vor allem in den nahen Karnischen Alpen verbreiteten Wildkräutern wie Brennnessel oder Leimkraut serviert. Oder, wie im da Afro auf Anfrage, auch mit einem Fleischragout, das in der Saison gerne von Wildente oder Wildschwein stammen kann.

Eine weitere typische Pasta des Friauls sind die Cjarsons, also Teig­taschen, die häufig mit Ricotta gefüllt werden und stark an die Kasnudeln aus dem nahen Kärnten erinnern. „Mit dem Unterschied, dass sie eher kleiner ausfallen und zum Teil aus Kartoffelteig bestehen“, betont Martina. An die Kärntner Küche erinnert auch das in Friaul allgegenwertige Frico, ein Gemisch aus Kartoffeln, Zwiebel und Montasio-Käse, das im da Afro mit Polenta gereicht wird. Sein Pendant nördlich der Grenze nennt sich Frigga und enthält normalerweise auch noch Eier.

Vom pittoresken mittelalterlichen Ort Spilimbergo, dessen Name übrigens auf das Kärntner Grafengeschlecht Spengenberg zurückgeht, sind es nur wenige Autominuten nach San Daniele. Die Fahrt geht vorbei an einer ganzen Reihe von mächtigen Industrieanlagen, die allesamt den berühmten Prosciutto herstellen. Handwerk­liche Erzeuger sind hier inzwischen rar geworden. Einer der letzten ist Dante Bagatto.

Während die großen Produzenten in ihren Reifekellern ausschließlich mit künstlicher und computergesteuerter Temperatur arbeiteten, verlässt Bagatto sich noch auf das vielgelobte Klima des Orts. „San Danieles Lage ist einfach ideal für die Lufttrocknung“, sagt er, „wir liegen am ersten Hügel nach den Alpen, in den Bergen wäre die Luft zu trocken, am Meer viel zu feucht. Zudem reguliert der Fluss Tagliamento das ­Klima, das alles macht unsere Schinken so wunderbar zart.“

Im angeschlossenen Verkostungs- und Verkaufsraum serviert der Schinkenmacher hauchdünne Scheiben seines Prosciuttos. Der ist zart und süß und zergeht auf der Zunge. „So soll es sein“, betont Bagatto, „denn wenn man ihn kauen muss, ist es kein echter San Daniele.“

Der San Daniele mag der berühmteste und sogar zarteste unter den Schinken des Friauls sein, der einzige und beste ist er nicht. Weiter östlich, in der Ortschaft Sauris in den Karnischen Alpen wird seit Jahrhunderten ein Schinken erzeugt, der sich von so gut wie allen italienischen Prosciutti dadurch unterscheidet, dass er leicht geräuchert wird. Was vermutlich daher kommt, dass Sauris eine deutsche Sprachinsel ist; und der Ort im 13. Jahrhundert von Kärntner Auswanderern gegründet wurde, die, so nimmt man an, auch die Technik des Räucherns mitbrachten.

Der Superstar unter den Schinken Friauls ist aber zweifellos jener, den die Familie d’Osvaldo in der Weinstadt Cormòns am Fuße der Hügelkette Collio herstellt. Und zwar ausschließlich im Winter, ohne künstliche Kühlung und durchwegs in Handarbeit. Leicht geräuchert wird auch er. „Nein, natürlich gibt es in unserer Gegend keine Tradition des Räucherns“, sagt Monica d’Osvaldo, „mein Urgroßvater war Rinderhändler, das führte ihn nach Österreich, wo er die Technik des Räucherns von Schweinefleisch kennenlernte und importierte.“

Während Urgroßvater und Großvater noch zwecks längerer Haltbarkeit räucherten, ging es ihrem Vater mehr um Geschmack und Aromen. „Er machte Schluss mit der intensiven Räucherung und begann damit, nur mehr kurz und sehr sanft zu räuchern, weil das besser schmeckte“, erzählt die Tochter. Inzwischen bieten die d’Osvaldos neben dem geräucherten auch einen luftgetrockneten Schinken an, doch das Aus­hängeschild des Hauses bleibt der einzigartige milde und dennoch charakterstarke Prosciutto di Cormòns, der ausschließlich über Kirsch und Lorbeerholz geräuchert wird und häufig bereits vor Ende des Winters ausverkauft ist.

