Kabeljau, trockengereift

Stockfisch, Klippfisch, Bacalhau, Bacalao, Tørrfisk – oder wie aus der Not eine Tugend wurde und der gesalzene Trocken-Dorsch vom stinkigen Arme Leute-Essen zur Heiligen Drei Zeiten-Delikatesse.

Text von Florian Holzer · Fotos von stockfood, apa picturedesk
Manchmal kommt jemand ins kleine Restaurant a Barraca hinter dem Wiener Juridicum und erzählt, „dass er da in Portugal so einen unglaublich grauslichen Fisch gegessen habe“. Lucinda Vinhó Tavares schmunzelt. „Dem serviere ich dann Açorda de Bacalhau“, eine Brotsuppe mit Fischfond, gezupftem Stockfisch und grünem Koriander, „da herrscht dann immer große Begeisterung und niemand will glauben, was er gerade gegessen hat, wenn ich’s ihm sage.“
Stockfisch liebt man entweder, oder man hasst ihn, das hat der Trockenfisch zwar mit vielen Nahrungsmitteln dieser Welt gemein, in Österreich kommt allerdings noch ein dritter Gemütszustand dazu, nämlich die Ahnungslosigkeit – es kennt ihn hier schlicht kaum wer. Für das a Barraca ein verhältnismäßig kleines Problem, denn wer hierher essen geht, rechnet nicht nur mit Stockfisch, sondern sucht ihn wahrscheinlich sogar. „Es gibt Abende, da verkaufen wir nur Bacalhau“, sagt Lucinda Vinhó Tavares, und zwar an Menschen aus den typischen „Stockfisch-Ländern“, Spanien, Portugal, Italien, Kroatien, Brasilien und Frankreich, „aber auch an die Österreicher, weil die hab’ ich schon ein bisschen erzogen“.
Stockfisch ist eine der ältesten und einfachsten Konservierungsarten für Fisch: Kabeljau wird enthauptet, ausgenommen und für zwei bis drei Monate auf giebelartige Gestelle in der kalten, frischen Luft Norwegens – oder wo immer sonst die klimatischen Bedingungen dafür herrschen – getrocknet beziehungsweise nach portugiesischer Tradition erst gesalzen und dann getrocknet. Der so behandelte Fisch verwandelt sich dabei in ein eher an einen steifen Putzfetzen erinnerndes Dörr-Protein mit durchaus markantem Geruch, der freundlich umschrieben als nussig-tabakig bezeichnet werden könnte, das aber – trocken gelagert – nahezu endlos haltbar ist und daher in früheren Zeiten sowohl über harte Zeiten hinweghalf als auch für besondere Zeiten aufbewahrt werden konnte. Und als man sich im 15. Jahrhundert daran machte, die Welt mit Segelschiffen langsam und unsicher zu entdecken, zu erobern und zu umrunden, griff der Smutje somit gerne auf diese verhältnismäßig unkomplizierte Fischkonserve zurück. Und in jenen Ländern, in denen das Entdecken, Erobern und Umrunden mit großer Akribie betrieben wurde, ging der Trockenfisch sogar ins kulinarische Kulturgut über. Nicht zuletzt, weil ja auch am Festland nicht immer Erntedankfest herrschte und es sich ganz gut traf, etwas Feines in der Vorratskammer zu haben, wenn draußen der Schneesturm blies. Kein Wunder also, dass Stockfisch in vielen Ländern zum Weihnachtsklassiker wurde oder auch für andere Feiertage (Pfingsten, Ostern) aufgespart wurde.
In Portugal ist Bacalhau gewissermaßen das Nationalgericht. Die zahlreichen Atlantikhäfen garantierten in Zeiten unerschöpflichen Fischreichtums eine ungebrochene Versorgung mit der Rohware Dorsch, in Portugal selbst entwickelte sich der Berufsstand der Stockfischmacher, der Bacalhoeiros, die ihre Kunst der Trocknung allerdings nicht nur dem Kabeljau zuteil werden ließen, sondern auch Thunfisch, Oktopus und Scholle, und noch so einiges vertrocknen ließen, „gewonnen hat aber der Kabeljau, der blieb über“.
