Leben im Hotel

Oft wollen wir nur essen gehen und nicht in einem anderen Bett liegen. Doch das Land ist weit, die Restaurants oft fern und der Weg nach Hause unvernünftig lang. Kurz: A la Carte-Autoren über Hotels, deren Annehmlichkeiten und weniger Bemerkenswertes.

Leben im Hotel

Nur ein halber Gast: der einzelne Gast. Einzelreisende sind auf Reisen immer noch Menschen zweiter Klasse.
Text von Alexander Rabl Fotos: beigestellt
Frau F. zum Beispiel muss manchmal alleine reisen, manchmal reist sie auch alleine, wenn sie es nicht müsste. Die Reisebranche hat sich auf Menschen, die alleine unterwegs sind, nur unzureichend eingestellt. Flugzeuge und Züge sind dabei allen anderen voraus. Wer ein Flugticket löst, muss nicht auch ein zweites mitkaufen, er wird nicht einmal besonders scheel angeschaut am Ticketschalter. Wenn Frau F. aber an der Rezeption ihres gewählten Hotels steht, muss sie viel erklären. "Wo ist Herr F.?", fragt der Junge an der Rezeption und er tut das mit dem freundlichen Unterton der Ahnung, dass da kein Herr F. einchecken wird. "Es gibt keinen Herrn F.", bestätigt Frau F. und als Konsequenz dieser Auskunft weist man ihr das hinterste Zimmer des Hotels zu, das im Renovierungsplan erst fürs nächste Jahr zur Rundumerneuerung vorgesehen ist. Frau F. steht in diesem Zimmer, das man ihr gnädigerweise zu einem leicht reduzierten Preis anbietet, weil das Hotel leider nicht über Singlerooms, sondern nur über Doppelzimmer verfügt. Frau F. betrachtet die abgestoßenen Kästen, die abgewetzten Fauteuils und die zum Zerspringen bereiten Badezimmerfliesen. Sie wirft einen Blick in die Minibar und beschließt, sich dieses Zimmer nicht schön zu trinken. Natürlich habe man noch andere freie Zimmer, was denn nicht in Ordnung wäre, antwortet der junge Herr von der Rezeption. Frau F. muss leider darauf bestehen umzusiedeln. Jetzt hätte sie gerne einen Herrn F. dabei, der das dem jungen Herrn an der Rezeption erklärt, der offenbar glaubt, das Recht auf eine Erklärung zu haben. Abends im Restaurant des Hotels muss Frau F. nicht lange raten, welchen Tisch ihr der Maître zuweisen wird.
Es ist der hinterste Tisch des Saales, ungefähr einen Fußkilometer zum Vorspeisenbuffet. Frau F. hat ihre Laufschuhe vergessen, zu dumm. Aber sonst hat sie weder ein auffallend scheußliches Kleid an, noch hat sie lange nicht geduscht oder lässt sich ein anderer Grund finden, Frau F. nach Sibirien zu verbannen. Es sei denn, man würde die Absenz von Herrn F. als solche akzeptieren. Frau F. wird das Spiel wiederholen, dass sie bei Gelegenheiten wie dieser schon einige Male gespielt hat: Sie wird dem Maître sagen, dass sie nicht den schlechtesten Tisch des Saales zu beanspruchen wünscht. Der Maître wird verwundert eine Augenbraue heben. Jemand, der allein reist und dann noch Ansprüche hat. Ein anderes Mal in einem anderen Hotel wird sich der Maître als besonders einfühlsam erweisen: Er wird Frau F., ohne sie zu fragen, an einem Tisch mit drei urlaubenden Pärchen platzieren. "Sie sind so allein, Sie freuen sich doch sicher über Gesellschaft", wird der Maître sagen. Frau F. wird sich der Mühe unterziehen müssen, dem Maître und den Urlaubspärchen zu erklären, dass, wer allein unterwegs ist, sich nicht immer nach Gesellschaft sehnt. Es wird einer dieser Momente sein, wo Frau F. über die Gründung einer "Rent a Reisebegleiter/in"-Agentur reflektiert, denn dass Hotels hartnäckig an Gesellschaftsformen aus der Zeit des Wirtschaftswunders festhalten, aus der auch viele ihrer Badezimmerarmaturen stammen, ist halt leider eine Tatsache. Frau F. wird sich dieser Plätze auch dann, wenn es einmal Herrn F. gibt, erinnern und sie aus ihren Reiseplänen streichen.

