Japan im Gepäck

Dafür könnte man das Wort Nipponspiration erfinden: Japan als Ideengeber in der heimischen Gastronomie. Vier Protokolle inklusive Klodeckel, Sichtfenster und Zwischengrätenfleisch.

Text von Anna Burghardt Fotos von Florian Lechner, Jana Sabo, Ian Ehm

Japan ist derzeit offenbar das Sehnsuchtsland für Köche schlechthin. Dass das Noma im Winter 2014/2015 ein Gastspiel in Tokio gab, dürfte nicht wenige zu einer Reise bewogen haben. Dabei ist das Land alles ­andere als einfach zu bereisen, wenn es nicht um die üblichen Pfade gehen soll, sondern um Einblicke hinter die Kulissen der Gastronomie, der Lebensmittelproduktion, der Märkte. Es braucht japanischsprachige Kontakte vor Ort oder zumindest den Concierge eines Luxushotels – was übrigens tatsächlich ein Grund für so manchen Koch ist, für die Unterkunft in Japan mehr Geld in die Hand zu nehmen als gewohnt. A la Carte hat die Japan-Erfahrungen von Milena Broger (Foto oben), Igor Kuznetsov, Lukas Mraz und Max Natmessnig aufgezeichnet.

Milena Broger
Weiss, Bregenz

Ein Kaiseki-Kochbuch sollte den Anfang markieren. Die Geschichten, die dort zu jedem Rezept erzählt wurden, hatten es Milena Broger angetan – war doch für die junge Vorarlbergerin immer wichtig gewesen: Wer kocht ein Gericht, warum und mit welcher persönlichen Geschichte? Broger ging 2015 und 2016 für ein paar Monate nach Japan, um in einer Ramen-Bar zu kochen, später kam zusätzlich ein Soba-Lokal dazu. „Ich war irgendwann so programmiert, dass ich die Zahlen beherrschte und kassieren konnte. Aber wenn man mich jetzt fragt, was heißt 1.200 Yen auf Japanisch – keine Ahnung.“ Der Chef der Ramen-Bar hatte ihr vor allem eines mitgegeben: dass die essende Person der kochenden möglichst nahe kommen sollte. „Er sagte immer: ,Die Gäste sind für den Koch die Bühne, und der Koch ist für die Gäste die Bühne.‘ Und das ist genau meins.“

Bei der Planung ihres Lokals Weiss, das sie im Frühling gemeinsam mit ihrem Partner, dem Dänen Erik Pedersen (er hat im Geist in Kopenhagen und im Kadeau gekocht), und der Bregenzerwälderin Theresa Feurstein in Bregenz eröffnet, war für Broger also eines essenziell: architektonische Of­fenheit, die eine enge Verbindung zwischen den Gästen und den Köchen fördert. „Wir haben ein Sichtfenster zur Küche hineingeschnitten, eine Durchreiche war leider wegen der Lüftung nicht erlaubt. Und vor diesem Fenster ist ein Counter, eine Food-Bar.“ Zusätzlich zu anderen Tischen. Auch eine zentrale Anrichte-Insel für die kalten Gerichte ­wurde geplant.

Ebenfalls auf das Weiss abgefärbt hat Japan bei den Speisengrößen: „Die Kategorien Vor- und Hauptspeise sowie Dessert fallen weg. Es wird nur mehr zwei Größen geben, einmal ,Snack‘, einmal ,Speise‘ – und nur zwei verschiedene Preise“, sagt Broger. Und auch so manches Gericht wird von ­Japan inspiriert sein: etwa die Stracciatella mit brauner Butter, Wurzelkren und Kohlstielen – „eine Anlehnung an Seidentofu, der in Japan oft mit Wasabi und Ingwer gegessen wird; das Milde von der Stracciatella mit der Schärfe des Krens.“ Oder das, pardon, Dessert „Zeagorô Nockô“ (Zeagorô ist ein Überbleibsel bei der Käseproduktion) mit Zwetschkenröster und weißem Miso-Eis.

 

Max Natmessnig
Rote Wand Chef’s Table, Lech am Arlberg

Wahnsinn, mit welchen Fischen die da hantieren und mit welchem Respekt. Max Natmessnig

Was sich nach seinem zweiwöchigen Japanaufenthalt in Max Natmessnigs Hirn eingebrannt hat: Wage es nicht, zu spät in ein Restaurant zu kommen. „Das ist ein absolutes No-Go, eine Frage des Respekts. Wir waren also teilweise schon eine Stunde vorher dort, sind halt um den Block gegangen. Wenn dann das Offen-Zeichen aufgehängt wird, muss man sofort hineingehen.“ Wer zu spät kommt, kann sich eine weitere Reservierung abschminken. „Man bekommt dort nie wieder einen Platz.“ Pünktlichkeit ist auch für seine Arbeit nicht unwichtig, schließlich wird am Chef’s Table in einem alten Schulhaus für alle Gäste am Tresen gleichzeitig gekocht. Um Plätze am Tresen geht es auch in vielen der winzigen Restaurants, die Max Natmessnig in Tokio und auf der Insel Hokkaido aufgesucht hat. Plätze, die nur dank der Vermittlung von japanischen Insidern gebucht werden konnten. „Ich kenne zum Glück die Tochter eines Sushi-Großmeisters.“ Das erste Highlight war ein Drei-Sterne-Sushilokal. „Wahnsinn, mit welchen ­Fischen die da hantieren und mit welchem Respekt.“ Eine japanische Zubereitungsart steht bei ihm schon länger auf dem Programm: „Wir machen unser ­ei­genes Dashi, mit Forellen-Katsuobushi, in dem wir Rettich und anderes Gemüse sowie Fisch garen. Das bekommt alles eine ganz andere Geschmackstiefe.“