„Dennoch blieb der Bacalhau immer etwas Besonderes“, berichtet Lucinda Vinhó Tavares, „es muss schon zumindest Sonntag sein oder ein Geburtstag, Stockfisch ist in Portugal das etwas bessere Essen, aber niemals eines, das man sich nicht leisten kann.“ Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Portugiesen ein rigoroses und mehrdimensionales Klassifikationssystem besitzen: Dieses kategorisiert Bacalhau in vier Grundqualitäten, und zwar den „Corrente“ (Filets bis ein Kilo), den „Crescido“ („der etwas größere“, Stücke von ein bis zwei Kilo), der „Graúdo“ („der Erwachsene“, zwei bis drei Kilo) und schließlich der „Especial“ mit mehr als drei Kilo Trockengewicht. Größere Filets seien immer auch dicker, und das sei, was letztlich zähle, erklärt Lucinda Vinhó Tavares. Ausnahme ist der „Especial“, der zwar nicht mehr dicker als der schon maximale „Graúdo“ ist (in gewässertem Zustand Filets von immerhin bis zu fünf Zentimetern Stärke), dafür aber größer und länger, einfach rare Exemplare außerordentlich schöner Fische.
Die Preise dieser Qualitäten divergieren stark: Corrente ist billig, sechs Euro das Kilo, „aber da ist auch wenig dran“, Crescido ein bisschen teurer, „der hat schon ein bisschen Filet, den könnte man auch schon grillen, den kann sich aber noch jeder leisten“. Graúdo und Especial sind für portugiesische Verhältnisse dann schon recht teuer, zwölf bis dreizehn Euro das Kilo, nicht für alle Tage. Dazu kommt, dass für die Zubereitung ganzer, schöner Stücke nur der Lomo, das dicke Filet, in Frage kommt, und das ist maximal ein Drittel des gesamten Stockfischs. Außerdem wirken sich auch noch der Zustand der Fische und ihre Farbe – im Idealfall makellos elfenbeinfarben („asa branca“), gelblich oder mit durch Verletzung entstandenen, dunklen Flecken – auf den Preis aus. „Aber es kommt ganz darauf an, was man damit machen will“, relativiert Frau Vinhó Tavares, zum Suppe machen oder für frittierte Stockfisch-Bällchen kann man auch Corrente, Randstücke, Abschnitte oder farblich nicht so entsprechende Ware nehmen, zum Grillen aber eben nur Topware.
Sie selbst lässt sich die Ware per Spedition direkt aus Portugal schicken, nur erste Ware aus Aveiro südlich von Porto, dort hat schon ihre Mutter gekauft. Alle drei Monate kommt eine Lieferung von hundert Kilo. „Er würde gut ein Jahr halten“, meint Küchenchef Kurt Aberl, die beste Zeit seiner etwas saftigeren „Graúdo asa branca semiseco“ sei aber in den ersten vier bis fünf Monaten. Fünf bis sechs Stockfisch-Gerichte hat er jeden Tag auf der Karte, „immer was Gegrilltes, was Gebratenes und was Spezielles, zum Beispiel mit Portwein und Chorizo“, auch unter den in Österreich lebenden Portugiesen gilt er als der Mann, der mit dem Bacalhau tanzt, „mit den Jahren kommt man halt drauf, wie das mit dem Stockfisch so ist“. Bacalhau mit Venusmuscheln und Garnelen in der Cataplana, als Brandade, al pil pil oder gegrillt mit Steinpilzen. Aber den Gegrillten, meint er, solle man nur nehmen, wenn man Bacalhau schon einmal gegessen hat und weiß, dass er einem schmeckt.
Und warum überhaupt Stockfisch, wenn man doch heute auch so einfach frischen Kabeljau in Topqualität bekommt? „Na, wegen des Geschmacks natürlich, das ist wie rohe Schweinskeule und Beinschinken, aber es sind einfach zwei unterschiedliche Dinge, wie Beatles oder Stones.“
Der Unterschied zwischen frischem Kabeljau und Stockfisch? „Das ist wie Wein ohne Barrique-Ausbau oder mit.“
Neno Treselj hat in seinem Cortese auch immer Baccalà vorrätig. Treselj stammt aus Split, und dort rieche es zu Weihnachten in jeder Gasse nach Stockfisch, erzählt er. Irgendwann Ende der 70er Jahre nahm er in Mailand sogar einmal bei einem Stockfisch-Wettbewerb teil. Er kochte dort das, was man in Split eben gern mit Stockfisch macht, „Baccalà mantecato“, eine in der ganzen Mittelmeerregion beliebte Brandade, und einen „Brodetto“. „Preis war damit allerdings keiner zu gewinnen“, erinnert er sich, „die machten dort ja sogar Desserts aus dem Stockfisch.“
In Wien gilt er dennoch als der Spezialist für getrockneten Kabeljau, „die italienischen Fischhändler bringen die Ware eh immer gleich zu uns Kroaten, weil die Italiener nichts damit anfangen können“. Auf die Karte kommt er dennoch selten, zu groß ist die Konkurrenz weitaus populärerer Fische, bei ihm vor allem der Drachenkopf, zu hoch der Preis, zu unwissend die Gäste. So verwendet er seine getrockneten Lofoten-Dorsche eben als Gedeck, macht würzige Mantecato-Creme daraus oder verarbeitet sie zu Frika (einer Art Erdäpfel-Omelett, gerne auch mit Fisch-Beigabe). Und denkt an Split, wo die Köche bei Wettbewerben zwar keine Desserts aus dem Baccalà zaubern, aber dafür in den Kategorien Stockfisch, Artischocke und Saubohne den Meister ermitteln.