Pay-TV im Hotelzimmer

Der Service steckt in der Krise. Kein Wunder, bei Blockbuster und Billigporno dämmert man in die Langeweile. Man muss die Leute austauschen, die das Programm gestalten.

Text: Manfred Klimek

Zimmerkarte einführen im MarriottCrownPlazaHolidayInnRamadaIntercontiheraton-MercureHilton in WuppertalParisNewcastleLausanneBolognaMalmöWarschau; Zimmerkarte einführen, für denjenigen, der zehn Tage im Monat in einem gemieteten Bett aufwacht, ist das eine Handbewegung, die das Rateteam von „Was bin ich?“ – wenn es die Original-Sendung noch gäbe – sofort einem Lebensstil zuordnen könnte: ein Nomade der Marktwirtschaft, ein Mensch ohne Heimat.

Zimmerkarte einführen, das Gepäckstück lässig auf die Ablage werfen und schon gleitet der Blick über das immer gleich eingerichtete Rechteck, das sich oft nur durch die Farbe des Wandanstrichs unterscheidet. Der Blick bleibt am Fernsehgerät hängen, dem einzig erleuchteten Mobiliar dieses Momentes.

Der Fernseher grüßt. „Willkommen, Herr Soundso!“, sagt das Gerät. Für die Rezeption war man gerade noch ein Anonymer, doch das Stück Technik aus Plastik, Röhre und Transistoren heißt einen als Person herzlich willkommen.

Für 12 Euro landet man in der Welt des Pay-TV.

Für diese Verbindlichkeit verdient es erhöhte Aufmerksamkeit. Also die Begrüßung mit der OK-Taste wegzappen und durch die Kanäle surfen. Was sieht man da? Drei Nachrichtenkanäle, erstgereiht der amerikanische, zweitgereiht der britische, drittgreiht der deutsche, der auch der schlechteste ist. Eine Unmenge Privatsender, die einen zu später Stunde mit „Ruf!!Mich!!An!!“-Werbespots zudröhnen. Transmissionen fremder und seltsamer Länder wie Japan, Saudi-Arabien oder Usbekistan. Den bewegten Bildern folgen die schrillen Töne der einzelnen Radiosender („das Beste aus den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern“), die nun wirklich keiner mehr hören will. Doch nach diesen fünf Hörproben stupider Durchschnittlichkeit, die früher das Ende der Kanäle einleiteten, wird der Bildschirm plötzlich wieder hell: Cinemascope beschneidet die ohnehin bescheidene Größe der Projektion auf ein noch kleineres und breiteres Maß, man sieht in das Gesicht von Bruce Willis und erkennt, dass dieser in einem Film neueren Datums mitspielt.

Sekunden später kommt die Aufforderung, die Zimmernummer einzugeben und mit dieser Fingerübung zwölf Euro auf die Rechnung zu addieren: gelandet in der Welt des Pay-TV.
Bezahlfernsehen, das sind meist sechs Kanäle: zwei in der Landessprache, zwei englische und zwei, die man auch mit einer Kindersicherung belegen kann. Diese sind Pornokanäle – oft verschämt „Blue-Movie-Channels“ genannt.
Die Programmgestalter sind Teil der Mainstream-Mafia. Wer sucht die Filme auf diesen Sendeplätzen eigentlich aus? Leute, die denken, dass Gäste eines Business-Hotels nur zwei Dinge im Kopf haben: Action und f*****. Für Frauen, die ja selten Geschäftsreisende sind, darf es manchmal auch ein Film mit Sandra Bullock oder Meg Ryan sein. Wichtig ist, dass der gestresste Fremde jenen Blockbuster nachholen kann, den er vor Wochen im Kino versäumt hat. Da das Betrachten im Hotelzimmer aber schon halb so viel Geld kostet wie der Erwerb der Konserve (beim Geiz-ist-geil-Markt ist die ausgegebene Summe für eine CD inzwischen gleich hoch), drückt kaum noch ein Gast auf die Pay-TV-Taste und alle Werke bleiben unbesehen. Zu Recht, denn Filme, die sich nur ein klein bisschen artifiziell geben, schaffen es erst gar nicht, einen Hotelrekorder zu entern. Mit ihrer Annahme, ihre Klientel sei dumm und nur an Gefälligem interessiert, sind die Programmgestalter ein Teil der unsäglichen Mainstream-Mafia. Und auch ihr zunehmender Misserfolg erzwingt kein Umdenken: Das Programm bleibt flach.