Serviert wird er auch im Restaurant Al Cac­cia­tore, das zum alteingesessenen Hotel La Subida der Familie Sirk gehört. Dort führt die Wirtin Loredana Sirk den Prosciutto auf einem Carrello zum Tisch und säbelt die Scheiben persönlich her­unter. Das elegante und gutbürgerliche Lokal liegt eingebettet im Grün der Weinberge, die Küchenlinie ist teils innovativ, teils traditionell. So präsentieren sich hier etwa die Girini („Kaulquappen“), eine ­lokale Art der Spätzle, etwas verspielt in einem runden Glasgefäß mit Gemüse und Kräutern aus dem ­Garten. Slowenischen Ursprungs indessen sind die wunderbaren Žlikrofi, kleine Teigtaschen, die mit Kartoffeln und Schnittlauch gefüllt und mit Bratensaft und reifem Montasio-Käse serviert werden.

Nur knapp fünfzehn Autominuten sind es von ­Cormòns zum Restaurant L’Argine a Vencó von Antonia Klugmann, das genau wie die Subida vom Guide Michelin mit einem Stern bedacht wurde. Die ersten Jahre galt der 2014 eröffnete Betrieb als absoluter Geheimtipp für kreative Küche in Friaul. Bis die Köchin und Wirtin im vergangenen Jahr an der italienischen Version der TV-Show Masterchef teilnahm und mit einem Schlag italienweit berühmt war. Während der Dreharbeiten blieb das Restaurant geschlossen. „Von meiner ständigen Anwesenheit hängt die Qualität der Küche ab, wenn ich die nicht garantieren kann, sperre ich ­lieber zu“, sagt Klugmann.

Dieselbe Konsequenz ist auch in Klugmanns Küche zu erkennen. Tradition spielt hier eher keine Rolle. Die Köchin setzt auf lokale Zutaten, die sie zu einem großen Teil aus den hauseigenen Gärten und von den umliegenden Wäldern und Wiesen bezieht. Wie zum Beispiel die Brokkolispitzen, die sie mit Knochenmark kombiniert, dabei den Stängel des Gemüses in Salzlauge einlegt, seine Blätter kurz in der Pfanne schwenkt und das Ganze mit Leimkraut und Bergamotte-Püree anrichtet. Ein gleichsam eindrucksvolles wie überzeugendes Gericht.

Von hier sind es etwas mehr als 30 Minuten bis nach Godia, einem Vorort von Udine, der vor allem für eines bekannt ist, nämlich für das Restaurant Agli Amici, das in Sachen Fine Dining nach wie vor das Maß aller ­Dinge ist – in der Region und darüber hinaus. Der Rahmen ist gediegen, die Küche raffiniert, die Produktqualität herausragend, der Service aufmerksam und der Weinkeller bestens sortiert. Mehr Luxus wäre reiner Überfluss. Und doch lebt auch hier die Erinnerung an schwerere Zeiten weiter.

„Wir neuinterpretieren etwa den Frico mit Kartoffeln, der bei uns leichter ist als in seiner klassischen Version, und betonen dabei mehr den Kontrast zwischen knusprig und weich“, sagt Emanuele Scarello, der das Lokal gemeinsam mit seiner Schwester Michela in fünfter Generation führt. Überhaupt ist man in der Ortschaft Gordia stolz auf die lokalen Kartoffeln. Und auf die Gnocchi aus Kartoffelteig, die auch Scarello in allen möglichen Varianten anbietet. Darunter auch eine, die diese Region zwischen Alpen, Weinbergen und Mittelmeer vielleicht am besten widerspiegelt: nämlich die Zuppa di Friulano aus dem gleichnamigen lokalen Weißwein mit Gnocchi aus Kartoffelteig, frischen Seeigeln, Sardellen und einem Faden lokalen Olivenöls.

Trattoria Toso
Via Pozzuolo, 16, 33019 Leonacco, Tricesimo
Tel.: +39/0432/85 25 15
Alteingesessene Trattoria vor den Toren Udines. Giancarlo Toso gilt als Großmeister des Fogolars, an dem er seit über 50 Jahren Fleisch für seine Gäste grillt.

