Nordic Cuisine für Fortgeschrittene

Geysire, Ponyreiten, Craftbiere und Autochthones von Wal, Rentier und Grönlandhai. Ein Island-Trip hat stets den Abenteuerfaktor inkludiert.

Text von Hans Mahr/FOTOS: Anastasiia Andreeva, Atli Thor Alfredsson, Sverrir Arnar Friðþjófsson, Peter Frank Edwards/Redux/laif

Draußen recht kühl und drinnen im Wasser plus 37 Grad, nix wie rein in die Badehose und eintauchen in die Lagune. In die berühmte Blaue Lagune von Island, wo die heißen Quellen der Anziehungspunkt für Touristen aus ­aller Welt sind. Momentan trifft man coronabedingt viel weniger Badelustige als normal, und der Zwei-Meter-Abstand kann auch beim Schwimmen ­locker eingehalten werden.

Billig ist das Vergnügen nicht. 71 Euro kosten Eintritt, Bademantel und Slipper. Aber das ist den Spaß wert, sich im kühlen arktischen Frühsommer ein bisschen Wärme zu gönnen. Es wäre jedoch schade, den Island-Besuch nur auf die touristischen Attraktionen zu reduzieren. Denn seit dem Siegeszug der nordischen Küche hat sich auch diese Insel zu einem Feinschmeckerparadies entwickelt. Kaum zu glauben, aber es stimmt.

Dabei reden wir nicht über die traditionellen Gerichte der Isländer; von den gekochten Schafsköpfen, den fermentierten Rochen, sauer marinierten Robbenflossen oder in Molke eingelegten Hammelhoden. Und auch der Walfisch (ja, Walfang ist in Island noch immer erlaubt!) muss nicht auf der Speisekarte stehen. Nein, das ist selbst den jungen Isländern schon zu viel des Guten an Tradition.

Die heutige Island-Küche konzentriert sich auf das, was die Insel im Übermaß hat – Fische und anderes Seafood, gesunde Lämmer, Kräuter, Rüben, Beeren und alles, was sonst noch im Moos oder im Wald Essbares zu finden ist, wie es das berühmte Noma in Kopenhagen vorgemacht hat. Die kulinarische Entdeckungsreise sollte man im Hafen von Reyk­ja­vík beginnen, zum Beispiel im Sæmundur í Sparifötunum, was eigentlich übersetzt „Lachs im festlichen Anzug“ heißt, wie der junge Kellner erklärt. Jung sind sie hier alle, Männlein und Weiblein, die Männer natürlich mit hippem Bart und allesamt in löchrigen Jeans. Und sie feiern gerne und gut, nicht nur beim Après-Ski in Ischgl, wo sich gleich sechs Isländer mit dem ­Coronavirus angesteckt haben.

Das Sæmundur ist ein Gastro-Pub, also eine Art Feinschmeckerwirtshaus, mitten im ersten Stock des­ ­Jugendhostels Kex, und als Einstieg in die isländische Küche ganz praktisch. Zwölf verschiedene Biere gibt’s, die meisten davon vor Ort gebraute Crafts. Als Snack kommt anfangs „Hardfiskur“ auf den Tisch, getrockneter Kabeljau, na ja. Und das Tasting Menu lässt ahnen, was einen später in den Restaurants erwartet. Rote- Bete-Hummus, Lachs mit Pastinakenchips und Kräutermayonnaise, Pulled Lamb (langsam gegartes Lamm) mit Waldpilzen, frischen Beeren und karamellisiertem Rotkraut. Eigentlich recht gut – und in welcher österreichischen oder deutschen Jugendherberge bekommt man schon so ein Menü?

Ein paar Häuser weiter, in der Bryggjan Brewery, einer Mikro-Brauerei, geht’s ähnlich zu, nur ein bisschen vornehmer. Sechs der Biere – je zwei Mal Lager, Ale, IPA – können um 25 Euro verkostet werden, was nicht unbedingt billig ist, aber ehrlich gesagt, in Island ist nichts billig. Weiter geht’s mit Lobster mit Kürbiskernen und den traditionellen Fish ’n’ Chips, die haben sich die Isländer von den Briten abgeschaut. Und im Messinn, einem kleinen Fischrestaurant in der Stadt, sind sie auf angeblich „typisch isländische“ Fischpfannen spezialisiert. Die Flunder kommt mit Tomaten, Kapern und Petersilie, der Red Snapper mit Sellerie, Mais und Chili.