Für die Fischflocken werde Bergforelle eingesalzen, geräuchert, getrocknet und gehobelt. Und was er „extrem arg und witzig“ fand: Wie das gesamte Personal sich von den acht Gästen eines Drei­sterners verabschiedete: „Die standen auf der ­Straße, als wir herauskamen, und haben sich verbeugt. Bis wir nicht mehr zu sehen waren.“

Igor Kuznetsov
Noble Savage, Wien

Japanische Cup Noodles waren das erste ausländische Gericht meines Lebens. Igor Kuznetsov

„Ich mag mich zu absolut nichts verpflichten.“ In seinem Restaurant Noble Savage, das er Ende 2019 in der Wiener Innenstadt ­eröffnete, ist Igor Kuznetsov tatsächlich sein eigener Herr. Und auch wenn er sich alles offenhalten möchte – Japan hat hier doch einen gewichtigen Stellenwert. An diesem Land einen Narren gefressen hat er schon lange: seit seiner Kindheit in Moskau. „Japanische Cup Noodles waren das erste ausländische Gericht meines Lebens.“ Kuznetsov, mit achtzehn nach Wien gekommen, hat das Karma Ramen an der Rechten Wienzeile geführt. An einer aus Japan importierten Maschine hat er dort die Nudeln für seine ­Ramen selbst hergestellt. Während mehrerer längerer Aufenthalte in Japan sammelte er Erfahrungen im Michelin-besternten L’Effervescence, „aber auch in einem kleinen Washoku-Lokal für ,Salarymen‘ irgendwo im 5. Stock“.

Aus Japan mitgebracht hat er, unter anderem, Utensilien wie Messer und den kistenförmigen Konro-Grill – eine Leidenschaft, die er mit vielen Köchen teilt. Auf ihm werden etwa Lammherzscheiben gegrillt, die davor auf extrem scharfe japanische Spieße aufgefädelt worden sind. Außerdem Vintage-Geschirr, das Kuznetsov über seine Bekannte Nancy Singleton Hachisu, Autorin von Japanese Farm Food, bei einem alten Mann in dessen Garage gekauft hat. Das Geschirr versauert nicht in einer Vitrine, sondern hat im Noble Savage seinen Auftritt: bei Sellerie-Vichyssoise mit Sansho-Pfeffer-Öl oder Ganslravioli in starkem Dashi.

Lukas Mraz
Mraz & Sohn, Wien

Die japanische Mandoline, mit der schon Sellerieknollen in schier unendliche hauchdünne Bandnudeln geschnitten wurden, oder die Kakigori-Eismaschine, die à la minute geschabtes Gänse­lebereis auf die Teller des Mraz & Sohn niederschweben ließ, sind nur zwei Souvenirs, die Lukas Mraz aus Japan nach Wien mit­gebracht hat. „Und natürlich kochen wir auch mit Sojasauce, Miso und so, aber das ist ja schon uninteressant.“ Die wichtigeren Mitbringsel sind für ihn immaterieller Natur: Erkenntnisse aus der japanischen Art zu kochen, die Jahreszeiten zu beachten, mit Lebensmitteln umzugehen.

Ich möchte zu jeder Jahreszeit einmal in Japan gewesen sein. Lukas Mraz

„Ich möchte zu jeder Jahreszeit einmal in Japan gewesen sein“, sagt Mraz. „In einem Kaiseki-Restaurant sieht man anhand der Teller sofort, welche Jahreszeit gerade herrscht.“ Was ihn aber am meisten beeindruckt: „Wie in Japan mit dem ganzen Tier umgegangen wird, übersteigt das, was wir Nose-to-tail nennen, gewaltig. Aus Tradition und Respekt, aber auch wegen der sehr hohen Lebensmittelpreise. Es gibt für jeden Teil irgendeine Zubereitungsart, auch für alle möglichen Fischinnereien.“ Auf dem Fischmarkt werde selbst das Fleisch zwischen den Knochen oder Gräten herausgeschabt und als Tatar genutzt. „In europäischen Sterneküchen wirft man Fischkarkassen oft weg und macht selbst Saucen zu Fisch mit Hühnerkarkassen.“ Diese Nutzung bis ins kleinste Detail sei eindeutig etwas, das er aus Japan ins Mraz & Sohn mitgenommen habe. Beispiele: Dinkeltempura mit Wallerbauch sowie eine Suppe aus Fischkopf und Karkassen, „wie eine Rindsuppe gemacht, mit verbrannten Zwiebeln“, mit Leberknödel vom Waller; oder der Zander: der Rücken konfiert, dazu ein Fond aus den Karkassen mit Umeboshi, und als zweiter Gang Sarma, mit dem Rest vom Zander (Backen, Kinn, Zwischengrätenfleisch) gefüllt, darüber ein Öl mit geknackten Umeboshikernen.

Auch für außergewöhnliches Geschirr à la ­Japan hat das Mraz & Sohn schon lange ein Faible. Die Stücke mit ihren Eigenheiten lässt man eigens anfertigen und bewusst wirken: „In Japan wird ganz wenig dekoriert, das Geschirr ist Teil der Optik eines Gerichts.“ Von rein weißen, aalglatten Tellern hält man dort gar nichts: „Die sagen Klodeckel dazu.“