Osteria da Afro
Stimmige Trattoria mit klassischer friulanischer Küche im mittelalterlichen Ort Spilimbergo. Mit Schankraum für einen Aperitivo mit den Einheimischen; Gästezimmer.
www.osteriadaafro.net

Prosciutti Bagatto
Dante Bagatto ist einer der Letzten in San Daniele, der seinen Schinken noch handwerklich erzeugt. Mit angeschlossenem
Lokal für Verkostung und Verkauf.
www.prosciuttibagatto.it

Prosciutti d’Osvaldo
Einer der prestigeträchtigsten Prosciutti ­Italiens. Und einer der ganz wenigen, die nicht luftgetrocknet, sondern leicht geräuchert werden. Verkauf nur nach Voranmeldung und ausschließlich von ganzen Schinkenbeinen.
www.dosvaldo.it

La Subida und Ristorante Al Cacciatore
Gutbürgerliche und alteingesessene Trattoria der Familie Sirk mit schöner Lage inmitten der Weinberge, anspruchsvoller Küche und gepflegtem Service. Große Auswahl an lokalen Weinen; Gästezimmer.
www.lasubida.it

L’Argine a Vencò
Erste Adresse für kreative Küche in Friaul. Antonia Klugmann kocht für nicht mehr als 20 Gäste in einem modern gestylten Landgasthof mitten im Grünen; Gästezimmer.
www.largineavenco.it

Agli Amici
In fünfter Generation betreibt Familie
Scarello in einem Ort in der Nähe von Udine dieses elegante Restaurant, das als Hochburg der innovativen friulanischen Küche und vielen als eines der besten Italiens gilt.
www.agliamici.it

Locanda Orologio
Sympathische, zum Traditionsweingut Livio Felluga gehörende Locanda mitten in den Weinbergen nahe Cormòns mit einfacher Küche und netten Zimmern.
www.locandaorologio.it

Mulin Vecio
Imposante und stets gut besuchte Osteria im hübschen Ort Gradisca d’Isonzo mit gekochtem und luftgetrocknetem Schinken, Würsten, Käsen und einfachem Hauswein. Einzig ständig erhältliches warmes Gericht ist die sensationelle Pasta e fagioli; ­dienstags gibt es außerdem Kutteln.
www.mulinvecio-osteria.ristoita.com

Trattoria Al Parco
Großes und gepflegtes Restaurant mitten in einem weitläufigen Park mit Fogolar, ­gutbürgerlicher Küche und tollen Eigen­bauweinen.
Via Stretta, 7, 33042 Buttrio
Tel.: +39/0432/67 40 25

Osteria Bachero
Im Zentrum von Spilimbergo liegt diese prachtvolle und stimmungsvolle Osteria mit bodenständiger lokaler Küche und sensa­tionellen Preisen (Primi: 5–6 €, Secondi: 8–10 €). Dementsprechend gut besucht.
www.osteriabachero.com

Enoteca Cormòns
Mitten auf der Piazza der Weinhauptstadt Cormòns bietet die Gebietsvinothek die Weine von 30 lokalen Winzern zu kaufen und zu verkosten an. Dazu gibt’s Schinken, Mortadella und Käse.
www.enoteca-cormons.it

Le Badie
Hoch oben auf einem Hügel mit sensa­tionellem Ausblick über die Weingärten und nach Slowenien grillt Josè Franco am ­Holzkohlengrill Schweinernes, Milchlamm, Angus-Rind und in der Saison auch Wild und Wildgeflügel; Gästezimmer.
www.lebadie.com

Al Grop
Einer der Klassiker in Friaul. Exzellentes Fleisch vom Fogolar, gute hausgemachte Pasta, toller Ausblick ins Grüne und ein ­gesprächiger Papagei; Gästezimmer.
www.algrop.net

Strada del Vino e dei Sapori Friuli ­Venezia Giulia nennt sich eine neue ­Initiative des regionalen Tourismusverbands, die dem Besucher erlaubt, entlang diverser Routen die Region Friaul-Julisch-Venezien über ihre Winzer, Wirte und Lebensmittel­erzeuger zu entdecken.
Infos: www.turismofvg.it/Home/TasteFvg