Vor dem nächsten Küchentest heißt es aber noch, die anderen Schönheiten der Insel zu erkunden. Natürlich müssen die berühmten isländischen Ponys geritten werden (lieber im Frühjahr und im Sommer als im Winter, da können einem bei minus 20 Grad im Wald schon die Zehen abfrieren), und dann auf zu den Geysiren in der Mitte der Insel, circa zwei Stunden Fahrzeit von Reyk­ja­vík entfernt. Zu Dutzenden bestaunen die Angereisten die heißen Wasserfontänen, die alle zehn Minuten bis zu 30 Meter in die Höhe schießen. Ein Schauspiel sondergleichen, aber nach ausführlichem Herumstapfen, dem Einkauf von Algenmasken im Touristenshop und einer zweistündigen Rückfahrt stellt sich wieder der Hunger ein.

Diesmal geht’s ins Matur og drykkur (zu Deutsch etwas farbloser „Essen und Trinken“) am nördlichen Ende der Stadt, nur durch eine Straße vom Strand getrennt. Dort hat man sich schon relativ zeitnah nach dem Noma-Hype der neuen isländischen Küche gewidmet. Als Fingerfood werden Fischhautchips mit Buttermilch und eine Kabeljauzunge in Bierteig gereicht. Klingt etwas befremdlich, ist jedoch durchaus bekömmlich. Es folgt eine Fischsuppe mit Heilbutt, Muscheln, Apfel und Rosinen, auf die angebotenen Fohlenkroketten mit Beerenmarmelade sollte man vor allem in Anwesenheit von Kindern verzichten, die Rentierkroketten (Sie erinnern sich: Rudolph the red-nosed reindeer!) kommen beim Nachwuchs allerdings auch nicht besser an. Der Kopf vom Kabeljau mit glacierten Beeren und Kohlsalat ist interessant, der arktische Saibling mit Karotten, Zwiebeln und Muscheln genauso wie das Lamm mit Steckrübenpüree durchaus appetitlich, nicht nur anzusehen, sondern auch am Gaumen.

Wer’s lieber vegetarisch hat, dem sei das Vox im Hotel Hilton empfohlen. Algen mit Kresse und Spinat, karamellisierte Zwiebel, vier Mal Rüben (als Suppe, geräuchert, roh und gekocht mit Sauerampfer) – dieses Menü lässt das vegetarische Herz doch höherschlagen. Viel Gemüse gibt’s auch im Ox, einer Art Restaurant im Restaurant. Dafür muss man ins Ion City ­Hotel pilgern, weiter ins dortige Restaurant Sumac und dann durch eine Geheimtür in das Minilokal mit 14 Sitzplätzen. Dort serviert Thrainn Freyr Vigfusson die Gerichte seiner Oma in Tapas-Form.

Was man auslassen kann, ist die halbstündige Fahrt nach Hafnarfjörður. Dort haben die Einheimischen eine Touristenfalle aufgebaut. Viking Village heißt es, 200 Leute passen in das Restaurant Fjörukráin rein und werden dort an elendslangen Holztischen, die an das Münchner Hofbräuhaus erinnern, mit allerlei isländischen Gerichten vom fetten Hering bis zum fermentierten Hai „verwöhnt“. Und natürlich hüpfen auch noch einige ­Wikinger zwischen den Tischen herum und verbreiten isländische Folklore. Das muss wirklich nicht sein, schon gar nicht in Corona-Zeiten.