Erst recht die Pornografie. Die will ja sowieso keiner gesehen haben. Denn wenn am nächsten Tag die Dame an der Rezeption laut „Soll das Video auch auf die Rechnung?“ ruft, dann verneint der Mann im Nadelstreif mit „Nein, nein, der Film mit Sean Penn war diesmal nicht so gut.“ Ein dummes Gestammel, alle Umstehenden quittieren es mit einem verächtlichen Lächeln. Jeder hier sieht Porno. Und jeder weiß es von jedem. Warum also nicht zugeben?

Billige Unterhaltung im teuren Hotelzimmer. Weil die Filme so unendlich grottenschlecht sind, dass man sich schämen muss, seine Lust mit derartigem Dreck zu befriedigen. Wer sucht das schon wieder aus? Mal als Annahme: keiner. Auf jeden Fall keine Frau.

Denn keine Frau würde zulassen, dass ihr Geschlecht derartig erniedrigt wird. Gut, es gibt auch Ausnahmen. Neulich, in einem skandinavischen Hilton lief ein altes Video der „Vivid-Production“ aus Los Angeles. Skurriler Plot, aber richtig geile Zärtlichkeiten. Nur an den Lockenstab-Frisuren erkannte man das Ablaufdatum.

Doch das ist die Ausnahme, denn man zahlt vor allem für osteuropäische Produktionen billigster Machart, die zusätzlich ein arg beleidigendes Frauenbild transportieren, das vielleicht noch in den östlichsten slawischen Provinzen Freunde finden kann. Als Alice Schwarzer vor zehn Jahren forderte, derartige Pornografie zu verbieten, wurde sie ausgelacht. Doch sie hat das damals schon kommen sehen. Und nun läuft der Dreck bis knapp vor Mittag.

Man muss eben die Leute austauschen, die das Programm aussuchen. Man muss mehr Kanäle freigeben, um auch anspruchsvolle Produktionen zu transportieren. Die gibt es – man glaubt es kaum – inzwischen auch in der Pornografie. Selbst Regisseure wie Lars von Trier und Michael Winterbottom versuchen sich im Bereich des strengen Jugendverbots. Nur merkt das keiner, denn die gute Musik läuft auch nur mehr auf den Nischenkanälen.

Zimmerkarte einführen, das Notebook aufklappen und im Bett liegend einen Film auf Compact-Disc sehen. Wenn die Auswahl nicht bald besser wird, verschwinden die Pay-TV-Kanäle. Billige Unterhaltung passt in kein teures Hotelzimmer.

Insel der Tuchentseligkeit

Österreichs Hotels im internationalen (Detail)-Vergleich

Text: Anita Ericson

Da haben die Österreicher den Dienstmann populär gemacht und ihn dann gleich mit der heimischen Filmindustrie aussterben lassen. „Zimmer 368. Mit dem Aufzug dort drüben hinauf, den Gang rechts, zweimal ums Eck und ganz hinten ist dann Ihr Zimmer. Schönen Aufenthalt!“ Wie gerne würde man jetzt an diesem schwül-heißen Spätsommernachmittag weltgewandt die Geldbörse zücken, einem dienstbaren Geist wohlwollend ein paar Münzen in die Hand drücken und sich nicht weiter ums Gepäck scheren. Komisch, denkt man sich, selbst im popligsten Charterurlaubshotel in der Türkei schleppen sie einem die Koffer aufs Zimmer – keuch, schwitz – im Viersterneplus-Haus in Österreich muss man eigenhändig anpacken.