In Norwegen schaffte es ein Stockfisch 2005 sogar in den Rang eines Slow Food Presidio, und zwar jener von der Insel Sørøya im Norden des Landes, wo von Jänner bis April prächtigster Kabeljau mit kleinen Booten küstennah, traditionell mit der Leine gefangen und ohne Tiefkühlung direkt zur Verarbeitung verbracht wird. Traditionell auch das Zusammenbinden zweier Fisch-Torsi am Schwanz und Trocknung in freier, kalter, trockener Nordluft auf dem so genannten „Hjeller“, dem seit Jahrtausenden bewährten Holzgerüst, das Trocknung, Belüftung und Schutz vor Vogelfraß gewährleistet. Nach Jahren, in denen der Fischfang der Insel fast aufgegeben werden musste, da man keine Märkte für derart gefangenen und verarbeiteten Fisch fand, herrscht nun, in Zeiten der Sehnsucht nach Ursprung, Authentizität und nordischer Küche und seit internationaler Beachtung dieses Produkts jedenfalls wieder Freude und Zuversicht im Dörfchen Sørvaer und den etwa tausend Einwohnern der Insel.
Der Stockfisch der baskischen Firma Giraldo bedient da eher andere Bedürfnisse, in dem Familienunternehmen ist Modernität das Thema. In den 70er Jahren spezialisierte man sich auf Stockfisch, erkannte bald, dass sowohl Fanggründe als auch Fangart wesentliche Faktoren sind und bezieht seither ausschließlich mit Langleine gefangene Kabeljaus aus den Gewässern von Island und den Faröer-Inseln. Auch hier nur die kleinen Boote, die spätestens nach zwölf Stunden wieder im Hafen sind. Schon am Boot werden die Fische zerlegt und zuerst in Lake, dann in Meersalz konserviert. Kühlwagen bringen die Fische ins Baskenland, wo sie in riesigen Hallen mit einem Fassungsvermögen von 200 Tonnen Fisch mehrere Monate unter kontrollierten Bedingungen mehr reifen als trocknen. Die völlige Dehydrierung wie bei der klassischen Methode findet hier nicht statt.
Nicht zuletzt deshalb, weil man bei Giraldo vor einigen Jahren daran ging, die mühsame, je nach Größe und Salzigkeit drei bis vier Tage dauernde Wässerung des Bacalao im eigenen Betrieb durchzuführen und einen „küchenfertigen“ Stockfisch anzubieten. In null bis zwei Grad Celsius kalten Becken werden die gesalzenen Fischstücke gewässert und entsalzen, zwölf Stunden getrocknet und dann vakuumverpackt. Die bis zu 15 Tage haltbaren Bacalaos kann man in mehr als zwanzig verschiedenen „Cuts“ haben, von den billigen Schwanzstücken über Haut, Zunge und „Kutteln“ bis zu den unterschiedlichen Zuschnitten der Filets, deren Krönung der „Lomo Especial“ ist, ein außerordentlich schönes Stück Fisch.
Ein ideales Produkt, sollte man meinen, Stockfisch mit den Verarbeitungseigenschaften frischen Fischs und der Haltbarkeit von Hartwürsten. „Ich bin’s leider falsch angegangen“, sagt Peter Gallhofer, Touristiker, Journalist, Gourmet Consulter und Importeur feiner Spezialitäten. Markus Mraz hätte vor zwei Jahren zwar die Zungen und die Haut des Giraldo-Bacalao genommen, aber ein für den österreichischen Markt so exotisches Produkt wie küchenfertiger Stockfisch hätte intensivere Verkaufstätigkeit erfordert, als er sie damals aufgebracht hatte. Aber nachdem kürzlich wieder ein paar Küchenchefs bei ihm angefragt hätten, werde er einen neuerlichen Versuch starten, den Stockfisch 2.0 am heimischen Markt unterzubringen …
ADRESSEN
Peter Gallhofer
Gourmet Consult & AOC Genussreisen
Kantgasse 3, 1010 Wien
Tel.: 01/523 46 30-15
A Barraca
Hohenstaufengasse 7, 1010 Wien
Tel.: 0660/346 57 37
www.abarraca.at
Cortese
Weihburggasse 3–5, 1010 Wien
Tel.: 01/512 06 92
www.cortese.at