Lieber Vorfreude auf den Höhepunkt der isländischen Kulinarik: Für sein erstes Dill-Restaurant am Rande von Reyk­ja­vík hat Gunnar Karl Gíslason ­einen Michelin-Stern erhalten. Auch die französischen Tester brauchen neue Akzente und haben deshalb auch diese Insel in den roten Führer eingemeindet. Im Winter ist Gunnar umgezogen, mitten in die Stadt, an die kleine Hauptstraße, in den ersten Stock eines Geschäftshauses. Über die Treppe geht’s rauf, oben zwölf Tische mit dem notwendigen Abstand und eine riesige offene Küche, wo der Chef selbst werkt und freundlich winkt, wenn der neue Gast zum Tisch gebracht wird. In der Corona-Zeit hat er nur Samstagabend geöffnet gehabt, jetzt fährt er den Betrieb schön langsam wieder hoch.

„Die isländische Küche ist natürlich eine Weiterführung der nordischen Küche, wie sie das Noma auf den Weg gebracht hat“, gibt er zu. „Ich beziehe fast alle meine Zutaten aus der Umgebung – die frischen Fische, die Lämmer, die Beeren, Kräuter und Pilze. Und ich versuche, alles so einfach und reduziert wie möglich zuzubereiten.“ Es beginnt vielversprechend mit kleinen Appetizern: ein Stück knuspriger Kabeljau mit Pflaume, Zwiebelkuchen mit Karotten, Rote Bete mit Heidelbeeren, Gänsehaut auf einem Stück Brot und ein ­gegrillter Lammbauch mit Paprika. Dann drei Mal Gemüse (fermentierter Kohl, Ziegenkäse mit Sellerie, Steckrüben mit ­Koriander), bevor der Kabeljau-Gang an den Tisch kommt. Und das ist die wirkliche Sensation des Abends. Interessanter und besser zubereitet ist dieser Fisch nur schwer irgendwo anders zu finden.

Drei Mal wird der Kabeljau serviert, ein Mal als Püree mit knuspriger Haut, dann als Suppe mit Dill und Kartoffeln und zum Schluss ein Mittelstück mit Wurzeln und obendrauf einer Portion Kaviar. Nur bei den Weißweinen verziehen einige der Gäste das Gesicht: Naturweine, die eher an Essig erinnern als an Traubensaft. „Ja, da müssen wir noch zulegen“, gibt selbst der Chef zu, nachdem er einen verkostet hat. „Aber beim Rotwein sind wir besser sortiert.“

Und den gibt’s zum zweiten Hauptgang, der Gans. Von ihr wird die Keule in einer Sauce mit eingelegtem Wurzelgemüse und die Brust mit Algenbutter und schwarzen Moosbeeren serviert. Dass er es mit den einheimischen Kräutern und Gemüsen ernst meint, zeigt Gunnar beim Dessert. Ein gebackener Keks mit Selleriesamen, gegrillte Rote Rüben mit getrockneten Algen, Karamell mit arktischem Thymian, das findet sich ganz sicherlich nicht auf irgendeiner mitteleuropäischen Speisekarte.

„Ich hoffe, es hat geschmeckt“, sagt Gunnar am Tisch und lacht: „Die ganz harten isländischen Sachen wie den eingelegten und fermentierten Haifisch habe ich ausgelassen.“ Danke, Gunnar. Es war interessant, schmackhaft und ein bisschen abenteuerlich. Doch jetzt heißt es, sich ins nächste Abenteuer zu stürzen. Kurz vor Mitternacht legt das Touristenboot ab, um draußen auf dem Meer die Nordlichter einzufangen.

Und wenn’s, wie leider öfter, doch kein Nordlicht zu sehen gibt, dann bietet die Reederei eine Wiederholung der Tour an, beim nächsten Island-Besuch innerhalb von zwei Jahren. Gar nicht schlecht, da kann man dann ja auch wieder die neue isländische Küche testen.

Sæmundur í Sparifötunum
www.kexhostel.is/saemundur-gastro-pub

Bryggjan Brewery
www.bryggjanbrugghus.is

Messinn
www.messinn.com

Matur og drykkur
www.maturogdrykkur.is

Vox
www.vox.is

Ox
www.ox.restaurant

Fjörukráin
www.fjorukrain.is

Dill
www.dillrestaurant.is