Sinniert man weiter, kommt man drauf, dass in heimatlichen Hotels so manches ein bisschen anders funktioniert als im Rest der Welt. Oder zumindest im Rest jener Welt, in der man gemeinhinlich seine Ferien verbringt. Das ist nicht unbedingt immer nur schlecht, im Gegenteil: Denken Sie zum Beispiel einmal an das Remmidemmi, das Animateure oder sonstige Spaßmacher da jeden Tag in den mediterranen Sardinenbüchsenhotels veranstalten. Die Musik plärrt von morgens bis abends aus dem Lautsprecher, und wenn man Pech hat, beginnen an sich erwachsene Menschen in der größten Hitze rund um den Pool zu hüpfen und dabei lauthals „Jambo, Jambo“ zu kreischen. Da muss einem ja die gute Laune vergehen. In Österreich werden Sie derart plumpe Unterhaltung kaum finden, das Entertainment ist wenn, dann eher dezent und trägt höchstens ein paar skurrile Blüten, die nicht weiter stören, wie etwa die geführte Urschreiwanderung mit Baumumarmung oder den Wildkräutersammelkurs. (Mit Schrecken notiert man allerdings auch hierzulande die steigende Tendenz zur vorgekauten Aktivität: Wo Hotelbesitzer Hans Huber noch voriges Jahr seine Gäste mit einer Wanderkarte und guten Ratschlägen auf Tour schickte, bietet er heuer schon den geführten Almevent mit gemeinschaftlicher uriger Brettljause. Man kann nur hoffen, dass das nicht überhand nimmt und sich auswächst. Nicht auszudenken, jemand käme auf die Idee, den Gästen im Hotelgarten Blasmusik beizubringen …)

Vierzig Kilometer Hotelzone im Nirgendwo mit Freitagabendfolklore. Ganz allgemein fällt in der österreichischen Hotellandschaft die Absenz großer Ketten auf. Nimmt man die Städte – in erster Linie Wien – einmal aus und lässt die paar Clubs mit großen Namen, die in den Alpen all-inclusive ihr Unwesen treiben, außer Acht, trifft man nahezu ausschließlich auf Einzelgänger. Da wir uns kollektiv alle gern als Individualisten sehen, müssen wir das sympathisch finden, wenngleich es natürlich die Schwierigkeit erhöht, in der designierten Ferienregion auf Anhieb das passende Haus zu finden. Uneingeschränkt dürfen wir uns indes über die Tatsache freuen, dass gleichzeitig richtige Bettenburgen – so unpersönliche Monsterklötze mit über fünfhundert Betten – praktisch zur Gänze fehlen und dass uniforme Touristenghettos – vierzig Kilometer Hotelzone im Nirgendwo mit Freitagabendfolklore – ebenfalls nicht Teil der heimischen Hoteltopographie sind (obwohl manche Skidörfer schon hart an der Grenze des guten Geschmacks kratzen).

Die Hoteliers sind also Einzelkämpfer und hinter den Kulissen werden wahre Schlachten um die Gunst des Gastes geschlagen, mit Millionen und Trendkonzeptkreationen. In einem Punkt jedoch gibt man sich in Österreich erstaunlich rückständig: Nichtraucherbereiche? Gibt’s ned, hamma ned, brauchma ned. Das soll nun wirklich keine Tirade gegen Raucher sein – aber es muss doch bitteschön möglich sein, als heikle Nase ein Zimmer zu bekommen, wo die Vorhänge nicht blaudunstschwer am Fenster hängen. Viel zu selten wird man nach diesbezüglichen Wünschen gefragt, viel zu häufig gibt es noch nicht einmal in den Frühstücksräumen (vom Abendrestaurant ganz zu schweigen) anständige Nichtraucherzonen. („Ja, ja“, sprach der Chef, „wenn Sie möchten“, und stellte just am Tisch des einsamen Enthaltsamen ein entsprechendes Schild auf. „Hier haben Sie Ihre Nichtraucherzone.“)

Der Kampf mit dem Laken raubt einem den Schlaf. Da ist aber noch eine zweite Sache, in der man sich zwischen Vorarlberg und dem Burgenland nicht dem internationalen Standardgeschmack beugt. Und jetzt muss man wieder sagen: Gott sei Dank! Es gibt nun wirklich wenig Grauenvolleres, als des Abends in ein straff gespanntes und an der Matratze festgezurrtes Laken zu steigen, in das das Hausmädchen eine flusige Wolldecke eingeschlagen hat. Eine Manie, die weltweit um sich greift wie englische Popmusik. Steppdeckenschlafverwöhnte Menschen reißen vor dem Zu-Bett-Gehen das ganze künstliche Konstrukt mit Gewalt aus der Matratze (wobei man unweigerlich einen Blick auf die darunter liegende Matratzenoberfläche erlangt, was mitunter das Ruhebedürfnis etwas dämpft) und verbringen dann zwischen den so aufgeworfenen Falten mehr schlecht als recht die Nacht. Würden sie gleich in Österreich urlauben, wäre ihnen seliger Tuchentschlummer ohne lästige Vorbereitungen garantiert. Freigeschalten bis
halb zwölf